Sechs Troubleshooter sollen Weltnaturgipfel retten
China ernennt sechs Vermittler, um ein Scheitern des Weltnaturgipfels abzuwenden. Entwicklungsstaatssekretär Jochen Flasbarth soll den alles entscheidenden Streit ums Geld zwischen Entwicklungs- und Industrieländern lösen
Mit der Berufung von sechs Sonderbeauftragten für die heikelsten Streitfragen will China die festgefahrenen Verhandlungen über ein neues Weltnaturabkommen retten. Die „Troubleshooter“ sollen in vertraulichen Gesprächen die verbliebenen Hindernisse auf dem Weg zu dem wichtigsten Umweltabkommen seit dem Pariser Klimavertrag 2015 ebnen, wie der chinesische Umweltminister Huang Runqiu als Präsident der UN-Biodiversitätskonferenz am Donnerstag bekannt gab.
Als einen von zwei Vermittlern in der besonders heiklen Frage der Mobilisierung ausreichender Finanzmittel für die Umsetzung des Abkommens benannte Runqiu den Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium, Jochen Flasbarth. Mit der ruandischen Umweltministerin Jeanne d'Arc Mujawamariya werde er in den nächsten Tagen alles daran setzen, eine Einigung zu finden, schrieb Flasbarth auf Twitter. Auch für die Lösung des Streits darüber, welcher Prozentsatz der Erdoberfläche künftig geschützt und renaturiert werden soll, wurde ein Duo benannt, ebenso zur Kompromisssuche in der Frage des Zugangs zu digitalen Sequenzinformationen.
Bevor er 2021 Staatssekretär im Entwicklungsministerium wurde, war Flasbarth in gleicher Funktion seit 2013 im Bundesumweltministerium tätig, wo er zwischen 2003 und 2009 schon die Abteilung für Naturschutz geleitet und die Vertragsstaatenkonferenz zur Biodiversität 2008 in Bonn koordiniert hatte. Von 2009 bis 2013 war er Präsident des Umweltbundesamts und von 1992 bis 2003 Präsident der Naturschutzorganisation Nabu.
China zieht Tempo an
China ist bei dem Gipfel in Kanada offizieller Gastgeber, da der UN-Weltnaturgipfel ursprünglich 2020 im südchinesischen Kunming stattfinden sollte. Die Pandemie führte dann zu mehreren Verschiebungen und nach einer kurzen Auftaktveranstaltung in Kunming im Oktober 2021 letztlich zur Verlegung der Konferenz an den Sitz des UN-Sekretariats für Biodiversität in Montreal.
Offenbar getrieben von der Sorge, der Gipfel könne mangels Einigung scheitern, macht die chinesische Präsidentschaft mit der der Ernennung von „Troubleshootern“ im Schlussspurt um ein Abkommen nun deutlich Druck. Er sei fest entschlossen, in allen verbliebenen Streitfragen bis spätestens Montag eine Einigung herbeizuführen, sagte Runqiu.
Die Sonderbeauftragten sollten täglich Bericht erstatten. Auch Chinas Präsident Xi Jinping drängte in einer Videobotschaft zu Fortschritten. „Wir müssen den globalen Prozess zum Schutz der biologischen Vielfalt vorantreiben“, sagte Xi am Donnerstag. Ein Scheitern der COP – dem ersten großen UN-Projekt unter chinesischer Führung – würde für das aufstrebende Land eine Blamage bedeuten.
Bis Montag Mitternacht sollen die Minister und Ministerinnen der 196 Mitgliedstaaten der UN-Biodiversitätskonvention – alle Länder der Erde mit Ausnahme der USA und des Vatikans – den neuen Weltnaturvertrag verabschieden. Das Abkommen enthält nach derzeitigem Stand 22 Ziele, mit denen bis zum Jahr 2030 das Artensterben und die ungebremste Zerstörung von Lebensräumen gestoppt und die Natur auf einen Pfad der Erholung gebracht werden soll.
