Entwässerte Moore: Umweltministerin Lemke soll Ziele für Wiedervernässung vervielfachen

Ein von Umweltverbänden und Heinrich-Böll-Stiftung vorgelegter Mooratlas illustriert die enorme Bedeutung von Feuchtgebieten für den Klima- und Artenschutz. Die Bemühungen der Bundesregierung zum natürlichen Klimaschutz bewerten Expertinnen und Experten darin als unzureichend.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
6 Minuten
Drohnenaufnahme eines Waldmoores inmitten eines Buchenwaldes im Herbst

Von der zwielichtig-lebensfeindlichen Grusellandschaft zum Hoffnungsträger für eine grünere und nachhaltigere Zukunft: Kein anderes Ökosystem hat innerhalb weniger Jahrzehnte einen vergleichbaren Imagewandel erlebt wie die Moore.

Je mehr wir über die bemerkenswerten Fähigkeiten der wassergesättigten Lebensräume wissen, desto größer werden die Erwartungen an sie. Moore sollen uns als Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel helfen, sie sollen die bedrohte Artenvielfalt retten – und sie sollen als Standorte für Solarkraftwerke auch direkt für die Produktion erneuerbarer Energie rekrutiert werden: Mangelndes Interesse am Lebensraum Moor kann man derzeit nicht beklagen.

Birkenstümpfe im Wasser
Wo Moore wiedervernässt werden, sterben die Bäume rasch ab – eine bizarre Übergangslandschaft entsteht.
Birkenstümpfe im Moor
Moor-Impression, Mecklenburg-Vorpommern

Auch in den Plänen der Ampelkoalition für einen natürlichen Klimaschutz wird Mooren eine zentrale Rolle beigemessen. Da kommt der am Dienstag in Berlin vorgestellte Mooratlas zur rechten Zeit. Nach Vorgängerpublikationen wie dem Pestizidatlas, dem Agrar- und Fleischatlas oder dem Insektentlas widmet sich die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung nun gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Michael Succow Stiftung umfassend dem Lebensraum Moor.

Eine Luftbildaufnahme eines Moores mit angrenzendem Wald
Moore zu schützen nützt Klima und Artenvielfalt: Im Baltikum gibt es noch zahlreiche intakte Moorlandschaften

Auf mehr als 50 Seiten tragen die führenden Expertinnen und Experten den aktuellen Kenntnisstand zu Forschung und Gefährdung zusammen. Vor allem aber zeigen sie Wege auf, wie sich auch hierzulande Moorschutz und eine nachhaltigere Landnutzung miteinander vereinbaren lassen könnten.

Deutlich wird bei der Lektüre, wie herausragend wichtig der Schutz der verbliebenen intakten Moore und die ökologische Wiederherstellung der schon zerstörten Moorflächen für den Arten- und den Klimaschutz ist. Weil Moore so vielfältig in ihrer Erscheinung und Ökologie sind und weltweit ein extremes Spektrum von Lebensräumen prägen, sind sie für viele Tier- und Pflanzenarten überlebenswichtig – nicht weniger als 40 Prozent aller weltweit vorkommenden Arten leben in Feuchtgebieten.

Ein Moorbruchwald im Nebel
Waldmoore gehören zu den am stärksten bedrohten Lebensräumen bei uns
Ein Moor abstrakt fotografiert
Nur an wenigen Orten Europas finden sich ausgedehnte Naturgebiete beinahe ohne menschliche Einflüsse. Hier das Teici-Moor im Osten Lettlands, eines der größten verbliebenen Moore Europas.

Genauso wichtig sind Moore für den Klimaschutz. Darauf hat kürzlich auch das Greifswald Moor Centrum in einem ausführlichen Bericht hingewiesen. Denn natürliche Moore ziehen riesige Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre und speichern sie als Kohlenstoff im Torfboden: Weltweit bedecken Moore nur drei Prozent der Landfläche, binden aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder des Planeten zusammen, die knapp ein Drittel der globalen Landfläche ausmachen.

Moor-Entwässerung produziert mehr Treibhausgase als weltweiter Flugverkehr

Die Rechnung gilt aber auch andersherum: Werden Moore entwässert, wird dieser Kohlenstoff freigesetzt. Die Moore wandeln sich vom gigantischen Speicher der Treibhausgase in einen riesigen Emittenten. Weil das massenhaft geschehen ist und weiter passiert, sind trockengelegte Moore heute für vier Prozent aller menschengemachten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Die weltweite Entwässerung von Mooren verursacht damit deutlich mehr Emissionen als der globale Flugverkehr.

