„Ich … da? Nicht mehr!“
Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe: Von der Vorsorge bis zum Grundstückstausch
Als die Ahr sich eine Abkürzung durch den Straßentunnel der Bundesstraße 267 bei Reimerzhoven bahnte, riss sie nicht nur hundert Meter Straße weg. Am Tunnelausgang spülte sie bis zum felsigen Untergrund alles aus und hinterließ einen viele Meter tiefen Krater. Hochwassermarken am Tunneleingang zeigen, dass die Ahr den Tunnel schon früher durchspülte. Diesmal stand das Wasser fast bis zur Deckenhöhe. Ob und wann die Straße an dieser Stelle neu gebaut wird, ist noch nicht absehbar. Am Tunnelausgang stehen noch die Gebäude eines Hotels und einiger Wohn- und Gästehäuser, deren Zufahrten weggespült wurden.
In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz soll der Wiederaufbau vorausschauend erfolgen. Im Zuge der Klimakrise werden Starkregenereignisse wie im Juli 2021 nämlich intensiver und häufiger.
Anfang September fand die erste von der rot-grünen-gelben Landesregierung in Mainz organisierte „Zukunftskonferenz“ für den Wiederaufbau des Ahrtals statt, die „ohne Denkverbote“ Ideen sammelte. Da von der Hochwasserkatastrophe nicht nur einzelne Häuser betroffen sind, werden die Kommunen nicht allein darüber entscheiden, wie der Wiederaufbau abläuft. Eine enge Abstimmung mit dem Kreis und dem Land – und vor allem mit den Betroffenen selbst – ist in Rheinland-Pfalz oberste Priorität.
Das ehemals schmale kleine Flussbett der Ahr hat sich überall in eine ziemlich breite Flusslandschaft verwandelt, aussehend wie das Bett eines Gebirgsbaches nach der Schneeschmelze. Man hat den Eindruck, als habe sich der kleine Fluss selbst neu erfunden und dabei all das so gut wie möglich aus dem Weg geräumt, was seinen Lauf hinderte. Bernhard Jans aus Bad Neuenahr über die Naturgewalt Ahr in seinem Blog Traumreisezeit
Klimaanpassung: Wo und wie soll der Wiederaufbau stattfinden?
Angesichts der großflächigen Zerstörung steht die Frage im Raum, wie der Wiederaufbau so gestaltet werden kann, dass die Menschen ihre Heimat nicht als Region der Vergangenheit, sondern als Zukunftsregion sehen. Das Ahrtal und die Eifel sollten zu „Modellregionen für den Klimaschutz“ werden, fordert etwa der Runde Tisch Erneuerbare Energien. Im Moment steht jedoch weniger der Klimaschutz, sondern die Klimaanpassung im Vordergrund: Wie baut man die Infrastrukturen so auf, dass sie für künftige Ereignisse besser gewappnet sind?
Bundestag und Bundesrat haben Anfang September Aufbauhilfen in Höhe von 30 Milliarden Euro beschlossen – „eine bisher nie dagewesene Summe für solche Ereignisse“, stellte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) fest. Doch was genau mit dem Geld passieren soll, ist in ihrem Land noch unklar. Nördlich der Grenze, wo Armin Laschet (CDU) als Ministerpräsident regiert, werden hingegen schon Pläne gemacht.
Seit Mitte September können Betroffene der Hochwasserkatastrophe vom Juli in Nordrhein-Westfalen Wiederaufbauhilfen beantragen. Die Beteiligung der Betroffenen erfolgt über individuelle Anträge, für die es auch inzwischen Bürgerberatungen gibt. Dabei geht es nicht nur um Genehmigungen und Finanzmittel für Reparatur und Wiederherstellung ihrer Gebäude, sondern auch um die dringende Frage, wo und wie der Wiederaufbau stattfinden soll.
Die nordrhein-westfälische Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) zieht sogar die Verlagerung einzelner Gemeinden in Betracht, betont aber im WDR-Fernsehen: „Ich lege großen Wert darauf, dass wir das gemeinsam mit den Städten und Gemeinden und den Geschädigten entscheiden.“ Betroffene Kommunen wie etwa Euskirchen erheben dazu in Bürger-Befragungen die aktuelle Wohnsituation und Wünsche für die städtebauliche Planung.
