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EU gibt Brachen erneut zur landwirtschaftlichen Nutzung frei – ein herber Rückschlag für den Naturschutz
Freie Fahrt für Artenschwund: EU-Kommission gibt erneut Brachen zur Nutzung für Landwirtschaft frei
In einem weiteren Zugeständnis an Agrarindustrie und protestierende Landwirte erlaubt die EU-Kommission auch 2024 die Nutzung von Flächen, die als Überlebensinseln für die Natur in der Agrarlandschaft vorgesehen waren. Die Artenkrise dürfte sich damit verschärfen.
Landwirte in der EU müssen auch in diesem Jahr keine Überlebensinseln für die Artenvielfalt schaffen, um in den Genuss von Subventionen zu kommen. Die EU-Kommission setzte die eigentlich zum Schutz der Biodiversität erlassene Pflicht zur „Stilllegung“ von mindestens vier Prozent der Ackerflächen pro Betrieb auch für dieses Jahr aus, wie sie am Dienstag bekanntgab.
Eigentlich müssen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vier Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für die Natur reserviert werden, damit auch inmitten der intensiv genutzten Äcker Insekten, Ackerpflanzen und Vögel einen Überlebensraum finden können. Schon für das vergangene Jahr hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Brachenpflicht ausgesetzt und dies mit der angespannten Versorgungslage mit Getreide nach dem russischen Angriff auf die Ukraine begründet. In diesem Jahr opfert die Kommission die Naturflächen als Zugeständnis an die Proteste der Landwirtschaftsverbände.
Die Regelung war zuletzt in das Visier von Agrarverbänden und demonstrierenden Landwirten in vielen EU-Ländern geraten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte ihre Aussetzung nach massiven Protesten zur Besänftigung für Bauern angekündigt. Die Kommission verteidigte den Schritt als gangbaren Kompromiss zwischen Ökologie und Landwirtschaft: „Der Vorschlag der Kommission ist sorgfältig abgewogen, um das richtige Gleichgewicht zwischen einer angemessenen Entlastung und Flexibilität für die Landwirte, die mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert sind, einerseits und dem Schutz der biologischen Vielfalt und der Bodenqualität andererseits herzustellen“, erklärte die Kommission.
Lemke kündigt Widerstand an
Den Mitgliedstaaten steht es frei, die Regelung zu übernehmen oder auf der Schaffung von Naturflächen in Form ungenutzter Brachflächen, Hecken oder anderer sogenannte diverser Landschaftselemente als Voraussetzung für die Gewährung von Subventionszahlungen zu bestehen. Sie müssen der EU bis Ende des Monats ihre Entscheidung mitteilen.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke kritisierte den Beschluss und kündigte am Dienstag an, sich dafür einzusetzen, dass die Regel in Deutschland nicht angewendet wird. Mit ihrer Entscheidung missachte die EU-Kommission die Tatsache, dass die Arbeit von Landwirtinnen und Landwirten nur dann eine Zukunft habe, wenn die Artenvielfalt ausreichend geschützt werde, erklärte die Grünen-Politikerin. „Deshalb setze ich mich dafür ein, dass dieser überstürzte und unreife Beschluss in Deutschland nicht umgesetzt wird“, erklärte Lemke.
Der zuständige Landwirtschaftsminister Cem Özdemir äußerte sich zunächst nicht, hatte aber zuletzt den Kommissionsvorschlag ebenfalls kritisiert. Im vergangenen Jahr hatte er die Brachen unter dem Protest von Naturschützern ebenfalls für die bestimmte Formen der landwirtschaftlichen Nutzung freigegeben, zugleich aber versprochen, dass dies eine Ausnahme bleiben werde.
