Kritik an Umweltpolitik: Indigene fordern Mitsprache und warnen davor, sie beim Naturschutz zu übergehen.
Repräsentanten von 400 Millionen indigenen Menschen wollen bei den Vereinten Nationen „mit am Verhandlungstisch sitzen“.
In der internationalen Umweltpolitik haben sich Vertreterïnnen indigener Völker mit der Forderung nach Mitbestimmung und Achtung ihrer Interessen zu Wort gemeldet. „Oft werden die Entscheidungen über unsere Heimat, unsere Wälder und unsere Gewässer, die wir geschützt und erhalten haben, über unsere Köpfe hinweg getroffen“, kritisierte Donald Rojas aus Costa Rica, Präsident des Sozialforums für Umwelt und Entwicklung Zentralamerikas, bei einer digitalen Pressekonferenz indigener Interessenvertreter.
Zusammen mit weiteren Vertreterïnnen indigener Völker forderte Rojas mit Blick auf laufende internationale Verhandlungen die Anerkennung ihrer Rechte und eine volle und effektive Mitsprache bei den Entscheidungsprozessen über die Biodiversität. Basis der Umweltpolitik der Vereinten Nationen müssten die Achtung der Menschenrechte der indigenen Völker sein. Bisher seien sie aber „in den meisten Ländern ausgeschlossen und werden für die Verteidigung der Menschenrechte und der Natur getötet“, kritisierte Rojas.
Allein in Brasilien wurden nach Recherchen der journalistischen Plattform Tierra de Resistentes im letzten Jahr fast tausend Menschen bedroht, angegriffen oder vertrieben, 166 von ihnen wurden ermordet.
Indigene Territorien sind Hotspots der Biodiversität
Die kritisierte geringe Mitsprache der Indigenen steht im Kontrast zu ihrer Zahl und Bedeutung: Mit 400 Millionen Angehörigen machen sie etwa fünf Prozent der Weltbevölkerung aus. Sie leben in allen Weltregionen und sprechen etwa 7.000 unterschiedliche Sprachen. Ein Viertel der globalen Landflächen wird von Indigenen verwaltet und genutzt. Diese Gebiete umfassen etwa 35 Prozent der formell geschützten Flächen und etwa noch einmal so viel aller verbleibenden Landflächen, die von Menschenhand fast unberührt sind.
Ihr Land haben Indigene seit der Kolonisierung verteidigt. Der Beitrag der indigenen Völker für den Erhalt ökologisch wertvoller Landschaften und Ökosysteme wird auch in einem Bericht der Weltbank anerkannt. Das Interesse der Industriestaaten wächst zu erfahren, wie sie es fertig brachten, über die Jahrtausende die Artenvielfalt zu mehren, während andere Zivilisationen reichhaltige Ökosysteme mit anfälligen Monokulturen ersetzt haben.
Obwohl die indigenen Gebiete ebenfalls zunehmend unter Druck stehen, nimmt die Biodiversität dort deutlich langsamer ab als in anderen Ländern. Das beweist die Auswertung von 15.000 wissenschaftlichen und staatlichen Quellen im Globalen Bericht über den Zustand der Artenvielfalt. 80 Prozent der Tier- und Pflanzenarten des Planeten befinden sich auf indigenen Territorien. Indigene Völker gehören damit zu den wichtigsten Bollwerken gegen den rasanten Artenschwund.
Kritik: Weniger Mitsprache als vor zehn Jahren
Doch auf den UN-Naturschutzgipfel in China, der parallel zur Weltklimakonferenz Ende 2021 wichtige Weichen für die internationale Umweltpolitik stellen soll, blicken indigene Vertreterïnnen mit Sorge. In der Vorlage, mit der das Sekretariat der „UN-Konvention für biologische Vielfalt“ (CBD) die Länderregierungen zu den so dringenden Transformationen in der Politik für die Jahre 2021 bis 2030 anspornen will, sehen sie die Mitsprache über die Zukunft und ihre Rechte nicht gesichert.
Indigene Interessensvertreterïnnen aus allen sechs Kontinenten haben sich deshalb bei zwei virtuellen Treffen Anfang Dezember 2020 intensiv mit der Verhandlungsvorlage auseinandergesetzt, dem sogenannten „Zero Draft". Auf der Pressekonferenz fassten sie die wichtigsten Ergebnisse ihrer Beratungen zusammen.
