Zukunft der Energieversorgung: „Demo“ für die Kernfusion

Der Fusionsreaktor Iter in Südfrankreich soll ab 2035 funktionieren, liefert aber noch keinen Strom. Dafür planen europäische Forscher einen Demonstrationsreaktor. Ein Gespräch mit einem der Planer.

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Montage eines Segments des Kernfusionsreaktors ITER im südfranzösischen Caradache. Das Teil des Reaktorgefäßes wiegt fast 1.400 Tonnen.

In der aktuellen Gaskrise fragt sich Deutschland, wie eine Energieversorgung ohne diesen Rohstoff aussehen soll. An die Kernfusion denkt dabei kaum jemand, da diese Energiequelle erst entwickelt wird. Doch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt arbeiten intensiv daran, die Kernfusion auf der Erde Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Fusionskraftwerk soll nach dem Vorbild der Sonne Wasserstoff-Atomkerne zu Helium verschmelzen. Die meiste Energie wird frei, wenn zwei spezielle Formen von Wasserstoffkernen, Deuterium und Tritium, fusionieren. Treibhausgase entstehen dabei nicht und auch keine langlebigen radioaktiven Abfälle.

In Südfrankreich entsteht derzeit der Testfusionsreaktor „Iter“, der jedoch noch keinen Strom liefern wird. Das soll erst ein Nachfolgeprojekt namens „Demo“ schaffen, dessen Designphase nun begonnen hat. Der Physiker Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching ist einer der Planer von Demo. Er glaubt, dass Kernfusion ab Mitte des Jahrhunderts unverzichtbarer Teil einer klimaneutralen Energieversorgung sein wird.

Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Die Fusionsenergie kommt aber wohl frühestens um 2050, also zu spät, um zum Umbau der Energieversorgung beizutragen. Wofür soll Deutschland dann noch Fusionskraftwerke brauchen?

Hartmut Zohm: Wir wollen ja Fusionskraftwerke nicht nur für Deutschland, sondern weltweit bereitstellen. In China und Indien sehe ich noch viel Bedarf für eine zusätzliche Energiequelle neben den regenerativen Energien. Aber auch Deutschland wird sich nicht zu 100 Prozent mit Erneuerbaren versorgen können.

Warum?

Wir werden auch Energiequellen brauchen, die Strom auf Abruf liefern können. Doch aus Gas- und Kernkraftwerken, die das heute machen, wollen wir aussteigen. Deshalb sehe ich die Kernfusion langfristig als einzige verlässliche Energiequelle zur Ergänzung der Erneuerbaren. Wenn wegen Flaute und bewölktem Himmel sieben Gigawatt elektrischer Leistung fehlen, dann könnte man sieben Fusionskraftwerke anschalten, die die Lücke kurzfristig schließen.

Derzeit baut das internationale Forschungsprojekt Iter einen Fusionsreaktor. Doch wenn dieser wie geplant ab 2035 Energie in Form von Wärme produziert, wird er daraus keinen Strom machen können. Warum nicht?

Als Forschungsreaktor ist Iter nicht auf Stromproduktion optimiert. Die Fusion findet in zehnminütigen Phasen statt, unterbrochen von längeren Pausen. In Summe entsteht zu wenig Energie für einen wirtschaftlichen Betrieb. Außerdem braucht ein Fusionskraftwerk noch eine Technologie, die in Iter erst entwickelt werden muss: Es soll sich nämlich den Brennstoff Tritium selbst erzeugen, um ihn gleich wieder zu verbrauchen.

Die Erzeugung von Tritium soll in speziell entwickelten Modulen der Reaktorwand von Iter getestet werden. Sie nutzt die bei der Kernfusion abgestrahlten Neutronen. Doch die Menge an so erzeugtem Tritium würde nicht für einen kontinuierlichen Betrieb reichen?

Genau. Dafür müsste man das radioaktive Tritium von außerhalb beschaffen, anliefern und in Iter nachfüllen. Das wäre sehr aufwändig. Erst das Demonstrationskraftwerk „Demo“ soll ausreichend Tritium für einen selbsterhaltenden Brennstoffkreislauf erzeugen.

Skizze des geplanten Kerfusionsreaktors Demo.
Skizze des geplanten Kerfusionsreaktors Demo.

