Wie naturverträglich ist die Windenergie?
Windkraftanlagen liefern Strom, ohne das Klima zu belasten. Für den Natur- und Artenschutz sind sie jedoch vielerorts eine Bedrohung. Ein Streitgespräch.
Der 29. April 2021 war ein denkwürdiger Tag für den Klimaschutz: Das Bundesverfassungsgericht forderte die Bundesregierung auf, das Klimaschutzgesetz nachzubessern. Die Begründung: In der jetzigen Form verlagert das Gesetz zu viele Lasten auf die kommenden Generationen. Die Regierungskoalition hat sofort reagiert – noch in dieser Woche will Umweltministerin Svenja Schulze einen neuen Gesetzesentwurf vorlegen. Doch welche Maßnahmen sind sinnvoll im Kampf gegen die Klimakrise?
Eine entscheidende Rolle spielt in Deutschland die Energiewende, also der Plan, Kernkraft und fossile Energieträger durch Einsparungen und erneuerbare Energien zu ersetzen. Die Windkraft ist dabei der wichtigste Energieträger – doch genau über diese Energieform wird heftig gestritten. Der Konflikt trennt zwei Gruppen, die sich sonst häufig einig sind, nämlich Klima- und Naturschützer. Oft machen wir zwischen beiden Gruppen keinen Unterschied: Wer die Klimakrise bekämpft, will die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten – für Menschen, Tiere und Pflanzen. Bei der Windenergie jedoch kommt es auf einmal darauf an, auf welchen Aspekt man blickt: Denn einerseits produzieren Windkraftanlagen CO2-freien Strom und sind damit wichtig für den Klimaschutz.
Und andererseits kollidieren streng geschützte Vögel und Fledermäuse mit den Rotoren; die Anlagen verändern natürliche Lebensräume – und schaden so dem Natur- und Artenschutz. Auch wir RiffReporter haben immer wieder über die Chancen und Risiken der Windkraft diskutiert – und uns deshalb zu einem virtuellen Streitgespräch verabredet.
Claudia Ruby: Im Zuge der Energiewende wurden die erneuerbaren Energien bei uns seit 2011 – dem Jahr des Tsunamis und der nachfolgenden Reaktorkatastrophe in Fukushima – stark ausgebaut. Insgesamt liefert die Windenergie heute rund 26 Prozent unserer Nettostromerzeugung. Daniela – eine ordentliche Leistung oder noch viel zu wenig?
Daniela Becker: Vor 15 Jahren haben viele noch über die Vorstellung gelacht, dass man ein Handy mit erneuerbaren Energien laden könne. So gesehen ist das ein enormer Erfolg. Aber es ist noch weit entfernt von dem, was nötig ist, um ein klimaneutrales Deutschland zu erreichen. Und das ist das politisch erklärte Ziel in Anbetracht der drohenden Klimakrise.
Claudia Ruby: Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war für viele von uns ein prägendes Ereignis. Damals gab es den ersten Schub für die regenerativen Energien. Ein zweiter Schub kam mit der Einspeisevergütung und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000. Die Umweltbewegung hat diese Entwicklung stark voran getrieben – und tut es bis heute. Johanna, Du stehst der Umweltbewegung nah und blickst trotzdem kritisch auf viele Entwicklungen. Weißt Du noch, wann sich für Dich das positive Bild der Windenergie verändert hat?
Johanna Romberg: Da gibt es zwei Momente: Der erste war eine Begegnung mit dem Greifvogelforscher Oliver Krüger, der bei einer der umfassendsten Studien zu den Kollisionsraten von Vögeln an Windenergieanlagen mitgewirkt hat. Er hat mir seine Ergebnisse am Rechner vorgeführt, und die Diagramme zeigten, dass sich selbst bei einem maßvollen Ausbau der Windenergie die Populationen von Rotmilan und Mäusebussard – um nur mal zwei Arten zu nennen – bis zur Mitte des Jahrhunderts auf die Nulllinie zubewegen würden. Und da ist mir zum ersten Mal klar geworden, dass die Windenergie nicht nur problematisch für die Natur ist, sondern eine existenzielle Bedrohung darstellt.
Claudia Ruby: Und der zweite Moment?
Johanna Romberg: Vor einiger Zeit habe ich für GEO einen Artikel über den Konflikt zwischen Windenergie und Vogelschutz geschrieben. Darin habe ich gesagt, dass jede Form von Energieerzeugung auf die Natur Rücksicht nehmen muss, auch auf die Vögel. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, finde ich. Aber ich habe noch nie so bitterböse Reaktionen erlebt wie auf diesen Artikel. Mir wurde vorgeworfen, ich stehe der Rettung der Welt im Wege, ich zerstöre die Zukunft unserer Enkel, mache gemeinsame Sache mit Klimawandelleugnern und AfD-Anhängern. Es war wirklich übel.
