Nachhaltige IT: Mit Leiterplatten aus Magnolienblättern gegen Elektroschrott
Eine biologisch abbaubare Leiterplatte könnte nicht nur eine Menge Elektroschrott vermeiden, sondern auch das Klima schonen. Forscher:innen aus Dresden haben jetzt den Machbarkeitsnachweis erbracht.
62 Millionen Tonnen – so viel Elektronikschrott fiel laut E-Waste-Monitor weltweit im Jahr 2022 an. Bis 2030 soll es gut ein Drittel mehr sein, erwarten Prognosen. Nicht einmal ein Fünftel des Elektronikschrotts wird derzeit recycelt. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Substrat, aus dem die Leiterplatten bestehen und an dem die eigentlichen elektronischen Komponenten befestigt sind: Es macht bis zu 60 Prozent der Masse einer vollständig ausgestatteten Leiterplatte aus.
Als Substrat kommen meist robuste Kunststoffe oder Glasfasern zum Einsatz, die durch Epoxidharz verstärkt werden. Dieses Verbundmaterial ist dann weder recyclingfähig noch biologisch abbaubar. Weil es teuer wäre, die elektronischen Komponenten und die verarbeiteten Edelmetalle manuell von der Leiterplatte zu lösen, um sie wiederzuverwenden oder zu recyceln, landen die Leiterplatten meist in einem Stück im Müll. Jetzt haben Forscher:innen der TU Dresden im Fachjournal Science Advances eine biobasierte und kompostierbare Alternativlösung vorgestellt.
Geistesblitz beim Blick aus dem Fenster
Die Idee kam Rakesh Nair, als er eines Tages aus dem Institutsfenster blickte und dabei auf einen großen Magnolienbaum schaute. Papier hatte der Physiker da als alternative Basis für Leiterplatten bereits verworfen, weil dessen Herstellung viel Wasser benötigt und Schadstoffe produziert. „Es hat plötzlich Klick gemacht“, erinnert sich Nair. Warum nicht pflanzliche Blätter verwenden?
Ein Blattskelett besteht aus Lignocellulose. Dieses Netz aus feinen holzartigen Adern verleiht Blättern eine sehr hohe Stabilität – sie überstehen selbst Orkane. Nair nahm kurzerhand Magnolienblätter und trennte chemisch die Blattzellen vom Blattskelett. Die so entstandenen Lücken füllte der Forscher durch eine einfache Tauchbeschichtung mit Ethylcellulose, einem robusten, aber biologisch abbaubaren Polymer.
Quasi-Fraktale als Gerüst
„Wir waren überrascht, dass diese natürlichen, quasi fraktalen Lignocellulosegerüste nicht nur lebende Zellen in der Natur unterstützen, sondern auch lösungsfähige Polymere zusammenhalten können, sogar bei relativ hohen Temperaturen, bei denen diese Polymere normalerweise anfangen sollten zu fließen“, erklärt Hans Kleemann, Leiter der Gruppe Organische Bauelemente und Systeme an der TU Dresden. Nair ergänzt: „Wir sehen, dass die eingebettete, natürliche quasi fraktale Struktur Polymerfilme thermomechanisch zu stabilisieren scheint, ohne ihre biologische Abbaubarkeit zu beeinträchtigen.“
Zusätzliche Beschichtungen, etwa mit Chitosan, verbesserten die Haftung für leitfähige Tinten. Auch Chitosan ist biobasiert und biologisch abbaubar: Es ist natürlicher Bestandteil der Zellwände von Pilzen sowie der Exoskelette von Insekten und Krebstieren.
Sogar geeignet für Solarzellen und Touchscreens
Auf diese Weise entstand ein geeignetes Substratmaterial für Leiterplatten, die flexibel sind, zu mehr als 80 Prozent lichtdurchlässig und kompostierbar. Die Lichtdurchlässigkeit ist besonders für optoelektronische Bauteile wie Solarzellen, Displays und Touchscreens wichtig.