Die Ministerin zeigt öffentlich auch Verständnis für die Menschen, die nicht mehr an der Stelle bauen wollen, an der ihr Haus in die Fluten gerissen wurde: „Viele haben für sich schon gesagt:, Ich … da? Nicht mehr!‘ Aber wir können an bestimmten Stellen auch wieder Eins zu Eins aufbauen.“ Man werde bei der Rekonstruktion Vorsorge treffen und „hochwassersichere Maßnahmen sofort anwenden“.
Klimakrise: Hochwasser- und Flutrisiken steigen
Vorsorge ist angesagt: Eine aktuelle Studie der World-Weather-Attribution-Initiative unter Beteiligung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) kommt zu dem Ergebnis, dass die Intensität und Häufigkeit von extremen Niederschlägen wie im Juli in der gesamten Rheinregion durch den Klimawandel zugenommen hat und weiter zunehmen wird.
Damit der Wiederaufbau zügig erfolgen kann, will Nordrhein-Westfalen Anpassungen im Planungs- und Baurecht vornehmen. Unter anderem soll für öffentliche Stellen die Pflicht zur europaweiten Ausschreibung für eine bestimmte Zeit ausgesetzt werden, erklärte ein Sprecher der Staatskanzlei in Düsseldorf. Bei den Baugenehmigungen soll es Erleichterungen geben.
Mit dem Neuaufbau ganzer Dörfer an anderer Stelle hat Nordrhein-Westfalen lange Erfahrung: Wurden doch für den Braunkohletagebau ganze Dörfer umgesiedelt. Dass darum jetzt auch Ortschaften schon fast leer stehen, die der Bagger noch nicht erreicht hat, ermöglicht eine ungewöhnliche Hilfszusage: Flutopfer erhielten vom Energiekonzern RWE das Angebot, in den fast verlassenen Dörfern des Braunkohlereviers für ein, zwei Jahre Unterkunft zu bekommen, die in den nächsten Jahren vermutlich dem Tagebau weichen müssen. Mehrere Familien haben ein vorläufiges Zuhause in Kuckum und Keyenberg westlich der Grube Garzweiler und Morschenich südlich vom Tagebau Hambach gefunden – mindestens 40 Kilometer zum Beispiel von Euskirchen entfernt.
Nicht alle Häuser werden sich einfach woanders neu errichten lassen. Für Ersatzneubauten der öffentlichen Hand ist das relativ unproblematisch, da hier schnell entschieden werden kann. So verspricht Scharrenbach, dass der Wiederaufbau zum Beispiel eines zerstörten Feuerwehrgerätehauses schnell gehen solle, denn „wenn das Planungsrecht so bleibt wie es jetzt ist, wird das viel zu lange dauern“. Auf privaten Grundstücken, betont die Ministerin hingegen, ist die Entscheidung für einen Ersatzneubau freiwillig. Es brauche „den Mut zum Experimentieren, den Mut bestehenden Freiraum auch umzusetzen“ – wozu auch der Tausch von Grundstücksflächen gehört.
Die alten Grundstücke könnten die Betroffenen dann der Gemeinde etwa für Renaturierungsprojekte überlassen, und die Gemeinde würde den Betroffenen Ersatzgrundstücke woanders anbieten. All das muss jedoch in jedem Fall individuell ausgehandelt und entschieden werden, ist zu hören. Attraktiv könnte der Tausch für die besonders stark Betroffenen sein, deren Häuser samt Uferbefestigung weggeschwemmt wurden oder in eine Kiesgrube abgesackt sind. Für Kommunen, Kreise und Land wiederum wäre der Tausch interessant, wenn etwa im Zuge eines vorausschauenden Hochwasserschutzes das enorm erweiterte Flussbett nicht wieder eingeengt würde.
