Gewalt gegen Frauen: Spanien hat ein Problem mit jungen Machos
Trotz vorbildlicher Gesetze leiden immer mehr junge Frauen unter geschlechtsspezifischer Gewalt
Auf ihrem WhatsApp-Profil-Bild posiert Irene in Jeans und Sommer-T-Shirt vor dem Spiegel. Nicht immer zeigte sich die 21-jährige Frau aus Barcelona so selbstbewusst in den sozialen Medien. Fast neun Monate hat ihr Ex-Freund täglich kontrolliert, was sie auf WhatsApp, Instagram und Co veröffentlichte. Er loggte sich in ihre Accounts ein, postete teils unter ihrem Namen. „In einem Chat hat er einen meiner besten Freunde als Idioten bezeichnet“, erzählt die junge Frau. „Das hat er nur getan, weil er eifersüchtig war und so unsere Freundschaft torpedieren wollte.“
Monatelang hatte sie nur einen vagen Verdacht. Als sie ihren Freund in flagranti erwischte, wie er sich einloggte, beendete sie die Beziehung. Knapp zwei Jahre ist das her. Doch wenn sie davon erzählt, zittert ihre Stimme immer noch etwas: „Ich habe mich so hintergangen und erniedrigt gefühlt.“
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„Psychologische Gewalt ist die erste Stufe auf einer nach oben offenen Eskalationsleiter“
Versuche, die Partnerin zu kontrollieren, zählen wie Erniedrigungen und Beleidigungen zur psychologischen Gewalt. Sie gilt als erster Schritt auf der Eskalationsleiter. Expertïnnen warnen deswegen davor, solche Verhaltensweisen als Lappalie abzutun. „Auch wenn sich psychologische Gewalt strafrechtlich oft nicht verfolgen lässt, ist sie ein wichtiger Indikator und sollte beobachtet werden“, sagt Andrea García, bei der katalanischen Polizei zuständig für geschlechtsspezifische Gewalt. Denn sehr häufig folgten ihr körperliche Übergriffe: Schubsereien bei Streits, Ohrfeigen, sexuelle Nötigung, Schläge. Die Skala reicht hin bis zum Mord.
Unter den Tätern sind immer mehr junge Männer. In Katalonien ist die Zahl der angezeigten und festgenommenen minderjährigen Männer sowohl im Vergleich zum Vorjahr wie auch im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie gestiegen. Zur Last gelegt werden ihnen überwiegend Erpressung, Drohungen – im realen Leben ebenso wie in der virtuellen Welt –, aber auch physische Gewalt und sexuelle Nötigung. Polizistïnnen aus Madrid und anderen Regionen Spaniens berichten von ähnlichen Tendenzen. Das Bewusstsein dafür, welche Verhaltensweisen akzeptabel sind und welche nicht, scheint zu schwinden: Laut des Jugendbarometers der spanischen Stiftung zu Drogenprävention hält jeder fünfte (männliche) Jugendliche geschlechtsspezifische Gewalt für eine „ideologische Erfindung“, Tendenz steigend.
Dabei gilt Spanien europaweit als federführend bei der Prävention und Verurteilung von Gewalt gegen Frauen: Bereits seit 2004 sanktioniert das „Gesetz zum Schutz geschlechtsspezifischer Gewalt“ Delikte, die Partner und Ex-Partner an Frauen begehen, besonders schwer. Ein eigens entwickeltes Protokoll, das sogenannte VioGén, ermöglicht Polizistïnnen, Richterïnnen und Sozialdiensten eine datenbasierte Risikobewertung, über die Maßnahmen wie Näherungsverbote schnell und effektiv verhängt werden können. Das System gilt als vorbildlich, Länder wie Frankreich haben bereits Interesse daran bekundet. Im Unterschied zu vielen europäischen Ländern hat Spanien bereits 2014 die Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauenrechte ratifiziert und in vielen Bereichen implementiert. Der Europa-Rat hat die Bemühungen des Landes lobend erwähnt. Was also läuft schief?
