Klima-Bericht der Bundesregierung belegt: Nur Schutz für Wälder und Moore rettet die Klimaziele

Deutschland kann seine Klimaschutzziele nur erreichen, wenn die natürlichen Ökosysteme wieder in die Lage versetzt werden, große Mengen Treibhausgase zu speichern. Das zeigt der neue Projektionsbericht des Umweltbundesamtes

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Drohnenfoto eines Waldmoores im Herbst

Deutschland hat seine Klimaziele für 2024 erreicht. Das ist die gute Nachricht aus dem neuen Treibhausgas-Projektionsbericht – aber zugleich nur die halbe Wahrheit. Denn sowohl die europäischen als auch die nationalen Ziele für die wichtige Etappe 2030 wurden verfehlt. Um wie geplant bis 2045 treibhausgasneutral zu werden und die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, braucht Deutschland eine Naturschutzoffensive. Nur mit einem konsequenten Schutz und zusätzlich einem Turbo für die Renaturierung von Wäldern und Mooren können die Klimaziele in Reichweite gehalten werden.

Deutschland auf Klimakurs - Die halbe Wahrheit

„Deutschland schließt seine Klimaschutzlücke und ist auf Klimakurs“, zeigte sich Noch-Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei der Vorstellung des neuen Projektionsberichts des Umweltbundesamtes (UBA) am Freitag in Berlin beinahe euphorisch. Das ist einerseits richtig, andererseits aber zumindest irreführend.

Richtig, weil den Daten des Berichts zufolge die Treibhausgasemissionen in Deutschland im vergangenen Jahr um 3,4 Prozent auf 649 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente gegenüber 2023 gesunken sind. Nach dem Klimaschutzgesetz erlaubt wären rund 40 Millionen Tonnen mehr.

Windkraft-Ausbau rettet die Bilanz

Irreführend ist diese Darstellung, weil auch nach den neuen Daten weder die maßgeblichen Ziele aus dem deutschen Klimaschutzgesetz für 2030, noch die europäischen Ziele erreicht werden: Der Projektion zufolge würde der Treibhausgasausstoß bis 2030 um 63 Prozent gegenüber 1990 gesenkt. Das Etappenziel des Klimaschutzgesetzes für 2030 auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 sieht 65 Prozent vor.

Dieses Ziel bleibt zudem nur dann in Reichweite, wenn neben der Energieerzeugung auch die anderen Sektoren endlich liefern und die Klimawende nicht allein im Energiebereich vollzogen wird. Danach sieht es indes nicht aus. Denn erneut hat nur der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien, allen voran Wind und Solar, die Bilanz insgesamt aufgehellt. Trotz des Ausstiegs aus der Atomkraftnutzung 2023 sank der Treibhausgasausstoß aus Kohle und Gas deutlich. Maßgeblich dafür war der starke Anstieg der erneuerbaren Energien beim Stromverbrauch. Hier decken vor allem Wind und Solarstrom inzwischen 54 Prozent des Bedarfs.

Eine Grafik der unterschiedlichen Beiträge zu Emissionen nach Sektor und Zeitlinie bis 2045
Auf Kurs? Die Projektionsdaten des Umweltbundesamtes für die Klimaziele Deutschlands.

Um die Klima-Ziele für 2030 und 2045 erreichen zu können, müssen nicht nur der Verkehr elektrisiert und die Wohnungen besser gedämmt werden: Die Hilfe natürlicher Ökosysteme wird immer mehr zum entscheidenden Faktor.

Verkehr und Gebäudesektor bremsen Wende zu mehr Klimaschutz

Wie schon in den Vorjahren bleiben vor allem der Verkehr und in etwas geringerem Maß der Gebäudesektor weit hinter den Zielen zurück. Kein Wunder, dass UBA-Chef Dirk Messner sich besorgt über die zurückhaltende Nachfrage nach E-Autos zeigt. „Der Markhochlauf von Elektroautos muss wieder deutlich mehr Fahrt aufnehmen“, forderte der UBA-Präsident.

Der Bericht des UBA hält aber eine weitere zentrale Botschaft bereit: Um die Klima-Ziele für 2030 und 2045 erreichen zu können, müssen nicht nur der Verkehr elektrisiert und die Wohnungen besser gedämmt werden: Die Hilfe natürlicher Ökosysteme wird immer mehr zum entscheidenden Faktor. „Mit den jetzigen Maßnahmen erreicht Deutschland bis zum Jahr 2040 eine Minderung um rund 80 Prozent, das Klimaschutzgesetz-Ziel sieht aber mindestens 88 Prozent Minderung vor“, räumt das UBA eine große Lücke ein. Um sie zu stopfen, müssten auch die natürlichen Kohlenstoffsenken in die Lage versetzt werden, einen möglichst optimalen Beitrag zu leisten, fordert die Behörde.

Natur hilft uns aus der Klemme - dazu müssen wir ihr helfen

Hinter der Forderung steht die Erkenntnis, dass Wälder, Moore, Seegraswiesen und andere Ökosysteme Kohlendioxid aus der Luft binden und in ihrer Biomasse dauerhaft festlegen. Wie wichtig dieser Beitrag für den Klimaschutz ist, zeigt die Feststellung des Weltklimarates IPCC, wonach das Pariser Klimaziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, nur erreicht werden kann, wenn der Beitrag natürlicher Ökosysteme voll ausgeschöpft wird. Derzeit absorbieren Ökosysteme laut IPCC mehr als die Hälfte des vom Menschen verursachten Treibhausgasausstoßes.

