Die Rückkehr des Hungers
Der Klimawandel wird Ernteerträge drastisch reduzieren
Bauern und Bäuerinnen weltweit müssen sich schneller auf den Klimawandel einstellen als gedacht. Besonders betroffen sind die Länder im globalen Süden. Ohne Anpassung werden die Erträge besonders beim Mais wohl deutlich schrumpfen.
Armut und Hunger – das ist in Madagaskar Alltag. Der Inselstaat im indischen Ozean ist einer der ärmsten Staaten der Erde. Doch was die Menschen im Süden des Landes seit einem Jahr erleiden, das hat selbst hier eine neue Dimension. Nach jahrelanger Dürre wächst fast nichts mehr. Der Boden ist zu Stein getrocknet und bringt kein Leben hervor. Mehr als eine Million Menschen hungern. Viele haben nur noch alle paar Tage etwas zu essen. Klimawandel ist hier nicht abstrakt. Er bedeutet Hunger, Leid und Tod.
Die Situation auf Madagaskar könnte Vorbote sein für das, was Menschen in vielen Staaten des globalen Südens erwartet. Und – wohl in weit geringerem Maße – auch die Bewohner der Industrieländer. Forscher:innen rechnen mit gravierenden Ertragsverlusten bei den wichtigsten Nahrungspflanzen, und das schon in den kommenden 10 bis 20 Jahren, Jahrzehnte früher als bislang angenommen. Das ist das Ergebnis einer Studie des NASA Goddard Institute for Space Studies, des Earth Institute der Columbia University New York und des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Ein internationales Forschungsteam hat die neuesten Generationen der Klima- und Nutzpflanzenmodelle (Agricultural Intercomparison Models) mit Daten gefüttert, harmonisiert und verglichen. Ziel war, möglichst genaue Zukunftsszenarien für landwirtschaftliche Erträge weltweit zu errechnen. Jetzt liegt die bislang umfangreichste und genaueste Sammlung solcher Projektionen vor. Sie soll die Basis für ein Archiv globaler Ernteerträge legen. Die Studie wird auf der COP26 in Glasgow vorgestellt, die Ergebnisse sind auch im Fachjournal Nature Food nachzulesen.
Besonders die Erträge von Mais werden sinken
Schon lange ist klar, dass der Klimawandel negative Auswirkungen auf Nahrungsmittelanbau und Ernährungssicherheit hat. Höhere Extrem- und Durchschnittstemperaturen, ausbleibende oder verschobene Regenzeiten und Dürren lassen die Äcker vertrocknen. Starkregenereignisse schwemmen die frische Saat weg oder knicken tragende Getreidehalme kurz vor der Ernte um. Auf die traditionellen, jahrhundertelang perfektionierten Anbaumethoden und -zeiten ist kein Verlass mehr. Doch der Einfluss des Klimawandels ist den neuen Berechnungen zufolge wohl noch stärker als bislang angenommen:
Die Computersimulationen zeigen, dass bei starker Erderwärmung die Mais-Erträge in den letzten 30 Jahren dieses Jahrhunderts global um fast ein Viertel zurückgehen könnten. Doch die sogenannte „Time of Emergence" (TCIE) für den Beginn der globalen negativen Produktivitätsänderung kann bei Mais ab 2032 eintreten, in gemäßigten Klimazonen, die 81 Prozent der Gesamtproduktion bedeuten, ab 2037. Auch Reis und Soja reagieren empfindlich, ein deutliches Absinken der Erntemengen ist im Rahmen der Modellgenauigkeit gut möglich. Nur die Weizenerträge könnten um etwa 17 Prozent steigen.
Diese vier Nahrungspflanzen decken 90 Prozent der weltweit konsumierten Kalorien ab. Obwohl Prognosen generell immer unsicherer werden, je mehr Parameter einfließen und je weiter sie in die Zukunft reichen, ist klar, dass die Lage schlechter wird. Extremwetter und Erderwärmung spielen eine wichtige Rolle. Aber auch die höheren CO2-Gehalte* in der Atmosphäre selbst verändern die Pflanzen. Sie wachsen zwar schneller, aber die Körner bleiben kleiner und haben einen geringeren Nährwert.
*(Anmerkung: Aus technischen Gründen kann im Text die „2" in „CO2" nicht tiefergestellt werden, wie es wissenschaftlich korrekt wäre).
Wir sehen, dass in vielen wichtigen Kornkammern der Welt anormale Jahre schon innerhalb des nächsten Jahrzehnts oder kurz danach zu normalen Jahren werden. Für uns ist das der Zeitpunkt, an dem das Klimawandel-Signal klar alles historische Rauschen übertönt.