Als Grundproblem sehen die Indigenen, dass sie bei den Verhandlungen nur rein beratende Funktion haben – genau wie schon vor zehn Jahren, als beim UN-Naturschutzgipfel im japanischen Nagoya die für alle Vertragsstaaten gültigen sogenannten „Aichi-Ziele“ für den Zeitraum 2011 bis 2020 verabschiedet wurden.
Reine Beraterfunktion reicht nicht
Doch was die Anerkennung der indigenen Rechte betrifft, falle die aktuelle Vorlage hinter die damals beschlossenen Ziele zurück, kritisierte Viviana Figueroa, Anwältin für internationales Völkerrecht und Expertin für Rechtsfragen indigener Völker und zur biologischen Vielfalt. Und das, „obwohl sich mittlerweile die Umweltsituation verschärft hat“, betont sie.
Der zuletzt veröffentlichte Global Biodiversity Outlook bestätigt, dass die internationale Naturschutzpolitik beim Artenschutz versagt hat.
Schon seit 24 Jahren beraten Vertreterїnnen, indigene Wissenschaftlerїnnen, Aktivistїnnen, indigene Regierungen und Nichtregierungsorganisationen, wie das Internationale Indigene Forum zur biologischen Vielfalt (IIFB), die UN-Konferenzen zur Biodiversität. Bisher jedoch ohne Konsequenzen.
„Indigene werden oft als Hindernis für die Entwicklung betrachtet“, sagte Joji Cariño. Sie gehört den Ibaloi-Igorot an, einem indigenen Volk auf der philippinischen Insel Luzon. Seit 35 Jahren setzt sie sich aktiv für die Menschenrechte ein, auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene. Sie ist leitende Politikberaterin des Forest Peoples Programms und spezialisiert auf Biodiversität, indigenes Wissen und nachhaltige Entwicklung.
„Unser Wissen darf nicht ignoriert werden“
Zugleich werde das traditionelle Wissen zunehmend anerkannt, sagte Cariño. Das hohe Maß an Biodiversität auf indigenen Territorien sei ein deutlicher Beweis für den Wert dieses Wissens. Die westliche Wissenschaft werde jedoch immer noch als überlegen betrachtet. Es fehle die Anerkennung, dass indigene Kulturen „eigentlich unterstützende und ergänzende Wissenssysteme sind und unser Wissen nicht ignoriert werden darf“, sagte Cariño.
Die Aichi-Ziele würden gerade deshalb verfehlt, weil die traditionellen Kenntnisse, Gebräuche und Innovationen der Indigenen und lokalen Gemeinschaften nicht anerkannt und umgesetzt wurden, obwohl das im Ziel 18 der Vereinbarung von 2010 ausdrücklich gefordert war, sagte Joji Cariño. Werde das indigene Wissen weiter ignoriert und wenn sie bei den Planungen nicht am gleichen Tisch säßen, dann würde es auch in Zukunft business as usual geben, warnte sie.
„Costa Rica macht vor, wie Mitbestimmung geht“
Dass es auch anders gehen kann, zeigt Costa Rica, das Heimatland von Donald Rojas: Hier bezog der Staat die Indigenen umfassend in die nationalen Biodiversitätsstrategien ein. Neben den traditionellen Autoritäten und indigenen Entwicklungsverbänden nahmen Jugendliche, Erwachsene, ältere Frauen und Männer sowie Führungskräfte aus vielen Gemeinden teil. Bei Workshops sprachen sie über kulturelle, ökologische und ökonomische Themen, Handwerk, Ökotourismus, Gesundheit, Wasser und Bildung .
Im September 2015 machte Costa Rica seine Nationale Biodiversitätspolitik für die Jahre 2015 bis 2030 durch ein Exekutivdekret offiziell, im Jahr darauf folgte die zweite nationale Biodiversitätsstrategie. Das Gesetz schließt explizit die Beteiligung indigener Völker ein. Es schützt gut 26 Prozent seiner gesamten Landesfläche und 16 des Meeres und gewann 2019 für seine Pionierrolle im Kampf gegen den Klimawandel die höchste Umweltauszeichnung der Vereinten Nationen.