Claudia Ruby: Wir gehen die einzelnen Punkte nachher im Detail durch. Ich würde nur vorher gerne noch wissen, wie es bei Dir war, Thomas. Gibt es da auch so einen Moment des Umdenkens?
Thomas Krumenacker: Ich bin niemals gegen erneuerbare Energien gewesen und bin es auch heute nicht. Da hat sich bei mir gar nicht viel getan. Ich bin nur dagegen, dass eine Form der erneuerbaren Energien – nämlich die Windindustrie – es geschafft hat, sich selbst ein grünes Mäntelchen umzuhängen, so dass Windkraft heute quasi ein Synonym für „ökologisch“ ist. Das hat nicht mal „Tempo“ bei den Papiertaschentüchern hingekriegt. Also nichts gegen erneuerbare Energien, noch nicht einmal was gegen Windenergie. Aber alles in Maßen.
Claudia Ruby: Klimaschützer würden jetzt vermutlich einwenden, dass es doch sehr maßvoll geschieht, zu maßvoll aus ihrer Sicht. Gerade in letzter Zeit stockt der Ausbau.
Thomas Krumenacker: Die Windkraft hat ganze Landstriche in einer Weise industrialisiert, wie es noch nicht einmal die Kohle im Ruhrgebiet geschafft hat. Meiner Ansicht nach muss es in einigen Gebieten jetzt erst mal ein Moratorium für die Windkraft geben, weil der Ausbau so ungeordnet stattgefunden hat und so stark in ökologische Prozesse eingegriffen hat, dass es jetzt erstmal aufhören muss.
Daniela Becker: Wir wollen ja sachlich diskutieren, aber wenn die Windenergie mit dem Kohleabbau verglichen wird….
Thomas Krumenacker: Ich habe das nicht mit den ökologischen Folgen des Kohleabbaus verglichen. Das ist mir ganz wichtig. Es ging mir nur um die Prägung einer Landschaft – deshalb der Vergleich zum Ruhrgebiet, wo ich groß geworden bin.
Was bedeutet die Windenergie für den Vogelschutz?
Claudia Ruby: Im Zentrum der Kritik steht oft der Vogelschlag. Wie problematisch sind Windkraftanlagen für Vögel?
Johanna Romberg: Es gibt nur wenige seriöse Studien zu den Kollisionsraten, weil das wahnsinnig schwierig zu recherchieren ist. Man muss, um repräsentative Daten zu bekommen, regelmäßig den gesamten Radius einer großen Zahl von Anlagen absuchen, um zumindest einen Teil der Schlagopfer zu finden. Zwei Studien kenne ich, die das gemacht haben: eine von der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg zum Rotmilan, eine weitere ist die schon erwähnte Progress-Studie. Und die hat ermittelt, dass allein in den vier norddeutschen Bundesländern pro Jahr sieben bis acht Prozent des Mäusebussard-Bestands an Windenergieanlagen umkommen.
Claudia Ruby: Wie dramatisch ist das, auch im Vergleich zu natürlichen Verlusten, etwa durch Beutegreifer oder Unfälle? Diese Zahlen sind ja auch immens.
Johanna Romberg: Das sind 7.800 bis 8.500 Tiere, und das gefährdet bereits die Population. Windenergieanlagen allein wären für den Mäusebussard kein Problem. Aber die Windenergie ist ein Risikofaktor, der sich zu weiteren addiert: etwa zur Ausräumung der Landschaft, die leider ebenfalls mit der Energiewende zu tun hat. Auf knapp zwanzig Prozent der deutschen Agrarfläche wachsen heute Energiepflanzen, vor allem Mais, der ökologisch so gut wie wertlos ist. Dazu kommt der Straßenverkehr, in geringerem Ausmaß der Stromschlag. Das wird in der Diskussion häufig übersehen: dass die Windkraft der entscheidende Zusatzfaktor ist, der die Populationen einiger Vogelarten zum Kippen bringt.
Claudia Ruby: Oft heißt es ja in der Diskussion, dass viel mehr Vögel gegen Fensterscheiben fliegen. Millionen Vögel werden jedes Jahr von Katzen gerissen – wieso sind die deutlich geringeren Zahlen bei der Windkraft ein so großes Problem?
