Schön häufig: Die Amsel
Ein fotografischer Blick auf Vogelarten unserer unmittelbaren Umgebung. Von Thomas Krumenacker
Dass etwas gewaltig schief läuft in Sachen Artenvielfalt, rückt verstärkt in ein breiteres öffentliches Bewusstsein. Immer mehr Menschen wollen die flächendeckende und systematische Zerstörung der letzten verbliebenen natürlichen Nischen nicht einfach hinnehmen.
Aktuelles Beispiel ist die Debatte um das Verbot des Pflanzengifts Glyphosat. Mehr als eine Million Menschen haben per Petition von der Europäischen Kommission verlangt, den Gebrauch des Stoffs zu verbieten. Auch über das Thema Insektensterben wird mittlerweile breit diskutiert. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig fundierte und belastbare Daten sind, um aus gefühlter Besorgnis Druck hin zu politischen Handeln wachsen zu lassen. Für den Bereich der gefiederten Artenvielfalt liegen diese Daten durch langjährige Monitoring-Programme vor.
Daran, dass die Gefahr eines „stummen Frühlings“ heute wieder als so real angesehen werden kann wie zu der Zeit, als das gleichnamige Buch der US-Biologin Rachel Carson vor mehr als einem halben Jahrhundert Umweltgeschichte schrieb, gibt es wenig Zweifel. Die aktuelle Fassung der Roten Liste und die im Atlas Deutscher Brutvogelarten (Adebar) zusammengefassten Langzeitbeobachtungen sind nur die wichtigsten wissenschaftlichen Referenzen.
Sie zeichnen gleichsam eine Fieberkurve zum Zustand der gesamten Natur in Deutschland. Denn Vögel sind Indikatoren für den Gesamtzustand von Lebensräumen und Umweltbedingungen.
Neunzig Prozent des Verlustes betrifft die häufigsten Vogelarten
Die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus der Lektüre dieser Werke lautet: Es sind nicht mehr allein die ohnehin seltenen oder bei der Wahl ihres Lebensraums besonders anspruchsvollen Arten, denen es immer schlechter geht. Die industriell betriebene Landwirtschaft mit einem hohen Chemikalieneinsatz und – als neue Entwicklung und in geringerem Umfang – die Folgen der Energiewende haben auch viele einst häufige Vogelarten in existenzielle Not gebracht.
Erstmals finden sich in der aktuellen Roten Liste Wachtel, Gartenrotschwanz, Rotmilan und Goldammer wegen ihres starken Rückgangs auf der Vorwarnliste – allesamt früher häufige Bewohner ländlicher Gebiete. Star, Bluthänfling, Rauch- und Mehlschwalbe wurden sogar als „gefährdet“ eingestuft. Die Zahl gefährdeter Arten war seit Mitte der 1990er-Jahre nicht so hoch wie aktuell.
Deutschland stellt in der negativen Öko-Bilanz für seine gefiederten Bewohner keine Ausnahme dar. Europaweit kommen Wissenschaftler zu ähnlichen Ergebnissen, etwa in einer vor zwei Jahren im Fachblatt Ecology Letters veröffentlichten Studie der Universität von Exeter und der britischen Vogelschutzorganisation RSPB. Analysiert wurden die Entwicklungen von 144 Vogelarten über die letzten drei Jahrzehnte in 25 europäischen Ländern. Ein Ergebnis: Heute gibt es rund 420 Millionen Vögel weniger in Europa als vor 30 Jahren. 90 Prozent des Verlustes betrifft die häufigsten Vogelarten, darunter Haussperling, Feldlerche und Star.
Ein Fotostudio für die "häufigen Schönheiten"
Höchste Zeit also auch einmal für uns Vogelbeobachter, den Blick nicht allein auf „Besonderheiten“ zu richten, sondern die „häufigen Schönheiten“ unter unseren gefiederten Mitwesen eines zweiten Blickes zu würdigen und für ihren Schutz einzutreten. In lockerer Folge zeigen wir ab heute Porträt-Fotos einiger Vogelarten, die fast jede und jeder schon häufig gesehen hat. Um eine neue Perspektive zu eröffnen und den Blick möglichst ungestört auf die natürliche Schönheit der Vögel freizugeben, habe ich die Vögel in eine Art Freiluftstudio gebeten, auf meiner Terrasse im fünften Geschoss mitten in Berlin.
Meist einfarbige Hintergründe sollen helfen, die Umgebung auszublenden und die ganze Aufmerksamkeit auf den Charakter des jeweiligen Vogels zu lenken – ihn als Mitgeschöpf und als Persönlichkeit zu sehen. Den Anfang macht eine der häufigsten Arten in Deutschland, die Amsel. Die Vögel wurden übrigens durch eine Tränke und gelegentlich mit Futter zur Mitarbeit bewegt.