Wie ein guter Vorsatz fürs Neue Jahr gelingen kann: Abschied von Twitter, Einstieg bei Mastodon
Wegen des Chaos bei Twitter wechseln viele Nutzer zur Kurznachrichten-Alternative Mastodon. Wir zeigen, wie das gehen kann.
Mit guten Vorsätzen fürs neue Jahr ist es bekanntlich so eine Sache. Anstatt mit dem Rauchen aufzuhören oder mehr Sport zu machen, könnte bei vielen Internetnutzern in diesem Jahr jedoch ein anderes Ziel auf dem Zettel stehen: sich von Twitter zurückziehen und zu einer Alternative zu wechseln. Dass dies gar nicht so schwierig ist, wie viele Twitter-Abhängige vielleicht glauben, wollen wir anhand des Netzwerks Mastodon beschreiben.
Gründe für den Twitter-Wechsel gibt es schließlich genug. Seit der vormals reichste Mann der Welt, Elon Musk, Ende Oktober den Dienst gekauft hat, hat es reichlich Wirbel vor und hinter den Kulissen gegeben: Twitter verlor Mitarbeiter, die für IT-Sicherheit, Datenschutz, Werbung und Ethik zuständig waren. Musk reaktivierte im Namen der Meinungsfreiheit Accounts bekannter rechtsextremer Aktivisten. Vergangene Woche sperrte er die Konten von Journalistinnen und Journalisten, die kritisch über ihn berichtet hatten.
Danach inszenierte er im Cäsarenstil seinen bereits vor einem Monat geplanten Rücktritt als Twitter-Chef als Ergebnis einer Vox-Populi-Umfrage. Die EU-Kommission will nun prüfen, ob und welche Auflagen sie dem US-Dienst auferlegen kann. Konflikte drohen auch mit der US-Regulierungsbehörde FTC.
Manche Nutzer spüren noch keine Veränderungen ihrer Reichweite, doch das könnte sich bald ändern: Musk kündigte an, verifizierte Accounts mit Abogebühren zu verbinden und im Feed zu priorisieren. Unabhängig davon berichten seit einigen Wochen Nutzer, die sich in progressiven Netzwerken bewegen, über erhebliche Reichweitenverluste.
Andere in eher rechten und neoliberal geprägten Netzwerken freuen sich dagegen über eine bessere Resonanz. Dies mag, wie etwa der US-Journalist Seth Abramson schreibt, daran liegen, dass rechte Netzwerke die unter Musk endlich erfolgreiche Strategie verfolgen, ihre Gegner zu blockieren, damit diese vom Algorithmus als unerwünscht identifiziert und nach und nach stummgeschaltet werden.
Drei Wechselwellen
Seit Anfang November wechseln viele Twitter-Nutzer auf die Open-Source-Alternative Mastodon, die in Deutschland entwickelt wurde. Nach der Übernahme durch Musk waren es laut dem US-Wissenschaftsmagazin Science auch viele Forscher.
Manche richteten nur ein zusätzliches Konto ein, manche verabschiedeten sich komplett von Twitter. Eine weitere sehr große Wechselwelle fand nach der Reaktivierung des Twitter-Accounts von Donald Trump statt, eine dritte vergangene Woche nach der Sperrung der journalistischen Accounts.
Im Zuge der dritten Wechselwelle änderte Twitter seine Nutzungsbedingungen derart, dass Verlinkungen zu Mastodon als Regelverstoß gewertet wurden. Einzelne Nutzer berichteten danach, dass ihr Account gesperrt worden sei oder nicht mehr aktiv betrieben werden könne: Tweets schreiben war demnach nicht mehr möglich. Außerdem berichteten einzelne Nutzer, dass die Werkzeuge, die den Wechsel zu Mastodon unterstützen, nicht mehr funktionierten.
Kurz darauf löschte Twitter allerdings die Regeln rund um das Verweisverbot kurzerhand kommentarlos von seiner Webseite. Auch die entsprechenden Anküdigungstweets des Twitter-Supports wurden entfernt.
