Artenschutz in Peru: Die Frauen vom Titicaca-See hüten ihre Frösche
In den Tiefen des größten Süßwassersees Südamerikas leben einzigartige Frösche. Sie sind begehrt wegen angeblich heilender und magischer Kräfte und deswegen vom Aussterben bedroht.
Für Naturliebhaber dürfte es kaum einen schöneren Ort als den Titicaca-See geben. Auf 3.800 Metern gelegen, schimmert der von den schneebedeckten Anden umgebene See in tiefem Blau und geht am Horizont in die Farbe des Himmels über. Die Halbinsel Chucuito, auf der peruanischen Seite des Sees, ragt ockerfarben in den spiegelnden See hinaus. Dort, auf einer Anhöhe im Dorf Perka Norte, sitzt Elvira Chicani in ihrer selbstbestickten Tracht und blickt hinunter auf ein einsames Boot, das durch das ruhige weite Wasser zieht.
Hier ist Elvira Chicani vor 45 Jahren geboren, hat Feliciano geheiratet und ihre drei Kinder bekommen. Sie hat ihre Schafe gehütet, die Wolle gesponnen und dann zu Decken, Mützen und Handschuhen verstrickt. Bis heute. Die Schönheit der Natur ist noch immer unverbaut, kein Hotel, kaum ein Auto, keine Touristen trüben die Idylle.
Dabei haben Elvira und ihr Mann gerne Gäste. Die meisten sind Forscher aus den USA und aus Lima. Sie kommen wegen eines Tieres, dem Chicani vorher wenig Beachtung schenkte: der Titicaca-Riesenfrosch. Bis zu 20 Zentimeter lang kann er werden, hat kräftige lange Hinterschenkel, mit denen er schnell davonschwimmt und mehr Falten in seiner olivgrünen oder grauen Haut als eine steinalte Galapagos-Echse.
Elvira Chicani kennt das Tier schon seit ihrer Kindheit. „Nein, Angst hatte ich nie vor ihm“, sagt sie lachend und zeigt die blitzend weißen Zähne im breiten Gesicht. Eher Ehrfurcht. Denn für die Bewohner von Perka Norte hat der Frosch eine ganz eigene Bedeutung.
Wozu Falten gut sein können
Dass der Frosch wichtig und schützenswert ist, hätte sie wohl nie erfahren ohne die Zoologen aus dem nordamerikanischen Denver. Zwar hatte schon der französische Tiefseeforscher Jean-Jacques Cousteau in den 70-er Jahren im Titicaca-See nach dem Schatz der Inkas getaucht und statt deren Gold eine Unmenge eigenartiger Wasserfrösche vorgefunden. Doch erst als die Zoologische Gesellschaft Denver sich 2007 vom Aussterben bedrohter Amphibien annahm und dabei auf den Riesenfrosch vom Titicaca-See stieß, kamen Zoologen, Studierende, Biologen und Fotografen nach Perka Norte.
Das Dorf, in dem Elvira Chicani lebt, liegt an einer der saubersten Stellen des Sees, der 15-mal größer ist als der Bodensee und der größte Süßwassersee. Hier findet man besonders viele Frösche – diese sind Seismografen für die Wasserqualität. Da sie vollständig im Wasser leben, nehmen sie den auf 4.000 Höhenmeter knappen Sauerstoff über die Haut auf: Je mehr Haut, desto mehr Luft können sie aufsaugen. Den Titicaca-Riesenfrosch (Telmatobius culeus) gibt es nur im Titicaca-See, bestätigt der Biologe Jhezel Quispe.
Um den Bestand im Auftrag der Zoologischen Gesellschaft Denver zu überwachen, taucht er regelmäßig vor der Halbinsel Chucuito. Chicanis Mann Feliciano fährt ihn dann mit seinem Fischerboot hinaus auf den See, wo Quispe im Neopren-Anzug ins eiskalte Wasser springt und Frösche zählt.
In Peru trinkt man Frösche
Elvira Chicani und die Menschen von Perka Norte wissen inzwischen, dass ihr Frosch etwas ganz Besonderes ist, und schützen ihn. Wenn Fremde kommen und Frösche kaufen wollen, dann nehme sie ihren ganzen Mut zusammen. Sie habe auch schon Leute abgewiesen, sagt Elvira. Denn der Titicaca-Frosch ist in Peru begehrt.
Auf den Märkten in ganz Peru werden frisch getötete Frösche zusammen mit Honig und der Maca-Wurzel in den Mixer getan und der Trunk als Potenzmittel verkauft. Der „extracto de rana“ (Froschextrakt) soll nicht nur potenzsteigernd sein, sondern auch gegen Lungenkrankheiten und allgemeine Schwäche helfen. Obwohl der Handel mit Fröschen seit 2014 in Peru unter Strafe steht, findet die Forstbehörde Serfor immer wieder verbotene Ladungen mit Fröschen bei Zollfahndungen oder Inspektionen auf Märkten.
