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„Ein Ziel ohne einen Plan ist bloß ein Wunsch“ – Wo die COP26 konkreten Fortschritt erbringen muss
„Ein Ziel ohne einen Plan ist bloß ein Wunsch"
Bei der COP26 in Glasgow müssen die Nationen Fortschritte in vier Bereichen erzielen – die G20 waren dabei keine große Hilfe
Vor der Klimakonferenz COP26 in Glasgow zeigt sich: Sehr viele Länder wollen bis etwa 2050 keine Treibhausgase mehr ausstoßen. In der Theorie hat die Welt daher seit Abschluss des Pariser Abkommens 2015 große Fortschritte erzielt. Aber in der Praxis fehlt die konkrete Umsetzung: Was passiert bis 2030?
Wer sich in Rom mit dem Rücken zum Trevibrunnen hinstellt und eine Münze über die rechte Schulter ins Wasser wirft, so die Legende, hat Glück: Sie oder er wird die italienische Hauptstadt später noch einmal besuchen. Am Sonntag haben dies dreizehn Männer und zwei Frauen gleichzeitig versucht, das Foto davon findet sich auf der Webseite der Konferenz der 20 wichtigsten Industrieländer (G20). Einigen der Damen und Herren, allesamt Spitzenpolitiker:innen und dienstlich in Rom, scheint der Termin Spaß gemacht zu haben. Bei Angela Merkel, der scheidenden Bundeskanzlerin, und Boris Johnson, dem britischen Premierminister, kann man ausweislich des Gesichtsausdrucks durchaus Zweifel daran haben. Andere wie die Präsidenten der USA, der Türkei oder Brasiliens, waren erst gar nicht zu dem Foto-Termin erschienen.
Allerdings darf man sich am Trevibrunnnen beim Münzwurf nicht irgendetwas wünschen, sondern nur die Rückkehr in die ewige Stadt. Die Symbolik und der zu erwartende Spott wäre für die Personen auf dem Gruppenfoto auch wenig erfreulich gewesen – manche Tweets haben das schon vorweggenommen. Schließlich haben die 15 Abgebildeten und die anderen Staatenlenker:innen der wichtigsten Industrienationen ja ganz andere Möglichkeiten, das eigene Schicksal sowie das von Milliarden Menschen in allen Teilen der Welt zu beeinflussen, als auf Aberglaube zu vertrauen.
In Sachen Klimaschutz hatten sich viele Beobachter:innen daher wegweisende Beschlüsse von dem Treffen in Rom erwartet. Diese sollten dem ebenfalls heute beginnenden Klimagipfel im schottischen Glasgow den rechten Schwung geben. Und vielleicht schaut Johnson auf dem Foto vom Trevibrunnen so leidend, weil seine Rolle als Gastgeber der COP26 durch die Beschlüsse von Rom nicht eben leichter geworden ist.
So haben sich die G20-Staaten zwar darauf verständigt, die Erderhitzung tatsächlich bei 1,5 Grad stoppen zu wollen. Solche Zahlen beziehen sich auf die Temperaturzunahme im Jahr 2100 gegenüber der vorindustriellen Zeit; 1,1 Grad sind laut dem jüngsten IPCC-Bericht bereits erreicht. Diesen Beschluss in Rom kann man als kleinen Fortschritt betrachten.
Das sogenannte 1,5-Grad-Ziel hat damit eine bemerkenswerte Karriere gemacht: Ging es beim gescheiterten Gipfel von Kopenhagen 2009 noch um eine Grenze bei 2,0 Grad, so verlangte das Pariser Abkommen „deutlicher unter 2,0 Grad“ mit einer Option zu 1,5 Grad. Mittlerweile ist diese Temperaturgrenze praktisch unwidersprochen das zentrale und einzige Ziel – auch weil sich die Erkenntnisse mehren, dass es schon kurz danach viele gefährliche, unbeherrschbare Klimafolgen geben dürfte. Doch ob es überhaupt noch möglich ist, die Grenze einzuhalten, erscheint Vielen vor allem angesichts der schleppenden Reaktion der Gesellschaft zweifelhaft.
