EarthCare im Orbit: Neuer Satellit soll unbekannte Effekte des Weltklimas durchleuchten

Nach dem erfolgreichen Launch des neuen Erdbeobachtungs-Satelliten bereitet sich die europäische Weltraumagentur ESA darauf vor, ab Ende des Jahres die Klimaforschung mit Daten über Wolken, Aerosole und die Energiebilanz der Erde zu versorgen

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Graphik, die zeigt, wie der Satellit die Atmosphäre vermisst.

Wie sich der rasante Zuwachs des unsichtbaren Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre auf das Weltklima auswirkt, verstehen Wissenschaftler schon länger ziemlich gut. Doch ausgerechnet der Teil des atmosphärischen Klimasystems, den jeder Mensch mit bloßem Auge sehen kann, gibt noch immer Rätsel auf: „Wolken können entweder erwärmend oder kühlend wirken“, sagt Thorsten Fehr, Leiter der Sektion für Atmosphärenforschung bei der europäischen Weltraumagentur ESA. Die Klimaforschung wisse noch zu wenig darüber, unter welchen Bedingungen welcher Effekt eintrete. Hinzu kommt, dass Wolken eng mit sogenannten Aerosolen zusammenwirken, also Schwebeteilchen wie Vulkanasche, Saharastaub oder bestimmten Industrieemissionen. Auch diese Effekte sind noch nicht vollständig bekannt: „​​Aerosole und Wolken haben in unserem Verständnis des Klimas immer noch den größten Unsicherheitsbeitrag“, sagt Fehr.

Vier ausgeklügelte Instrumente vermessen die Atmosphäre

Deshalb sind die Wissenschaftler der ESA und Klimaforscher weltweit nun froh, dass seit dem 29. Mai mit „EarthCARE“ (Earth Cloud, Aerosol and Radiation Explorer) ein neuartiger Satellit in 393 Kilometer Höhe um die Erde kreist, der Wolken und Aerosole vermisst und ihren Effekt auf die Energiebilanz der Erde untersucht. Seit dem Launch auf einer Falcon-Rakete des Unternehmens SpaceX von der kalifornischen Raumfahrtbasis Vandenberg aus haben ESA-Wissenschaftler begonnen, EarthCare für die Kalibrierung von vier ausgeklügelten Messinstrumenten an Bord vorzubereiten.

Dazu wird in den kommenden Wochen auch ein Forschungsflugzeug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) eingesetzt, das direkt unter dem Satelliten fliegen und Messdaten mit ihm abgleichen soll. Ab Ende 2024 oder Anfang 2025 soll EarthCare dann die internationale Klima- und Atmosphärenforschung mindestens drei Jahre lang nonstop mit Daten versorgen. Der Satellit ist ein Gemeinschaftsprojekt der ESA, der japanischen Raumfahrtagentur Jaxa und eines von Airbus angeführten Industriekonsortiums aus mehr als 70 Unternehmen.

Satellit in einer Halle, Rakete beim Start.
Satellit EarthCare, Launch von der kalifornischen Basis Vandenberg.

Die vier Instrumente an Bord des drei mal zwei Meter großem Satelliten, der von einem mehr als zehn Meter langen Solarpanel mit Strom versorgt wird, sind dafür konzipiert, eng zusammenzuwirken, sagt Björn Frommknecht, der Missionsmanager von EarthCare. Der sogenannte „Atmosphärische Lidar“ vermesse mit Laser Aerosolwolken in der Atmosphäre und erstelle Profile, wie sie verteilt sind. Der „Cloud Profiling Radar“ taste die Wolken ab. „Wir können messen, wo sie anfangen, wo sie aufhören und was auch innerhalb der Wolke passiert“, sagt Frommknecht. Man könne zum Beispiel messen, „ob es regnet, schneit oder ob sich Teilchen nach oben bewegen“.

