Der Vogel-Fragebogen: „Habt keine Angst, ich will euch nur beobachten“

Heute mit Daniel Lingenhöhl, designierter Chefredakteur von „Spektrum der Wissenschaft“

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
5 Minuten
Daniel Lingenöhl, ein Mann mit Brille und kurzem Haar in schwarz/weiß.

Neu bei Flugbegleiter: Wir bitten Menschen, die eng mit Natur und Vogelwelt verbunden sind, unseren Fragebogen zu beantworten. Daniel Lingenhöhl ist promovierter Geowissenschaftler und Leiter Digitale Medien bei Spektrum der Wissenschaft. Ab Oktober übernimmt er dort die Position des Chefredakteurs. Er ist Mitglied im Beirat des Magazins „Vögel“ und hat 2011 das Buch „Vogelwelt im Wandel“ herausgebracht, das den Zustand unserer heimischen Vogelwelt journalistisch zusammenfasst.

1. Wie haben Sie den Zugang zur Vogelwelt gefunden?

Ich habe mich seit der Kindheit immer für die Natur interessiert – Käfer, Schmetterlinge, Frösche, Eidechsen und natürlich Vögel. Geprägt hat mich da auch mein Vater, der selbst seit Kindestagen ein Naturliebhaber ist und mich dann auch oft mit zum Vogelbeobachten genommen hat. Während der Pubertät ist diese Leidenschaft etwas abgeflacht (ich war aber weiterhin stark an der Natur und am Naturschutz interessiert), um dann mit dem Studium wieder voll und ganz aufzuflammen. Meine erste richtige Birding-Exkursion war mit der Uni in den brasilianischen Atlantikregenwald.

2. Was bedeutet Ihnen Vogelbeobachten im Alltag ­­­– und was hält Sie vom Beobachten ab?

Es entspannt und fesselt gleichzeitig: Man genießt die Ruhe der Natur und ist dennoch ganz aufgeregt, welche neue Art man denn als nächstes für sich entdeckt. Als Vater habe ich natürlich Familienpflichten, denen ich gerne nachkomme – das verhindert ausufernde Streifzüge. Im Urlaub ist das Fernglas aber immer dabei, und auch so halte ich die Augen auf.

3. Teilen Sie ein besonders schönes Beobachtungserlebnis mit uns?

Ich spende seit Jahren für Naturschutzorganisationen, die mit internationalen Kooperationspartner gefährdete Naturflächen aufkaufen, schützen und mit einheimischen Guides und Rangern ausstatten. Eines dieser Reservate habe ich 2007 in Ecuador besucht: Es wurde eingerichtet, um den wenige Jahre zuvor erstmals nachgewiesenen Jocotoco-Ameisenpitta zu retten. Damals hatte man gerade begonnen, diese schwer zu beobachtende Vogelfamilie mit Würmern anzufüttern, damit Vogelliebhaber sie leichter sehen können. Ich bin zu nachtschlafender Zeit mit einem Bus von der Unterkunft los, um im Morgengrauen bei dem Reservat zu sein, wurde gleich in den Wald geschickt, wo ein Ranger gerade Würmer einsammelte. Wir saßen dann eine Stunde auf einer kleinen Lichtung, bis plötzlich dieser Vogel aus dem Unterholz hüpfte, um die fetten Würmer zu vertilgen. Bis dahin hatten nur wenige Dutzend Menschen diese Art gesehen. Ohne die Initiative wäre der Wald heute abgeholzt. Mit den Tourismuseinnahmen kann man noch mehr Wald schützen.

4. Bei welchen Vögeln tun Sie sich bei der Bestimmung schwer?

Tropische Fliegenschnäpper, die sicher nicht zu Unrecht auch als Tyrannen bezeichnet werden. Und natürlich Rohrsänger.

5. Welchen Gesang hören Sie am liebsten?

Amseln – sie sind ein Zeichen für Frühling und Sommer.

Ein Mann und ein Junge schauen mit dem Fernglas über einen Holzzaun, auf dem Parque Nacional Doñana steht.
Mit der Familie macht sich Daniel Lingenöhl am liebsten auf zur Naturbeobachtung – wie hier am Rande des Nationalparks Coto de Doñana in Spanien. Dort bekamen sie allerdings keine Vögel, dafür aber Rothirsche vor die Linse.

6. Gibt es eine Vogelart, die Sie nicht ausstehen können?

Nein – auch wenn es bei Straßentauben manchmal schwerfällt (aber sie können ja auch nichts dafür).

7. Wenn Sie sich CO2-frei an einen beliebigen Ort der Erde zum Vogelbeobachten beamen könnten, wohin?

Kolumbien – nirgends gibt es mehr Vogelarten.