Der Wechsel ist im Grunde einfach, da man seine Follower und Follows automatisiert aus Twitter exportieren und in Mastodon importieren kann. Damit werden all diejenigen gefunden, die bereits von Twitter auf Mastodon gewechselt sind. Dazu dient etwa das Tool Movetodon, das allerdings auf ein @mastodon im Twitter-Profil angewiesen ist – was Twitter zeitweise ahndete. Das klassische Umzugswerkzeug Fedifinder hingegen kommt auch mit ungewöhnlichen Instanznamen ohne ein „mastodon“ im Namen zurecht – und exportiert praktischerweise auch Twitter-Listen. Ähnlich funktioniert auch Debirdify.
Welche Instanz darf es sein?
Mastodon funktioniert ähnlich wie Twitter, ist aber doch in vielen Bereichen anders. Zum Beispiel gibt es nicht ein Unternehmen, das Mastodon betreibt, sondern viele Organisationen und Einzelpersonen mit eigenen Mastodon-Instanzen. Der Name dieser Instanz wird ähnlich wie bei einer E-Mail-Adresse mit einem @ an den Nutzernamen angehängt. Eine gute Orientierung bieten der Instanzen-Finder sowie der Fediverse Observer.
Instanzen für den Bund, die Bundesländer und Städte werden von lokalen Behörden oder Privatpersonen am Laufen gehalten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte beispielsweise betreibt bereits seit Jahren mit social.bund.de eine Instanz für den Bund. Dort finden sich Bundesbehörden und Einrichtungen wie der Zoll oder der Deutsche Wetterdienst.
Die Entscheidung, auf welcher Instanz man anfängt, ist nicht leicht. Doch da auch das Umziehen von Instanz zu Instanz problemlos innerhalb eines Tages erfolgen kann, ist die erste Wahl nicht in Stein gemeißelt. Es gibt verschiedene Kriterien, die bei der Wahl der Instanz Orientierung geben: Fühlt man sich etwa einer Region besonders zugehörig und möchte auch gerne in einem Feed die Beiträge von Menschen lesen, die sich auf der regional verorteten Instanz bewegen, liegt die Wahl einer Instanz nahe, die etwa ein Bundesland, eine Region oder eine Stadt im Namen führt.
Apps für Mastodon und Tipps für die Twitter-Entwöhnung
Ähnlich ist das bei Instanzen, die sich einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Community verschrieben haben. Hier wählt man die Instanz aus, die den eigenen Interessen am ehesten entspricht – denn auch deren Beiträge werden in einem eigenen Feed angezeigt. Mitunter sind die Instanzen auch so konfiguriert, dass sie Retweets oder sogar das Mitlesen von Mitgliedern anderer Instanzen nicht erlauben. Ein Grund dafür kann sein, dass die Administratoren Trollen das Leben etwas schwerer machen wollen, oder schlicht, dass die Community unter sich bleiben will.
Es gibt auch thematisch gut durchmischte Instanzen wie etwa mastodon.social des Mastodon-Entwicklers Eugen Rochko. Weil sie sehr beliebt ist, kam sie in den letzten Wochen immer wieder an ihre Kapazitätsgrenzen. Rochko rüstete kräftig nach, gleichwohl wurde damit auch deutlich, dass es vom Engagement und der Finanzkraft der Betreiber abhängt, wie gut eine Instanz läuft.
Ein wichtiges Entscheidungskriterium ist auch, inwieweit man dem Betreiber der Instanz vertraut. Immerhin kann dieser auch Direktnachrichten lesen und Beiträge bei Verstößen gegen die Netikette beziehungsweise Instanzregeln löschen. Wer sehr großen Wert auf Vertraulichkeit, Stabilität und Verfügbarkeit legt, könnte daher auch selbst eine neue Instanz einrichten – mit dem Vorteil der freien Namenswahl.
Entweder man hostet die Instanz selbst oder lässt sich gegen eine Art Abogebühr professionell hosten. In letzterem Fall ist nur der organisatorische Administrationsaufwand zu bewältigen, was bei einer Instanz mit etwa 50 Nutzern überschaubar bleiben dürfte. Die Helmholtz-Gemeinschaft etwa startete diese Woche mit helmholtz.social eine eigene Mastodon-Instanz für die institutionelle Wissenschaftskommunikation.
