Wie geht es mit dem Klimaaktivismus nach der Bundestagswahl weiter?
Ein Gespräch mit Fridays for Future-Sprecherin Pauline Brünger über wachsenden Frust in Teilen der Klimabewegung und ihre Strategie in Zeiten von Rot-Grün-Gelb
Während in Berlin Olaf Scholz zum neuen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland vereidigt wird, steht Pauline Brünger mit einer Gruppe Demonstrant:innen vor der Kölner SPD-Zentrale. Auf Twitter postet sie ein Bild, das die 20-Jährige Sprecherin der Klimabewegung Fridays for Future mit einem Schild zeigt: „Gesucht, Klimakanzler, Zuletzt gesehen: Auf Wahlplakaten“.
Auf der Jahrhundertwahl im Oktober 2021 lagen sehr viele Hoffnung, dass die nächste Bundesregierung das Klimaproblem beherzt angeht. Sie kritisieren, dass der Koalitionsvertrag nicht 1,5 Grad kompatibel ist. Experten geben ihnen Recht. Nun steht auch noch im Raum, dass die EU-Kommission Erdgas und Atomkraft als nachhaltiges Investment labelt. Wie geht es Ihnen damit?
Pauline Brünger: Ich habe versucht mich emotional und auch inhaltlich darauf vorzubereiten, dass diese Ampel keine 1,5-Grad-Grad konforme Politik umsetzen würde. Das war ja abzusehen, bei drei Parteien, die zwar den Anspruch erhoben haben, aber die bereits in ihren einzelnen Wahlprogrammen schon nicht 1,5-Grad-konform waren. Trotzdem ist es natürlich total krass, dass sowohl inhaltlich mit dem Pariser Klimaabkommen, als auch mit eigenen Wahlversprechen gebrochen wird.
Was bedeutet das für die Zukunft von Fridays for Future?
Das bedeutet in allererster Konsequenz natürlich, dass wir auch auf diese neue Regierung weiter Druck aufbauen müssen. Und gleichzeitig stellen sich für mich persönlich, aber auch für Fridays for Future und die gesamte Klimabewegung große Fragen, wie wir mit dieser neuen Situation umgehen. In den letzten drei Jahren haben wir den Klimadiskurs um 180 Grad gedreht und damit ein großes Ziel der Klimabewegung erreicht. Wir haben drei Jahre lang daran gearbeitet, dass der Klimadiskurs da angekommen ist, wo wir ihn haben wollten. Klimaschutz spielte im Wahlkampf eine Rolle, und prominentes Thema im Koalitionsvertrag. Dennoch langte all unser Protest nicht, dass die Politik nun ausreichend Klimaschutz umsetzen will.
Welche Hoffnung haben Sie denn, dass die Opposition eine schnelle und effektive Klimapolitik einfordert und vorantreibt?
Ich glaube, dass viele Menschen innerhalb der Klimabewegung mehr Hoffnungen auf die Linke gesetzt hatten. Nicht zuletzt die Positionen zu Nordstream 2 und die Entscheidung für Klaus Ernst als Vorsitzender beim Klimaausschuss waren jedoch eine harte Ansage gegen echte Bemühungen im Klimaschutz. Auf die Union können wir uns Stand jetzt noch weniger verlassen. Das ist eine unglückliche Ausgangssituation.
Fridays for Future als außerparlamentarische Opposition?
Das heißt, auf die Klimabewegung kommt eine Rolle als außerparlamentarische Opposition zu?
Wenn innerhalb des Parlamentes nicht authentisch für 1,5 Grad konforme Politik gestritten wird, wird die außerparlamentarische Arbeit natürlich umso wichtiger. Für uns ist es fundamental, eine Klimapolitik, die nicht 1,5-Grad konform ist, niemals durchgehen zu lassen.
Was heißt das konkret?
Vielen Fragen in der Bewegung sind nicht final geklärt. Ich kann hier also nur für mich sprechen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sowohl der Verkehrssektor als auch Gas große neue Themen werden. Hier könnte nicht nur die Regierung, sondern könnten auch Konzerne stärker in die Ansprache genommen werden. Das wurde ja einmal im großen Stil von Fridays for Future gemacht, als Siemens darauf bestand, sich an dem Kohleförderprojekt des Adani-Konzerns in Australien zu beteiligen.
Innerhalb Fridays for Future wird also besprochen, welches die beste Strategie ist?
Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, das ist eine andauernde Debatte, sich immer zu fragen, was ist denn jetzt wirklich der beste Weg, um dahin zu kommen, wo wir hinwollen. Denn wir spüren natürlich auch intern einen wahnsinnig großen Zeitdruck.
Zusammenfassend heißt das, der Regierung auf die Finger schauen. Und das zweite sind neue Aktionsformen weg von der freitäglichen Demo?