NRW-Wiederaufbau-Beauftragter: Ortschaften dürfen nicht zu „Geisterstädten“ werden
Rückenwind erhält Scharrenbach von Fritz Jäckel, dem frisch bestellten NRW-Landesbeauftragen für den Wiederaufbau. Er war in der sächsischen Staatskanzlei verantwortlich für die Bewältigung der Hochwasserkatastrophen 2002 und 2013. Da ein Wiederaufbau an neuer Stelle mit höheren Kosten verbunden sein kann, hatte die Sächsische Staatsregierung dafür 2013 ein eigenes Programm für zinslose Darlehen aufgelegt. Möglicherweise mussten die neuen Grundstücke von den Kommunen erst neu erschlossen werden, auch die Bedingungen für den Bau konnten ganz anders sein. Dennoch wurden Ersatzgrundstücke in Sachsen nur vereinzelt nachgefragt und umgesetzt. Das soll im Westen jetzt anders laufen.
Der Wirtschaftswoche sagte Fritz Jäckel in einem Interview, dass Ersatzgrundstücke, die die Kommunen den Flutopfern verbilligt zur Verfügung stellen könnten, eine „gute Lösung“ wären. Denn sonst bestehe die Gefahr, „dass Ortschaften in Hochwassergebieten zu Geisterstädten werden“. Besonders für Mieter dürfte der Wegzug näher liegen als die Suche nach einer neuen Wohnung oder einem neuen Haus an gleichem Ort. Jäckel: „Ich werde jedenfalls sehr für solche Ausweichgrundstücke werben.“ Weil die Kommunen für die örtliche Bauplanung verantwortlich sind, liegt es aber an ihnen, den Betroffenen Ersatzgrundstücke im Tausch oder Erbbaurecht anzubieten.
„Wenn ich mir aber Neuenahr so anschaue, schleicht sich trotz aller Aktivitäten das Gefühl von Hilflosigkeit ein, die sich da zeigt. Ich gehe davon aus, dass bei allem guten Willen und Engagement die Stadt trotzdem noch lange eine etwas muffige Geisterstadt mit Hilfs-Infrastruktur sein wird, und das Tal dahinter – das ist für lange Zeit nicht mehr existent, zumindest nicht so, wie man es kannte, da die Dörfer wie Altenahr, Dernau oder Mayschoß samt den Zugangsstraßen zerstört sind.“ Bernhard Jans über das Ahrtal in seinem Blog Traumreisezeit
Lücken im Wasserhaushaltsgesetz des Bundes schließen
Johannes Remmel, Sprecher der grünen NRW-Landtagsfraktion für Stadtentwicklung, sagt: „Ersatzgrundstücke sind vor allem wichtig, wenn es um Gewerbeimmobilien geht, in denen möglicherweise mit wassergefährdenden Stoffen gearbeitet wird.“ Wichtig sei es, hier nicht wie Bauministerin Scharrenbach zwischen Flut und Hochwasser einerseits sowie Starkregen andererseits zu unterscheiden, sondern die insgesamt zunehmende Gefährdungslage von Hochwassern und Starkregen zu berücksichtigen.
Das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes sehe eigentlich ein generelles Bauverbot in Überschwemmungsbereichen mit 100-jährlichem Hochwasser vor, so Remmel, doch einige Bundesländer, insbesondere Rheinland-Pfalz haben sich 2002/2003 im Bundesrat für zahlreiche Ausnahmeregelungen im Bundesgesetz eingesetzt, weshalb bis zur Flut in Überschwemmungsgebieten ohne große Schwierigkeiten weiter gebaut werden konnte.
Remmel: „Diese Ausnahmen müssen raus. Man kann zwar auf Stelzen halbwegs hochwassersicher bauen, aber trotzdem nimmt man dem Fluss den Raum weg, den man an anderer Stelle ausgleichen müsste. Das funktioniert einfach nicht.“ Eine gesetzliche Änderung hätte Signalwirkung für den Wiederaufbau von vollständig zerstörten Immobilien. Das müsste allerdings zügig passieren, da die Bauentscheidungen in den nächsten Wochen und Monaten getroffen werden. Anläufe dazu sind im Moment nicht zu sehen, und daran war nicht nur der Wahlkampf schuld.
Aber auch in Nordrhein-Westfalen wurden in jüngster Zeit nicht unbedingt vorausschauende Entscheidungen getroffen. Mit dem sogenannten „Entfesselungsgesetz” wurde „die Erteilung von Baugenehmigungen ‚beschleunigt‘, wodurch in vielen Fällen für Kommunen die Verpflichtungen entfielen oder verschoben wurden, die bestimmte Umweltauflagen oder Risikoparameter enthalten“, schreibt der grüne Politiker und Unternehmensberater Roland Appel im Bonner Blog Beueler-Extradienst. Damit sei das Bauen in potenziellen Hochwassergebieten erleichtert oder gar erst ermöglicht worden.
