Vor Weltnaturgipfel: Wissenschaftler fordern, naturschädliche Subventionen rasch zu beseitigen
„Frankfurter Erklärung“ zum Schutz der Biodiversität veröffentlicht. Umweltverbände fordern von Regierung mehr Taten. Experten kritisieren, dass 65 Milliarden schädlichen Subventionen nur 1,4 Milliarden Euro Naturschutz-Ausgaben gegenüberstehen.
Vor dem Weltnaturschutzgipfel der Vereinten Nationen in Montreal rufen zahlreiche Wissenschaftler, Umweltverbände und auch Unternehmer dazu auf, den Schutz der Lebensräume und Arten deutlich zu verstärken. Die Krise der Biodiversität müsse so ernst genommen werden wie die Klimakrise. In einer „Frankfurter Erklärung“ fordern mehrere Hundert Forscherinnen und Forscher sowie namhafte Wissenschaftseinrichtungen, darunter die großen Naturkundemuseen von Berlin und Frankfurt, einschneidende politische und wirtschaftliche Veränderungen.
„Derzeit steuern wir auf einen Temperaturanstieg um 3 Grad Celsius und einen Verlust von einer Million Arten bis zum Ende des Jahrhunderts zu“, heißt es in der „Frankfurter Erklärung“. Eine entschiedene Trendwende „hin zu einer Wirtschaftsordnung, die für die Nutzung der Natur einen angemessenen Preis aufruft“, sei nötig. Nach der ernüchternden Bilanz des Weltklimagipfels COP27 in Sharm El-Scheich gelte dies umso mehr für den Weltnaturgipfel in Montreal, der kommende Woche beginnt.
Unternehmen sollen Lieferketten von Naturzerstörung bereinigen
Zu den Forderungen für den Schutz der Biodiversität gehört es, den Verursachern von Naturzerstörung die gesellschaftlichen Kosten aufzuerlegen, Unternehmen zur Berichterstattung über ihre Eingriffe in die Natur zu verpflichten und umweltschädliche Subventionen umgehend abzubauen. Zudem müsse sichergestellt werden, dass Lieferketten frei von Produkten seien, die zur Entwaldung beitragen, und dass die Natur bis zum Jahr 2030 auf 30 Prozent der Erdoberfläche besonderen Schutz genieße.
Mit ihren Forderungen unterstützen die Unterzeichner drei der wichtigsten Ziele für den neuen Vertrag über weltweiten Naturschutz, der beim UN-Gipfel in Montreal verabschiedet werden soll. Neben dem 30-Prozent-Schutzziel steht das auch das Ziel zur Entscheidung, bis 2030 zwanzig Prozent der geschädigten Ökosysteme durch Renaturierung wieder in einen guten Zustand zu bringen. Zudem wird debattiert, Unternehmen zu verpflichten, künftig die ökologischen Schäden erfassen müssen, die sie durch ihre Aktivitäten verursachen. Ob das Abkommen, das 19 weitere Zielvorgaben für mehr Naturschutz beinhaltet, eine Mehrheit findet, ist offen. Bis zum 19. Dezember soll eine Entscheidung fallen.
Vom UN-Weltnaturschutzgipfel erwarten die Unterzeichnenden eine „verbindliche, globale Vereinbarung historischen Ausmaßes zum Schutz der Natur“. Sie müsse den Rahmen dafür schaffen, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen, intakte Naturräume zu erhalten, nachhaltig zu bewirtschaften und zerstörte Lebensräume wiederherzustellen. „Deutschland muss sich hier zu seiner Verantwortung bekennen und eine Vorreiterrolle einnehmen“, heißt es in der Erklärung.
Appell auch an Bundeskanzler Scholz
Auch die Vorsitzenden großer deutscher Umweltorganisationen, darunter auch WWF und Greenpeace, meldeten sich gemeinsam zu Wort. Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, kritisierte, dass die Industrie- und Schwellenländer mit Subventionen und anderen finanziellen Anreizen den Raubbau an der biologischen Vielfalt anheizten. Die Staatengemeinschaft müsse sich endlich dazu verpflichten, biodiversitätsschädliche Subventionen abzubauen.