Gesamtkosten von 850 Millionen Euro

Ergänzt würden diese Messdaten durch Bilder aus dem „Multi-Spectral Imager“, der über ein breites Spektrum von Wellenlängen Aufnahmen macht. „Dadurch bekommen wir Kontextinformationen“, sagt Frommknecht, „wir können dann sagen, was wäre die Strahlung, die am Ort des Satelliten ankommen müsste, wenn unsere Annahmen, wie Wolken und Aerosole mit der Strahlung der Sonne und der Erde interagieren, richtig sind?“ Diesem Abgleich dient auch das vierte Instrument, der „Broad-Band Radiometer“: „Alles zusammengenommen erlaubt es dann, unser die Wetter- und Klimamodelle zu überprüfen und zu verbessern.“

Diese Kombination von Instrumenten mache EarthCare „definitiv zu einer der kompliziertesten wissenschaftlichen Erdbeobachtungsmissionen, die die ESA jemals gemacht hat“, sagt Fehr, „und davon versprechen wir uns wichtige Einblicke in den Klimawandel.“ Insgesamt 800 Millionen Euro lässt sich die ESA EarthCare kosten, 50 Millionen investiert die Jaxa.

Die europäische Erdbeobachtungsflotte besteht aus derzeit sieben aktiven sogenannten Sentinel-Satelliten des Copernicus-Programms, das die Agentur mit der Europäischen Union und der Meteorologie-Organisation „Eumetsat“ gemeinsam betreibt, mehreren Wettersatelliten und der Reihe der sogenannten Explorer-Satelliten. Letztere sind die wissenschaftlichen Flaggschiffe der ESA und vom technischen Design her Unikate mit besonders ausgefeilten und empfindlichen Instrumenten.

Schon die ersten, inzwischen außer Dienst gestellten Explorer-Satelliten hätten Großes geleistet, sagt Erdbeobachtungs-Chefin Simonetta Cheli – „Goce“ bei der Vermessung der Schwerkraft der Erde, „Cryosat“ bei der Erforschung der Eisschichten und ihren Veränderungen, „Aeolus“ zu Winden. Aktiv im Dienst sind „Smos“ zur Erforschung der Bodenfeuchtigkeit an Land und dem Salzgehalt im Meer sowie „Swarm“ zur Vermessung des Erdmagnetfelds und dessen Wechselwirkung mit der Sonne.

Habeck verhandelt über neue deutsch-amerikanische Mission

Cheli verweist darauf, dass die Erdbeobachtung einen Anteil von stolzen 30 Prozent am ESA-Budget ausmache. Die Europäer seien in diesem Bereich der weltweit größte Player, „was die Infrastruktur, die Pläne für die kommenden Jahre, das Datenvolumen und den konkreten Beitrag zur Forschung in den Bereichen Nachhaltigkeit, Umwelt und Klima angeht“. Zusätzlich zu 14 aktiven europäischen Erdbeobachtungs-Satelliten befinden sich Cheli zufolge 39 in Vorbereitung und 19 in Entwicklung. „Wir haben viel vor“, sagt sie.

Deutschland trägt unter anderem mit den nationalen Missionen „TerraSAR-X“ und „Enmap“ und der deutsch-amerikanischen Mission „Grace-Fo“ zur Erdbeobachtungs-Power Europas bei. Am Montag treffen in Berlin der für Raumfahrt zuständige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der geschäftsführende Sekretär des Nationalen Weltraumrates der USA, Chirag Parikh, zu Gesprächen über die geplante nächste deutsch-amerikanische Erdbeobachtungsmission „Grace-C“ zusammen. Dabei handelt es sich um ein Nachfolgeprojekt für die seit 2002 laufende Messreihe, bei der bestimmt wird, wie die Massen der Eisschilde und Kontinente von Monat zu Monat ab- oder zunehmen.

Frust in den USA

Zuletzt machte das auf deutscher Seite vom GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam betreute aktuelle Programm „Grace-Fo“ damit Schlagzeilen, dass trotz der intensiven Regenfälle der vergangenen Monate in Deutschland und Europa noch immer ein Wasserdefizit bestehe, weil sich die Grundwasservorräte nicht ausreichend erneuert hätten. Der Datenabgleich zwischen beiden Satelliten erlaubt es, kleinste Unterschiede in der Schwerkraft – und damit zum Beispiel im Wasserbudget verschiedener Regionen – zu ermitteln. Gebaut werden die neuen Grace-C-Satelliten bei Airbus in Friedrichshafen. Der Launch ist für 2028 geplant.

In den USA herrscht im Gegensatz zur Aufbruchstimmung in Europa im Bereich der Erdbeobachtung derzeit eher Frustration vor, weil die drei traditionsreichen Satelliten namens „Terra“, „Aura“ und „Aqua“ vor dem Aus stehen, ohne dass es einen adäquaten Ersatz gibt. Sie umkreisen die Erde seit rund zwanzig Jahren und sind zu wichtigen Datenquellen für die Klima- und Umweltforschung geworden.

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