Doch in ihren weiteren Beschlüssen sind die G20 vage geblieben. So fordern sie nicht „sofortiges Handeln“ in Sachen Klimaschutz, wie ein Entwurf des Abschlusscommuniques es vorgesehen hatte, sondern „bedeutungsvolles und wirksames Handeln“. Der Erklärung von Rom zufolge soll Klimaneutralität „bis zur oder um die Mitte des Jahrhunderts“ erreicht werden, ohne ein genaues Zieljahr zu nennen. Die Subventionen für den Verbrauch fossiler Brennstoffe sollen „mittelfristig“ auslaufen, wie es schon seit langem heißt: Es auf 2025 zu fixieren, hat offenbar beim Treffen keine Zustimmung gefunden.
Von Rom nach Glasgow
Damit fehlt womöglich der erhoffte Schwung für den Start in Glasgow. UN-Generalsekretär António Guterres twitterte, seine Hoffnung seien in Rom nicht erfüllt, aber auch nicht begraben worden. Was nun in Schottland in den ersten beiden Novemberwochen passiert, darauf blickt – das ist keine Übertreibung – die ganze Welt. „Sie gilt als die wichtigste Konferenz seit Paris 2015“, sagt Rixa Schwarz, die bei der Organisation Germanwatch die internationale Klimapolitik verfolgt.
Ob die Staaten ausreichende Zusagen machen, um die Erderhitzung zu begrenzen, und weitere Schritte vereinbaren, hängt von den Verhandlungen in Schottland ab. Auch der Weltklimarat IPCC hatte im Sommer geurteilt: „Wenn es keine sofortigen, schnellen und umfassenden Reduktionen der Treibhausgas-Emissionen gibt, ist das Begrenzen der Erwärmung auf wenig mehr als 1,5 oder sogar 2,0 Grad nicht mehr möglich.“
Wie so oft bei diesen Conferences of the Parties, in diesem Fall also den Treffen der Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention von Rio, sind schon in den Wochen vor Beginn viele wichtige Berichte erschienen, haben Organisationen ihre Forderungen vorgestellt und Staaten ihre Positionen verkündet. Während der Konferenz werden dann Beschlüsse oder Fortschritte in vier wichtigen Bereichen erwartet.
Die Ausgangslage der COP26
In den Tagen vor der Konferenz haben gleich zwei UN-Organisationen erklärt, anhand der vorliegenden Zusagen der Nationalstaaten werde die Welt die im Pariser Abkommen vereinbarten Ziele verfehlen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, UNEP, stellt in seinem jährlichen Emissions Gap Report fest: Zurzeit steuert die Welt auf eine Erwärmung von 2,7 Grad zu. Falls die Staaten die gegebenen Zusagen für 2050 einhalten, nämlich in einer Bilanzrechnung von Quellen und Senken keine Klimagase mehr auszustoßen („Netto-Null“), könnte es bei einer Erhitzung um 2,2 Grad bleiben.
Ähnlich urteilte das internationale Klimasekretariat in Bonn, bei dem die Staaten ihre – laut Pariser Abkommen freiwilligen – Klimaschutzpläne einreichen. Gemäß der jüngsten Auswertung könnte die Politik der 143 Nationen, die ihre Ziele kürzlich aktualisiert und meist verschärft haben, dazu führen, dass ihre Emissionen bis 2030 ungefähr elf Prozent unter den reduzierten Ausstoß im Pandemiejahr 2020 sinken. Nimmt man jedoch alle 192 Staaten, dann sind etwa 14 Prozent mehr Treibhausgase in der Atmosphäre zu erwarten als zuletzt.
„Diese COP ist die letzte Chance, das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten“, sagt Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln. „Mit allen Beiträgen, die die Länder bisher vorgeschlagen haben, stabilisieren sich die globalen Treibhausgas-Emissionen ungefähr bis zum Jahr 2030. Für 1,5 Grad müssten sie aber halbiert werden. Das ist eine enorme Lücke.“
Weitere aktuelle Befunde:
- Asien hat 2020 das wärmste Jahr der Messgeschichte erlebt, vermeldet die Meteorologische Weltorganisation.
- Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre hat trotz des pandemie-bedingten Rückgangs der Emissionen einen neuen Rekordwert erreicht.
- Deutliche Mehrheiten der EU-Bürger und Briten fürchten, dass ihre Länder den Ausstoß nicht ausreichend werden reduzieren können, zeigt eine Umfrage.