Daniela Becker: Tragischerweise sind davon ja besonders Vögel betroffen, sie sich nur langsam vermehren – und Verluste nicht so schnell ausgleichen können.
Johanna Romberg: Ganz genau! Deswegen kann man diese Katzen- und Glasscheibenzahlen eigentlich nur dann als Argument anführen, wenn es einem egal ist, ob es in Deutschland einfach nur Vögel oder auch verschiedene Vogelarten gibt.
Claudia Ruby: Christian, du bist auch ein „Birder“, Vögel liegen dir am Herzen. Muss man diese negativen Folgen einfach hinnehmen, weil der Klimaschutz das wichtigere Ziel ist?
Christian Schwägerl: Einfach hinnehmen sollte man gar nichts, wenn in großer Zahl gesetzlich geschützte und seltene Tierarten betroffen sind. Und beim Rotmilan geht es ja um eine Art, für die wir eine besondere Verantwortung haben. Wenn man das mit anderen Regionen vergleicht: Afrika hat Verantwortung für die Elefanten und Löwen. In China ist es der Panda – und bei uns ist es halt der Rotmilan, um den wir uns kümmern müssen. Oder auch die Schreiadler, die in einer relativ kleinen Population in unserer Gegend leben. Da sollte man nichts bagatellisieren. Aber zugleich ist diese Kontroverse Teil eines sehr großen, sehr komplexen Geschehens, das man nicht auf einen Aspekt reduzieren darf.
Claudia Ruby: Es sind ja nicht nur Vögel, die an Windkraftanlagen zu Tode kommen, sondern auch Fledermäuse. Allerdings ist die Datenlage hier noch viel schlechter als bei den Vögeln. Und zu den Folgen für Insekten gibt es gar keine belastbaren Zahlen.
Daniela Becker: Wir wissen aber, dass die Klimakrise Insekten beeinträchtigt.
Thomas Krumenacker: Bei den Vögeln geht es auch nicht nur um Kollisionen. Wir haben zum Beispiel die Barrierewirkung: Windräder – oder Windkraftanlagen, wie ich sie lieber nenne – sind riesige vertikale Barrieren in der Landschaft. Die gibt es natürlicherweise in dieser Höhe nicht. Für Vögel sind das gewaltige Vogelscheuchen. In der Straße von Gibraltar haben spanische Forscher Schwarzmilane besendert und festgestellt, dass die Vögel die Ketten von Windrädern weiträumig meiden. Die Region ist ein entscheidender Korridor für den Vogelzug zwischen Afrika und Europa. Das Hinterland ist heute vollgestellt mit Windrädern, und die stellen eine Barriere für den Vogelzug dar. Das Tor nach Afrika ist für Schwarzmilane und andere Greifvögel zu, weil sie die Barriere aus Windrädern meiden. Das Gleiche gilt aber auch hier in Deutschland: Mit einem einzigen Windrad wird eine große Fläche ökologisch entwertet. Selbst Feldlerchen meiden die Nähe von Windrädern.
Daniela Becker: Ich weiß, dass das harte Eingriffe sind. Aber mich stört, dass diese sehr detaillierten Fragen anscheinend vor allem bei der Windkraft gestellt werden. Was ist mit Atomkraftwerken oder Braunkohlekraftwerken? Diese Kraftwerke stehen doch schon überall bei uns in der Landschaft. Die Natur ist zerschnitten durch Straßen, Autobahnen und Gewerbebauten auf dem freien Feld.
Thomas Krumenacker: Wir haben allerdings nicht 30.000 Kohlekraftwerke oder 30.000 Atomkraftwerke. Aber wir haben 30.000 Windräder in Deutschland. Für eine relativ geringe Leistung ist das ein relativ hoher Landschaftsverbrauch und eine relativ hohe Problemdichte. Dass sich das Narrativ „Klimaschutz ist per se Naturschutz“ durchgesetzt hat, halte ich für den größten Erfolg der Windindustrie in den letzten Jahren. Diese Gleichsetzung stimmt einfach nicht.
Daniela Becker: So gering ist die Leistung nicht. Die Windkraft war im vergangenen Jahr die wichtigste deutsche Stromquelle, deutlich mehr als Kohle. Mein Eindruck ist, dass sich der Ärger von Naturschützern sehr stark auf Windkrafträder fokussiert und viele andere Dinge, die mindestens genauso problematisch sind, aus der Debatte herausfallen. Der größte Erfolg der Gegner der Energiewende ist, die Windräder so krass zu emotionalisieren: als Landschaftsverschandeler, Vogelkiller, Lärmbelästiger. Und damit will ich nicht die vielen Probleme, die es selbstverständlich gibt, kleinreden.