Das Substrat ist zudem hitzebeständig bis über 200 Grad Celsius und damit kompatibel mit dem herkömmlichen Reflow-Löten, mit dem elektronische Bauteile auf den Platten fixiert werden. Die Oberflächenrauheit wurde auf unter sechs Nanometer verringert, was das Material sogar für Dünnschichttechnologien geeignet macht. Additive Fertigungsmethoden wie Tintenstrahl- oder Siebdruck können ebenfalls problemlos eingesetzt werden, und mit Lasern in Form schneiden lässt es sich auch.
Mutiges Premiere-Experiment
Die Forscher:innen konnten bereits zeigen, dass sich Mikrocontroller-basierte Schaltungen und optoelektronische Bauteile wie Photodioden und elektrochemische Transistoren erfolgreich in das biobasierte Substrat einfügen lassen. Für Nair war das erste Experiment besonders aufregend: Er nutzte eine physikalische Gasabscheidungsanlage des Instituts, um mit dem neuen pflanzenbasierten Material organische LEDs herzustellen. Gut, dass der Physiker Erfolg hatte. Denn weil er zuvor nicht wusste, ob das neue Material die teure Anlage beschädigen würde, erzählte er seinem Chef erst hinterher davon.
Robustheit noch nicht auf Industriestandard
Die unterschiedlichen Versuche zeigten aber auch, dass vor einer kommerziellen Nutzung noch einige technische Aspekte verbessert werden müssen. Ob „Leaftronics“ am Ende wirklich alle Industriestandards erfüllen kann, bleibt derzeit abzuwarten. Noch liegt die Robustheit der neuen Leiterplatten wohl wenige Prozent unter den Anforderungen – die nach Einschätzung der Dresdner Forscher für die meisten Anwendungen allerdings gesenkt werden könnten. Es wäre ein Kompromiss der Branche, um nachhaltiger zu werden.
Ein großer Vorteil des Substrats liegt in jedem Fall darin, dass es innerhalb eines Monats in einem Komposthaufen zu zerfallen beginnt oder alternativ in Biogasanlagen verwertet werden kann. Zusätzlich haben die Forscher:innen ein Verfahren entwickelt, mit dem Edelmetalle wie Silber und elektronische Bauteile mithilfe milder Säure und Ultraschall bei Raumtemperatur vom Substrat getrennt werden können. Alle Komponenten lassen sich so recyceln oder kompostieren.
Zehnmal so klimafreundlich wie herkömmliches Material
Die Herstellung des Substrats basiert auf einfachen, etablierten Verfahren und kostengünstigen Rohstoffen – im Gegensatz zu synthetischen biologisch abbaubaren Kunststoffen wie der Polymilchsäure (PLA). Der CO₂-Fußabdruck des neuen Substrats ist den Forschern zufolge zudem mit 1,6 Kilogramm pro Quadratmeter Leiterplatte etwa zehnmal niedriger als der herkömmlicher Substrate. Auch innovativen Leiterplatten aus Papier ist der Ansatz beim CO₂-Fußabdruck um den Faktor drei überlegen.
Die Nachhaltigkeit des Materials könnte die Elektronikindustrie revolutionieren. „Wir könnten mit Leichtigkeit Elektronik herstellen, die 10,20 oder 30 Jahre hält, aber wir gestalten sie vorsätzlich so, dass Sie auch das neue Modell wieder kaufen“, kritisiert Nair. Der Einsatz biologisch abbaubarer Substrate würden daran wohl nichts ändern. Zumindest aber könnte er die Menge an Elektronikschrott deutlich reduzieren – ein wichtiger Schritt hin zu mehr Umwelt- und Klimaschutz. Und vielleicht wird Nairs Traum wahr, dass in einigen Jahren Elektronikfabriken, Recyclinganlagen und Baumfarmen an einem gemeinsamen Standort eine Kreislaufwirtschaft bilden.