- In den USA haben Geheimdienste und Regierung vor kurzem erstmals gemeinsam davor gewarnt, dass der Klimawandel die Sicherheitsrisiken deutlich vergrößert.
- Laut einer Analyse des internationalen Komitees des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds sind 2020 fast 31 Millionen Menschen wegen klimabedingter Naturkatastrophen im eigenen Land zu Flüchtlingen geworden.
- Von 40 Indikatoren für den aktuellen Fortschritt im Klimaschutz liegt keiner auf dem richtigen Pfad, bilanzierte am Donnerstag ein Bericht von Organisationen um das World Resources Institute. Immerhin 25 Messgrößen bewegen sich aber in die richtige Richtung, wenn auch zu langsam. Dazu gehören der Ausbau erneuerbarer Energiequellen oder die Wiederherstellung küstennaher Feuchtgebiete.
- Eine internationale Kommission, die sich mit dem Südpolarmeer befasst, hat die Einrichtung großer Schutzgebiete erneut vertagt. Besonders China und Russland blockierten die Entscheidung, vor der Ostantarktis, der antarktischen Halbinsel und im Wedellmeer die Fischerei auf etwa vier Millionen Quadratkilometern weiter einzuschränken. Die Ökosysteme dort stehen wegen der schnelleren Erwärmung der Polarregionen unter besonderem Druck.
Erstes Ziel: Mehr Klimaschutz
Zu den erfreulichen Nachrichten zählt, dass es vor der COP26 eine Welle von Zusagen von Staaten gegeben hat, die sich dem Netto-Null-Ziel in der Mitte des 21. Jahrhunderts verpflichten wollen. Die EU möchte das , Deutschland hat sein Zieljahr nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgericht auf 2045 vorgezogen. Nach den USA hat auch Australien verkündet, 2050 in Summe keine Treibhausgase mehr ausstoßen zu wollen. China spricht hingegen bisher vom Jahr 2060 wie seit kurzem auch Saudi-Arabien. Die Türkei verkündet, nun als letzter G20-Staat das Pariser Abkommen ratifizieren und ab 2053 seine Emissionen in der Bilanz stoppen zu wollen. Ein aktualisierter Plan von Indien fehlt und könnte in Glasgow verkündet werden. Erwartungen, dass China noch einmal nachlegt und ehrgeizigere Ziele vorlegt, wurden am Donnerstag enttäuscht: Die Supermacht hat die Angaben nur formalisiert und etwas präzisiert.
„Netto-Null ist das neue Normal“, freut sich Karsten Sach vom Bundesumweltministerium, der dort für internationale Zusammenarbeit zuständig ist und viele Jahre für Deutschland bei den COPs verhandelt hat. „80 Prozent der Länder bekennen sich dazu, und der Druck auf die übrigen wächst.“ In Glasgow 100 Prozent zu erreichen, dämpfte er die Erwartungen, werde aber trotzdem nicht möglich sein.
Ohnehin sehen Klima-Expertinnen die eigentliche Herausforderung woanders. „Ein Ziel ohne einen Plan ist bloß ein Wunsch“, sagt Astrid Kiendler-Scharr vom Forschungszentrum Jülich, die Vorsitzende des Deutschen Klimakonsortiums. Um 2050 die Emissionen zu stoppen, müssten die Staaten umgehend konkrete Schritte einleiten. Niklas Höhne, dessen Institut an den Auswertungen des Climate Action Trackers auf Länderebene beteiligt ist, bestätigt darum: „Kein einziges dieser Länder hat Maßnahmen umgesetzt, um sich tatsächlich auf den Pfad Richtung Netto-Null zu begeben, kein einziges.“ Die Lücke sei darum so groß, „dass sich die Frage gar nicht stellt, wer gut genug ist: Niemand ist gut genug.“
Immerhin gibt es Abstufungen: Manche Staaten sind noch grauer als der Rest. So will Saudi-Arabien nur innerhalb des Landes auf Netto-Null kommen, aber weiter Öl produzieren – die Emissionen gehen dann nach den Vorstellungen der Regierung in Riad auf das Konto der Abnehmer. Australien möchte bis zum bitteren Ende Kohle verkaufen und 2030 seine Emissionen auch nur um 26 bis 28 Prozent reduzieren. Mexiko und Brasilien haben internationale Partner mit Rechentricks verärgert, die ihnen höhere Emissionen ermöglichen, ohne auf dem Papier ihre Ziele aufzuweichen. Einer Auswertung des Climate Action Trackers zufolge ist bisher nur der Plan von Gambia komplett mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel, vier weitere afrikanische Staaten sowie Nepal, Costa Rica und als einziges Industrieland Großbritannien sind immerhin nahe dran. Dort ist der Kohleausstieg praktisch auch schon vollzogen.