Mastodon – leicht bedient
Die Apps für Mastodon unterscheiden sich in Komfort und Design erheblich. Wer Clients sucht, die genau das können, was auch der entsprechende Twitter-Client kann, wird nicht fündig werden. Dafür ist Mastodon doch etwas zu anders – und man könnte auch umgekehrt rasch feststellen, dass Twitter nicht alles kann, was Mastodon kann. Die Wahl des passenden Clients ist schlussendlich Geschmacksache, daher seien einige nur kurz vorgestellt:
Toot! für iOS punktet in Sachen Usability und kann auch mehrere Konten bespielen. Standardmäßig können nur der Feed der Konten, die man abonniert hat, der Feed der eigenen Instanz sowie der Feed des versammelten Fediverse angezeigt werden. Die App Tootle wiederum besitzt eine etwas sperrigere Bedienoberfläche, hat aber den Vorteil, dass sie auch die Feeds verschiedener ausgewählter Instanzen anzeigen kann.
Für Android-Handys bieten sich die Apps Fedilab oder der Multi-Account-Client Tusky an. Fedilab unterstützt neben Mastodon auch die Fediverse-Dienste Pleroma, Pixelfed und Friendica. Beide Apps unterstützen den Betrieb von mehreren Mastodon-Accounts.
Wie bei Twitter kann man Konten auch über den Desktop-Browser bedienen. Dazu gibt es in den Einstellungen die Möglichkeit festzulegen, ob der Feed in einer Spalte angezeigt werden soll oder über die fortgeschrittene Benutzeroberfläche in vier Spalten mit verschiedenen Funktionen. Wechselt man zwischen den Accounts, muss man sich jeweils aus- und einloggen.
Es gibt Desktop-Clients, die das Betreiben mehrere Mastodon-Accounts unterstützen. Dazu gehören Whalebird für Windows/Mac/Linux oder Hyperspace, Letzteres lässt sich auch erst mal über eine Web-App testen. Die beiden Clients lassen sich unterschiedlich fein konfigurieren. Nützlich ist, dass sie das Tracking von Posts über Hashtags gut unterstützen.
Es muss nicht Mastodon sein
Mastodon ist im Fediverse die Software für Kurznachrichten beziehungsweise Mikroblogging. Nutzer können sich aber auch für eine Software wie Writefreely oder Plume für Makroblogging entscheiden, die längere Texte unterstützen. Mit diesen dezentralen Blogging-Maschinen können eigene Blogs verwaltet werden, man kann aber auch direkt mit Mastodon-Plattformen interagieren. Das Fediverse verfügt noch über viele weitere Dienste, die sich etwa auf Video oder Audio spezialisiert haben.
Tipps für die Entwöhnung
Der Abschied von Twitter ist nicht leicht, vor allem nach jahrelanger Gewöhnung. Empfehlenswert ist daher ein schrittweises Vorgehen: Nach der Installation einer Smartphone- oder Desktop-App, die den eigenen Bedürfnissen am nächsten kommt, kann man in Ruhe das Fediverse kennenlernen.
In dieser Zeit kann man vielleicht im Wochenabstand immer wieder einen Datenabgleich mit dem Twitter-Account vollziehen: Follower aus Twitter exportieren und ins Fediverse importieren. Außerdem kann man in Ruhe Beiträge verfassen und sehen, wo die bessere Resonanz erfolgt. In einem vorletzten Schritt kann man den Twitter-Account zusperren – und ihn dann in einem letzten Schritt nach einer Weile vielleicht sogar deaktivieren.
Nach der Deaktivierung gibt Twitter noch 30 Tage Zeit, um die Deaktivierung rückgängig zu machen. Nach dieser Frist ist das Konto mit seinen Inhalten komplett gelöscht. Wer dem Löschvorgang bei Twitter nicht vertraut, kann mit verschiedenen Tools wie Tweetdelete Tweets und Likes nach und nach löschen – Twitter erlaubt pro Woche nur 3.200 Löschungen. Per Handarbeit können vertrauliche Angaben in den Kontoeinstellungen wie etwa E-Mail und Telefonnummer oder auch Direktnachrichten final beseitigt werden.