Kampf um Donbas: Huliaipole widersetzte sich schon vor hundert Jahren der russischen Armee

Vor dem Angriff Russlands träumte die Heimatstadt des Anarchisten Nestor Machno davon, dessen Gedenken zu vermarkten. Jetzt holt sie die Geschichte ein.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
7 Minuten
Das Gewehr eines ukrainischen Soldaten lehnt an einer bunt gekachelten Wand neben einem Schlaflager. Das Haus befindet sich in Huliaipole, ganz in der Nähe der Frontlinie.

Seit vier Wochen verläuft in Huliaipole die Front zwischen dem Bahnhof und der mittlerweile zerschossenen Kirche des Heiligen Tichon. Sie gehört dem Moskauer Patriachat, doch die russischen Belagerer des Orts beeindruckt dies nicht. Seit dem 5. April beschießen sie das strategisch wichtige Bezirkszentrum zwischen den Industriestädten Saporischschja und Donezk.

Huliaipole gilt in der aktuellen „Schlacht um den Donbas“ als Tor zu den noch von Kiew gehaltenen Gebieten. Im Süden des ukrainischen Kohlereviers gibt es seit Sommer 2014 zwei selbstproklamierte pro-russische „Volksrepubliken“, die vom Kreml am Vortag der russischen Invasion vom 24. Februar als unabhängige „Staaten“ anerkannt wurden.

Schon einmal von Russland überfallen

Längst fließt in Huliaipole kein Strom, kein Gas und kein Wasser mehr. Auch das Handynetz ist ausgefallen. Die meisten der gut 13.000 Einwohner sind in der ersten heißen lokalen Kriegswoche, das heißt bis Mitte April, geflohen. In den Kellern harren vor allem Rentner und Kranke aus. Versorgt werden sie von ein paar Freiwilligen mit Hilfsgütern, denn noch ist Huliaipole unter ukrainischer Kontrolle.

Landkarte der Ostukraine zeig Huliaipole zwischen Donezk und Mariupol
Übersichtskarte der Ostukraine: Huliaipole liegt an der Frontlinie zwischen den von Kiew und Russland gehaltenen Gebieten.

Bei den Bewohnern weckt der Verteidigungskampf der Ukrainischen Armee und Nationalgarde nicht nur akute Ängste, sondern auch auch historische Erinnerungen. Denn die russische Armee ist nicht zum ersten Mal hier.

Die Bewohner denken in diesen Tagen an ein halbes Dutzend Angriffe auf Huliaipole durch die russisch dominierte Rote Armee in den Jahren 1919 bis 1922 zurück. Diese Episode nach der Oktoberrevolution und Lenins Machtübernahme im zaristischen Russland, das 1917 auch diesen Teil der Ukraine umfasste, hat mich zweimal in diese ansonsten vergessene Kleinstadt geführt.

Eine goldene Statue stellt Nestor Machno auf einem Fell sitzend dar – dahinter das überschaubare Zentrum des Städtchens Huliaipole vor dem russischen Angriffskrieg
Vor dem Krieg: Goldene Statue des Sozialrevolutionärs Nestor Machno im Zentrum von Huliaipole
Ein Ukraine-Donbas-Huliaipole-Rathaus zeigt ein Banner der Machno-Anhänger
Ein Veteran des Donbas-Kriegs 2014 zeigt ein Banner der Machno-Anhänger
Der Eingang zum blauen Rathaus von Huliaipoile: Über die Eingang wehen die ukrainische und die europäische Fahne.
Das idyllische Rathaus von Huliaipole: Hier träumte man vor dem Krieg vom Tourismus.
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