Entscheidende Tage für den Klimaschutz – und für Steffi Lemke

Die Grünen-Politikerin muss nach dem Urteil aus Karlsruhe um ihr zentrales Vorhaben kämpfen. Im Ringen um den natürlichen Klimaschutz geht es für sie nach vielen schmerzhaften Zugeständnissen auch um die Bilanz ihrer ganzen Amtszeit. Ein Kommentar

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Lemke neben einer grünen Wand mit der Inschrift Natürlicher Klimaschutz

Dieser Artikel ist Teil unserer Recherche-Serie„Countdown Earth: So lösen wir die Klima- und Artenkrise“.

Das Schuldenbremsen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt neben zahlreichen anderen Programmen auch das wichtigste Vorhaben der Regierung zum natürlichen Klimaschutz infrage. Nicht nur für den Naturschutz, auch für die zuständige Umweltministerin ist das ein großes Problem. Denn für Steffi Lemke entscheidet sich mit dem Programm auch maßgeblich Erfolg oder Scheitern ihrer gesamten Amtszeit.

Klimapolitischer Scherbenhaufen

Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung verboten, Geld für den Klimaschutz umzuwidmen, das ursprünglich für die Bekämpfung der Corona-Krise bestimmt war. Mit der Entscheidung der obersten Richterinnen und Richter vom Mittwoch fehlen der Ampel auf einen Schlag 60 Milliarden Euro, die sie aus Kreditermächigungen der Corona-Zeit in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds überführt hatte. Die Koalition steht damit vor einem klimapolitischen Scherbenhaufen, denn aus dem Fonds finanzieren die Ministerien bisher alle maßgeblichen Programme zum Umbau von Wirtschaft und Privathaushalten zur Klimaneutralität.

Geld ausgeben und zugleich Schulden vermeiden: Das geht nicht länger

Der Fonds hat sich seit Bestehen der Ampel-Koalition zu einer Schatzkiste für die ungleichen Koalitionspartner entwickelt. Aus ihm wurden bislang so unterschiedliche Vorhaben finanziert wie Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz und der Erneuerbaren Energien an Gebäuden, die Abfederung der Energiepreise durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine für Bürger und Wirtschaft, die Sanierung der Bahn-Infrastruktur, die Förderung beim Kauf von Elektroautos und der Aufbau der Ladeinfrastruktur. Sogar für die Subventionierung einer einzigen Chipfabrik mit zehn Milliarden Euro haben es die Wirtschaftsförderer im Energiewendeministerium von Robert Habeck geschafft, einen Zusammenhang zur Klima-Transformation zu konstruieren.

Porträt Lemke auf einer Brücke, im Hintergrund Wasser
Bundesumweltministerin Steffi Lemke will das Renaturierungsgesetz im Dialog mit allen Interessensgruppen umsetzen.

Koalitionsfrieden dank Sondertopf

Der Fonds war darüberhinaus auch immer ein Garant des Koalitionsfriedens, ließen sich über das Konstrukt als Sondervermögen außerhalb des regulären Bundeshaushalts doch zwei Kernanliegen der ungleichen Partner realisieren, die sich eigentlich widersprechen: Der Fonds ermöglichte massive Geldspritzen in Wunschprojekte vor allem der Grünen bei gleichzeitiger Einhaltung der Schuldenbremse – einer Priorität der FDP. Das ist nun vorbei.

Noch ist unklar, wie es weitergeht. Zwar steht der Fonds nicht ohne Geld da. Er finanziert sich fortlaufend aus den Erlösen der europäischen und nationalen CO2-Bepreisung. Aber schon ab kommendem Jahr sollte für Programme schon mehr ausgegeben als eingenommen werden. Der Topf wird mit dem Wegfall der 60 Milliarden Rücklagen nun noch viel schneller leer sein als ohnehin absehbar.

Verteilungskampf um verbliebenes Geld zeichnet sich ab

Der Verteilungskampf um die massiv geschrumpften Mittel wird wohl auch deshalb erbittert geführt werden, weil aus dem Fonds bisher nicht nur politisch zentrale Projekte der einzelnen Ministerien finanziert werden. Die darin aufgelegten Programme sind häufig mit Geldzahlungen und anderen ökonomischen Vorteilen an Bürger verbunden und haben damit einen direkten Einfluss auf das Wahlverhalten. Aus beiden Gründen wird das Scheitern oder die Weiterführung der einzelnen Förderprojekte aus den verbliebenen Mitteln oder aus dem Bundeshaushalt auch für die politische Zukunft der mit ihnen verbundenen Ressortchefs und -chefinnen mit entscheidend sein.

Für Lemke ist der Einsatz besonders hoch

Für alle beteiligten Regierungsmitglieder steht also viel auf dem Spiel. Vor allem für Umweltministerin Steffi Lemke könnte der Streit um die Milliarden aus dem Fonds aber darüber entscheiden, ob ihre Amtszeit wenigstens einigermaßen erfolgreich oder mit einer dürftigen Bilanz endet. Zwar hat die Grünen-Politikerin nur einen kleinen Anteil der Fonds-Mittel für sich erstritten. Aber mit dem „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ ist ausgerechnet ihr wichtigstes Naturschutz-Vorhaben vollständig über den Sondertopf finanziert. Und auf dessen Erfolg ist die Ministerin (und ist der natürliche Klimaschutz) dringend angewiesen. Denn Lemke, der niemand abspricht, mit ganzem Herzen die Sache des Natur- und Umweltschutzes zu vertreten, hat bisher die größten Opfer beim Umbau zur Klimaneutralität bringen müssen.

