COP15 in Montreal: Weltnaturgipfel gerät in Streit um Milliardenhilfen für Entwicklungsländer
Die Unterhändler zahlreicher Entwicklungsländer ziehen aus Protest gegen ausbleibende Fortschritte aus den Beratungen aus. Der Zeitplan für ein erfolgreiches Abkommen gerät dadurch weiter unter Druck.
Der Streit um die Finanzierung des Naturschutzes in den Entwicklungsländern wächst sich zu einer ernsten Belastungsprobe für die Weltnaturkonferenz aus. Aus Protest gegen eine aus ihrer Sicht zu starre Haltung der Industriestaaten in der Frage finanzieller Unterstützung verließen die Verhandlungsdelegationen zahlreicher Entwicklungsländer Dienstagnacht und Mittwoch demonstrativ die Beratungen zu zentralen Punkten des geplanten Weltnaturabkommens.
Protest verschärft Zeitdruck bei COP15
Mit dem Protest gerät der Gipfel weiter unter Zeitdruck. Um bis zum Ende der UN-Biodiversitätskonferenz am kommenden Montag ein unterschriftsreifes Abkommen vorlegen zu können, müssen noch hunderte Streitpunkte ausgeräumt werden. Ohne die Beteiligung der Entwicklungsländer kann aber nicht weiterverhandelt werden.
Kern des Streits ist die Forderung der Entwicklungsländer nach neuen Finanzzusagen und der Einrichtung eines eigenen Welt-Biodiversitätsfonds, über den die Finanztransfers zur Finanzierung des Abkommens fließen sollen.
Dutzende von Ländern, angeführt von Brasilien, Indien, Indonesien und afrikanischen Staaten, fordern finanzielle Hilfen in Höhe von mindestens 100 Milliarden Dollar pro Jahr bis 2030 oder ein Prozent des weltweiten BIP, um ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen zu finanzieren. Dem stehen bislang Zusagen von nur rund acht Milliarden gegenüber.
Zweistufen-Plan soll Streit entschärfen
Um die großen Unterschiede zu überbrücken, hatten sich beide Seiten in den vergangenen Tagen angenähert. Auf dem Tisch liegt dazu der Vorschlag einer zweistufigen Lösung. In Montreal solle zunächst eine Lösung gefunden werden, wie in den kommenden beiden Jahren Maßnahmen finanziert werden können, mit denen Länder das neue Abkommen umsetzen.
Parallel sollen Verhandlungen über die langfristige Strategie zur Mobilisierung der für die Umsetzung des Abkommens notwendigen Finanzmittel erarbeitet werden. zur Damit würde der Streit um die Höhe der langfristen Direktzahlungen zunächst entschärft und zugleich eine rasche Umsetzung des Abkommens sichergestellt.
Aber auch in der ersten Phase fordern die Entwicklungsländer spürbare Zusagen. Im Gespräch ist eine Größenordnung von 30 Milliarden Euro.
Die EU und andere Industriestaaten haben bislang eingeräumt, dass mehr Geld für einen Erfolg des Abkommens benötigt werden. Sie haben aber keine weiteren konkreten Zusagen gemacht. Zudem verweisen sie darauf, dass auch Unternehmen, Banken, Mäzene und die betroffenen Entwicklungsländer selbst höhere Beiträge leisten müssten. „Die Entwicklungshilfe allein kann es nicht richten“, sagte etwa die Chefin des UN-Umweltprogramms, Inger Andersen.
3-Milliarden-Finanzspritze steht nach RiffReporter-Informationen bevor
Nach Informationen von RiffReporter aus gut informierten Kreisen gibt es aber Bewegung. Eine Gruppe von OECD-Staaten wird danach am Donnerstag oder Freitag zusätzliche direkte Zahlungen an Entwicklungsländer in Höhe von drei Milliarden Dollar ankündigen. Gemeinsam mit weiteren Zusagen würde damit das im Entwurf für das Abkommen genannte Ziel von jährlich 10 Milliarden Dollar sogar übertroffen. Dies entspricht einer Verdoppelung der bisherigen direkten Finanzhilfen an Entwicklungsländer, bleibt aber weit unter den geforderten 100 Milliarden Dollar. Einige Umweltverbände halten mindestens 60 Milliarden Dollar für notwendig und einen gangbaren Kompromiss.