Versichert gegen Extremereignisse
Bezahlen am Ende denn nicht auch die Versicherungen das Bauen in Risikogebieten? Der NRW-Landesbeauftragte Fritz Jäckel weist darauf hin, dass mehr Bürger ihre Häuser gegen Elementarschäden versichern sollten. Verfügen die Versicherten über eine Elementarschadenversicherung, könnten sie ihr neues Haus nur nach behördlichen Wiederaufbaubeschränkungen auch auf einem anderen Grundstück auf Kosten der Versicherung neu errichten.
Um die Überschwemmungen von Flüssen und Gewässern risikogerecht kalkulieren zu können, haben die deutschen Versicherer das Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen (ZÜRS) entwickelt, das inzwischen über 22 Millionen Adresskoordinaten enthält. Jeder kann die Adresse im Internet abfragen, um zu erfahren, in welcher Risikozone das Haus liegt. In Deutschland ist in der höchsten Risikozone nur jedes vierte Haus gegen Hochwasser versichert.
Eine Sprecherin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) betont, dass Versicherungen nach den Elbehochwassern 2002 und 2013 nicht gekündigt wurden. Die Versicherer hätten die Strategie verfolgt, mehr Haushalte von einer Elementarabsicherung zu überzeugen. Tatsächlich haben immer noch zu wenige Versicherungsnehmer eine Elementarschadenversicherung gegen Hochwasser abgeschlossen. Grundsätzlich können derzeit alle Eigentümer für Hochwasser eine Versicherung erhalten, denn die Münchner Rück etwa versichert die Versicherungen ausdrücklich gegen Hochwasser. Insbesondere große Versicherungen bieten Elementarschadenversicherungen auch in Hochrisikogebieten an – mit Eigenbeteiligung können die Prämien abgesenkt werden.
ZÜRS basiert auf den offiziellen Hochwasserrisikokarten, die jetzt aktualisiert werden – das wird aber Monate dauern. Die Hochwasserrisiko-Bewertung ist Aufgabe der Bundesländer in Abstimmung mit den Kommunen und Kreisen. Die Raumordnung gehört zu ihren Werkzeugen der Hochwassergefahren-Vorsorge, die auch Maßnahmen wie Rückhaltebecken einschließt. Mit dem Klimawandel werden die Starkregenereignisse zunehmen und müssten entsprechend in den Planungen berücksichtigt werden.
Teurer Hochwasserschutz
Auch der Grünen-Politiker Johannes Remmel fordert eine verpflichtende Elementarschadenversicherung. Die öffentliche Hand, die bisher Schäden einfach aus dem Haushalt bezahlt, müsse für ihre eigenen Gebäude ebenfalls an einer solidarischen Versicherung beteiligt sein. Gleichzeitig könne der Staat künftig nicht endlos einspringen, wenn Gebäude immer wieder in Gebieten errichtet werden, für die keine Elementarschadensversicherung mehr angeboten wird.
Ein Beispiel dafür gab es im Süden. 2017 beschloss die bayerische Staatsregierung nach einer Flut im Landkreis Rottal-Inn vom Sommer 2016, künftig Hochwasseropfern keine finanzielle Soforthilfen zu gewähren, wenn die Schäden versicherbar gewesen wären. Seit Juli 2019 springt der Freistaat daher nur noch in den Fällen ein, in denen kein Versicherungsabschluss möglich ist.
Der damalige Finanzminister Markus Söder sagte, dass damit verhindert werden solle, dass Bürger auf den Abschluss einer Elementarschadensversicherung verzichten und nur auf die Hilfe des Staats vertrauen. Nach der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021, die mitten im Wahlkampf auch Franken und das Berchtesgadener Land betraf, ruderte Söder zurück und versprach mit Blick auf Bundeshilfen Soforthilfen ohne Bedingungen. NRW-Politiker Remmel sagt: „Letztlich kann ein Bundesland allein die Systematik der Soforthilfen nicht grundlegend verändern, das muss mit dem Bund geklärt werden.“
Bürger können aber auch nicht darauf setzen, dass der Staat auch angemessene Schutzmaßnahmen vorsieht. 2013 hatte Bayern beschlossen, die eine Handvoll Häuser umfassende Siedlung Isarmünd im Landkreis Deggendorf abzusiedeln. Das bedeutet: Die bestehende Siedlung aufzugeben und für die Betroffenen neue Häuser an anderer Stelle zu errichten. Da der Prozess nicht per Räumungsbeschluss, sondern mehr oder weniger auf freiwilliger Basis erfolgte, zogen erst vor kurzem die letzten Bewohner in Ersatzbauten in einem Nachbarort.
