Whatsapp-Foto mit Pistole: Perus kleine Händler im Griff der Schutzgeldmafia

Seit der Corona-Pandemie steigt die Kriminalität in Peru. Leidtragende sind kleine Händler, Geschäftsleute, Taxifahrer. Dahinter steckt eine Mischung aus staatlicher Korruption, politischem Desinteresse und den aus Venezuela importierten brutalen Mafiamethoden.

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In der Mitte ein junger Mann, man sieht seinen Rücken, die Hände auf dem Rücken in Handschellen.  Links und rechts von ihm jeweils ein Polizist. Auf dem hellblauen Hemd des Gefangenen steht, in englischer Sprache: „Live your dream, share your passion“

Der Artikel gehört zur Miniserie Kriminalität & Migration in Lateinamerika

Es war ein Werktag im Mai 2024, kurz vor 16 Uhr, als Carlos S. von der Arbeit nach Hause kam und sich erschöpft in einen Sessel fallen ließ. Sein Handy läutete. Unbekannte Nummer. Hoffentlich ein neuer Kunde, dachte Carlos S. Er betrieb eine Näherei mit vier Arbeiterïnnen samt Laden im auf Textilien spezialisierten Einkaufsviertel Gamarra in Lima. Die Geschäfte liefen nicht mehr so gut, sagt er, seit die Chinesen dank des Freihandelsabkommens aus dem Jahre 2010 ihre Konfektionen zollfrei nach Peru einführen dürfen. Carlos ging ans Telefon. „Wir sind eine ausländische Organisation, der “Tren der Aragua„ - der Zug von Aragua. Gib uns 20.000 Soles (rund 5000 Euro), sonst werden wir Dich aufschlitzen“, sagte eine unbekannte Männerstimme. Kurz darauf erhielt er auf seinem Whatsapp das Foto einer Pistole, die direkt auf ihn zielte. Mit seiner Siesta war es vorbei.

Immer wieder riefen die Erpresser an, immer von verschiedenen Telefonnummern. Carlos wusste, dass mit der Drohung nicht zu spaßen war. Erst vor wenigen Tagen war ein anderer Geschäftsmann in Gamarra von Schutzgelderpressern angeschossen worden. Nun war er selbst in deren Visier.

Vorderfront eines Verkaufsraums voller T-Shirts und Sweat-Shirts mit verschiedensten Aufschriften.
Im Viertel Gamarra reiht sich ein Kleiderladen an den anderen. Viele ihrer Besitzer zahlen Schutzgeld. Aus Angst vor Repressalien ist kaum ein Ladenbesitzer bereit, darüber zu sprechen.

In den letzten fünf Jahren haben sich die Anzeigen wegen Schutzgelderpressungen in Peru mindestens verdreifacht, so ein Bericht des Thinktank „Instituto Peruano de Economia“. Die tatsächliche Zahl ist um ein Vielfaches höher, weil die meisten Opfer es aus Angst vor Repressalien nicht wagen, Anzeige zu erstatten.

Auch die Morde haben sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt – womöglich auch verdreifacht. Genau sagen kann das niemand, weil es keine gesicherten Zahlen gibt. Das für die Zählung zuständige institutionenübergreifende Gremium ist weit im Rückstand mit seinen Berichten. Der letzte ist vier Jahre alt.

Trotz der mit Vorsicht zu genießenden Zahlen, lag die Mordrate Perus mit 6 Morden auf 100.000 Einwohner im Jahre 2024, im Lateinamerika immer noch im unteren Mittelfeld. In Ecuador wurden im selben Jahre 38,8 pro 100.000 Einwohner ermordet, in Venezuela 26,2.

Eine Demo gegen die Kriminalität

2024 war das Jahr mit den meisten Tötungsdelikten, laut Medienberichten, insbesondere in den Städten der Pazifikküste, darunter die Hauptstadt Lima. Am 23. Oktober 2024 ließen in Lima Bus- und Taxifahrer ihre Fahrzeuge in der Garage. Händler schlossen ihre Läden und Marktstände. Das öffentliche Leben in Lima kam zum Stillstand, weil alle demonstrieren gingen. Gegen die Kriminalität und dafür, dass Präsidentin Dina Boluarte endlich was dagegen unternimmt.

„Früher forderten nur die Bauarbeiter Schutzgelder von den Bauherren, oder ab und zu auch mal städtische Beamte, um im Gegenzug ein Auge zuzudrücken bei unerlaubtem Straßenhandel“, sagt Carlos Choque, einer der Organisatoren der Demonstration. Der 63-Jährige mit dem breiten Lachen im Gesicht hat sein ganzes Leben in Gamarra verbracht. Zuerst hat er Kleider als fliegender Händler angeboten, dann einen Laden aufgemacht, heute handelt er vor allem mit Immobilien in Gamarra.

„Früher haben dir die Diebe einfach die Handtasche entrissen, heute bringen sie dich dafür um“. Nicht die Zunahme an Delikten allgemein, sondern die Brutalität, der schnelle Griff zur Waffe, das Überhandnehmen von Feuerwaffen, die man illegal leicht bekommt, habe sich geändert. Die Kriminalität in Peru ist brutaler geworden. In dieser Diagnose sind sich alle einig, Betroffene wie Polizisten, Journalisten wie Politiker.

Doch es sind die Schutzgelderpressungen, die den kleinen Händlern und Bus- und Taxifahrern den Garaus machen und sie demonstrieren ließen – trotz der berechtigten Angst, damit für die Gangs noch angreifbarer zu werden.

Brustbild eines dunkelhäutigen Mannes, um die 60, schwarze kurze Haare, Knollennase, hellblau gemustertes, kurzämliges Hemd.,
Der Textilunternehmer Carlos Choque im Textil-Cluster-Viertel „Gamarra“ hat die Demonstration gegen die Kriminalität am 23. Oktober 2024 mitorganisiert.
Weisshäutiger Mann, ca. 40, schwarzer Vollbart und Brille, cremefarbenes Jacket, himmelblaues Hemd, lacht in die Kamera
Victor Quinteros ist Jurist und spezialisiert auf Kriminalität und interne Sicherheit.
Eine Front mit drei kleinen nebeneinanderliegenden Läden, darüber ein grünes Schild „Mercado El Rino“.
Im Viertel Carabayllo sind offene Märkte die wichtigsten Einkaufszentren. Viele der Händler leiden unter Schutzgelderpressungen oder haben deswegen sogar ihr Geschäft geschlossen.
Dunkelhäutige Frau, ca. 50, Brille, nach hinten gebundene schwarze Haare, blaues T-Shirt, lacht in die Kamera
Nelly Condori verkauft selbstgemachtes Speiseeis. Außerdem ist sie in der Nachbarschaftsorganisation aktiv. Ihre Nachbarin, Besitzerin eines Tante-Emma-Ladens, wurde Opfer einer Schutzgelderpressung. Aus Angst vor Repressalien wollte sie nicht selbst vor die Kamera treten, sondern hat Nelly Condori ihre Geschichte erzählt.
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