Die Industriestaaten haben nicht kategorisch ausgeschlossen, einen Fonds einzurichten, halten ihn aber für keine kurzfristige Lösung. Seine Einrichtung werden „Jahre dauern“ und wäre weniger effektiv als die Reform bestehender Finanzmechanismen, sagte Kanadas Umweltminister Steven Guilbeault.
Die Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern darüber, wie ein Umweltfonds geschaffen werden kann, spiegelt eine ähnliche Debatte während der jüngsten UN-Klimagespräche in Ägypten wider. Dort stand ein Fonds für „Verluste und Schäden“ für die am stärksten vom Klimawandel gefährdeten Länder im Mittelpunkt. Die Forderung wurde am Ende erfüllt, aber auch mit der Lösung, dass Details noch ausgearbeitet werden.
EU-Verhandler soll Fass zum Überlaufen gebracht haben
Nach Angaben aus den Entwicklungsländern brachte eine Äußerung des EU-Unterhändlers in der Nacht zum Mittwoch das Fass zum Überlaufen. Nachdem sich die Europäer in den Fragen des Fonds und der Summe finanzieller Unterstützung in stundenlangen Verhandlungen nicht bewegt hätten, habe der für die EU sprechende französische Unterhändler die Entwicklungsländer durch die Formulierung brüskiert, es werde „keinen weiteren Cent“ geben.
Hintergrund für die hohen Forderungen aus dem globalen Süden ist die Tatsache, dass die meiste verbliebene Artenvielfalt in den Entwicklungsländern konzentriert ist, wo es noch ganze Regionen etwa mit Regenwäldern und Savannen gibt und in deren Hoheitsgebieten auch ein erheblicher Teil der Korallenriffe liegt. Der Reichtum westlicher Länder beruht dagegen zu einem erheblichen Teil auf der kolonialen Ausbeutung der Natur und auf einer intensiven Nutzung der Landschaft.
Doch von den armen Länder wird nun verlangt, zugunsten des Naturschutzes auf eine ähnlich naturschädliche Entwicklung verzichten, wie sie in den Industriestaaten stattgefunden hat.
80 Prozent der Biodiversität findet sich im globalen Süden
Mit dem Geld aus dem Biodiversitäts-Fonds sollen die besonders artenreichen Länder des globalen Südens in die Lage versetzt werden, wertvolle Naturgebiete bei sich zu schützen und damit einen Beitrag zum Schutz der Biodiversität auf der Erde zu leisten. Auch die Finanzierung des Schutzes von indigenen Territorien muss bei der Lösung bedacht werden. 80 Prozent der artenreichsten Regionen der Erde befinden sich in Entwicklungsländern.– zu einem großen Teil auch in indigenen Territorien.
Für Deutschland hatte bereits Bundeskanzler Olaf Scholz vor einigen Wochen die Verdoppelung der direkten Naturschutzhilfen an die Entwicklungsländer auf 1, 5 Milliarden Euro jährlich ab 2025 angekündigt. Deutschland ist damit bislang der größte einzelne Geldgeber für Biodiversitätshilfen.
Wie es weitergehen wird, war zunächst offen. Brasilien erklärte stellvertretend für die Entwicklungsländer, man wolle sich in den kommenden Tagen weiterhin konstruktiv engagieren. „Wir alle wollen eine erfolgreiche COP“, erklärte ein Sprecher. Entscheidungen über eine „angemessene Ressourcenmobilisierung müssten aber im Mittelpunkt“ der weiteren Beratungen und des gesamten Abkommens stehen.
Umweltverbände werteten den Protest als Weckruf an die EU und andere Industriestaaten. „Es braucht jetzt auch von der EU neue Finanzzusagen und einen Kompromisswillen zugunsten eines neuen Fonds, um die Zusagen für ausreichend starke Ziele und einen Erfolg der Konferenz zu garantieren“, forderte etwa Jannes Stoppel von Greenpeace.
Die Recherchen für diesen Beitrag wurden von der Hering-Stiftung Natur und Mensch gefördert. Mit einem Riff-Abo können Sie uns weitere Recherchen ermöglichen.