Kritiker sagen, dass die geplante Art der Tritium-Produktion noch nicht demonstriert worden ist. Wie sicher sind Sie, dass sie klappen wird?

Ziemlich sicher. Es ist kein wissenschaftliches Problem: Die physikalischen Prozesse sind gut verstanden. Es ist eine rein technologische Herausforderung, zum Beispiel, wie das Tritium aus den Wandmodulen geholt werden kann. Entsprechende Experimente laufen bei Forschungspartnern an verschiedenen Labors. Bei Demo soll dann die gesamte Reaktorwand mit solchen Modulen ausgekleidet werden. Dieser Reaktor soll wirklich Demonstration sein und nicht mehr Forschung.

Warum ist es nur eine „Demo“ und noch kein kommerzielles Kraftwerk?

Das wäre es, wenn sie einen Schlüssel umdrehen und dann „schnurrt“ es für die nächsten 30 Jahre. Bei Demo müssen wir erst lernen, wie man die vielen Einzelelemente des Kraftwerks zu einem Ganzen integriert. Dafür werden wir fünf bis sechs Jahre experimentieren. Erst dann wird das Kraftwerk viele Tage am Stück laufen können. In dieser Phase wird es dann ähnlich sein wie bei einem Formel-1-Wagen, der nach der Winterpause getestet wird: Sie fahren ein paar Runden und schon gibt es den nächsten Boxenstopp. Man wird vieles optimieren müssen.

Wann kann der Bau von Demo beginnen?

Nicht vor 2035. Viele Komponenten werden in Iter validiert, also werden wir dessen erfolgreichen Betrieb abwarten müssen, um das technische Risiko zu minimieren.

Wie lange wird man bauen?

Etwa zehn Jahre. Dazu kommen dann etwa fünf Jahre für die Inbetriebnahme, sodass Demo um 2050 Elektrizität ins Netz speisen könnte.

Es gibt inzwischen auch viele privat geförderte Start-ups mit wesentlich ehrgeizigeren Zeitplänen. Commonwealth Fusion aus den USA etwa will schon in den 2030er Jahren ein Kraftwerk am Netz haben. Könnten Sie überholt werden?

Diese Zeitpläne halte ich für unrealistisch. Die privaten Investoren gehen ein hohes Risiko ein, das aber eben auch einen hohen Gewinn verspricht. Sie investieren in zehn Projekte und sagen, wenn eines davon funktioniert und den zehnfachen Gewinn abwirft, habe ich unterm Strich gewonnen. Wir arbeiten mit Steuergeldern und müssen uns viel sicherer sein, dass unsere Technologie auch funktioniert. Deshalb geht es bei uns langsamer.

Nun könnte es aber ja sein, dass eines der über zwanzig Startups erfolgreich ist.

Das würde mich sogar freuen! Denn ein Startup allein wird nicht alle Energieprobleme lösen und wir könnten davon lernen und dann auch schneller am Ziel sein. Ich halte viel von der Zusammenarbeit zwischen privater und öffentlicher Forschung. Commonwealth Fusion ist in den USA ja auch stark vernetzt in der Forschungsgemeinde. Da gibt es keine Berührungsängste.

Sie sagen, die ungelösten technischen Hürden können überwunden werden. Es werden aber sicherlich auch unvorhergesehene Probleme auftreten. Wie sicher sind sie sich, dass kein Show-Stopper darunter ist?

Für mich liegt die größte Ungewissheit im Gesamtsystem, also wie es gelingt, die vielen hoch komplexen Einzelsysteme zu einem Kraftwerk zu integrieren. Jede einzelne Komponente arbeitet am Limit dessen, was technisch möglich ist. Aber ich sehe kein prinzipiell unlösbares Problem. Die weitere Entwicklung von Iter über Demo zu einem schlüsselfertigen Kraftwerk wird nochmal sehr schwierig. Dafür brauchen wir die Industrie und müssen die Systeme vereinfachen. Stellen Sie sich zum Vergleich vor, man hätte Charles Lindbergh bei seinem Atlantiküberquerung gesagt, dass das einige Jahrzehnte später per Autopilot funktioniert und in der Kabine sitzen dreihundert Leute und lesen Zeitung. Das hätte der sich auch nicht vorstellen können. Aber so ist es gekommen.

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