Zu den Zielen gehören die drastische Reduzierung von Pestiziden und Düngern in der Landwirtschaft ebenso wie ein Ende der Plastikverschmutzung, eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion und der Erhalt der verbliebenen Wildnisgebiete in allen Erdteilen. Von einem Montreal-Abkommen erwarten Wissenschaft, Umweltorganisationen und viele Staaten ein Abkommen, das für den Natur- und Klimaschutz so bedeutend wird wie der Klimavertrag von Paris. Dieser wurde fast auf den Tag genau vor sieben Jahre nach dramatischen Verhandlungen beschlossen.
Die 100-Milliarden-Dollar-Frage
Der Streit um die Finanzierung des Naturschutzes in den Entwicklungsländern hat sich in den vergangenen Tagen zu einer ernsten Bedrohung für einen Erfolg der Konferenz ausgewachsen. Aus Protest gegen eine aus ihrer Sicht zu starre Haltung der Industriestaaten hatten die Verhandlungsdelegationen zahlreicher Entwicklungsländer Dienstagnacht und Mittwoch demonstrativ die Beratungen verlassen. Kern des Streits ist die Forderung der Entwicklungsländer nach neuen Finanzzusagen und der Einrichtung eines eigenen Biodiversitätsfonds, über den die Finanztransfers zur Finanzierung des Abkommens fließen sollen.
80 Prozent der artenreichsten Regionen der Erde befinden sich in Entwicklungsländern. Die Länder fordern deshalb mindestens 100 Milliarden Dollar pro Jahr bis 2030 oder ein Prozent des weltweiten BIP, um ihre Naturschätze bewahren zu können. Dem stehen bislang Zusagen von weniger als zehn Milliarden gegenüber. Für Deutschland hatte bereits Bundeskanzler Olaf Scholz vor einigen Wochen die Verdoppelung der direkten Naturschutzhilfen an die Entwicklungsländer auf 1, 5 Milliarden Euro jährlich ab 2025 angekündigt. Deutschland ist damit bislang der größte einzelne Geldgeber für zwischenstaatliche Biodiversitätshilfen.
Die EU machte indes am Donnerstag deutlich, dass sie vor der Zusage weiterer Finanzmittel Entgegenkommen der Entwicklungsländer bei verbindlichen Zielen für mehr Naturschutz erwarte. „Der Ehrgeiz der Finanzierung sollte dem Ehrgeiz der Ziele entsprechen“, sagte EU-Umweltkommissar Virginius Sinkevicius. „Beides sind zwei Seiten einer Medaille“.
Lemke warnt vor Aufweichung der Schlüsselziele
Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die seit Donnerstag an den Verhandlungen teilnimmt, warnte vor einer Aufweichung der Schlüsselziele im Endspurt der Verhandlungen. Das Ziel, künftig jeweils 30 Prozent der Land und der Meeresflächen unter Schutz zu stellen, müsse mit klaren Qualitätskriterien unterfüttert werden, forderte sie.
Bei den Verhandlungen über konkrete Formulierungen im Abkommen wird derzeit das angestrebte Schutzniveau für die Natur in vielen Punkten mit jedem Tag geringer, um allen Seiten eine Zustimmung zu ermöglichen. Auch der von Lemke geforderte Nachschärfmechanismus für den Fall, dass Zielvorgaben verfehlt werden, wird heftig bekämpft. „Wir erleben durch die Bank die Erosion des Ambitionsniveaus“, kritisiert auch WWF-Beobachter Florian Titze. Die Europäische Union machte dazu am Donnerstag ihre roten Linien deutlich.
Das 30-Prozent-Ziel zählte der Vertreter der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft, Ladislav Miko, ebenso zu den Voraussetzungen, um die Wende im Artensterben zu schaffen, wie die in den Verhandlungen heftig umstrittene Forderung nach Renaturierung von weltweit drei Milliarden Hektar geschädigter Ökosysteme. Als weitere Kernanliegen für das Abkommen nannte Miko Änderungen in der Landwirtschaft wie die Verringerung des Eintrags von Nährstoffen und von Pestiziden um 50 Prozent. Stark von der Agrarwirtschaft geprägte Entwicklungsländer wie Brasilien und Argentinien lehnen diese Reduktionsziele bisher strikt ab.