Uns ist allen klar, dass es auch weiterhin große Massenprotest brauchen wird. Fridays for Future wird weiter Klimastreiks organisieren. Gleichzeitig ist den meisten Menschen klar geworden ist, dass es halt nicht alleine reicht, mit möglichst vielen Leuten vor dem Bundeskanzleramt zu stehen und „bitte bitte“ zu sagen. Wir haben damit diskursiv viel geschafft – die deutschen Klimaziele werden jedoch weiterhin verfehlt. Man muss auf jeden Fall auch neue strategische Ansätze verfolgen. Diese Debatte läuft.
Die Entscheidung ob das Dorf Lützerath für den Tagebau Garzweiler abgebaggert werden darf, hat die Ampel-Koalition den Gerichten überlassen. Auf der Kampagnenseite „Lützerath lebt“ heißt es nun, man habe „Zone á defendre, also eine Zone, die verteidigt werden muss, ausgerufen. In dieser „widerständigen Zone“ wolle man „gegen ein zerstörerisches System“ kämpfen. Haben Sie den Eindruck, dass durch Frust möglicherweise Formen von Aktivismus gewalttätig werden könnten?
Das finde ich eine berechtigte Frage. In Lützerath geht es aber explizit darum das Dorf vor zu beschützen. Die Zerstörung erfolgt durch RWE. Auch mit der neuen Regierung merken wir, dass es kein ernsthaftes staatliches Interesse gibt, sich dem entgegenzustellen. Das heißt ja: Es kümmert sich niemand, wenn wir es nicht tun. Deswegen ruft Fridays for Future auch dazu auf, sich dem Widerstand in Lützerath anzuschließen. Das machen wir schon sehr explizit.
Ist es ein Problem, dass der Frust wächst?
Ich will nicht für mich in Anspruch nehmen, die Gedanken der ganzen Bewegung durchdrungen zu haben Aber ich glaube, dass viele Aktivist:innen desillusioniert sind und sich fragen: Was muss denn noch passieren? Es geht ja auch nicht nur um persönliche Frustration, sondern auch um einen realen Zeitdruck der Klimakrise. Wer sich Sorgen über den wachsenden Frust der Klimabewegung macht, kann zum Glück noch viel dagegen tun: Gute Klimapolitik umsetzen, eigene Wahlkampfversprechen einhalten, dem Pariser Klimaschutzabkommen gerecht werden.
Wie weit darf Widerstand gehen?
Die Frage „Wie weit darf Widerstand gehen“ kocht in Deutschland wieder hoch, seit Ende-Gelände-Mitgründer Tadzio Müller in einem Spiegel-Interview eine „grüne RAF“ prognostizierte. Mit Fortschreiten der Klimakrise und mangelnder politischer Reaktion sei zu erwarten, dass ein kleiner Teil der enttäuschten Klimaaktivistinnen in den Untergrund gehe. Zuvor werde sich die Klimabewegung aber auch breit radikalisieren, nicht nur demonstrieren und blockieren, sondern auch zerstören. Was halten Sie davon?
Ich gehe mit dem, was er sagt, nicht mit. Ich glaube nicht, dass sich das so zwingend entwickeln wird. Innerhalb von Fridays for Future wird diese Debatte so zum Beispiel nicht geführt.
Es ist aber wichtig, im Hinterkopf zu haben, dass wir natürlich uns mit der Klimakrise gerade auf eine Situation zu bewegen, die enormes gesellschaftliches Risikopotenzial birgt. Wir sollten uns bewusst machen, was da alles auf uns zukommen kann. Was da für mich mitschwingt ist, dass wir in eine Lage bewegen, in der Menschen sehr verzweifelt sein werden. Wir in Deutschland sind vermutlich privilegiert genug, dass wir wahrscheinlich nicht direkt um unser Leben fürchten müssen
… wobei genau das ja bereits in diesem Jahr im Ahrtal schon passiert ist …
Stimmt, und in anderen Teilen der Welt ist das noch bedrohlicher. Und ich weiß nicht, was aus Verzweiflung entsteht, wenn die Klimakrise immer weiter eskaliert und wir Dürren und Hungersnöte und Ressourcenknappheit haben, wie wir das noch nie erlebt haben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass daran Gesellschaften und Demokratien zerbrechen, neue Kriege entstehen. Es ist wichtig, sich diese Szenarien bewusst zu machen. Deswegen ist auch nicht falsch, über sowas zu sprechen – und über den individuellen und kollektiven Umgang damit.
Klimaaktivismus, was nun?
Wie geht es nun nach der Bundestagswahl weiter? Das wollen wir auch von Ihnen wissen! Bitte nehmen Sie sich kurz Zeit, um unsere Umfrage „Klimaaktivismus, was nun?“ auszufüllen.