8. Was machen Sie mit Ihren Beobachtungen?

Genießen und im Bestimmungsbuch abhaken, wenn es eine neue Art für mich ist.

9. Wenn Sie sich in einen Vogel verwandeln dürften, welcher wäre das?

Sicher ein Adler – scharfe Augen und ausgezeichnetes Flugvermögen.

10. Wenn Vögel unsere Sprache verstehen könnten, was würden Sie ihnen gerne sagen?

Habt keine Angst, ich will euch nur beobachten.

11. Wenn Sie sich einen Begleiter zum Vogelbeobachten aussuchen dürften, wer wäre das?

Die Familie.

12. Wer ist Ihr Held, Ihre Heldin in Biologie und Naturschutz?

Da gibt es viele – aber Chico Mendes ist einzigartig: Er gab sein Leben, um Amazonien zu schützen. Und Ted Parker möchte ich auch herausheben: Er besaß ein einzigartiges Gehör, mit dem er tausende Vogelarten am Ruf und Gesang unterscheiden konnte. Er starb leider bei einem Flugzeugabsturz in Ecuador – während eines Erkundungsflugs im Dienste des Naturschutzes.

13. Auf welche ornithologische Frage hätten Sie gerne eine Antwort?

Wie viele unentdeckte Arten es noch weltweit gibt – also, nach wie vielen unbekannten Arten man noch Ausschau halten muss.

14. Was tun Sie persönlich zum Schutz der Vogelwelt?

Ich bin Mitglied bei Birdlife International, American Bird Conservancy, Neotropical Birdclub und dem großartigen Landesbund für Vogelschutz – und spende auch zusätzlich. Ich schreibe viele Artikel über Naturschutz und versuche aufzuklären. Und ich versuche, mich möglichst umweltbewusst zu verhalten: vom Verzicht auf überflüssige Autofahrten, über den Kauf von Biolebensmitteln bis hin zur naturnahen Gestaltung des eigenen Gartens. Ich brauche auch nicht das neueste Gadget und trage Kleidung teilweise bis sie auseinanderfällt (allerdings diese nicht zur Arbeit). Und ich versuche, nur maximal einmal in der Woche Fleisch oder Wurst zu essen.

Portrait von Daniel Lingenhöhl
Daniel Lingenhöhl

15. Wie macht Umwelt- und Naturschutz Ihnen am meisten Freude?

Am meisten macht mir Biotoppflege Freude, auch Müll einsammeln im Wald und am Strand.

16. Was ist Ihre größte Umweltsünde? Unter welchen Umständen würden Sie darauf verzichten?

In der Vergangenheit: Fernreisen. Auf diese verzichten wir momentan ohnehin, weil unsere Kinder zu klein sind. Ob wir ganz darauf verzichten werden, weiß ich nicht: Ich denke, viele Naturschutzgebiete werden nur überleben, wenn die Menschen vor Ort davon auch finanziell profitieren, etwa durch Naturtourismus – Costa Rica ist ein positives Beispiel. Lieber würde ich die Umweltsünde mit einem Ausgleich für den Klimaschutz kompensieren, etwa durch Spenden für Aufforstungen.

17. Wenn Sie für einen Tag Bundeskanzler wären und eine Maßnahme zum Schutz der Vogelwelt umsetzen könnten, was wäre das?

Nach Deutschland und wenn möglich ganz Europa käme nur noch Rindfleisch, Soja und Palmöl, das auf bereits bestehenden Flächen erzeugt wurde. Jede Neurodung dafür würde sanktioniert.

18. Was beunruhigt Sie für die Zukunft der Artenvielfalt am meisten?

Die rasende Vernichtung von Ökosystemen, vor allem von Wäldern und Savannen – hier gehen artenreiche Ökosysteme unwiederbringlich verloren, um den übermäßigen Fleischkonsum reicher Nationen (und Brasiliens) zu befriedigen. Und das sind auch Ökosysteme, die für das lokale und das Weltklima sowie den regionalen Wasserhaushalt von immenser Bedeutung sind.

19. Woher nehmen Sie Hoffnung für die Zukunft der Vogelwelt?

Dass sich auch in den Ländern des Südens immer mehr junge Menschen dafür begeistern.

20. Wenn Sie sich von der Evolution eine neue Vogelart wünschen dürften, wie würde sie heißen?

Ich wäre schon froh, wenn wir alle 12.000 existierenden Arten erhalten könnten. Ansonsten pokere ich hoch und wünsche mir drei neue Arten, die ich nach meinen Kindern benennen würde.

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