Isarmünd, seit Jahrhunderten an der Mündung der Isar in die Donau gelegen, wurde in den vergangenen Jahren trotz eines Deichs mehrmals von Hochwassern überschwemmt. Der Deich schützt vor einem 30-Jahres-Hochwasser. Der Ausbau auf ein 100-Jahres-Hochwasser wäre dem Freistaat aber teurer gekommen als der Kauf und Abriss der Gebäude. An der Stelle wird nun ein zehn Millionen Kubikmeter großer Polder für den Hochwasserschutz geschaffen.
Beschließt die Verwaltung die Absiedelung oder verweigert die Erlaubnis für die Wiedererrichtung von Gebäuden auf alten Grundstücken, muss sie Ersatzgrundstücke in örtlicher Nähe anbieten können. Für die aktuelle Lage solle die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen schnell einen Überbrückungsmechanismus für die üblicherweise langwierigen Planungsprozesse finden, fordert der grüne NRW-Landtagsabgeordnete Remmel. In der Regel hätten neue Bebauungspläne außerhalb bisheriger Siedlungsgebiete einen Vorlauf von zehn bis 15 Jahren, da die Landesplanung, die darauf basierende Regionalplanung und nachfolgende Flächennutzungsplanung der Kommunen vorgeschaltet sind.
Hinter den Kulissen: Harter Widerstand von Scharrenbach gegen Hochwasser-Vorsorge
Wie ernst es der Landesregierung mit dem Thema Grundstücktausch ist, ist offen. Zwar gebe es zum Grundstückstausch zahlreiche positive öffentliche Äußerungen von Scharrenbach, räumt Johannes Remmel ein, doch im Landtagsausschuss habe die Bauministerin den Eindruck hinterlassen, dass möglichst alles wieder an Ort und Stelle aufgebaut werden soll. Scharrenbach argumentiere damit, die aktuelle Katastrophe fast ausschließlich als vom Starkregen betroffen zu charakterisieren: Starkregen-Ereignisse seien punktuell und ließen sich nicht vorplanen, weshalb man auch die Aktualisierung der Hochwasserkarten nicht abwarten müsse, um zu handeln.
Zudem sei dieses extreme Hochwasser an Urft und Erft im Juli ein HQ10.000-Ereignis gewesen, so erklärte die Landesregierung in einem Bericht des Umweltministeriums zur Hochwasserkatastrophe, weshalb nicht davor gewarnt werden konnte. HQ10.000 heißt, dass in diesem Gebiet statistisch einmal in 10.000 Jahren eine Überschwemmung dieser Größenordnung zu erwarten ist. Das Argument impliziert auch, dass man auch beim Wiederaufbau im Grunde auf Hochwasserrisiken keine Rücksicht nehmen muss.
Die Attributionsstudie des Deutschen Wetterdienstes widerlegt Scharrenbachs Argumente allerdings zweifach: Zum einen sind im Juli-Ereignis Hochwasser und Starkregen zusammengekommen, zum anderen hat sich mit der Klimakrise die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis um einen Faktor von 1,2 bis 9 erhöht. Bei einem Faktor von 5 würde das bedeuteten, dass sich bei gleichbleibendem Klima ein solches Ereignis am selben Ort alle 400 Jahre wiederholt – ohne den Klimawandel würde es nur alle 2000 Jahre vorkommen. Der Klimawandel schreitet jedoch im Moment nahezu ungebremst voran.