Morgenstimmung in einem Moor, im Vordergrund Schilf, im Hintergrund die im Nebel verhangene Sonne beim Aufgehen
Nur an wenigen Stellen in der Europäischen Union lässt sich der Sonnenaufgang in intakten Moorlandschaften noch erleben, hier in der Biebrza in Nordostpolen.

Herausforderung von der Dimension des Kohleausstiegs

Wiedervernässung lautet daher die einerseits einfache Formel, um Treibhausgase im Boden zu halten und die Artenvielfalt wiederherzustellen. Dass dieses Unterfangen aber weitaus komplexer ist als ein paar Wiesen unter Wasser zu setzen, zeigt der Report ebenfalls.

In Deutschland beispielsweise wird auf fast allen Moorstandorten heute Landwirtschaft betrieben, zusammen machen einstige Moore sieben Prozent der gesamten Agrarfläche aus. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müssen dem Report zufolge allein hierzulande in jedem Jahr mindestens 50.000 Hektar Moorböden wiedervernässt werden – eine Fläche fast so groß wie der Bodensee.

Drohnenaufnahme eines Moores mit vielen abgestorbenen Bäumen
Der Anklamer Stadtbruch

Die Wiedervernässung auf einer so großen Fläche sei damit auch „eine massive kulturelle Herausforderung für den ländlichen Raum“, sagt Olaf Bandt, der Vorsitzende des BUND und Mitherausgeber des Atlas.

„Damit Klimaschutz durch Moorschutz gelingen kann, ist eine tiefgreifende Transformation der landwirtschaftlichen Strukturen nötig“, heißt es auch in dem Report. „Vergleichbar ist diese Aufgabe in ihrer finanziellen und politischen Dimension mit dem Kohleausstieg“, schreiben die Autoren. Konkret bedeutet der enorme Flächenbedarf etwa, dass nicht weiterhin 60 Prozent der gesamten Agrarfläche Deutschlands für die Produktion von Tierfutter zur Fleischerzeugung verwendet werden können. „Weniger Fleischkonsum ist auch ein Beitrag zum Moorschutz“, sagt Bandt.

Blick in eine renaturierte Fläche im Stettiner Haff aus Drohnenperspektive
Ökologische Traumlandschaft: Der Anklamer Stadtbruch

Enteignung kein Tabu

Um an ausreichend viele Flächen für die Wiedervernässung zu kommen, schließen die Expertinnen und Experten auch Enteignungen auf längere Sicht nicht aus. „Moorschutz liegt als Klima- und Artenschutz im überragenden öffentlichen Interesse“, sagt der Geschäftsführer der Michael Succow Stiftung, Jan Peters. Wie für Verkehrs- oder andere Infrastrukturprojekte auch, sei nicht auszuschließen, dass in einigen Jahren auf das „scharfe Schwert“ der Enteignung zurückgegriffen werden müsse. Auch Bandt kann sich das vorstellen. „Natürlich wird das entschädigt“, sagt er.

Reetdächer aus dem Moor nebenan

Entscheidend für die Akzeptanz einer flächendeckenden Wiedervernässung wird es dem Report zufolge aber sein, ob es gelingt, neue Nutzungsformen zu entwickeln, die sich für Landwirte rechnen und die gleichzeitig mit den Zielen des Klima- und Biodiversitätsschutzes in Einklang stehen. Hier kommen vor allem Produkte der nassen Landwirtschaft – der Paludikultur – in Betracht. Dabei werden in Mooren Nutzpflanzen wie Schilf, Rohrkolben oder Moosbeeren angebaut, die als Baustoffe, Futter oder Nahrungsmittel Einsatz finden. „Aus Schilfhalmen werden Reetdächer, aus Grasfasern werden Möbel“, nennt der Mooratlas Beispiele.

Kraniche stehen bei erstem Morgenlicht im Wasser
Kraniche sind auf Moore als Lebensraum angewiesen

„Die Bundesregierung unterläuft die Pariser Klimaziele“

Ein überraschend kritisches Urteil fällen die Expertinnen und Experten im Mooratlas mit Blick auf das von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) vorangetriebene Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, bei dem die Moorrenaturierung eine zentrale Rolle spielt. Das Programm und die von der Regierung gerade verabschiedete Moorschutzstrategie seien einerseits wichtige Schritte für den Klima- und Moorschutz.

Angesichts von jährlich mehr als 50 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen aus entwässerten Mooren sei die in der Moorschutzstrategie vorgesehene Verringerung von nur fünf Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030 – weniger als 10 Prozent der jährlichen Emissionen – nicht ambitioniert genug. „Die Regierung unterläuft damit auch die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens“, kritisieren Bandt, Peters und Imme Scholz von der Heinrich-Böll-Stiftung.

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