Interkontinentalreisen, Chemiecocktails oder Stand-by-Modus: So überleben Insekten den Winter

Nahrungsmangel und Frost setzen Faltern, Bienen, Käfern und Co. im Winter zu. Doch die Natur hat erstaunliche Strategien hervorgebracht, mit denen die Tiere das Frühjahr erreichen.

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Ein gelblich-grüner Falter sitzt mit zusammengefalteten Flügeln auf einem von Schnee oder Raureif  bedeckten Zweig.

Wer im Winter früh aus dem Haus muss, den erwarten in Deutschland Kälte und Dunkelheit. Doch während wir Menschen uns gegen die Kälte wappnen können, wäre sie für die meisten Insekten fatal: Die artenreichste Klasse aller Tiere ist wechselwarm. Das bedeutet, dass die Körper die Temperatur ihrer Umwelt annehmen, also nicht wie Menschen mit eigener Wärme dagegenhalten können. Einige Insekten können sich immerhin etwas aufwärmen, indem sie ihre Flügel bewegen. Doch die große Mehrheit der Insekten ist dem Winter ausgeliefert, scheinbar.

Denn jedes Frühjahr beweist aufs Neue: Dank vielfältiger biologischer Tricks, die sich im Laufe der Evolutionsgeschichte entwickelt haben, schaffen viele der Schmetterlinge und Käfer, Mücken, Libellen und Bienen es durch die kalte Jahreszeit. Mehrere Strategien verhelfen den Sechsbeinern dazu – teils in Kombination –, mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen wieder unsere Gärten und Balkone zu bevölkern, die Parks, Wiesen und Felder.

Winterurlaub in Südeuropa

Der naheliegendste Weg ist einer, den auch manche Menschen wählen: Sie weichen der Kälte aus und reisen in wärmere Regionen. Was bei Zugvögeln schon eindrucksvoll ist, erscheint bei Insekten erstaunlich. Distelfalter (Vanessa cardui) etwa wandern im Herbst nach Südeuropa und sogar bis Nordafrika, um dort zu überwintern. Die Reise der orange-schwarzen Schmetterlinge ist ein wahres Generationenprojekt, denn ein einzelner Falter schafft als erwachsenes Tier nur einen Teil der Strecke. Seine Nachkommen setzen die Reise fort.

Für die Insektenforschung birgt die Reise wandernder Falter ein ungelöstes Rätsel. Während junge Zugvögel in ihrem ersten Lebensjahr meist mit erfahrenen älteren Tieren die angestammten Überwinterungsplätze kennenlernen, gelingt es einigen wandernden Insekten – etwa dem amerikanischen Monarchfalter (Danaus plexippus) –, ohne jede Anleitung die exakt gleichen Orte im Süden aufzusuchen wie ihre Vorgängergenerationen. Wandernde Insekten bilden jedoch die Ausnahme, andere Strategien sind weitaus verbreiteter.

Körpereigene Frostschutzmittel

Einige Insektenarten trotzen schlicht der winterlichen Kälte in Deutschland, etwa der Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni). Doch was einfach klingt, beruht auf einem ausgefeilten biologischen Mechanismus. Der Falter ist mit einer Lebenserwartung von zwölf Monaten der Methusalem unter den mitteleuropäischen Schmetterlingen. Auch im Winter sieht man ihn umherfliegen. Meist sitzt er jedoch mit zusammengefalteten Flügeln an Efeu- oder Brombeerblättern und absorbiert die Sonnenwärme. Um nicht zu erfrieren, genügt das allein noch nicht. Der Zitronenfalter erzeugt gewissermaßen sein eigenes Frostschutzmittel: eine Mischung aus Glycerin, Sorbit und Eiweißen, die den Gefrierpunkt seiner Körperflüssigkeiten weit herabsetzen.

„Zitronenfalter überstehen in Sträuchern starke Minusgrade“, berichtet Martin Wiemers, Insektenexperte am Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut. „Kritisch ist ja nicht der Frost an sich, sondern die Zerstörung durch den Frost.“ Die eigentliche Gefahr der Kälte besteht nämlich darin, dass sich in den Geweben Eiskristalle bilden. Außerdem fehlt den Zellen dann flüssiges Wasser, wodurch biochemische Prozesse unterbrochen werden.

Ein orange-brauner Schmetterling sitzt mit offenen Flügeln auf einem grünen Blatt.
Der Distelfalter fliegt im Herbst über die Alpen nach Südeuropa und Nordafrika, um im Warmen zu überwintern.
Bräunlicher Pflanzenstängel im Schnee, an dem die ebenfalls bräunliche Libelle kaum zu erkennen ist.
Winterlibellen sind die einzigen Libellen, die an milden Wintertagen vorübergehend aktiv werden.
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