„Mit Gesetzen allein können wir Mentalitäten nicht verändern“
Antoni Pérez, Direktor der NGO Safe the Children (Katalonien), seufzt tief und hebt resigniert die Schultern. Seine Organisation hat im Oktober eine Studie veröffentlicht, die die Zahlen zur sinkenden Sensibilität für das Thema geschlechtsspezifische Gewalt unter jungen Paaren bestätigt. Danach wird jede vierte junge Frau zwischen 16 und 17 Jahren von ihrem Freund über Smart Phone, soziale Medien oder im Alltag kontrolliert oder beleidigt. Elf Prozent der minderjährigen Frauen, die über Gewalt in der Partnerschaft klagen, werden zu sexuellen Praktiken genötigt, mit denen sie nicht einverstanden sind. „Die Ergebnisse waren ein Schock für uns“, sagt Pérez. „Wir hatten eigentlich vermutet, dass sich die jungen Generationen der Problematik bewusster sind. Aber Gesetze reichen eben nicht aus, um Mentalitäten zu verändern.“
Vor allem bei Jugendlichen wirkten die „Mythen der romantischen Liebe“ nach: etwa die durch Filme und Romane verstärkte Idee von der einen, wahren Liebe oder der Glauben, dass Eifersucht und Kontrolle lediglich Ausdruck einer intensiv empfundenen Liebe seien. Begegnen ließe sich dem nur über Erziehung. „Emotionale und sexuelle Erziehung muss endlich zum Unterrichtsfach werden – am besten bereits im Kindergartenalter, “ fordert Pérez.
„Sexuelle Erziehung muss endlich Unterrichtsfach werden“
Zwar werden in vielen spanischen Regionen Sexualität, Geschlechterbilder, der Umgang mit dem eigenen Körper und dem Körper des anderen in der Grundschule behandelt, aber einheitliche spanienweite Richtlinien fehlen, trotz der Bemühungen der linken spanischen Regierung.
Das ist auch eine Folge des starken Abschneidens der Vox-Partei. Die rechtsextreme Partei ist drittstärkste Fraktion im spanischen Parlament und stützt in den autonomen Regionen Madrid, Murcia, Andalusien und Castilla y León die Landesregierungen. In den südspanischen Regionen Murcia und Andalusien hat sie darauf gedrängt, dass Eltern ihre Kinder aus dem Unterricht nehmen dürfen, wenn es um sexuelle Erziehung geht. Mit teilweisem Erfolg: Die Schule muss Eltern nun mit ausreichend Vorlauf über die genauen Inhalte informieren. Auch sonst wettert Vox medienwirksam gegen „Gender-Ideologie“ und behauptet, Männer würden durch die Gesetzgebung zu geschlechtsspezifischer Gewalt systematisch diskriminiert. „Dieser neue Negationismus prägt das gesellschaftliche Klima und dringt natürlich auch in die Köpfe junger Menschen ein“, klagt Pérez.
In Barcelona versucht man den „neuen Machos“ mit niedrigschwelligen Angeboten zu begegnen. Im Oktober wurde das „Zentrum für die Vielfalt von Männlichkeitsbildern Plural“. Im Werbespot sieht man Männer, die sich Gesichtscreme auftragen, ihren Töchtern Zöpfe flechten oder sich herzlich umarmen, alles unterlegt von treibenden Beats und dem Slogan „Verhalte dich wie ein Mann“. In Workshops, Gesprächsrunden und Seminaren will die städtische Einrichtung für ein anderes Männerbild sensibilisieren.
„Wer für Ungleichheiten sensibilisiert, beugt Gewalt vor“
„Wir legen den Fokus ganz bewusst nicht auf das Thema Gewalt“, sagt Esteve Segura vom Schulungsteam. „Es geht um einen breiteren Ansatz, der sich an alle richtet und für Ungleichheiten sensibilisiert. Denn das beugt Gewalt letztlich vor.“ Wenn sich beispielsweise werdende Väter in eigenen Seminaren über Ängste und Hoffnungen austauschen, dann sollen – so die Idee – auch traditionelle Rollenbilder hinterfragt und auf mangelnde Wertschätzung für Pflege und Fürsorge und strukturelle Ungleichheiten aufmerksam gemacht werden. Auch für junge Männer an der Schwelle zum Erwachsenwerden erarbeitet das Team aus Psychologïnnen und Sozialarbeiterïnnen eigene Angebote. „In Phasen des Umbruchs sind Menschen besonders bereit, Denkmuster zu hinterfragen – hier müssen wir ansetzen“, so Segura.
Irene, die ein dreiviertel Jahr unter der Kontrolle ihres Ex-Freunds litt, hält solche Angebote für sinnvoll. „Viele meiner männlichen Freunde haben noch nie richtig über diese Themen nachgedacht“, sagt sie. Auch sie selbst habe lange gebraucht, um zu erkennen, dass ihr Freund sich wie ein „klassischer Macho“ verhalten habe. Darüber gesprochen hat sie mit ihm nicht. Seit der Trennung haben sich die beiden nicht wieder gesehen.