Ein auf einen Faahrradanhänger montierter Holzschriftzug Klima ohne I brennend
Während der Sondierugen zwischen Union und SPD machten Mitglieder der Umweltschutzorganisation Greenpeace mit einem brennenden KL_MA"-Schriftzug vor dem Reichstag auf eine Lücke beim Klimaschutz aufmerksam.

Werden Wälder aber weiter abgeholzt, Moore und Flussauen trockengelegt und Seegraswiesen durch zu hohe Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft geschädigt, tritt ein doppelt negativer Effekt ein: Ge- oder zerstörte Ökosysteme nehmen Treibhausgase aus der Luft weniger effizient auf, und im schlimmsten Fall setzen sie den in ihrer Biomasse über lange Zeiträume gespeicherten Kohlenstoff sogar wieder frei.

Allein die entwässerten Moore Deutschlands, die heute überwiegend als landwirtschaftliche Flächen genutzt werden, tragen so zu mehr als sieben Prozent zum Treibhausgasausstoß Deutschlands bei. In Mecklenburg-Vorpommern stammen sogar 40 Prozent aller Treibhausgasemissionen aus zerstörten Moorböden.

Lemke neben einer grünen Wand mit der Inschrift Natürlicher Klimaschutz
Der natürliche Klimaschutz ist das wohl wichtigste Projekt von Bundesumweltministerin Steffi Lemke.

Riesige Klimalücke durch kranke Wälder

Auch die UBA-Projektionsdaten zeigen, wie groß der Handlungsbedarf ist. Laut Klimaschutzgesetz sollen Ökosysteme als natürliche Senken von 2027 bis 2030 jährlich im Durchschnitt mindestens 25 Millionen Tonnen Kohlendioxid aufnehmen, um Emissionen in anderen Bereichen des Landnutzungssektors (LULUCF) wie Landwirtschaft auszugleichen. Bis 2045 sollen es sogar 40 Millionen Tonnen sein. Dem neuen Bericht zufolge stehen statt der Einsparungen aber voraussichtlich Emissionen von 32 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten gegenüber. Eine Lücke von 57 Millionen Tonnen! „

Das LULUCF-Sektorziel in 2030 ist aller Voraussicht nach nicht mehr erreichbar“, bilanziert das Umweltbundesamt. „Wir brauchen in den kommenden Jahren erheblich mehr Anstrengungen, damit Wälder, Moore, Wiesen und Meere wirklich wieder als natürliche CO₂-Speicher funktionieren“, forderte deshalb die scheidende Umweltministerin Steffi Lemke.

Özdemir verpasste Chance auf Ökowende im Wald

Eine große Chance auf eine Trendwende hat die scheidende Ampel-Koalition verpasst. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hatte zunächst den Entwurf für ein neues Bundeswaldgesetz vorgelegt, in dem die Rolle der Wälder als Klimaschützer und Überlebensinseln für eine große Vielfalt an Tier-und Pflanzenarten erstmals hervorgehoben werden sollte. Nach Protesten der Forstlobby zog er den Entwurf zurück und ließ ihn in der Schublade verschwinden.

Wir werden Klimaneutralität niemals mit Technik alleine erreichen, sondern wir brauchen die Natur.

Umwelt-Staatssekretär Jan-Niclas Gesenhues

Bericht kommt rechtzeitig zur Regierungsbildung

Die Vorstellung des Berichts fiel zeitlich genau mit den Verhandlungen über die Zustimmung der Grünen zum geplanten Sondervermögen der künftigen Bundesregierung für Infrastruktur zusammen. Die Grünen einigten sich mit den künftigen Koalitionären aus CDU/CSU und SPD darauf, künftig 100 Milliarden Euro aus dem 500-Milliarden-Topf für Infrastrukturmaßnahmen für den Klimaschutz zu reservieren.

Während Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge bei der Vorstellung der Einigung als Beispiele für eine Klimafinanzierung aus dem 100-Milliarden-Topf am Freitag vor allem technische Lösungen wie ein Umbau der Industrie, eine Wärmewende und Hilfen für klimaschonende Heizungen einfielen, plädieren Umweltpolitiker auch für eine Stärkung des natürlichen Klimaschutzes. Lemke hatte dazu ein mit 3,5 Milliarden Euro ausgestattetes „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ auf den Weg gebracht.

Klimaschutz - mehr als technische Lösungen

„Zu Klimainvestitionen gehört immer auch die Umwelt“, betont der bisherige Umwelt-Staatssekretär Jan-Niclas Gesenhues. „Wir werden Klimaneutralität niemals mit Technik alleine erreichen, sondern wir brauchen die Natur“, ist der Grünen-Politiker überzeugt. Dafür, dass die nun vereinbarten 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz auch für Renaturierung genutzt werden können, sind zumindest mit der Einigung zwischen Grünen und den künftigen Koalitionären aus CDU/CSU und SPD die Weichen gestellt. Darin wurde festgeschrieben, dass die Mittel für alle Maßnahmen genutzt werden dürfen, die zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045 beitragen.

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