Mit Holzbau aus der Klimakrise?
Ob in Berlin, Stockholm oder Zürich – Holzbau gilt vielen als Hoffnungsträger. Immer mehr Städte, Architekturbüros und Start-ups setzen auf den nachwachsenden Baustoff. Doch wie nachhaltig ist das Bauen mit Holz wirklich – und wo liegen die Grenzen?

Schon beim Betreten des kleinen Hauses strömt einem der Duft von Holz entgegen. In nur zwei Wochen wurde der Pavillon auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Flughafens Tegel errichtet – komplett ohne Zement, Beton oder Stahl. Dafür mit Holzbausteinen aus Schwachholz, Schadholz und Altholz, die wie Legosteine aufeinander gesteckt wurden. Die Idee stammt vom Stuttgarter Start-up TRIQBRIQ. Ihre Holzbausteine, genannt BRIQS, sollen es ermöglichen, stabile Außenwände schnell, flexibel und günstig zu bauen, erklärt Lewin Fricke von TRIQBRIQ, während er den Holz-Pavillon von innen zeigt. Nach dem Gebrauch lassen sich die Bausteine einfach auseinanderbauen und wiederverwenden.
Der Holz-Pavillon ist der erste Bau aus Holz auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel. In den kommenden Jahren wächst auf dem Gelände neben einem Forschungs- und Industriepark auch eines der größten Holzviertel der Welt. Geplant sind über 5.000 Wohnungen für mehr als 10.000 Menschen, dazu Kitas, Schulen, Cafés, Sportanlagen und vieles mehr.
„Die Renaissance des Holzbaus“
Der Holzbau-Trend erobert nicht nur Berlin, sondern ganz Europa: In Schweden entsteht mit der Stockholm Wood City ein riesiges Viertel aus Holz. In Norwegen ragt seit 2019 das bisher höchste Holzhochhaus der Welt in den Himmel, und im Rotterdamer Lloyd-Quartier wächst das 50 Meter hohe Holzwohngebäude Sawa.
„Wir erleben eine wahre Renaissance des Holzbaus“, sagt Andrea Frangi, Bauingenieur und Professor für Holzbau an der ETH Zürich. In der Schweiz werden bereits rund 20 Prozent der Neubauten aus Holz errichtet, in Deutschland sind es etwa 12 Prozent.
Holz als Baustoff wird immer bedeutender, weil es nachwächst, regional verfügbar ist, der Luft CO₂ entzieht und dieses langfristig speichert. „Ein Kubikmeter Holz speichert etwa 0,7 bis 0,9 Tonnen CO₂“, erklärt Frangi. Wird Holz als Baustoff eingesetzt, wird der Kohlenstoff über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte im Gebäude eingelagert. Erst wenn das Holz verrottet oder verbrannt wird, gelangt das CO₂ wieder in die Atmosphäre.
Holz sei außerdem viel leichter als Beton oder Stahl, was Transportkosten senke und das Eigengewicht der Bauwerke reduziere, erklärt Frangi. Holzbauteile können in Werkstätten präzise vorgefertigt werden, was die Bauzeit erheblich verkürze und gleichzeitig die Qualität erhöhe. Das führe auch zu weniger Lärm, Schmutz und Verkehrsbelastung auf der Baustelle, so Frangi.
Trotz all dieser Vorteile bleibt Beton weltweit das meistgenutzte Baumaterial – vor allem wegen der niedrigen Kosten. „Beton ist günstiger als Mineralwasser“, bemerkt Frangi. Das Problem: Zement, die Hauptzutat von Beton, verursacht rund 8 Prozent der globalen CO₂-Emissionen – mehr als doppelt so viel wie der internationale Flugverkehr. Der Bausektor ist insgesamt für fast 40 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Viele Baumaterialien landen am Ende auf dem Müll – Recycling findet selten statt. Eine Bauwende ist daher dringend notwendig.
Gibt es genug Holz in den Wäldern?
Allein in Deutschland sollen jährlich 400.000 neue Wohnungen entstehen. Gleichzeitig leiden die Wälder aufgrund des Klimawandels immer stärker unter Bränden, Dürren, Stürmen und Käferplagen. Wie passt das mit der steigenden Nachfrage nach Holz zusammen?
Eine WWF-Studie zeigt, dass der weltweite Verbrauch von Holz mit 4,3 bis fünf Milliarden Kubikmeter pro Jahr bereits höher ist als das, was den Wäldern wirklich nachhaltig entnommen werden kann – nämlich drei Milliarden Kubikmeter pro Jahr. In Deutschland ist der Holzverbrauch laut WWF mit 1,2 Kubikmeter pro Kopf und Jahr doppelt so hoch wie der globale Durchschnitt mit 0,5 Kubikmeter pro Kopf und Jahr. „Obwohl wir über große Waldressourcen im eigenen Land verfügen, importiert Deutschland Holz, um seine Nachfrage zu decken“, heißt es von Seiten des WWF.
