"Wer die Natur für den Klimaschutz nutzen will, muss als Erstes die Emissionen mächtig herunterfahren"

Hans-Otto Pörtner vom Weltklimarat IPCC spricht im Interview über Möglichkeiten und Grenzen, durch den Schutz von Ökosystemen den Klimawandel zu bekämpfen.

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
6 Minuten
24.09.2018, Hamburg: Hans-Otto Pörtner, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe 2 des Weltklimarates, spricht während einer Pressekonferenz zur Klimawoche auf dem Solarschiff «Alstersonne» am Jungfernstieg. Foto: Georg Wendt/dpa

Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner ist Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats IPCC und Leiter der Sektion Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Den ersten gemeinsamen Workshop von IPCC und Weltbiodiversitätsrat IPBES hat er als Ko-Vorsitzender geleitet.

Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste Ergebnis des ersten gemeinsamen Berichts von Weltklimarat und Weltbiodiversitätsrat? 

Dass wir die Themen Klimaschutz, Biodiversitätsschutz und nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft zusammen gedacht haben und damit zu einem positiven Fazit gekommen sind: Es gibt Hoffnung für die Zukunft. Man kann die unterschiedlichen Interessen miteinander versöhnen. Das ist eine ganz wichtige Botschaft. Aber man muss es auch wirklich wollen und beispiellose Anstrengungen dazu unternehmen. Die Industriegesellschaft ist in der Erdgeschichte ein komplett neues Phänomen. Erdgeschichtlich gesehen war die industrielle Entwicklung ein großes Experiment und wir müssen jetzt feststellen, dass dieses Experiment Schäden angerichtet hat, die dringend repariert werden müssen, damit die Menschheit eine nachhaltige Zukunft hat. 

Nach unseren Informationen gab es seitens einiger Staaten und auch innerhalb des IPCC Vorbehalte gegen den gemeinsamen Bericht mit dem Weltbiodiversitätsrat. Tut sich der Weltklimarat schwer mit Biodiversitätsschutz?

Sie müssen sehen, dass wir im IPCC ein wesentlich größeres Spektrum an Disziplinen abdecken als der Weltbiodiversitätsrat. Wir haben ja drei Arbeitsgruppen. Die eine beschäftigt sich mit Klimaphysik, meine Arbeitsgruppe analysiert die Auswirkungen des Klimawandels – da spielt natürlich die Natur eine Rolle – und dann gibt es eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Minderung des Klimawandels beschäftigt. Zwei dieser drei Arbeitsgruppen sind naturgemäß ein bisschen weiter vom Thema Biodiversität entfernt. 

Und bewerten den Naturschutz deshalb als weniger wichtig?

Wenn zum Beispiel im Bereich der Minderung des Klimawandels natürlich auch die naturbasierten Lösungen diskutiert werden, dann tut man das dort nicht mit dem Fokus auf Artenschutz, sondern vor dem Hintergrund, dass Lebensräume Kohlenstoff binden zu können und man schaut, wieweit man diese Eigenschaft für den Klimaschutz ausnutzen kann. Das ist ein eher technologischer Ansatz. Vom Trend her ist das einfach ein Stück weit weniger auf die Wertschätzung von Natur ausgerichtet. Das ist dann eher in meiner Arbeitsgruppe der Fall, die sich mit der Verwundbarkeit von sozioökonomischen und natürlichen Systemen gegenüber dem Klimawandel befasst. Im Weltbiodiversitätsrat betrachten Biologen die Natur und ihre Bedeutung für den Menschen. Bei uns gibt es dann eben die Klimaphysiker, die sich mehr mit den Treibhausgasen auskennen als mit der Biodiversität. 

Das Konzept der Nature-based Solutions, also des Schutzes von Ökosystemen, um sie als Speicher von Treibhausgasen zu erhalten, hat gerade Konjunktur. Auch in Ihrem gemeinsamen Bericht nimmt es eine wichtige Rolle ein. Zugleich warnen Sie aber davor, die Fähigkeiten der Ökosysteme in dieser Hinsicht zu überschätzen. Wie geht das zusammen?

Ja, naturbasierte Lösungen haben Konjunktur – und das bringt auch die Gefahr von Fehlentwicklungen mit sich. Wenn Politiker nun sagen, wir könnten ja ein Drittel der nötigen zusätzlichen Einsparungen über die Natur bekommen, dann ist es eine sehr synthetische Sichtweise. Denn die Natur kann man nicht so einfach instrumentalisieren. Die Ökosysteme sind geschwächt und sie müssen zunächst gestärkt werden um ihre Aufgabe auch im Klimaschutz erfüllen zu können.