Naturschutzverbände appellierten an den Grünen-Politiker, die Regelung nicht für Deutschland zu übernehmen. Özdemir müsse Wort halten „und sich für die Umsetzung der für die Artenvielfalt so wichtigen Lebensbrachen einsetzen“, sagte Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Özdemir darf nicht aus Angst vor neuen Treckerprotesten vor den Landwirten einknicken – ein erneutes Aussetzen der Stilllegungsregelung würde die Naturkrise weiter anheizen.“
Lichtblick in der GAP
Die Brachenregelung ist eine von wenigen Regelungen in der GAP, die Subventionen an ökologische Maßnahmen knüpft. Wissenschaftler und Naturschützer halten bereits einen Brache-Anteil von vier Prozent für kaum ausreichend, um um biologische Vielfalt in der sogenannten „Normallandschaft“ außerhalb von Schutzgebieten zu erhalten. Dies wiederum wird als Voraussetzung dafür angesehen, dass die Agrarökosysteme ihre sogenannten Ökosystemleistungen erbringen können: beispielsweise die Bestäubung von Nutzpflanzen durch Insekten, die Speicherung von Wasser und Kohlenstoff im Boden und den Schutz der Ackerkrume vor Erosion.
Der führende Biodiversitätsforscher Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle kritisierte den EU-Beschluss. „In agrarökologischen Fachkreisen ist es unumstritten, dass Brachen neben Blühstreifen mit am geeignetsten sind um Biodiversität in der Agrarlandschaft zu schützen und auch deren Durchlässigkeit, also den Biotopverbund, zu erhöhen“, sagte er im Gespräch mit RiffReporter.
Es gebe vieles was gegen die Freigabe für die landwirtschaftliche Nutzung spreche und kaum etwas, das sich als stichhaltig für eine Nutzung erweise. Dem immer wieder vorgebrachten Argument, Stilllegungsflächen müssten zur Sicherung der globalen Ernährung genutzt werden, widersprach Settele ebenfalls. Diese Annahme überschätze deren Ertragspotential massiv. „Solche Flächen wurden vor allem an Grenzertragstandorten eingerichtet, sowie an schwer bearbeitbaren Teilen von Feldern“, sagte Settele. Das Argument werde zudem immer dann ins Feld geführt, wenn es um Fragen des Schutzes von Biodivesität und Natur gehe. „Bei Gesetzen für die Fleischerzeugung, für Futtermittelimporte oder den Einsatz von Biokraftstoffen hingegen sucht man eine Bezugnahme zur Auswirkung auf globale Nahrungsmittelsicherheit vergeblich.“
Brachen sind die Wundpflaster für das geschundene Agrarland
Auch zahlreiche wissenschaftliche Studien haben den überragenden ökologischen Wert ungenutzter Brache-Inseln inmitten der intensiv genutzten Landschaft belegt. So belegt das von der EU geförderte Partridge-Modellprojekte zum Schutz des Rebhuhns, wie groß der ökologische Gewinn durch Brach- und Blühflächen schon auf vergleichsweise kleiner Fläche sein kann. Die Bedeutung von Brachen lässt sich auch historisch belegen. In der Zeit der Flächenstilllegungen in den 2000er Jahren bezahlte die EU Landwirte dafür, Äcker nicht zu bewirtschaften. Die vermeintlich „stillgelegten“ Flächen erwiesen sich als Orte blühenden, summenden und zwitschernden Lebens. Viele stark dezimierte Vogelarten der Agrarlandschaft erlebten einen regelrechten Bestandsboom. Mit dem Ende der „Stillegungsprämien“ für Landwirte brachen die Populationen wieder ein. Derzeit markiert die ökologische Vielfalt in der Agrarlandschaft ein historisches Tief.
Die Brachenregelung ist nur das vorerst letzte Zugeständnis an die Landwirtschaft zulasten der Natur. Zuvor hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der vergangenen Woche angekündigt, die lange geplante Richtlinie für weniger Pestizideinsatz zurückzuziehen – einen zentralen Bestandteil ihres Green Deal zum ökologischen und klimagerechten Umbau der EU. Kurz zuvor war es auch am Sitz der EU in Brüssel zu Protesten von Landwirten gekommen. Unter anderem wurde ein Baum im Europaviertel mit einer Motorsäge angesägt und dann in Brand gesteckt. In Deutschland nahm die Ampel-Koalition unter anderem den geplanten Abbau umweltschädlicher Subventionen für Agrardiesel vorerst zurück.