2017 und 2018 wurden große Kontingente beschlagnahmt, einmal habe er 3.000 Frösche an einem Zollposten an einer Zufahrtsstraße nach Lima vorgefunden, sagt Walter Silva, Spezialist für Fauna bei der Forstbehörde Serfor. Offiziell würde der Frosch-Trunk nicht mehr verkauft, aber unter der Hand sei er noch an vielen Marktständen zu erhalten.
Der Volksglaube, dass Frösche ein hervorragendes Stärkungsmittel seien, sei von französischen Ärzten nach Peru gebracht worden, sagt Walter Silva. Die hätten zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in der Bergbaustadt La Oroya Froschschenkel gegen Tuberkulose verschrieben. Von dort habe sich der Brauch in ganz Peru ausgebreitet.
Ein einzigartiger Frosch
Wenn Serfor eine Ladung Frösche konfisziert, dann landen sie oft in seinem Labor an der Universität Cayetano Heredia. Roberto Elias arbeitet dort als Tiermediziner. Er ist auf gefährdete Wildtiere spezialisiert. Seit 2008 koordiniert er in Peru das Programm zum Erhalt des Titicaca-Frosches der Zoologischen Gesellschaft Denver. Er gerät ins Schwärmen: Der Titicaca-Riesenfrosch habe die größte Hautoberfläche weltweit. Er sei der einzige, der auf 4.000 Meter Höhe überlebe. Und von dem es leider immer weniger gäbe. Doch der verbotene Handel mit den Fröschen ist nicht das einzige Problem.
Denn das tiefblaue Wasser es Titicaca-Sees täuscht: Der See ist hochgradig verschmutzt. Die an den See angrenzenden Ortschaften leiten ihre Abwässer ungefiltert ein. Bis heute hat es der peruanische Staat nicht geschafft, dort Kläranlagen zu bauen, obwohl das Problem seit langem bekannt ist. Dazu kommen Schwermetalle aus den illegalen Goldminen in den naheliegenden Bergen, die über Bäche und Flüsse letztlich auf dem Seegrund landen.
Zudem hat der Frosch einen neuen natürlichen Feind im Wasser: Freigesetzte Forellen konkurrieren mit den Fröschen um die kleinen Andenkärpflinge (Ispis). Sie verspeisen aber schon auch mal selber kleine Frösche. Wenn dann noch die Erhöhung der Wassertemperatur durch den Klimawandel und neue Krankheiten dazukommen, dann ist der Stress für die Frösche groß.
Dabei sind Klima- und Naturschutz zwei Seiten derselben Medaille und Amphibien sind weltweit besonders gefährdet.
2016 wurden am Ort Coata, an der Mündung des gleichnamigen Flusses in den Titicaca-See, an einem Tag über 10.000 tote Frösche gefunden. Bis heute weiß die Forstbehörde nicht, was das Massensterben der Frösche ausgelöst hat.
Inzwischen leben Exemplare der Titicaca-Frösche auch in den Zoos von Lima und von Denver. Doch wichtiger ist es, dass sie im See selber eine gesunde Umgebung vorfinden. Noch gibt es wenig Studien zum Titicaca-Frosch. Doch Elias ist überzeugt, dass sein Aussterben die Versorgungskette im Titicaca-See empfindlich stören würde.
Jhezel Quispe und seine Nichtregierungsorganisation Natural Way unterstützen deshalb die Bewohner von Perka Norte dabei, die Frösche zu schützen. Elvira Chicani und die anderen Frauen weben und stricken nicht mehr nur wunderschöne Decken, sondern auch kleine Frosch-Schlüsselanhänger. Die verkaufen sie auf dem Markt und an die – bisher wenigen – Touristen und erwirtschaften sich so ein kleines Einkommen.
Der Frosch als Regenmacher
Dabei wissen die Bewohner von Perka Norte schon immer, was sie an ihren Fröschen haben und wozu sie diese schützen müssen.
Wenn der Regen im Oktober und November ausbleibt, dann fährt eine Abordnung des Dorfes zusammen mit dem Yatiri, dem Schamanen, auf den See und bittet um Erlaubnis, einen Frosch zu entnehmen. Eine der Frauen des Dorfes wird durch das Los dazu bestimmt, den Frosch auf den nächsthöchsten Berg hochzutragen, den Apu.
Elvira Chicani hebt ihren weiten roten Rock etwas hoch, macht eine Mulde in den Stoff: „Hier wird der Frosch in einer Tonschüssel mit Wasser getragen.“ Eine Ehre sei das für die Frau oder das Mädchen.
Das ganze Dorf geht mit. Oben verrichtet der Yatiri einen Pago, einen Ritus, um der Erde und dem Apu zu danken und um Regen zu bitten. Wenn es nach einer Woche immer noch nicht regne, dann wird das Ritual wiederholt. „Aber es funktioniert immer“, sagt Elvira Chicani.