So müsse es laufen, „wenn traditionelles indigenes Wissen tatsächlich umgesetzt werden soll“, sagte Cariño, „es braucht institutionelle Mechanismen auf globaler, vor allem aber auf nationaler Ebene wie in Costa Rica.“
Virtuelle Treffen diskriminieren Indigene zusätzlich
Die indigenen Völker haben dem Sekretariat der UN-Konvention für biologische Vielfalt ihre Vorschläge über das Internationale Indigene Forum für Biodiversität (IIFB) unterbreitet, sagte Viviana Figueroa. „Doch bisher wurden diese nicht berücksichtigt, was dem IIFB große Sorgen bereitet. Wir hoffen auf die nächste Verhandlungsrunde.“
Der Termin für diese steht allerdings noch nicht fest, denn die Indigenen fordern direkte Dialoge statt virtueller Treffen, weil es in ihren Territorien oft keine Internetverbindung und keinen Strom gäbe. „Dadurch sind wir mit einer weiteren Diskriminierung konfrontiert", sagte Ramiro Batzin aus Guatemala von der Organisation Indigenous Peoples of Central America.
Große Spannungen verursacht der Absatz im „Zero-Draft“ zu neuen Naturschutzgebieten. Darin heißt es, dass perspektivisch die Hälfte der Land- und Meeresgebiete weltweit unter Naturschutz gestellt werden sollen. Mit diesem sogenannten „Half-World-Projekt“ sollen der größte Teil der intakten und wilden Gebiete erhalten und die geschädigten natürlichen Süßwasser-, Meeres- und Landökosysteme wieder regeneriert und vernetzt werden. Bis 2030 sollen dazu mindestens 30 Prozent des Planeten durch ein gut vernetztes und effektives System von Schutzgebieten bewahrt werden. Derzeit sind es nur 15 Prozent der Land- und 7,3 Prozent der Meeresflächen.
Was sich anhört wie ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, ist für die indigenen Völker Anlass zu großer Sorge: Denn gemeint sind zum großen Teil ihre Territorien und Schutzgebiete, die oftmals westliche Planer nach ihren Vorstellungen entwickeln. Häufig greifen solche Schutzgebiete in Lebensweisen ein, etwa wenn Jagd verboten oder das Betreten bestimmter Bereiche verboten wird.
Gegen das Konzept von „Wildnis“
Neue Schutzgebiete könnten deshalb indigene Landnutzung und indigenes Landmanagement gefährden, kritisierten die Sprecherïnnen auf der Pressekonferenz. „Für den Erhalt der biologischen Vielfalt ist es unerlässlich, dass unsere Gewohnheitsrechte der nachhaltigen Nutzungen anerkannt werden“, sagte Ramiro Batzin.
„Wir müssen diese Vorstellung von Wildnis loswerden, dass die Natur irgendwie getrennt von den Menschen geschützt werden kann“, sagte Joji Cariño. Indigenes Wissen, ihr Ressourcenmanagement und ihre Werte hätten ihre Gebiete zu den letzten Refugien der Biodiversität gemacht. Sie dürften nicht einfach als menschenleere Naturschutzgebiete deklariert werden.
Das Konzept von „Wildnis“ setzt den Schutz von Natur mit der Abwesenheit von menschlichem Lebens gleich. Das bedeutet, dass für die Schaffung von Naturschutzgebieten im Extremfall dort lebende Menschen umgesiedelt werden oder es zu gravierenden Nutzungseinschränkungen für sie kommen kann, etwa bei der Jagd. Die Organisation Survival International kritisiert, dass dies in mehreren Regionen der Erde auch in jüngerer Zeit geschehen sei.
„Wir können nicht einfach Teil von Naturschutzgebieten werden“, betonte Cariño. Deshalb schlagen die Indigenen vor, in den UN-Beschlüssen eine eigene Landkategorie einzuführen, mit der diese indigenen Länder, Territorien und Gewässer und ihr traditionelles Wissen als Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt geschützt werden. Demnach könnte es künftig neben Nationalparks und Naturschutzgebieten zum Beispiel weltweit designierte „indigene Territorien“ geben, in denen indigene Gewohnheitsrechte festgeschrieben werden und die zur Erhaltung, nachhaltigen Nutzung und der Wiederherstellung der Ökosysteme beitragen.
Westliche Expertïnnen geben den Indigenen recht. Die umfassende Anerkennung der indigenen Landrechte wäre die einfachste Art, die Naturschutzziele zu erreichen, argumentieren Stephen T. Garnett und Kollegїnnen vom Research Institute for the Environment and Livelihoods der Charles Darwin University (Australien) in einer in Nature veröffentlichten Untersuchung. Diese würde auch den Regierungen erhebliche Vorteile für den Erhalt ökologisch wertvoller Landschaften, Ökosysteme und Gene für zukünftige Generationen bringen.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.