Der Streit zwischen Klima- und Naturschützern
Claudia Ruby: Blicken Naturschützer tatsächlich kritischer auf Windräder als auf andere Eingriffe in die Natur?
Christian Schwägerl: Genau das finde ich problematisch. Alle anderen Stressfaktoren werden normalisiert, und die Windkraft bekommt geballt die Kritik ab. Das ist unausgewogen. Ich habe miterlebt, wie sich die Umweltdiskussion aufgespalten hat in eine Klima- und in eine Naturdiskussion. Das hängt auch mit den beiden UN-Konventionen für Klima und Biodiversität zusammen. Plötzlich gab es die Klimapolitik und die Naturschutzpolitik. Bei der Klimapolitik geht es um ein dringendes Problem, aber auch um sehr viel Geld – deshalb war das Thema im Vordergrund. Doch diese Lagerbildung ist extrem ungut und führt dazu, dass keine gemeinsamen Strategien entwickelt werden.
Johanna Romberg: Ich glaube, das ist keine ganz präzise Beschreibung: Vielmehr ist der Klimaschutz zu dem dominierenden Umweltthema geworden in den letzten Jahren.
Daniela Becker: Aber wie lange haben wir darauf gewartet!
Johanna Romberg: Mir scheint aber manchmal, dass es überhaupt kein anderes Umweltthema mehr gibt. Der Schutz der Biodiversität ist zu einem Nebenaspekt degradiert worden. So nach dem Motto: Wenn wir Klimaschutz betreiben, schützen wir die Natur gleich mit. Ich finde, es müsste eigentlich umgekehrt sein.
Christian Schwägerl: Und gleichzeitig muss man natürlich sagen: Ohne Klimaschutz macht Naturschutz wenig Sinn. Wenn die Auswirkungen der Klimakrise auf die Natur so weitergehen, dann ist es fraglich, welche Zukunft der Rotmilan und all die anderen Arten überhaupt haben. Das, was da auf uns zurollt, ist so gigantisch, dass in der Natur wahrscheinlich kein Stein auf dem anderen bleibt. Das schreit nach einer Strategie, die beides zusammen denkt.
Johanna Romberg: Aber genau dieses Zusammendenken, das Du einforderst, fehlt doch! Zurzeit ist es so: Sobald irgendwo „Klimaschutz“ draufsteht, rufen alle hurra; es wird überhaupt nicht mehr geguckt, was die jeweiligen Eingriffe für die Natur bedeuten. Da ist Windkraft nur ein Thema. Viel schlimmer finde ich den durch Subventionen forcierten Ausbau der Bioenergie, die diesen Namen gar nicht verdient. Denn was hat sie gebracht? Die Zerstörung von Tropenwäldern zugunsten der Palmöl-Industrie. Die schon erwähnte Vermaisung der Landschaft, die für die Biodiversität ein Desaster ist. Und nebenbei auch fürs Klima kaum was bringt.
Claudia Ruby: Dazu machen wir dann das nächste Streitgespräch.
Johanna Romberg: Ich finde es aber wichtig, das auch hier zu erwähnen, weil es einfach diese Asymmetrie in der Umweltdebatte gibt. Ein Beispiel war die Berichterstattung über die Waldschäden der letzten beiden Sommer. Landauf, landab war zu lesen, das ist die Klimakatastrophe, die unsere Wälder zerstört. Und dabei wurde völlig verdrängt, dass es vor allem eine naturvergessene Forstindustrie ist, die unsere Wälder anfällig gemacht hat.
Christian Schwägerl: Weil da überall Fichten rumstehen…
Johanna Romberg: Genau, weil jahrzehntelang Nadelbäume gepflanzt wurden, wo von Natur aus nur Laubbäume wachsen, weil die Waldböden mit schweren Maschinen verdichtet und nach wie vor flächendeckend entwässert werden, weil so viel Holz geerntet wird, dass die Kronendächer licht werden und zuviel Sonne durchlassen… Das alles geht aber unter, weil alle nur noch übers Klima reden. Da ist eine Unwucht in der Umweltdiskussionen entstanden, die behoben werden muss. Eigentlich ist die Klimakatastrophe, die wir erleben, ein Ergebnis der Naturzerstörung, die auch nicht erst mit der Verbrennung fossiler Rohstoffe begonnen hat.