Zweites Ziel: Fortschritte bei Einzelthemen
USA und EU schlagen für die COP ein Abkommen zum Thema Methan vor. Es ist ein Treibhausgas, das viel schneller wieder aus der Atmosphäre verschwindet als CO2, aber Molekül für Molekül viel stärker wirkt. Insgesamt ist es darum der zweitgrößte Faktor der Erderhitzung. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas und wird außerdem in Kohlegruben, Müllkippen und der Landwirtschaft frei, vor allem in Tierhaltung und Reisanbau.
Das Abkommen, das inzwischen 34 Staaten unterstützen, sieht vor, den Ausstoß des Gases bis 2030 um 30 Prozent zu senken. Der US-amerikanische Sonderbeauftragte für Klimapolitik, Ex-Außenminister John Kerry, hofft laut Zeitungsberichten mehr als 100 Zusagen zu bekommen. Allerdings lehnen vier der größten Emittenten die Vereinbarung bisher ab: China, Brasilien, Indien und Russland.
Weiteren Fortschritt versprechen sich die britischen Gastgeber in vier Sektoren, die Premier Boris Johnson als „coal, cars, cash, and trees“ zusammenfasst: Kohle, Autos, Geld und Bäume. So gehören inzwischen 41 Nationen sowie viele Regionen, Provinzen und Firmen einer Allianz namens Powering Past Coal an; in Glasgow sollen neue Zusagen verkündet werden. Staaten sollen die Kohle im eigenen Land nicht mehr einsetzen und Projekte in anderen nicht mehr fördern. Ein Konferenztag ist dort auch dem Transport-Sektor gewidmet, hier erhoffen sich die Briten Fortschritte bei emissionsfreien Autos. Außerdem haben die Gastgeber eine Initiative gestartet, um die Abholzung von Wäldern zu stoppen und Flächen wieder aufzuforsten. Im ersten Schritt soll es für den Anbau von Kaffee, Kakao, Soja und Palmöl keine Genehmigungen für Rodungen mehr geben.
„Das war bisher eine vergessene Frage: Wie stellen wir Ökosysteme wieder her, die Kohlendioxid binden?“, sagt Isabel Cavalier von der kolumbianischen Organisation Transforma. „Ohne solche Veränderungen in der Landnutzung ist das 1,5-Grad-Ziel unabhängig von der Entwicklung der Emissionen nicht zu erreichen. Das muss jetzt eine Rolle spielen.“
Drittes Ziel: Genug Geld für ärmere Staaten
Cash, der fehlende der vier Begriffe in Johnsons Mantra, ist Gegenstand zähen Ringen gewesen. Schon bei der Konferenz in Kopenhagen 2009 hatten die Industrieländer versprochen, ab 2020 und dann jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar bereitzustellen, damit Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung finanziert werden können. Zurzeit gilt die Zusage bis 2025, danach soll die Summe erhöht werden. Das Versprechen haben die reichen Nationen für das Startjahr aber vermutlich gebrochen, wie der designierte Präsident der COP26, Alok Sharma, einräumt.
Das hat schon im Vorfeld viel Kritik ausgelöst. So sagte der Leiter des Zentrums für Klimawandel und Entwicklung in Dhaka/Bangladesch, Saleemul Huq, bei einem Interview im September: „Wenn sie in Glasgow nicht die 100 Milliarden für 2021 bereitstellen, können sie ihre Zusagen offenbar nicht halten.“ Das hätte, so sahen es auch andere Experten und Expertinnen, einen Rückfall in starre Lager bedeutet.
