Anthropozän: Menschelnde Wissenschaft auf einem menschelnden Planeten

Vor einem Jahr lehnte es die Spitzenorganisation der Geologie ab, eine neue, nach dem Einfluss des Menschen benannte Erdepoche einzuführen. Doch die Kontroverse ist damit nicht beendet, im Gegenteil. Gerade in der Geologie wurden schon oft kapitale Irrtümer später korrigiert

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Braune Wüstenlandschaft mit viereckigen, in blau und grün leuchtenen Pools, die von Menschen angelegt wurden, um Lithium zu extrahieren.

Ein epochales Event nach 15 Jahren akribischer wissenschaftlicher Arbeit – so hatte sich eine Gruppe von Geologinnen und Geologen den nächsten Weltkongress ihrer Disziplin Ende August 2024 im südkoreanischen Busan vorgestellt. Dort wollten sie vor Tausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern feierlich eine neue Zeitrechnung ausrufen: das Anthropozän (englisch Anthropocene), eine nach dem Einfluss des Menschen benannte neue geologische Erdepoche. Es sollte das aktuelle Holozän ablösen, das die 11.700 Jahre währende Warmperiode seit der letzten Kaltzeit umfasst.

Doch dann kam die große Überraschung: Aus der geplanten Epochen-Verkündung auf dem geologischen Weltkongress wird bis auf Weiteres nichts. Mit ihrer Empfehlung, die neue Erdepoche auszurufen, stieß die Anthropocene Working Group vor einem Jahr, im Frühjahr 2024, unerwartet auf Granit. Die Führungsspitzen der Organisation, die die Erdgeschichte in Kapitel und Unterkapitel einteilt, lehnte den Anthropozän-Vorschlag damals Ende März ab. Eine Erschütterung der Forscherwelt, die auch in den Medien viel Aufmerksamkeit erzeugte. „Das Anthropozän wird nicht als formaler geologischer Begriff anerkannt“, teilte die globale Dachorganisation der Geowissenschaften mit, die International Union of Geological Sciences (IUGS). Sie argumentierte, dass die vom Menschen verursachten Veränderungen noch nicht ausreichten, um sie in den Rang einer geologischen Epoche zu erheben, und die vorhandenen geologischen Spuren der Menschheit über Jahrtausende entstanden seien, nicht erst seit den 1950er-Jahren.

Von Atombombentests über den Klimawandel bis zum Artenschwund

Dabei hatten die Befürworter einer neuen Erdepoche alles getan, um ihre Hypothese zu untermauern: Ab Mitte des 20. Jahrhunderts, argumentierten sie, passiert etwas grundlegend Neues auf unserem Planeten. Eine einzelne Primatenart – Homo sapiens, also wir – verändert die gesamte Erde nicht mehr nur lokal und oberflächlich, sondern so tiefgreifend und unumkehrbar, dass dies für Hunderttausende, ja Millionen Jahre spürbar und messbar sein wird. „Es gibt einen eindeutigen, abrupten und weltweit anerkannten Übergang von der bisherigen Erdepoche, dem Holozän, zu etwas Neuem“, sagt der britische Geologe Colin Waters, der die sogenannte Anthropocene Working Group leitet.

Crutzen sitzt vor einer roten Wand und schaut direkt in die Kamera.
Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen im Jahr 2013.
Taucher machen Messungen an einer Koralle.
Forschungsarbeiten auf der Suche nach einem Referenzort für das Anthropozän am Korallenriff West Flower Garden Bank.
Studentinnen beugen sich über den Bohrkern.
Forschungsarbeiten am Crawfordsee
Ein brettartiges Gebilde mit einer Abfolge von dunkelbraunen und weißen Linien.
Bohrkern vom Grund des Crawfordsee mit weißen Jahresschichten.
Der von Nadelbäumen umrahmte See funkelt.
Der Crawfordsee aus der Vogelperspektive, in der Mitte ein Forschungsfloss.
Gezeigt werden Gemälde der Geologen und Wissenschaftler Georges Louis Leclerc, später Comte de Buffon und James Hutton.
Zwei große Forscher: Links Georges Louis Leclerc, später Comte de Buffon genannt, stellte als einer der ersten kirchliche Dogmen zum Alter der Erde in Frage. James Hutton (rechts) beschrieb nach umfangreichen Feldarbeiten Grundprinzipien der Geologie.
Eine vegetationsfreie Landschaft aus kleinen spitzen Hügeln, an deren Seite die geologischen Schichten gut erkennbar und in Lila und Ocker besonders farbenfroh sind.
Geologische Ablagerungen im Petrified Forest National Park im US-Bundesstaat Arizona: Wie wird die Schicht des Anthropozäns aussehen?
Gebirge mit gefrorenen Seen und Gletschern.
Der Himalaya vom Weltall aus gesehen: Der „dritte Pol“ ist von der Erderwärmung besonders betroffen. Da die Gletscher Trinkwasser speichern, ist die Gebirgskette für das Leben von Milliarden Menschen in Asien wichtig.
Der Geologe hat graue Haare und sieht nachdenklich drein.
Der Geologe Jan Zalasiewicz
Mitten im Meer steht auf vier breiten Stelzen ein technischer Koloss für die Erdölförderung
Noch ist die Antarktis frei von Ölbohrplattformen wie dieser – aber wie lange noch
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