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Kolumne: Beton, Stahl, Ziegel – Warum wir einen nachhaltigen Rückbau statt brutalen Abriss brauchen
Kolumne: Vom Schutt zur Ressource – Warum wir neue Ideen für die Baubranche brauchen
Bagger reißen Mauern ein, Gebäude verschwinden und hinterlassen eine Spur der Zerstörung. Doch was soll mit den Trümmern passieren? Die Suche nach Antworten ist ein Rennen gegen die Zeit.

Die Klima- und Umwelt-Kolumne erscheint alle zwei Wochen - kritisch, nahbar, lösungsorientiert!
Am Anfang hielt ich es für ein Nischenthema, bei dem selten etwas Neues passiert: Der Abriss von Gebäuden. Weil ich keine Ideen für etwas anderes hatte, schrieb ich darüber eine Reportage bei meiner Ausbildung an der Journalistenschule. Doch dann fielen sie mir auf: Die Hochhäuser, deren Wände einst Glasfassaden zierten, die nun aber nackte Betongerüste entblößen. Häuser, bei denen Geschoss für Geschoss herausgebrochen wird, bis nur noch Haufen von Schutt übrig bleiben.
Der Abriss von Gebäuden fasziniert nicht nur mich: Videos wie „Abriss mit Abrissbirne in Hannover“ werden fast zwei Millionen Mal auf YouTube geklickt. In Berlin widmet sich eine neue Ausstellung dem Thema. „Zerstörung kann auch so etwas wie ein ästhetischer Genuss sein“, sagt der Psychiater Ralf Seidel in einem Interview.
Ich fühle das.
Mehr denn je müssen wir uns aber die Frage stellen, ob Zerstörung wirklich das Ende ist. Denn was passiert mit dem Beton, den Ziegeln, den Kupferkabeln? Wandern die Trümmer auf eine Deponie, werden sie recycelt, erwachen sie zu neuem Leben in einem anderen Gebäude?
Klimasünde Neubau
Warum wir dringend Antworten auf diese Fragen brauchen, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Weltweit verursacht der Bausektor knapp 40 Prozent der Treibhausgasemissionen. Um die Emissionen zu reduzieren, müssten wir in erster Linie weniger bauen. Um für eine wachsende Bevölkerung aber ausreichend Wohnraum zu schaffen, müsste die Menschheit laut Weltwirtschaftsforum die nächsten 40 Jahre lang jeden Monat eine Fläche in der Größe von New York City errichten. Wäre es da nicht sinnvoll, Ressourcen aus alten Gebäuden wiederzuverwenden? Bei einem Rückbau – wie ein gezielter und kontrollierter Abriss in der Fachsprache genannt wird – kommt ja schließlich einiges zusammen.
Bei einigen wenigen Stoffen wie Kupfer funktioniert das schon ganz gut: Vielleicht sogar zu gut. Nach einem Bericht des Umweltbundesamts werden Gebäude häufig vor dem eigentlichen Rückbau „beraubt“. Mein ehemaliger Mitbewohner, der in der Branche arbeitete, hortete auffällig viele Kupferkabel in unserer Wohnung.
Bei anderen Stoffen kann man allerdings nur noch den Kopf schütteln. Während Türrahmen früher in die Wand geschraubt wurden und leicht wieder herauszutrennen waren, werden sie heutzutage eher mit Bauschaum in die Wand geklebt. Statt auf das Wiederverwenden wird auf Recycling gesetzt. Doch das ist nicht dasselbe.
Ich habe für eine Reportage den Forscher Janus zum Brock getroffen, der an der Technischen Universität Hamburg zum nachhaltigen Bauen forscht. Er stellt fest, dass beim Recycling oft ein „Downcycling“ stattfindet. Das Material verliert an Wert. Im Alltag bedeutet das: Aus Altkleidern werden keine neuen Kleider, sondern Putzlappen. In der Baubranche bedeutet das, dass alter Beton nicht in einem neuen Gebäude landet. Er wird geschreddert und meistens zum Bau von Straßen verwendet. Was für ein tragisches Ende für einen Stoff, der über Jahrzehnte, vielleicht gar Jahrhunderte das Zuhause von Menschen geformt hat.
Ein Rennen gegen die Zeit
Politik, Forschung und Justiz arbeiten gerade auf Hochtouren, um einen grünen Rückbau zu ermöglichen. Einzelne Bundesländer proben, inwiefern man Gebäude digital erfassen kann. So kann bei einem allmählichen Verfall abgesehen werden, welche Fenster oder Ziegel in Zukunft für einen Neubau genutzt werden können. Neun Forschungsgruppen und 24 Partner aus der Industrie arbeiten an einem „Tinder for Reuse“, bei dem solche Materialien über eine Plattform mit neuen Gebäuden verkuppelt werden. Seit 2020 schreibt ein Gesetz Kommunen bundesweit vor, Recyclingbeton bei neuen Projekten einzusetzen.
Aber reichen die Bemühungen? Jährlich fallen laut dem Verein Deutscher Ingenieure 60 Millionen Tonnen Bauschutt an. Davon werden nur etwa 0,6 Millionen Tonnen zur erneuten Herstellung von Beton verwendet. Das sind ein Prozent. Vergiftete Gebäude mit Asbest oder alte Ruinen gehören immer noch zu vielen Stadtbildern. Und das mitten in einer sich zuspitzenden Klimakrise. Im Februar 2024 meldete der EU-Klimawandeldienst Copernicus, dass das 1,5-Grad-Ziel erstmals über einen Zeitraum von 12 Monaten hinweg überschritten wurde. Gewaltige Feuer erschüttern Los Angeles, eine Flut kostet hunderte Menschen in Spanien das Leben. Die Klimakrise könnte laut einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung die jährliche Inflation von Lebensmitteln hierzulande bis 2035 um bis zu 3,2 Prozentpunkte pro Jahr zusätzlich in die Höhe treiben.
Was muss sich also tun? Um schneller voranzukommen, braucht es nun Druck auf die Politik, um strengere Regeln einzuführen. Menschen, die sich trauen, alte Materialien für neue Häuser zu verwenden. Und klar, auch die Umnutzung von alten Gebäuden als Alternative zum Abriss. Wir müssen raus aus dem Denken, dass der Neubau die einzige Lösung gegen die Wohnungsnot sei. Aber auch jeder Einzelne kann etwas tun und bei Citizen Science-Projekten wie dem Abriss-Atlas helfen, um erstmal die Ausmaße der Zerstörung in Deutschland überhaupt greifbar zu machen.
Nur so können wir den Abriss oder Rückbau von Gebäuden raus aus der Nische holen und zu einem Thema machen, das uns alle betrifft. Denn das tut es. Die Nachhaltigkeit der Baubranche wird einer der Schlüssel im Kampf gegen die Klimakrise sein.
Neugierig auf mehr? Entdecken Sie die weiteren Ausgaben der konstruktiven Klima- und Umwelt-Kolumne!