Christian Schwägerl: Skurrilerweise war es ja im 19. Jahrhundert der Kohlebergbau, der geholfen hat, die Wälder zu schützen, weil man plötzlich diese komprimierte Energie hatte und weniger Holz brauchte. Das muss man sich mal vor Augen halten: Wir versuchen gerade, eine Industriegesellschaft aus den aktuellen Kräften der Natur zu versorgen: aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse. Dem gegenüber stehen die fossilen Energieträger, die über Millionen Jahre entstanden sind. Oder noch krasser die Atomkraft, wo die Energie über kosmische Prozesse im Uran gebunkert wird – und du mit ein paar Kilo ein ganzes Land versorgen kannst. Jetzt wollen wir die Energie dezentral mit den aktuellen Kräften der Natur gewinnen. Das ist ein Riesenvorgang.
Claudia Ruby: Kann das überhaupt funktionieren? Kann man einen so hohen Energieverbrauch, wie wir ihn heute haben, allein aus erneuerbaren Energien decken – oder ist das nur mit massiven Einsparungen möglich? Das Thema steht ja immer wie ein großer weißer Elefant im Raum.
Christian Schwägerl: Es wird viel zu wenig über Sparen und Effizienz geredet, auch natur-basierte Lösungen, die nicht die Probleme aufwerfen, die Johanna genannt hat, brauchen mehr Aufmerksamkeit. Stattdessen beobachte ich interne Scharmützel, die mich immer ein bisschen an das „Leben des Brian“ erinnern, wo die „judäische Volksfront“ und die „Volksfront von Judäa“ sich gegenseitig beharken, während drumherum die Römer aktiv sind. Ich würde davor warnen, sich da zu sehr zu verkeilen statt zusammenzudenken.
Claudia Ruby: Dennoch spaltet der Streit derzeit die Naturschutzverbände – besonders intensiv tobt die Diskussion beim Nabu, der ursprünglich mal als Vogelschutzverband angefangen hat. Thomas, Du beobachtest das intensiv – und hast auch darüber geschrieben.
Thomas Krumenacker: Ja, da gibt es eine starke, von der Verbandsspitze unterstützte Fraktion, die sich möglicherweise „politikfähig“ machen will für eine künftige Regierungspolitik mit grüner Beteiligung. Und es gibt eine starke traditionelle, oft ein bisschen belächelte, aber von mir sehr geschätzte Vogelschützer-Fraktion an der Basis. Das sind zehntausende Leute, die sich vor Ort für den Naturschutz einsetzen. Und die erleben, mit welcher Brutalität die Energiewende vorangetrieben wird. Das sind knallharte Konflikte, da geht es um viel Geld. Diese Menschen kämpfen leidenschaftlich und mit hohem persönlichen Einsatz gegen die Naturzerstörung – und crashen dabei gegen den eher theoretischen Energiewendeanspruch der Verbandsspitze.
Claudia Ruby: Es gab ja jetzt den Versuch, diesen Streit aufzulösen. Die Nabu-Spitze hat zusammen mit den Grünen ein Kompromisspapier vorgelegt, das den schönen Namen „Vogelfrieden“ trägt. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Thomas Krumenacker: Den Kompromiss macht hier leider nur der Naturschutz. In so einer Diskussion braucht es Leute, die für unterschiedliche Positionen stehen, und alle Positionen sind berechtigt. Natürlich auch die der Windenergie-Befürworter – sofern sie nicht auf die Windindustrie reinfallen. Aber es braucht auch wirkliche Vogelschützer. Das war früher der Nabu. Es braucht Leute, die sagen: 'Okay, meine Priorität sind die Vögel’. Das ist ja heutzutage schon fast ein Stigma zu sagen: Hallo, ich bin Vogelschützer. Und ich finde, das ist kein Stigma.
Wie viele Windräder brauchen wir?
Claudia Ruby: Der Konflikt wird in Zukunft vermutlich noch an Schärfe zunehmen. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss der Anteil an erneuerbaren Energien steigen. Die Bundesregierung strebt bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent für die Erneuerbaren an. Daniela – was bedeutet das für die Windenergie?
Daniela Becker: Der Strombedarf wird im Vergleich zu heute weiter ansteigen, denn man geht davon aus, dass die Elektrifizierung im Bereich Industrie, Wärme und Verkehr fortschreitet. Da wird zwar immer auch über Effizienz als vierte Säule gesprochen. Das ist enorm wichtig – aber nur mit Energiesparen wird es nicht gehen, irgendetwas muss die schweren Energieträger ersetzen.