Auch Sebastian Rüter vom Institut für Holzforschung am Thünen-Institut in Hamburg sagt, dass Deutschland immer noch einige der größten Holzvorräte in Europa hat. „Also ja: Es gibt genug Holz in unseren Wäldern, um den Holzbau weiter voranzutreiben oder sogar auszubauen“, meint Rüter. Durch die Dürre- und Schädlingsschäden der letzten Jahre mussten große Mengen befallener oder abgestorbener Bäume gefällt werden. Dieses sogenannte Kalamitätsholz fiel laut Rüter in so großen Mengen an, dass die heimische Holzverarbeitungsindustrie nicht genug Kapazitäten hatte, um es vollständig zu verarbeiten. Die Folge: Große Teile des Holzes wurden exportiert, statt es im Inland zu nutzen.
Holz allein wird die Welt nicht retten. Es ist entscheidend, Gebäude so zu planen, dass Bauteile wiederverwendet und nicht einfach entsorgt werden.
Andrea Frangi, Professor für Holzbau an der ETH Zürich
Hinzu kommt, dass die Wälder klimaresilienter werden müssen. Viele bestehen aus Monokulturen, vor allem Fichtenplantagen, die durch Dürre, Hitze und Schädlingsbefall stark geschwächt sind. Diese Bäume müssen entfernt werden, um Platz für widerstandsfähigere Baumarten zu schaffen. Anstatt das Holz ungenutzt verrotten zu lassen oder nur zur Energiegewinnung zu nutzen, wäre es sinnvoller, es beispielsweise direkt im Bauwesen einzusetzen, betont Rüter.
Zirkuläres und ressourcenschonendes Bauen
Um nachhaltig zu bauen, ist es laut Andrea Frangi vor allem wichtig, auf Holz aus nachhaltig bewirtschafteten heimischen Wäldern zu setzen und nicht auf Importe aus dem Ausland. Dennoch meint der Bauingenieur: „Holz allein wird die Welt nicht retten.“ Auch Beton, Stahl und andere Materialien sind je nach Bauanforderung notwendig und sollten nicht verteufelt werden. Die größte Herausforderung bestehe in Zukunft darin, insgesamt mit weniger Material zu bauen und Ressourcen zu sparen. „Es ist entscheidend, Gebäude so zu planen, dass Bauteile wiederverwendet und nicht einfach entsorgt werden“, sagt Frangi – Stichwort: zirkuläres Bauen.
Der Holz-Pavillon in Berlin zeigt, wie das aussehen kann. Die Boden- und Dachelemente bestehen aus recyceltem Glas und mineralisierten Holzspänen. Fenster und Türen wurden aus Rückbauprojekten gewonnen. Auch die Dämmung ist nachhaltig – aus Holzfaserdämmplatten. Außerdem wurden wiederverwertbare Teppichfliesen und eine Echtholzfassade, die nach Sauna duftet, eingebaut. Über 90 Prozent der verwendeten Materialien sollen am Ende rückgebaut und in neuen Projekten wiederverwendet werden, so Lewin Fricke von TRIQBRIQ.
„Die Idee ist sinnvoll, da TRIQBRIQ recyceltes Holz und Altholz wiederverwenden und somit das Material im Kreislauf halten. Das Holz kann zurückgebaut und erneut genutzt werden“, sagt Sebastian Rüter vom Thünen-Institut. „Je weniger Aufwand nötig ist, um einen Baustein oder ein Produktsystem im Kreislauf zu halten, desto besser.“
Schweiz als Vorreiterrolle im Holzbau
Andrea Frangi ist überzeugt: In den kommenden Jahren könnte gerade die Schweiz im Holzbau weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen. Das Land verfüge über erstklassige Ausbildungseinrichtungen und hochqualifizierte Fachkräfte im Holzbau. „Wir haben äußerst liberale Brandschutzvorschriften für den Holzbau – die besten weltweit. Diese erlauben es uns, problemlos mehrgeschossige Holzgebäude zu realisieren“, erklärt Frangi.
Derzeit seien viele innovative Holzbauprojekte in der Schweiz in Planung, die auch international Aufmerksamkeit erregen würden, wie das Hortus-Gebäude in Basel – ein Bürogebäude aus Holz und Lehm – oder das geplante 100 Meter hohe Holzhochhaus Rocket in Winterthur, das das weltweit höchste seiner Art werden soll. Und am Flughafen Zürich soll ein Dock aus Holz entstehen. Frangi begleitet selbst den Bau des Pi in der kleinen Stadt Zug, zwischen Luzern und Zürich. Das reine Holzhochhaus soll in zwei bis drei Jahren 80 Meter in die Höhe ragen. „Wir forschen viel in diesem Bereich und könnten bis zu 150 Meter hohe reine Holzhochhäuser in Zukunft bauen. Das ist technisch möglich“, sagt Frangi.
Die Bauwende bedeutet nicht, komplett auf Holz zu setzen, sondern insgesamt klüger und ressourcenschonender zu planen. Das Nachhaltigste wäre natürlich, gar nicht mehr zu bauen, betonen sowohl Rüter als auch Frangi. Doch das sei nicht realistisch. Rüter sagt: „Wir können nicht ignorieren, dass Menschen Wohnraum brauchen.“