Fischerei, Pestizide, Schutzgebiete, Finanzen: UN-Naturkonferenz startet mit Streit in allen Punkten
UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat zur Eröffnung der 15. UN-Weltnaturkonferenz n Montreal für einen „Friedensvertrag mit der Natur“ geworben. Gleichzeitig scheitern die Delegationen der fast 200 Staaten erneut beim Versuch, sich auf einen klaren Text für die heiße Phase der Verhandlungen zu einigen.
Mit einem deutlichen Dämpfer gehen die Verhandlungen für ein weltweit verbindliches Abkommen zum Schutz der Natur in ihre entscheidende Phase: Den Verhandlungsdelegationen gelang es auch in einer dreitägigen Dringlichkeitssitzung nicht, sich rechtzeitig zur Eröffnung der Konferenz am Dienstagabend auf einen klaren Entwurf für das Abkommen zu einigen.
Dieses Abkommen soll in den kommenden Jahrzehnten als Masterplan für den Schutz der Natur dienen. Eine Verständigung zumindest auf Eckpunkte war im Vorfeld von allen Seiten als Voraussetzung dafür bezeichnet worden, die Konferenz im weiteren Verlauf in den nächsten beiden Wochen zu einem Erfolg zu führen.
Streit in allen Punkten bei Weltnaturkonferenz
Nach Angaben von Teilnehmern bleiben auch nach der Sondersitzung der Text-Arbeitsgruppe alle Kernpunkte für ein Abkommen umstritten. Brasilien und Argentinien, die stark von Agrarexporten abhängig sind, verweigerten demnach jegliche Zugeständnisse mit Blick auf die Ausweisung großräumiger Schutzgebiete und Einschränkungen für die Landwirtschaft. Island habe Fortschritte für eine nachhaltigere Fischerei blockiert.
Auch die Frage, ob eine Frist für den Ausstieg aus der Verwendung von Pestiziden – einem der größten Treiber des Artensterbens – gesetzt werden soll, blieb strittig. Besonders umkämpft waren Angaben von Teilnehmern zufolge weiter alle Finanzthemen. So beharren offenbar einige Entwicklungsländer auf der Einrichtung eines neuen Fonds durch die Industriestaaten, um Entwicklungsländern die Renaturierung geschädigter Ökosysteme zu finanzieren. Selbst der Verweis auf die wissenschaftlichen Grundlagen des Weltbiodiversitätsrates finden sich nun in Klammern. „Die Linien verlaufen nicht nur zwischen Reich und Arm, sondern entlang nationaler Interessen“, sagt ein Beobachter.
Auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine überschatte die fachlichen Verhandlungen, beklagten Teilnehmer. ZudemSo habe die russische Delegation in letzter Minute einen bereits als geeint betrachteten Passus zur Bedeutung der Geschlechtergerechtigkeit für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit blockiert– eine Position, die der EU besonders wichtig ist.
„Es ist uns nicht gelungen, die Zahl der Klammern spürbar zu verringern“, sagte auch ein mit den Verhandlungen vertrauter EU-Diplomat in Anspielung auf die Verhandlungspraxis, strittige Passagen durch Einklammern zu markieren. „Das bringt uns nun in eine schwierige Lage“, ergänzte er. Fortschritte seien erst zu erwarten, wenn sich Ende der kommenden Woche mehr als 100 Umweltministerinnen und -minster in die Verhandlungen einschalten.
Die Chefin der UN-Biodiversitätskonvention, Elizabeth Mrema, hatte vor Beginn der Sondersitzung eine deutliche Verringerung der durch Klammern als strittig gekennzeichneten Punkte als Voraussetzung für ein erfolgreiches Abkommen bezeichnet. Dieses Ziel wurde klar verfehlt. Nach einigen Zählungen finden sich in den Dokumenten nun statt der 900 Klammern vor Beginn der Dringlichkeitssitzung sogar erneut weit über 1000 strittig markierte Passagen.
Diplomaten sprechen von schwieriger Lage
Erfahrene Diplomaten beschrieben die Lage als sehr schwierig. Trotz enormen Zeitdrucks sei keine Bewegung in Sicht, die auf einen Durchbruch hoffen lasse. In vielen Punkten werde blockiert, um Verhandlungsmasse zu schaffen, obwohl eine inhaltliche Einigung möglich scheine. Widerstand gebe es gegenüber allen zentralen Zielen für ein starkes Abkommen.
Das betreffe auch Vereinbarungen, die eine strenge Überwachung der Umsetzung von Zielen sicherstellen sollen. Das Streben nach wirksamen Mechanismen zur Umsetzung und Kontrolle von vereinbarten Zielen gilt als zentrale Lehre aus dem Scheitern früherer Abkommen. Dort waren auch weitreichende Ziele für mehr Naturschutz beschlossen worden. Weil aber zugleich keine Regeln festgelegt wurden, wie deren Erreichen gemessen und kontrolliert werden soll, wurden am Ende alle Ziele gerissen.
Auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke betonte am Dienstag erneut, dass die Vereinbarung klarer Bestimmungen zur Umsetzung und zur Kontrolle des Abkommens für die Bundesregierung und die EU eine Priorität in den Verhandlungen seien.
„Nach diesem Ergebnis ist der Erfolg unwahrscheinlicher geworden“, glaubt Yves Zinngrebe. Der Biodiversitätsexperte des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) verfolgt die Verhandlungen als wissenschaftlicher Beobachter vor Ort. „Der Versuch, die Streitpunkte auf ein bearbeitbares Maß und auf die wesentlichen politisch kritischen Aspekte zu reduzieren, ist gescheitert.“ Kaum jemand könne sich vorstellen, dass es vor diesem Hintergrund eine rasche Verständigung auf ein ausreichend scharfes Abkommen geben könne. „Wir hatten vier Jahre Zeit und es bewegt sich nichts“, sagt Zinngrebe mit Blick auf die lange Zeit der Vorverhandlungen.
UN und Politik zeigen sich alarmiert
Auch die politisch Verantwortlichen zeigten sich alarmiert. „“Es gibt viele Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen„, räumte der kanadische Premierminister Justin Trudeau als Gastgeber der Konferenz ein. “ Aber wenn wir uns als Welt nicht auf etwas so Grundlegendes wie den Schutz der Natur einigen können, dann ist alles andere unwichtig„, mahnte er Kompromissbereitschaft an. In einem sehr ungewöhnlichen Schritt sprach selbst Chinas Umweltminister Huang Runqiu als Präsident der Verhandlungen Probleme an. “Es gibt Schwierigkeiten und Herausforderungen", sagte er in der Eröffnungs-Pressekonferenz. Konkret nannte er die offene Finanzierungsfragen, und die Frage, wie hoch das Ziel in einer Art Präambel gesteckt werden soll.
Auch Mrema räumte den Fehlschlag ein. „“Es wurden zwar einige Fortschritte erzielt, aber nicht so viele wie nötig oder erwartet„, sagte sie in der Eröffnungs-Pressekonferenz. “„Ich habe nicht das Gefühl, dass die Delegierten so weit gegangen sind, wie wir erwartet hatten.“
Um die Verhandlungen in den kommenden beiden Wochen noch zu einem Erfolg zu führen, forderten die Spitzen der UN-Organisationen nun Kompromissbereitschaft in allen Bereichen und bei allen Staaten ein. „Wir brauchen Kompromisse bei allen Zielen“, forderte Mrema. Niemand dürfe das Zustandekommen eines Abkommens blockieren, weil er nicht alle seine Ziele durchsetzen könne. Die Regierungen müssten sich nun darauf konzentrieren, das Ziel der Konferenz noch zu erreichen. „Wir brauchen ein ehrgeiziges, realistisches und machbares Abkommen, das dem Anspruch gerecht wird, das Artensterben zu stoppen“, sagte sie.
Nach Einschätzung von Diplomaten kommt dem Gastgeber China in den kommenden beiden Wochen eine besonders wichtige Rolle als „ehrlicher Makler“ zu. Ob die bislang eher zurückhaltende chinesische Regierung den Erwartungen gerecht wird, ist offen. China steht nach Einschätzung von Beobachtern vor einem Spagat. Es müsse einerseits eine konsens stiftende Präsidentschaft ausüben, wolle zugleich aber seinem Anspruch gerecht werden, Anführer der Entwicklungsländer zu sein.
Guterres will Friedensvertrag mit der Natur
Mit gewohnt bildreicher Sprache versuchte UN-Generalsekretär Antonio Guterres unterdessen die Staatengemeinschaft zum Handeln zu motivieren. „Wir behandeln die Natur wie eine Toilette“, rief er bei der Eröffnungsfeier. „Und letztlich begehen wir damit Selbstmord.“ Nicht weniger deutlich kritisierte der UN-Chef global agierenden Unternehmen. „Multinationale Konzerne füllen ihre Bankkonten, während sie unsere Welt ihrer natürlichen Gaben berauben“, kritisierte er. Ökosysteme seien zu Spielbällen des Profits geworden und die Menschheit selbst sei durch ihren „grenzenlosen Appetit auf ungebremstes Wirtschaftswachstum zu einer Waffe der Massenvernichtung geworden.“
In Montreal müsse die jahrhundertelange Umweltzerstörung durch einen „Friedensvertrag mit der Natur“ beendet werden, forderte Guterres bei der Eröffnungsfeier in der kanadischen Metropole – unter dem Applaus aller Delegationen.