Schwarz-Rote Energiepolitik: Kann Deutschland Fusionskraftwerk?

Die neue Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag den weltweit ersten Strom liefernden Fusionsreaktor bauen – und auch führende Wissenschaftler halten die Zeit für reif. Doch wie realistisch sind die ehrgeizigen Pläne?

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Eines der Segmente des Vakuumgefäßes der Fusionsanlage Iter, die derzeit repariert werden.

Vielen erscheint der schwarz-rote Koalitionsvertrag zu wenig ambitioniert. Doch ein Satz darin strotzt vor Ehrgeiz: „Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen.“ Nun sind Ziele für ferne Jahrzehnte leicht formuliert. Doch wie sieht es mit konkreten Maßnahmen aus, die heute nötig wären, um eine ganz neue Energiequelle zu erschließen, die von hochkomplexen Technologien abhängt? Daran lässt sich messen, ob eine Regierung es ernst meint oder nur vage technologiefreundlich wirken will.

Die Kernfusion wäre eine sehr attraktive Energiequelle für die Menschheit. Wenn zwei Atomkerne des Wasserstoffs mit hohem Tempo aufeinanderprallen, können sie zu einem größeren Atomkern verschmelzen. Diese Fusion setzt sehr viel mehr Energie frei, als eine Verbrennung, weil dabei die besonders starken Kernkräfte wirken. Mit einem Kilogramm Brennstoff könnte man ein Großkraftwerk einen Tag lang betreiben. Dabei würden weder klimaschädliches CO2 freigesetzt, noch entstünden wie bei der Kernspaltung langlebige radioaktive Abfallstoffe.

Seit den 1950er Jahren experimentieren Physiker mit Fusionsanlagen und genauso lange unterschätzen sie die Komplexität der Aufgabe. Schon damals versprachen US-Forscher dem Kongress, erste Prototypen könnten in den 1960ern stehen – ein Muster, das sich fortsetzte: Das fertige Fusionskraftwerk blieb stets einige Jahrzehnte entfernt. Kritiker sprechen ironisch von der „Fusionskonstante“ – einer Prognose, die sich nie verkürzt.

Ein Fusionskraftwerk wird greifbarer

Doch seit Ende 2022 scheint der Bann gebrochen: In einem US-Labor erzeugte erstmals eine Fusionsreaktion mehr Energie, als unmittelbar für ihre Zündung nötig war. Nicht nur Physiker, auch Politiker zeigten sich auf einmal optimistisch. Binnen zehn Jahren könne ein Fusionskraftwerk entstehen, schwärmte die damalige Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). „Es riecht danach, dass es gehen könnte“, sagte Thomas Klinger vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik 2023 bei einer Anhörung im Bundestag. Dort bezeichneten mehrere deutsche Forscher ein Kraftwerk binnen 20 Jahren als machbar.

Skizze des Reaktorgebäudes von des im Bau befindlichen Fusionsreaktors ITER in Südfrankreich. Die Zeichnung enthält alle Geräte, Versorgungsleitungen und elektrische Kabel und gibt einen Eindruck von der hohen Komplexität der Anlage.
Skizze des Reaktorgebäudes des im Bau befindlichen Fusionsreaktors ITER in Südfrankreich. Die Zeichnung enthält Geräte, Versorgungsleitungen und elektrische Kabel und gibt einen Eindruck von der hohen Komplexität der Anlage.
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