Kai Niebert, Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring, wies auf einen engen Zusammenhang zwischen Klima- und Naturschutz hin. „Zwei Drittel der im Entwurf des Montréaler Abkommens formulierten Ziele helfen dabei, die Erderwärmung zu bremsen.“ Der Erhalt der Biodiversität sei „unsere beste Lebensversicherung gegenüber zahlreichen Krisen.“ Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbunds Deutschland, sagte, die Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz sei „in der Verantwortung, sich auf höchster politischer Ebene für ein wirksames Abkommen einzusetzen.“ Die Vertreter von WWF und Greenpeace betonten, neben ambitionierten Ziele seien dringend Mechanismen nötig, um sicherzustellen, dass diese auch umgesetzt würden.
Am Dienstag hatte die Vorsitzende der Wirtschaftsvereinigung „Biodiversity in Good Company“, Stefanie Eichiner, auf die große Verantwortung der Wirtschaft für den Schutz der Vielfalt an Arten und Lebensräumen hingewiesen. „“Ökologische Schäden außer Acht zu lassen, wird sich bald kein Unternehmen mehr leisten können", sagte Eichiner im Interview von RiffReporter.
Die Forderung nach einem Abbau umweltschädlicher Subventionen unterstützten am Donnerstag Wissenschaftler und Experten auf Anfrage des Science Media Center. Martin Quaas vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung wies darauf hin, dass das Umweltbundesamt für das Jahr 2018 umweltschädliche Subventionen in Deutschland auf insgesamt 65 Milliarden Euro beziffere.
Naturschutzausgaben „nur ein Bruchteil umweltschädlicher Subventionen“
„Für Biodiversität besonders schädlich sind die Pendlerpauschale mit sechs Milliarden Euro, die Anreize für Flächenverbrauch setzt, die Mehrwertsteuerermäßigung für Milchprodukte und Fleisch mit circa fünf Milliarden Euro, die Förderung von Biokraftstoffen mit einer Milliarde Euro, die Begünstigungen der Braunkohlewirtschaft mit 300 Millionen Euro sowie die Steuerermäßigung für Agrardiesel und Schiffsdiesel in der Fischerei mit 500 Millionen Euro“, teilte Quaas mit.
Andreas Burger, Fachgebietsleiter für wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fragen des Umweltschutzes am Umweltbundesamt, sagte, staatlich Mittel sollten für Umwelt- und Naturschutz eingesetzt werden. „Hilfreich sind Investitionen in den natürlichen Klimaschutz, in den Naturschutz und in Klimaanpassungsmaßnahmen.“ Besonders effizient seien naturbasierte Lösungen für den Klimaschutz wie Aufforstung sowie der Schutz und die Wiederherstellung von Feuchtgebieten.
Michael Jakob vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change wies darauf hin, dass weltweit allein die Nutzung fossiler Rohstoffe pro Jahr mit etwa 500 Milliarden US-Dollar gefördert werde. Dies beinhalte zahlreiche Formen der staatlichen Unterstützung – zum Beispiel Preisdeckel für den Konsum und Steuererleichterungen für Kohleminen. „Eine Umlenkung dieser Subventionen auf nachhaltige Wirtschaftsformen kann die dringend notwendige Transformation zu einer grünen Weltwirtschaft beschleunigen und gleichzeitig zur Minderung von Armut und Ungleichheit beitragen“, teilte Jakob mit. Bernd Hansjürgens vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) kritisierte, im Vergleich zu den umweltschädlichen Subventionen seien die Ausgaben der Bundesregierung für den Naturschutz niedrig. „Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz betragen die Ausgaben für Fauna-Flora-Habitat-Gebiete in Deutschland etwa 1, 4 Milliarden Euro, also nur einen Bruchteil der umweltschädlichen Subventionen.“
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering-Stiftung Natur und Mensch gefördert. Mit einem Riff-Abo können auch Sie uns fördern und dazu beitragen, dass wir dauerhaft am Jahrhundert-Thema Biodiversität dranbleiben.