Mein Haus ist Dein Haus: Wie funktioniert Gastfreundschaft in anderen Ländern?
In Kenia steht jedem die Hütte offen, in Tschechien gilt es als Ritterschlag, nach Hause eingeladen zu werden. Erfahrungen mit Gästen, Geschenken und Festessen in anderen Teilen der Welt.
So richtig adventlich sind die Themen in diesem Dezember nicht: Ukrainekrieg, Energiekrise, Inflation und dann natürlich der Klimawandel. Umso wichtiger scheint es vielen Menschen, zusammenzurücken, Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, sich gegenseitige Wertschätzung zu zeigen – sei es durch Zuhören oder mit kleinen Aufmerksamkeiten. Aber wie ist das in anderen Ländern: Wie pflegt man dort Freundschaften, was schenkt man sich? Wie funktioniert Gastfreundschaft in Serbien, Kenia oder Indonesien? Die Weltreporterïnnen haben dazu Beispiele aus aller Welt gesammelt.
Kenia: Für Gäste ist Platz in jeder Hütte
Bei den Samburu, die im Norden Kenias siedeln, kann sich jede und jeder Fremde ohne besondere Erlaubnis in einem beliebigen Haus des Dorfes für die Nacht niederlassen. Niemand wundert sich, wenn ein Gast vor dem Schlafen selbstverständlich in die gemeinsame Schüssel greift. So jedenfalls erzählt es Professor Turoop Losenge, der dem Volk selbst angehört. Traditionell leben die Samburu halbnomadisch mit ihrem Vieh und sind bisweilen monatelang mit ihren Herden in der Wildnis unterwegs. Losenge hat in Kenia und Deutschland Gartenbau studiert, in den USA geforscht und lehrt nun an der Universität von Nairobi. In seinem Haus auf dem Campus wohnten monatelang so viele Gäste, dass vor lauter Matratzen auf dem Boden kaum noch ein Durchkommen war – die Gastfreundschaft ist bis heute einer der höchsten Werte seines Volkes.
Serbien: Der Gast ist heilig
„Epische Gastfreundschaft“ lautete kürzlich die Überschrift eines Reiseberichts über Serbien in britischen Medien. Tatsächlich ist die Gastfreundschaft eine elementare Eigenschaft der Serben. Früher glaubte man, dass eine fremde Person, die an die Tür klopft, die Seele eines Gottes verkörpere, der Zuflucht sucht. 2015, als hunderttausende Flüchtlinge Belgrad über die Balkanroute erreichten, zeigte sich, was sprichwörtliche serbische Gastfreundschaft ist: Monatelang versorgten Belgrader die Gestrandeten, bis sie weiter in den Westen zogen. Etwas zu schenken gehört auch zur Serbenseele: Ob zwei Äpfel, Tafel Schokolade oder 50 Gramm Kaffee – ein Gast hat immer ein Geschenk dabei. Für einen reich gedeckten Tisch, vor allem zu Weihnachten, ist der Gastgeber zuständig. Denn, Gäste sind heilig und müssen gebührend bewirtet werden.
Indonesien: Jeder ist willkommen
„Teman“ – also „Freund“ – nennen Indonesierïnnen in der Regel alle, die sie mehr als einmal getroffen haben. Das reicht als Voraussetzung, um zu einer Hochzeit oder anderen großen Familienfeiern eingeladen zu werden. Bei den meisten Festen ist sowieso das halbe Dorf beteiligt, es wird zusammen gekocht und dekoriert und natürlich auch zusammen geschlemmt und wieder aufgeräumt. Dazu werden kurzerhand auch mal ganze Straßen abgesperrt. Bei solch großen Feiern stehen am Eingang Spendenboxen, in die die Gäste Geldgeschenke in kleinen Umschlägen einwerfen. Geht es etwas privater zu, überreicht man das Geschenk persönlich – und zwar mit der rechten Hand, denn die linke gilt als unrein. Ausgepackt wird erst später, damit den Schenkenden eine eventuelle Enttäuschung der Beschenkten erspart bleibt.