Claudia Ruby: Ein Teil des Ausbaus wird sicherlich durch Repowering gelöst – also durch größere und leistungsfähigere Windkraftanlagen. Es wird aber auch neue Windparks geben müssen. Ich habe dazu beim Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende ganz unterschiedliche Berechnungen gefunden. Eine Verdopplung von etwa 30.000 auf rund 60.000 Windenergieanlagen erscheint realistisch. Die Zahl der Kollisionen würde ebenfalls zunehmen. Ein massiver Konflikt mit dem Artenschutz, wonach ja jedes Individuum einer bedrohten Art geschützt ist.
Thomas Krumenacker: Wir haben ein wunderbares Naturschutzrecht. Das hat nicht die Population im Auge, sondern jedes Vogelindividuum. Insbesondere bei seltenen Arten ist das sehr wichtig: Wenn ein erwachsener Schreiadler von einem Windrad getötet wird, kann das eine ganze regionale Population zum Erlöschen bringen. Das ist ja das Schlimme an diesem Nabu-Konzept, dass es ohne Not den gesetzlich verankerten Individualschutz aufgibt – zugunsten eines abstrakten Populationsschutzes. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Natürlich geht es darum, Arten und Populationen zu erhalten, aber der Individualschutz ist dafür unsere stärkste Waffe. Und der ist in letzter Zeit auch höchstrichterlich in vielen Urteilen gestützt worden
Christian Schwägerl: Das würde ich dann aber gerne auch in anderen Bereichen sehen, da muss ich Daniela beipflichten. Es drängt sich schon der Eindruck auf, dass es nur ein Gebiet gibt, wo man derzeit davon hört.
Claudia Ruby: Es geht ja auch bei anderen Bauvorhaben gelegentlich um den Artenschutz. Ich erinnere mich da an einige Debatten um den Wachtelkönig. Aber bleiben wir beim Schutz des Individuums: Muss man damit leben, dass gelegentlich Vögel an Windrädern sterben, solange keine Populationen ausgerottet werden? Und was steht sozusagen auf der anderen Seite – man ist ja eher bereit, negative Konsequenzen hinzunehmen, wenn man damit im Klimaschutz tatsächlich viel erreichen kann.
Daniela Becker: Ich würde die Frage gerne anders stellen: Wenn wir es nicht mit Windkraft machen, wie dann? Und darauf habe ich keine Antwort.
Johanna Romberg: Eine sinnvolle Frage, ich würde sie allerdings noch einmal anders stellen: Ist dieser für mich wahnsinnige Ausbau der Windkraft und anderer erneuerbarer Energien zu rechtfertigen, solange die Energiewende auf anderen Gebieten noch nicht mal begonnen hat? Im Verkehr zum Beispiel. Das weißt du besser als ich, Daniela. Der Verkehrssektor macht 19 Prozent der gesamten Emissionen bei uns aus. Dieser Anteil ist seit Jahren gleichgeblieben. Und die SUVs in den Städten werden immer größer.
Christian Schwägerl: Das ist aber ein Zirkelschluss-Argument: Bei der Klimakrise sind wir in einer Situation, in der wirklich jede Tonne zählt, und alle Bereiche, in denen noch nichts geschieht, sind tiefstrote Krisenbeschleuniger. Das ist so, als ob du Kerosin ins Feuer gießt. Und bei der Energieerzeugung gießen wir mittlerweile Benzin ins Feuer, weil wir es geschafft haben, einen Teil anders abzudecken.
Johanna Romberg: Aber sorry, aus der Perspektive der Vögel würde ich wirklich sagen: Warum muss ich als Rotmilan oder Schreiadler dafür büßen, dass ihr Menschen es nicht hinkriegt, euren verdammten Ressourcenverbrauch zu senken? Das kann doch nicht sein.
Welche Szenarien gibt es?
Daniela Becker: Der ThinkTank Agora Energiewende hat gerade ein Szenario unter Berücksichtigung aller Sektoren vorgestellt, mit dem Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral sein könnte. Da spielt Energieeffizienz, aber auch die Elektrifizierung im Bereich Verkehr und Wärme eine große Rolle und der weitere Ausbau der Windenergie. Die Frage bleibt: Woher kommt die Energie sonst? Klar, wir könnten noch viel mehr daraufsetzen, Bedürfnisse zu reduzieren, Energie zu sparen. Aber dann ist man ja immer gleich in der Verbotsdebatte.
Thomas Krumenacker: Es gibt andere Möglichkeiten, die wesentlich klüger und effizienter sind. Das Wuppertal Institut hat 2018 im Auftrag des Nabu, noch unter dem alten Nabu-Präsidenten Olaf Tschimpke, ein sehr interessantes Gutachten gemacht. Und dieses Gutachten zeigt, dass mit Komponenten wie Photovoltaik, Energiesparen, natürliche Senken, Verkehr und Gebäudesanierung genau die gleichen CO2-Einsparziele erreicht werden können wie mit dem im Augenblick laufenden primitiven Austausch von Kohle durch Windkraft. Eine naturverträgliche Energiewende ist möglich.