Sie befürchten, dass naturbasierte Lösungen politisch dazu instrumentalisiert werden könnten, um letztlich geringere Einsparziele bei Treibhausgasen anzustreben?

So etwas klang ja auch bereits bei der Verschärfung der EU-Klimaziele durch. Da wurde die Fähigkeit der Natur, Kohlendioxid zu binden als eine gewisse Entschuldigung genommen, bei den Emissionsreduktionen weniger ambitioniert vorzugehen. Das ist etwas, das garnicht geht. Das läuft komplett gegen unsere Empfehlungen. Wenn ich die Natur für Klimaschutz einsetzen will, dann muss ich erstmal die Emissionen mächtig herunterfahren, damit sie dazu auch in der Lage ist. Und im Übrigen brauchen wir diese Kapazitäten der Natur auch, um mittel- und langfristig unsere Klimaambitionen erfüllen zu können. 

Es gibt bereits Untersuchungen, nach denen beispielsweise Teile des Amazons unter dem Strich schon mehr Treibhausgase ausstoßen als binden.

Noch ist der Amazonas als ganzes kein Netto-Ausscheider. Aber er ist auf dem Weg dahin, weil er durch Temperaturextreme, Dürre und Holzeinschlag in seiner ökologischen Fähigkeit geschwächt ist. Da muss man gegensteuern. Wir können doch nicht sagen, jetzt benutzen wir ihn für Klimaschutz, wenn er dazu garnicht mehr zur Verfügung steht, weil wir ihm schon seine Kapazität dazu genommen haben. 

Einer vielbeachteten Studie zufolge können mit Nature-based Solutions 37 Prozent der Kohlenstoffemissionen eimgespart werden, die notwendig sind, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Wird das Potenzial der Biosphäre angesichts ihres derzeitigen schlechten Zustands überschätzt?

Zusätzliche Einsparungen in dieser Größenordnungen sind nur möglich, wenn die Ökosysteme intakt sind. Der von uns als äußerst wichtig angesehene Ansatz der Renaturierung gestörter Ökosysteme kann einiges in diese Richtung bewegen. Aber: Dafür ist der Klimaschutz eine absolute Voraussetzung, weil sonst die Ökosysteme das, was sie traditionell getan haben, nicht mehr tun können. Insofern sind die 37 Prozent aus heutiger Sicht überschätzt.

Das Heck eines Buckelwals ragt aus dem Wasser des Indischen Ozeans.
Die Ozeane der Erde sind Hotspots der Biodiversität und Lebensraum unter anderem für Buckelwale.

Eine ihrer wichtigsten Empfehlungen ist der Abbau naturschädlicher Subventionen. Mit der Reform der europäischen Agrarpolitik sehen wir gerade, dass die EU auf bestem Wege ist, für weitere sieben Jahre hier eine große Chance zu verspielen. Welches Signal sendet das?

Das zeigt uns auf eine sehr enttäuschende Weise, dass der Flaschenhals für Lösungen doch offenbar in der Politik liegt, die versucht, mit allen Seiten Kompromisse zu schließen statt sich den naturwissenschaftlichen Einsichten anzuschließen und sie dann umzusetzen. Da muss man eben kurzfristige Interessen auch mal hinten anstellen und sagen: Wir brauchen hier eine Umstellung In Richtung Nachhaltigkeit – mit ein bisschen zu wenig hier und ein bisschen zu wenig dort verpassen am Ende die Klimaziele. Und dann müssen Richter der Politik auferlegen, dass sie doch gefälligst ihre Hausaufgaben zu machen hat. Wir brauchen Politiker, die bessere naturwissenschaftliche Einsichten haben. 

Sie sprechen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts an. Die Richter haben vor kurzem in einem spektakulären Urteil Nachbesserungen am Klimaschutzgesetz angeordnet, weil zu wenig Klimaschutz heute die Freiheit der jungen Generation später unvertretbar einschränke. Gilt das nicht genauso auch für das derzeitige Ausmaß an Naturzerstörung?

Das Karlsruher Urteil könnte eine große Bedeutung auch für den Biodiversitätsschutz haben, wenn man Klima- und Biodiversitätsschutz wirklich zusammen denkt. Unser Bericht legt das absolut nahe. Weil für alle Seite das beste dabei rauskommt, wenn an Naturschutz und Klimaschutz gemeinsam denkt.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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