Rheinland-Pfalz: „Die Zerstörung positiv nutzen“
Auch in Rheinland-Pfalz ist das Thema Grundstückstausch ein heißes Eisen, das man öffentlich lieber gar nicht debattieren möchte. Die Topografie der betroffenen Ortschaften ist anders als in Nordrhein-Westfalen, da sie alle im Mittelgebirge der Eifel liegen: Die Täler sind schmal, die Hänge mitunter sehr steil. Ein Grundstückstausch innerhalb des Ortes ist schwierig bis unmöglich, möchte man nicht direkt am Hang oder auf dem Berg bauen. Etliche der betroffenen Ortschaften in NRW hingegen liegen auf flachem bis hügeligem Gelände.
Der unmittelbar nach der Hochwasserkatastrophe eingerichtete Instagram-Account fnordzwodrei dokumentiert Veränderungen in Ahrweiler.
Nachdem Grünen-Chef Robert Habeck nach einem Besuch im Ahrtal einen vorausschauenden Wiederaufbau gefordert hatte, wetterte die CDU-Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil aus dem Bundestagswahlkreis Ahrweiler im Bundestag: „Vor Ort wissen wir sehr gut, warum wir genau da wohnen und warum wir auch da leben wollen.“ Heil wurde zwar wieder direkt in den Bundestag gewählt, aber sehr knapp: Die meisten Zweitstimmen im Wahlkreis gingen an die SPD. Ob Heil wirklich im Sinne ihrer Wähler gesprochen hat, bleibt unklar. Die Gefühle sind, so zeigen persönliche Berichte, gemischt:
Noch wird gerne verdrängt, dass das Tal lange in weiten Teilen unbewohnbar bleiben wird. Vieles kann repariert und wieder aufgebaut werden. Aber das Leben mit der Vergangenheit, nämlich der Flutkatastrophe mit all dem, was sie an Schrecken gebracht hat, wird bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie hier das Alltagsleben in ein paar Jahren wieder aussehen kann. Bernhard Jans über das Ahrtal in seinem Blog Traumreisezeit
Die Landesministerien in Mainz äußerten sich bisher nicht. Das Umweltministerium (Grüne) verweist auf das federführende Innenministerium (SDP), das Innenministerium zurück auf das Umweltministerium. Ein Sprecher des Innenministeriums versichert: „Alle Optionen zum Thema werden in enger Abstimmung mit den Kommunen erörtert und geprüft. Sie haben das Baurecht und können gegebenenfalls auch neue Baugebiete ausweisen.“
Das Land hat mit der Zukunftskonferenz für den Kreis Ahrweiler eine institutionelle Beteiligungsplattform geschaffen. Über ein Webportal können sich Bürger und Bürgerinnen weiterhin mit eigenen Vorschlägen einbringen. Zu den ersten Ergebnissen der Auftaktveranstaltung in Mainz am 7. September gehört die Forderung: „Bachläufe frei halten, Überschwemmungsgebiete vorhalten“. Und sogar davon ist die Rede: Die tatsächlich in Anführungszeichen gesetzte „Zerstörung“ sei positiv zu nutzen. Die Wasser-, Strom und Gasversorgung solle „alternativ“ und „autark“ erfolgen – das kommt den Forderungen des Runden Tischs Erneuerbare Energien zum Wiederaufbau nach einem dezentralen Ausbau von erneuerbaren Energien nahe.
Von Grundstückstausch ist noch keine Rede – doch mit dem Einrichten von Überschwemmungsgebieten ist er letztlich unvermeidlich. In vielen weiteren Anschlussveranstaltungen sollen die entstandenen Ideen ausgearbeitet werden. Jedenfalls scheint für die Kommunen in Rheinland–Pfalz ohne einen starken Rückhalt in der Bevölkerung ein großflächiger Grundstückstauch nicht möglich sein, denn er wäre wohl auch mit Eingriffen in landwirtschaftlich genutzte Flächen verbunden. Angesichts des politischen Zögerns fangen einige Betroffene schon jetzt an Ort und Stelle mit dem Wiederaufbau an – damit schwinden die Chancen auf eine größere räumliche Neuordnung. Ab Oktober, so verspricht jedenfalls Innenminister Roger Lewentz (SPD), können die Anträge auf Hilfen aus dem Flutfonds gestellt werden.
Zum Thema ist Mitte September von der Autorin ein kurzer Beitrag in den VDI-Nachrichten erschienen. Dieser Text wurde aktualisiert und erheblich erweitert.