Darum hat Sharma den deutschen Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth mit dem kanadischen Umweltminister zusammengespannt, um die Finanzierung zu retten. Die Ergebnisse wurden am vergangenen Montag verkündet: Demnach schaffen die Industrieländer die symbolische Summe von 100 Milliarden Dollar wohl erst 2023, stellen aber für die Jahre 2021 bis 2025 im Durchschnitt genügend Geld pro Jahr zur Verfügung. Der Fehlbetrag 2020 von womöglich 15 Milliarden würde aber dann vermutlich nicht ausgeglichen. Viel Geld ist das eigentlich nicht – zum Vergleich: Der Bund finanziert den Wiederaufbau nach der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 mit 30 Milliarden Euro.
„Es war nicht das, was wir versprochen haben“, räumt auch Flasbarth ein. „Zusagen zu erfüllen, ist die wichtigste Währung in den Verhandlungen, aber dieses Ergebnis sollte uns zumindest in eine gute Stimmung bringen.“ Das Geld bereitzustellen, habe nichts mit Großzügigkeit zu tun: „Es ist ein essentieller Teil der Klimapolitik, ein Zeichen der Fairness und der historischen Verantwortung.“
Die Zusage nur im Durchschnitt zu erfüllen, hat den Industriestaaten herbe Kritik eingebracht: „100 Milliarden in 2023, das ist drei Jahre zu spät“, sagt Lia Nicholson aus der Karibiknation Antigua und Barbuda, die für den Zusammenschluss der kleinen Inselstaaten (AOSIS) spricht. „Diese Verzögerung hat schon jetzt sehr reale Folgen für die Leben und Lebensgrundlagen der Klimaopfer.“ Die Länder ihrer Allianz seien bereit, über neue Ziele in der Finanzierung von Klima-Maßnahmen zu verhandeln, aber: „So ist das keine Klimagerechtigkeit.“
Zudem stimmt offenbar auch die Verteilung der Mittel nicht. Alok Sharma selbst sagt, es müsste mehr nicht-zurückzahlbare Zuschüsse geben: 2019 machten sie nur 30 Prozent aus, der Rest waren Kreditangebote. Und Saleemul Huq rügte, dass nicht wie erwartet die Hälfte des Geldes für Anpassungsmaßnahmen an die verletzlichsten, schwächsten Staaten gegangen sei: Es waren zuletzt nur 20 Prozent, während 80 Prozent in stärkere Staaten und in Projekte zur Emissionsreduktion flossen.
Außerdem müsse sich der Gipfel in Glasgow, forderte der Experte aus Bangladesch, endlich mit der dritten Säule neben Klimaschutz und Adaptation befassen: Sie wird allgemein „Loss and Damage“ genannt, es geht also um Geld für das Wiederherstellen von beschädigter oder verlorener Infrastruktur und Wirtschaftsgütern. Dafür gebe es einen hohen zusätzlichen Finanzbedarf, sagt auch Sven Harmeling von der Organisation Care International. „Wir dürfen das nicht weiter als Unterthema von Anpassung darstellen und damit klein halten.“
Ohnehin ist längst klar geworden, dass der Kampf gegen die Klimakrise die kostengünstigere Option ist, wenn man es mit Abwarten vergleicht. Das hatte schon 2006 der Report von Lord Nicholas Stern vom Grantham Institute in London festgestellt. Eine am Dienstag erschienene Aktualisierung bekräftigt die Schlussfolgerung: „Jede sinnvolle Schätzung der Kosten des Nichthandelns wäre heute höher, und die Kosten des Handelns sind niedriger als 2006.“
Viertes Ziel: Regelwerk zum Pariser Abkommen komplettieren
Seit Jahren arbeiten die Länder bei den COPs daran, sich gemeinsame Regeln für die Buchhaltung der Treibhausgase und andere Klauseln des Pariser Abkommens zu geben. Vieles davon wurde 2018 verabschiedet. Offen bleiben zum Beispiel gemeinsame Basisjahre und Zeithorizonte, die Zahlen vergleichbar machen. Außerdem fordern viele Beteiligte voneinander vollkommene Transparenz über den Ausstoß und die Effekte der jeweiligen Politik. „Dagegen gibt es natürlich auch politische Widerstände“, sagt Rixa Schwarz von Germanwatch. „Manche wollen sich nicht so sehr in die Karten schauen lassen.“ Andere Staaten fürchten, dass sie nicht die Kapazitäten haben, die Angaben für das Ausfüllen womöglich kleinteiliger Formulare zu erheben.
