Polen hält an Oder-Ausbau fest – Lemke blitzt bei ihrer Kollegin ab
Offener Streit zwischen Deutschland und Polen über einen Ausbaustopp für die Oder: Umweltministerin Steffi Lemke blitzt bei ihrer polnischen Kollegin mit dem Versuch ab, den ökologisch verheerenden Ausbau des Flusses wenigstens auszusetzen. Dennoch sieht sie Fortschritte.
Der Streit zwischen den Regierungen Deutschlands und Polens um die richtigen Konsequenzen aus der Umweltkatastrophe in der Oder hat sich weiter verhärtet. Polens Umweltministerin Anna Moskwa lehnte am Montag einen von ihrer deutschen Kollegin Steffi Lemke geforderten Stopp der laufenden Ausbaumaßnahmen entlang der Grenzoder kategorisch ab. „Es gibt keine rationale Grundlage, diese Maßnahmen zu stoppen“, erteilte sie der Forderung Lemkes eine scharfe Abfuhr.
Polnische Ministerin: Oder-Ausbau nützt der Ökologie des Flusses
Die weitere Regulierung unter anderem durch eine Vertiefung und durch die Modernisierung von Buhnenanlagen schade dem Strom nicht, sondern diene sogar neben dem Hochwasserschutz der Verbesserung der Ökologie des Flusses, sagte Moskwa in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Lemke am Montag zum Abschluss der deutsch-polnischen Umweltkonsultationen in Bad Saarow. „Wir sehen keinen Grund, diese Maßnahmen abzubrechen“, stellte sie klar. Deutschen Umweltverbänden warf Moskwa abermals die Verbreitung von „fake news“ und von Mythen vor.
Lemke wirbt weiter für Ausbaustopp
Lemke betonte dagegen, dass nach dem verheerenden Fisch- und Muschelsterben in der Oder die Unterstützung einer natürlichen Erholung des Ökosystems Priorität haben müsse. Deshalb müsse alles unterlassen werden, was den Fluss weiter belaste, sagte die Grünen-Politikerin. „Ich finde, die Ausbaumaßnahmen müssen gestoppt – mindestens ausgesetzt werden“, betonte Lemke.
Zugleich bemühte sich die Grünen-Politikerin den Eindruck eines Scheiterns der deutsch-polnischen Konsultationen inmitten eines ohnehin angespannten Verhältnisses zwischen den Regierungen beider Länder zu vermeiden. Dass in einer seit Jahren anhaltenden Debatte beim Umweltrat keine Einigung erreicht worden sei, könne sie respektieren, sagte Lemke.
Lemke sieht Expertentreffen als wichtigen Fortschritt
Als „entscheidenden Fortschritt“ wertete Lemke die Einigung auf das Abhalten eines Workshops von Experten und Expertinnen beider Staaten, bei dem über gemeinsame Maßnahmen zur ökologischen Revitalisierung des Flusses beraten werden solle. „Klar ist, dass die Oder schwer geschädigt ist und Polen und Deutschland ein Interesse haben, das Ökosystem zu regenerieren“, fasste die deutsche Umweltministerin den gemeinsamen Nenner zusammen.
Gewässerökologen und Umweltverbände auf beiden Seiten der Grenze stützen Lemkes Haltung. Sie sind sich einig, dass ein Ausbaustopp als Sofortmaßnahme nötig ist, um das massiv geschädigte Fluss-Ökosystem nicht weiter zu belasten.
Die Experten sehen in einem Verzicht auf die weitere Flussregulierung, wie sie derzeit in Polen vorangetrieben wird, eine entscheidende Voraussetzung für eine Erholung des Stroms von der Umweltkatastrophe. Die Zusage der polnischen Regierung, die Oder wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen, sei nur einzuhalten, wenn der bereits weit fortgeschrittene Ausbau des Flusslaufs sofort beendet werde, sagte etwa der Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Klement Tockner, im RiffReporter-Interview.
„Einerseits den Ausbau zu einer Wasserstraße voranzutreiben und auf der anderen Seite den Fluss in einen natürlichen Zustand bringen zu wollen, sind nicht vereinbare Ziele“, betonte der Experte. Der Gewässerökologe des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin, Christian Wolter, sieht im Oder-Ausbau sogar langfristig ein größeres Problem für die Oder als es die aktuelle Katastrophe, wie er im RiffReporter-Interview deutlich machte.
Polnische Umweltministerin stellt Ausbau der Oder als Öko-Maßnahme dar
Moskwa dagegen beteuerte, der Ausbau der Oder finde behutsam und im Einklang mit höchsten Umweltstandards statt. Im 19. Jahrhundert seit die Oder auf eine Weise reguliert worden, die dem heutigen Stand der Technik nicht entspreche, sagte sie.
„Die Oder ist über hunderte Jahre auf falsche Weise reguliert worden, jetzt müssen wir das Flussbett wieder in Ordnung bringen, die natürlichen Prozesse müssen ermöglicht werden.“ Polen werde alles tun, um die Fischfauna wiederherzustellen. Ohne Regulierung drohe dem Fluss das Austrocknen, sagte sie. Gleichzeitig begründet die Regierung in Warschau die weitere Regulierung auch mit der Notwendigkeit des Hochwasserschutzes.
Die Politikerin der national-konservativen Regierung machte sehr unverblümt deutlich, dass von Polen kein Einlenken in dieser Frage zu erwarten sei. Daran habe auch die Umweltkatastrophe nichts geändert: „Wir sehen keinen Zusammenhang dieser Maßnahmen mit der jetzigen Situation an der Oder“, sagte Moskwa. „Wir sehen keinen Grund, diese Maßnahmen abzubrechen.
Gemeinsamer Abschlussbericht bis Ende September
Mit Blick auf die Ursache für das massive Fisch- und Muschelsterben – allein rund 1000 Tonnen toter Fische wurden in den letzten drei Wochen aus dem Fluss geborgen – stützten die beiden Politikerinnen die These, von Wissenschaftlern dass eine massive Salzfracht und eine anschließende Algenblüte Auslöser für die Katastrophe gewesen sei.
Lemke sagte, es sei klar, dass es mehrere, auch vom Menschen versuchte Ursachen gegeben habe. Ein hoher Salzgehalt habe zusammen mit hohen Temperaturen und dem niedrigen Wasserstand zur Massenvermehrung der Goldalge geführt. Deren toxischen Stoffe hätten das Fisch- und Muschelsterben “mindestens mit ausgelöst„.
Weitere Analyseergebnisse sollten noch in dieser Woche veröffentlicht werden, kündigte Lemke an. “Wenn die Ursachen feststehen, können wir hoffentlich auch den Verursacher ermitteln", sagte sie. Lemke und Moskwa kündigten an, bis zum 30. September einen gemeinsamen Abschlussbericht zu den ökologischen Folgen der Katastrophe vorzulegen.
Im Projekt„Countdown Natur“berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchenmit einem Abonnementunterstützen.