Der Vogelfragebogen: „Meine Studenten geben mir Hoffnung“
Heute mit Ursula Heise, ornithologisch versierte Literaturwissenschaftlerin aus Los Angeles
Hinter jedem Vogelbeobachter-Fernglas steckt ein interessanter Charakter. Wir bitten deshalb Menschen, die eng mit der Natur und der Vogelwelt verbunden sind, zwanzig Fragen der besonderen Art zu beantworten. Es geht um Leidenschaft, Sorgen, Hoffnungen und Wünsche.
Heute antwortet Ursula K. Heise, die in Los Angeles lebt. Sie ist Inhaberin des Marcia-H.-Howard-Lehrstuhls für Literaturwissenschaft am Department of English und am Institute of Environment and Sustainability der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA). Ihre Forschungs- und Lehrtätigkeit konzentriert sich auf zeitgenössische Literatur und Umweltgeisteswissenschaften; Umweltliteratur, Kunst und Kulturen in Amerika, Westeuropa und Japan, Literatur und Science, Science Fiction und Erzähltheorie. Heise ist Autorin mehrerer wichtiger Bücher, darunter „Sense of Place and Sense of Planet: The Environmental Imagination of the Global“ (Oxford University Press, 2008), „Nach der Natur: Das Artensterben und die moderne Kultur“ (Suhrkamp, 2010) und „Imagining Extinction: The Cultural Meanings of Endangered Species“ (University of Chicago Press, 2016). Sie ist auch Mitbegründerin des „Lab for Environmental Narrative Strategies“ der UCLA.
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1. Wie haben Sie den Zugang zur Vogelwelt gefunden?
Durch eine Jardines-Kongopapageiin, die in den 1990ern vier Jahre lang mit mir zusammenlebte.
2. Was bedeutet Ihnen Vogelbeobachten im Alltag – und was hält Sie vom Beobachten ab?
Es verwandelt auch den banalsten Tag und die alltäglichsten Tätigkeiten in interessante Begegnungen mit gefiederten Aliens.
3. Teilen Sie ein besonders schönes Beobachtungserlebnis mit uns?
Im Daintree-Nationalpark in Australien sahen mein Freund und ich einen Kasuar und sein Küken. Das Küken rannte auf uns zu, und wir waren ein wenig ängstlich wegen der möglichen Reaktion des Vaters: Kasuare können sich sehr aggressiv verhalten, wenn es um die Küken geht. In diesem Fall war aber der Daddy ebenso verblüfft wie wir, und das Küken hielt auf einmal an, überlegte sich die Sache, und kehrte wieder um. Vater und Kind wanderten dann geruhsam in den Wald, und ein wenig später sahen wir sie in einem Bach baden. Der Vater konnte nicht genug vom Baden und Federnputzen bekommen, während der/die Kleine sich bald langweilte, vom Wasser zum Ufer und wieder zurückrannte, und ganz offensichtlich weiterwandern wollte.
4. Bei welchen Vögeln tun Sie sich bei der Bestimmung schwer?
Vor allem Möwen, aber manchmal auch Spatzen- und Schwalbenarten.
5. Welchen Gesang hören Sie am liebsten?
Den der Spottdrossel in den USA, er ist unglaublich variiert und melodisch. Und den des australischen Flötenvogels, er ist auch sehr variiert, manchmal eher melancholisch.
6. Gibt es eine Vogelart, die Sie nicht ausstehen können?
Nein, eigentlich nicht. Ich ärgere mich manchmal über Greifvögel und Krähen, die Singvögel erbeuten, aber ich mag sie trotzdem.
7. Wenn Sie sich CO2-frei an einen beliebigen Ort der Erde zum Vogelbeobachten beamen könnten, wohin?
Zum Manu Nationalpark in Peru. Ich würde liebend gerne die Vogelvielfalt dort sehen!
8. Was machen Sie mit Ihren Beobachtungen?
Ich mache sehr viele Photos, die ich dann abwechselnd als Bildschirmschoner benütze. Ich habe Listen für alle Länder, in denen ich Gelegenheit zur Vogelbeobachtung hatte, und ich lade alle meine Beobachtungen auf ebird.org hinauf.
9. Wenn Sie sich in einen Vogel verwandeln dürften, welcher wäre das?
Ein Jardines-Kongopapagei (Poicephalus gulielmi). Sie sind so intelligent und lebhaft, dass ich sehr neugierig wäre, wie sich die Welt aus ihrer Perspektive darstellt.
10. Wenn Vögel unsere Sprache verstehen könnten, was würden Sie ihnen gerne sagen?
Ich hätte Hunderte von Fragen: Was sie sehen, was sie hören, wie ihr Sozialleben läuft, wie sie sich an den ökologischen Wandel anpassen? Und dass unser Leben als Menschen ohne sie so viel uninteressanter wäre!
11. Wenn Sie sich einen Begleiter zum Vogelbeobachten aussuchen dürften, wer wäre das?
Mein Partner.
12. Wer ist Ihr Held, Ihre Heldin in Biologie und Naturschutz?
Die Schriftstellerin Lydia Millet, die sehr interessante Romane über Menschen und Tiere schreibt und auch für das Center for Biological Diversity arbeitet.
13. Auf welche ornithologische Frage hätten Sie gerne eine Antwort?
Wie gut der Geruchssinn bei Vögeln ist – Geier mal ausgenommen.
14. Was tun Sie persönlich zum Schutz der Vogelwelt?
Ich versuche, mein Haus und meinen Garten in Los Angeles so weit wie möglich in ein Habitat für Insekten und Vögel zu verwandeln, durch Futter, Wasser, Vegetation. Und ich spende jedes Jahr mehrere Tausend Dollar an Vogelschutzorganisationen. Darüber hinaus habe ich einen Kurzfilm über die Grünwangenamazonen in Los Angeles produziert.
15. Wie macht Umwelt- und Naturschutz Ihnen am meisten Freude?
Beim Gärtnern: Erschaffung von Habitat für Insekten, Reptilien, Vögel, und Menschen.
16. Was ist Ihre größte Umweltsünde? Unter welchen Umständen würden Sie darauf verzichten?
Das internationale Fliegen. Ich halte mich sehr gerne in anderen Ländern auf, und es würde mir schwerfallen, meine Liebe zu anderen Sprachen und Kulturen aufzugeben. Ich verzichte aber auf Kinder, Fleisch- und Milchkonsum, Benzinautos, Klimatisierung.
17. Wenn Sie für einen Tag Bundeskanzlerin wären und eine Maßnahme zum Schutz der Vogelwelt umsetzen könnten, was wäre das?
Ein Verbot von Pestiziden, so dass sich die Insekten wieder erholen können.
18. Was beunruhigt Sie für die Zukunft der Artenvielfalt am meisten?
Der Insektenkollaps, weil an Insekten so viel Artenvielfalt hängt: Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische.
19. Woher nehmen Sie Hoffnung für die Zukunft der Vogelwelt?
Meine Studenten geben mir Hoffnung. In Kalifornien gibt es sehr viele junge Leute, die sich um die Umwelt Sorgen machen und sehr kreativ sind.
20. Wenn Sie sich von der Evolution eine neue Vogelart wünschen dürften, wie würde sie heißen?
Pardalotus punctatus urbanicus – ein den Städten angepasster Fleckenpanthervogel. Das ist nämlich eine meiner Lieblingsarten in Australien.
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