Eine besondere Rolle spielt der Artikel 6 des Pariser Abkommens. Er sieht vor, dass Staaten kooperieren dürfen, um Emissionen zu reduzieren. Dann könnte zum Beispiel ein Land in den Tropen seinen Wald mit Finanzierung durch eine Industrienation aufforsten, die sich dann das gebundene CO2 auf ihre Ziele anrechnet. Der Artikel warnt aber bereits vor Missbrauch – etwa dass beide Länder den Effekt in ihre Bilanz aufnehmen.
Diese Kompensation anderswo möchten manche Staaten zu einem internationalen Marktplatz ausbauen; womöglich sollen dort auch Zertifikate gehandelt werden, die durch einen ähnlichen Mechanismus des Kyoto-Protokolls von 1997 entstanden sind. Beides versuchen vor allem Klimaschutz-Organisationen zu verhindern. Die alten Zertifikate sind oft unter zweifelhaften Regeln erteilt worden; und selbst wenn sie einen hohen Standard haben, liegt die Emissionseinsparung bereits weit in der Vergangenheit.
„Zertifikatehandel soll nur ermöglichen, was zuhause nicht zu schaffen ist, “ erklärt Rixa Schwarz die Position von Germanwatch. „Ein Senken der Emissionen findet vorrangig im eigenen Land statt, das ergibt in Summe mehr Klimaschutz.“ Greenpeace würde es sogar ausdrücklich als Erfolg der Verhandlungen in Glasgow werten, wenn ein solcher internationaler Handelsmechanismus abgewendet wird, sagt die zuständige Campaignerin Lisa Göldner. Die Verhandlungen zu Artikel 6 könnten daher die vielleicht größte Herausforderung werden, schätzt Staatssekretär Flasbarth.
Die Regeln spielen zudem eine Rolle dafür, wie sich die Emissionen von Luftverkehr und Schifffahrt entwickeln. Sie unterliegen nicht den nationalen Plänen. Die Flugindustrie zum Beispiel hat einen Mechanismus namens Corsia eingeführt, um das erwartete Wachstum der Emissionen mit Zertifikaten zu kompensieren – zunächst auf freiwilliger Basis. Ob das überhaupt einen Effekt hat, könnte sich daher auch in Glasgow entscheiden.
Grundsätzlich halten es aber viele Expertinnen und Experten für sehr wichtig, dass die Regeln endlich verabschiedet werden – schon um zu zeigen, dass die Weltgemeinschaft im Rahmen des Pariser Abkommens auch Beschlüsse fassen kann.
Was macht die Konferenz zum Erfolg?
Neben den Einzelthemen wird vermutlich besonders zählen, ob die Konferenz als Ende der ersten Phase nach Paris gesehen wird oder als Anfang eines Jahrzehnts der rapiden Treibhausgas-Einsparung. „Wenn die COP es nicht schafft, eine Perspektive aufzuzeigen, wie in der nächsten Dekade Ambition erhöht wird, sowohl bei der Emisssionsvermeidung als auch bei der Bereitstellung von Finanzierungsmitteln, dann wird es eine vertane Chance sein“, sagt Carl-Friedrich Schleusner von der Humboldt-Universität und der Forschungsgruppe Climate Analytics in Berlin.
Wichtig für einen Erfolg wäre auch, ergänzt Lisa Göldner von Greenpeace, die nächste Überprüfung der nationalen Klimaziele auf 2023 vorzuziehen anstatt wieder fünf Jahre zu warten. Und zu verankern, dass der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen jetzt schnell in Angriff genommen werden soll. Vieles davon steht jedoch auf einer Wunschliste, auf der etliche Punkte unerfüllt bleiben könnten. „Wir werden große Fortschritte machen“, sagt der britische Sonderbeauftragte für Klimawandel Nick Bridge, „aber wir können nicht alles lösen.“ ◀
Hinweis: Dieser Artikel beruht auf einem Beitrag, der bei spektrum.de erschienen ist. Er ist mit den Ergebnissen des G20-Gipfels und anderen Entwicklungen aktualisiert worden.