Claudia Ruby: Doch auch in diesem Szenario spielt die Windenergie eine wichtige Rolle. Ganz ohne neue Anlagen wird es nicht gehen.
Thomas Krumenacker: Ja, wir müssen etwas opfern. Wir wollen den Klimawandel minimieren, auch wenn ich in dem Punkt widersprechen würde, dass der Klimawandel aktuell die größte Gefahr für unsere Biodiversität ist. Das lässt sich durch keine Studien abbilden. Aber trotzdem: Wir müssen die Erderwärmung begrenzen.
Daniela Becker: Auch für uns Menschen. Aber ich gebe dir insofern recht, dass die Ursache der Naturkrise und der Klimakrise die Gleiche ist: Wir denken nicht in den planetaren Grenzen.
Thomas Krumenacker: Ja, auch für uns. Für unsere Ökosysteme. Für unsere Wasserversorgung. Für die Natur. Da gibt es überhaupt keine Frage. Ich würde auch Vögel opfern. Es ist ja nicht so, als wäre ich so ein Fetischist und würde sagen, alles darf vor die Hunde gehen, nur die Vögel nicht.
Claudia Ruby: So abstrakt kann man sich immer einigen. Werden wir mal konkret: Wo könnten denn neue Windparks entstehen?
Thomas Krumenacker: Zuerst mal ist es ein Skandal, dass wir immer noch keine Solarpflicht auf jedem Dach haben. Wir sollten doch erst einmal damit anfangen, die urbanen Räume zu nutzen. Von mir aus können wir auch Windräder in die Städte bauen, bevor wir in einer total unregulierten Art und Weise auf das Land gehen und sozialen Unfrieden schaffen.
Claudia Ruby: Sozialen Unfrieden?
Thomas Krumenacker: Ja, durch riesige Summen, die auf einmal im Spiel sind. Da kriegt ein Bauer 80.000 Euro Pacht pro Jahr für Windkraftanlagen auf seinem Grundstück – und die Nachbarn bekommen nichts. Das sind auch soziale Verwerfungen, die da stattfinden. Jede Kommune verdient Geld, wenn sie sagt: Okay, bei uns könnt ihr bauen. Das lädt auch zur Korruption ein.
Claudia Ruby: Das ist jetzt aber kein spezifisches Problem der Windkraft. Hier fehlt einfach eine vernünftige Planung, die sich am Bedarf und an den regionalen Gegebenheiten orientiert.
Daniela Becker: Und Kommunen profitieren ja auch von Gewerbeeinnahmen.
Thomas Krumenacker: Warum sollten wir der Windenergie einen solchen Vorrang einräumen, und nicht vielmehr auf Photovoltaik setzen – und auf Einsparungen. Die Landwirtschaft gehört zu den größten Verursachern von CO2-Emission, die leisten ihre Einsparzielen aber nicht.
Christian Schwägerl: Wind und Sonne ergänzen sich halt sehr gut: Wenn viel Sonne scheint, weht in der Regel wenig Wind, und wenn viel Wind ist, haben wir meist wenig Sonne. Das passt verdammt gut zusammen. Der entscheidende Schritt wird die umfassende Zwischenspeicherung von überschüssigem Ökostrom sein, und das ist das nächste große Ärgernis: Es gibt zwar viele Forschungsprojekte, aber kaum Fortschritte. Wenn man vernünftige Speicher hätte, könnte man natürlich eine ganz andere Strategie fahren.
Claudia Ruby: Ja, dann bauen wir die ganzen Windkraftanlagen wieder ab. Aber bis dahin?
Daniela Becker: An einen Abbau glaub ich eher nicht: Eine Idee ist beispielsweise Wasserstoff als Kurz- und Langzeitspeicher zu nutzen. Aber für die Elektrolyse wird eben auch Strom benötigt.
Christian Schwägerl: Für den weiteren Ausbau braucht es dringend eine deutlich bessere Planung. Nicht diese Eldorado-Investorenmodelle, die wir derzeit haben, sondern mehr Bürgerbeteiligung und eine noch stärkere ökologische Priorisierung. Dann gibt es Schutzgebiete, aber auch Opfergebiete, in denen der Ausbau massiv intensiviert wird. Das sind Regionen abseits von Vogelzug-Routen oder Adlerrevieren, in denen wir dann klotzen und anderswo nicht.