Frankreich: Der deliziöse Holzscheit
Fast jedes Land hat sein Weihnachtsgebäck, aber es gehört nun mal zur französischen Mentalität, um die eigene kulinarische Tradition immer viel Tamtam zu machen. So flattern seit Anfang November massenhaft Pressemitteilungen zu den neuesten Kreationen des „bûche de Noël“ in die Postfächer. Der legendäre Weihnachtskuchen ist eine süße Weiterentwicklung des großen Holzscheits, der einst mit Blättern und Bändern dekoriert am Heiligabend im Kamin verbrannt wurde. Sterneköchïnnen überbieten sich gegenseitig in ihrem Ideenreichtum und Dekor der Biskuitrolle. Lifestyle-Redaktionen verkosten seit Wochen diverse „bûches“, um den besten zu prämieren. Sogar das Landwirtschaftsministerium mischt mit: mit einer eigenen Webseite zum historischen Hintergrund.
Mosambik: Wickeltuch als Geschenk-Klassiker
Offiziell gibt es den Weihnachtsfeiertag im laizistischen Mosambik gar nicht, sondern den „Dia da Família“, den Tag der Familie. Trotzdem sagt man „Feliz Natal“, frohe Weihnachten. Aber Geld für Weihnachtsgeschenke haben viele Familien nicht. Andere verschenken, was ohnehin dringend nötig war, etwa ein neues T-Shirt fürs Kind. Wer es sich leisten kann – bei durchschnittlichen Jahreseinnahmen von weniger als 500 Euro – greift oft zum Klassiker, einer Capulana. Das sind bunte Wickeltücher, die typisch sind für Mosambik, meist in leuchtenden Farben, gern auch mit politischen oder religiösen Symbolen bedruckt. Als Wickeltuch dienen sie gleichsam als Rock und Schürze oder Kopfputz, oft werden daraus auch Hemden geschneidert. Traditionell wird das Präsent in Geschenkpapier verpackt und „geheim“ verschenkt – so, dass die oder der Beschenkte nicht weiß, von wem das neue Wickeltuch kommt.
Tschechien: Persönliche Einladung als Ritterschlag
In Tschechien gilt es als großer Ritterschlag, wenn man von jemandem nach Hause eingeladen wird. Für gesellschaftliche Treffen gibt es die Kneipen an jeder Straßenecke – aber nicht das heimische Wohnzimmer. Da muss das Verhältnis wirklich gut und eng sein, dass man eingeladen wird. Und wenn Geburtstag oder Weihnachten gefeiert wird, müssen die Geschenke unbedingt sofort ausgepackt werden. Das sich-ausufernd-darüber-Freuen ist eine eigene Theaterdisziplin, die man gut beherrschen sollte.
Rom: Unter dem Dach des Baobab
In Rom – wie überall in der christlichen Welt – werden an Weihnachten die Armen gespeist. Doch an den Tischen der Hilfsorganisation Baobab gibt es Pasta und Brot an jedem Tag im Jahr. In der Schlange stehen Geflüchtete, vor allem aus Afrika. Viele kommen direkt von der Küste, gestrandet oder gerettet, die meisten sind auf Durchreise. Bis vor einem Jahr besetzten die Betreiberïnnen des Baobab – ein weitverzweigtes privates Netz von Freiwilligen – eine Piazza nahe des großen Bahnhofs Tiburtina, die von der Polizei immer wieder geräumt wurde. Inzwischen hat die Organisation Schlafplätze in Wohnungen, vor allem für unbegleitete Minderjährige. Das Netz wächst trotz des scharfen Gegenwinds der italienischen Rechtsregierung. „Wir machen weiter“, erklärt Andrea Costa, einer der Mitgründer. Und zu Weihnachten schenkt er den Gästen des Baobab eine Führung durchs antike Rom.