Jonas Jägermeyr, Hauptautor der Studie
„Das Ausmaß der Änderungen ist so massiv und so ausgedehnt, bei Mais sind es 74 Prozent der globalen Anbauflächen. Die Bauern weltweit müssen sich auf eine neue Klimarealität einstellen.“ Jägermeyr hat Geographie, Mathe und Meteorologie studiert und arbeitet für die NASA in New York als Crop-Modellierer und Klimawissenschaftler. Durchs Telefon hört man beim Interview die typischen Straßengeräusche: Sirenen und Autolärm.
Die Veränderungen betreffen alle
Dass es auch in den gemäßigten Zonen eng werden kann, wenn die Abläufe der Natur gestört sind, zeigten die Hitzesommer in Deutschland. 2018 war es um 25 Prozent zu trocken, 2019 um 7 Prozent. 2020 waren die Niederschläge um 10 Prozent geringer, verglichen jeweils mit den langjährigen Mittelwerten, so das Umweltbundesamt. Wenn die für das Pflanzenwachstum wichtigen Monate April bis September betroffen sind, gibt es eine schlechte Ernte. Allein 2018 führte der Hitzesommer zu Ernteeinbußen und Schäden von etwa 770 Millionen Euro.
Doch in den gemäßigten Klimazonen sind die negativen Effekte wohl nicht so stark wie in den tropischen und subtropischen Regionen.
Die Entwicklung verschärft die globale Ungleichheit
Die Forscher:innen waren überrascht, dass sich ihre Voraussagen von denen älterer Modelle so grundlegend unterscheiden. Gerade beim Mais, besonders entscheidend für die Ernährungssicherheit im globalen Süden, war man bislang von zunächst steigenden Erträgen ausgegangen. „Unsere Daten zeigen deutlich, dass ärmere Länder wahrscheinlich die stärksten Rückgänge bei den Erträgen ihrer wichtigsten Grundnahrungsmittel verzeichnen werden. Das verschärft die bereits bestehenden Unterschiede in der Ernährungssicherheit und im Wohlstand", sagte Christoph Müller, Mitautor und ebenfalls Forscher am Potsdam-Institut, bei wissenschaft.de.
Im globalen Süden sind hunderte Millionen Kleinbauern direkt von der Landwirtschaft abhängig. Sie leben oft von der Hand in den Mund, ohne weitere Einkommensquellen. Wenn die Ernte ausfällt, haben sie nichts zu essen.
Die Studien zeigten die Dringlichkeit der Situation, bestätigt auch Matin Qaim, Agrarökonom und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn der nicht an der Studie beteiligt war: „Aus meiner Sicht sind diese Ergebnisse plausibel und müssen sehr ernst genommen werden. Im Klartext heißt das: Der Zeitraum für mögliche Anpassungen wird kürzer.“
Schnelles Gegensteuern notwendig
Die Forscher:innen sehen dringenden Handlungsbedarf. Den Klimawandel schnell genug aufzuhalten, um Effekte in spätestens 20 Jahren zu verhindern, ist utopisch. Daher geben sie der Entwicklung angepasster Sorten oberste Priorität. Landwirte können auch andere Aussaatzeiten erproben oder auf neue Arten umsteigen, die klimaresistenter sind. Wissenschaftler:innen setzen auch auf stärkere Vermeidung von Nahrungsmittelverlusten bei Anbau, Transport und Verbrauch. Wichtig ist, so Jägermeyr, dass die Maßnahmen systematisch umgesetzt und von der Politik unterstützt werden, weltweit.
Die prognostizierten Zuwächse beim Weizen vor allem in nördlichen Breitengraden können übrigens die Verluste beim Mais im globalen Süden wohl nicht ausgleichen. Die Weizenerträge steigen den Modellen zufolge nur bis Mitte des Jahrhunderts an und fallen danach wieder ab, unter anderem aufgrund einer schlechteren Wasserverfügbarkeit.
„Selbst unter optimistischen Klimaszenarien, bei denen alle sich heftig ins Zeug legen, um den globalen Temperaturanstieg zu begrenzen, wird sich die globale Landwirtschaft einer neuen Klimarealität stellen müssen", lautet das Fazit von Jonas Jägermeyr.
Studie: Jägermeyr, J., Müller, C., Ruane, A.C. et al. Climate impacts on global agriculture emerge earlier in new generation of climate and crop models. Nat Food (2021). DOI