Claudia Ruby: Wäre das ein Kompromiss, Daniela? Dass man sich an einen Tisch setzt und Tabugebiete definiert.
Daniela Becker: Natürlich! Ich will doch nicht alles mit Windkraft zupflastern. Das wäre ja verrückt. Wir müssen aber auch sehen, warum die Windenergie in Waldgebiete geht. Hier in Bayern beispielsweise gibt es eine 10 H-Regelung.
Claudia Ruby: Danach müssen Windkraftanlagen einen bestimmten Abstand zu Wohngebäuden einhalten: mindestens das Zehnfache ihrer Höhe.
Daniela Becker: Genau, und da wir praktisch überall eine Kommune haben, stockt der Ausbau massiv. Es scheint einfacher, Windräder in den Wald zu stellen als zum Beispiel in Industrie- und Gewerbegebiete, die ohnehin schon ausgewiesen sind. Warum stellen wir Windräder nicht auf Start- und Landebahnen von Flughäfen? Wir müssen den Flugverkehr ohnehin reduzieren. Oder auf ehemalige Militär- und Kasernengelände? Warum gibt es so wenige Windräder an den Autobahnen?
Johanna Romberg: Ich würde an dieser Stelle gerne ein paar Zahlen in die Runde werfen. Es heißt ja immer, dass vor allem der Artenschutz den Windkraftausbau ausbremst. Das stimmt aber nicht. Laut einer Branchenumfrage von 2019 wurden von 2225 geplanten Anlagen zirka tausend blockiert, weil sie Flugnavigationsanlagen störten. Über 900 Anlagen standen militärischen Flugkorridoren im Weg, und bei 325 war eine Klage anhängig, wobei es nur in 195 Fällen um Artenschutz ging, also gerade mal 8,7 Prozent. Und da sind auch Fälle mit eingeschlossen, in denen nicht Naturschützer vor Gericht gingen, sondern Windkraftbetreiber, die sich gegen Artenschutzauflagen wehrten. Ich habe das Gefühl, dass Naturschützer sich von der Windindustrie ohne Not in die Rolle des Buhmanns drängen lassen.
„Wir brauchen eine stimmige Umweltpolitik“
Claudia Ruby: Ihr habt jetzt immer wieder gesagt, die Umweltbewegung sollte sich nicht spalten lassen. Es geht doch um dasselbe Ziele, nämlich eine artenreiche und lebenswerte Umwelt. Ich wiederhole mich, aber wie kommen wir dahin?
Christian Schwägerl: Wir bräuchten zuerst einmal eine stimmige und durchgängige Umweltpolitik. Das Bundesumweltministerium hat derzeit keine echte Power. Seit seiner Gründung wurde dieses Ressort Stück für Stück entmachtet und ist heute eher eine Art Umwelt-Kommunikations-Einrichtung.
Daniela Becker: Und wir haben überhaupt kein Klima-Ministerium, sondern nur ein Wirtschaftsministerium. Das ist auch ein Teil des Problems, dass das Thema Energiewende dort eingeordnet wurde.
Christian Schwägerl: Ich stelle mir ein etwas paradoxes Szenario vor. Vermutlich steigt jetzt bei Johanna und Thomas die Pulsrate: Aber was passiert denn, wenn wir in den anderen Bereichen, nämlich der Landwirtschaft und allen anderen naturrelevanten Bereichen, wenn wir da wirklich aggressiven Naturschutz betreiben? Dann würde es wieder mehr Tiere in der Landschaft geben. Und dann würde selbst bei gleichbleibender Zahl von Windanlagen automatisch der Vogelschlag zunehmen, einfach weil mehr Tiere herumfliegen. Eigentlich müsste das ja fast unser Ziel sein, dass die Landschaft wieder so belebt ist, wie sie es einmal war. Und dann – ich habe fast ein bisschen Angst, es auszusprechen – dann würden und könnten mehr Tiere an Windanlagen sterben.
Thomas Krumenacker: Auch dann würde ich nicht einsehen, warum man der Windindustrie etwas zubilligen sollte, was anderen verboten ist: geschützte Tiere zu töten.
Johanna Romberg: Meine Pulsadern schwellen gar nicht. Im Gegenteil. Ich finde das eine ganz wunderbare Vision, ich fürchte nur, wir sind noch sehr weit weg davon. Dennoch halte ich eine Wende immer noch für möglich. Vielleicht stimmen wir mit diesem Quäntchen Hoffnung alle überein.