Drohnenfoto des überschwemmten Stadtbruchs
Durch die Flutung des entwässerten Moores wurde auch der im Anklamer Stadtbruch nach der Eindeichung angepflanzte Wald unter Wasser gesetzt.

Lange Liste schmerzhafter Zugeständnisse

Vor allem im Ringen um den Ausbau der Erneuerbaren Energien hat sie bisher ein Zugeständnis nach dem anderen gemacht: Eine gegenüber den Belangen des Natur- und Artenschutzes geradezu gnadenlose Vorrangpolitik für die Erneuerbaren Energien mit Planungsbeschleunigung auf Kosten von Umweltprüfungen und der Abschwächung des Artenschutzes im Bundesnaturschutzgesetz, Vorrang für LNG-Terminals in ökologisch wertvollsten Regionen und zuletzt die Einstufung von Holzheizungen als klimaneutral – einige Beispiele für die Zugeständnisse, die Lemke in der Koalition und oft genug gegenüber dem eigenen Parteifreund Habeck machen musste.

Kanzler und Verkehrsminister blockieren wichtige Vorhaben Lemkes – und jetzt kommt nicht einmal das Glyphosat-Verbot

Wichtige eigene Vorhaben wie ein Ende der Beimischung von Lebensmitteln in Treibstoffe als sogenannter Ökosprit und ein Gesetz zur Sicherung von Flächen für den Naturschutz werden vom Verkehrsministerium oder von Kanzler Olaf Scholz persönlich blockiert. Das vielleicht größte Armutszeugnis der Ampel-Koalition in der Umweltpolitik wurde an diesem Donnerstag in Brüssel ausgestellt.

Weil es die Koalitionäre nicht einmal schafften, sich auf ein gemeinsames Nein zur weiteren Zulassung des Pflanzenkillers Glyphosat zu einigen, wird das Biodiversitäts-Gift in Europa weitere zehn Jahre zugelassen bleiben. Ein eklatanter Bruch des Koalitionsvertrages, in dem das Aus für Glyphosat versprochen worden war. Schuld ist die FDP, fachlich zuständig Lemkes grüner Kollege, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir – aber das Scheitern fällt natürlich auch auf die für Naturschutz zuständige Ministerin zurück. Und es spricht Bände über das Gewicht grüner Umweltpolitik innerhalb der Koalition.

Trotz dieser verheerenden Zwischenbilanz konnte Lemke die verbreitete Kritik über zu wenig Umwelt- und Naturschutz aus Umweltverbänden und Teilen der eigenen Partei bisher stets mit einigem Recht mit dem Hinweis kontern, dass sie mit ihrem „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ soviel Geld für den Schutz der Natur locker gemacht hat wie keiner ihrer Vorgänger: Vier Milliarden Euro in dieser Wahlperiode.

Vier Milliarden für die Natur – bislang eine beispiellose Summe

Mit dem Geld sollen – oder sollten – überall in Deutschland Ökosysteme wieder in einen naturnahen Zustand gebracht werden, damit sie widerstandsfähiger gegen den Klimawandel werden. Gleichzeitig sollen sie dadurch als Refugien für bedrohte Tier- und Pflanzenarten dienen. »Es geht jetzt darum, nach Jahrzehnten der Naturzerstörung ein Zeitalter der Renaturierung einzuläuten«, sagte Lemke bei der Vorstellung des Programms im Bundestag. »Wir investieren in unsere Ökosysteme, damit sie uns schützen können vor den Folgen der Klimakrise, vor Hochwasser, vor Dürre, vor Hitzeereignissen«, umriss sie das Konzept.

Wie bedeutsam das Programm zum natürlichen Klimaschutz ist, zeigt sich allein in den Zahlen. Vier Milliarden mögen im Verhältnis zum 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr oder im Vergleich zu den 10 Milliarden für den Bau einer Chip-Fabrik des Unternehmens Intel in Magdeburg (aus dem Transformationsfonds finanziert) nicht besonders viel sein.

Folgt dem Jubel nun die Ernüchterung?

Für den seit Jahrzehnten notorisch unterfinanzierten Naturschutz ist das eine Riesensumme. Vier Milliarden Euro, das ist doppelt so viel Geld, wie das Umweltministerium für alle seine Aufgaben zusammengenommen im Jahr 2022 zur Verfügung hatte – von der Lagerung radioaktiven Abfalls über den Verbraucherschutz bis zum Haushalt der zwei angeschlossenen Bundesämter. »Wir sind fast noch besoffen«, sagte bei der Bekanntgabe des Programms der zuständige Fachmann im Ministerium, Helmut Alda. Entsprechend groß könnte die Ernüchterung sein. Auch bei vielen Bürgerinnen und Bürgern: Denn das Programm lief überraschend erfolgreich an. Auf den Aufruf zur Einreichung von Projektanträgen für den Teilbereich „Natürlicher Klimaschutz in ländlichen Kommunen“ meldeten sich so viele Gemeinden und Initiativen, dass das geplante Fördervolumen von 100 Millionen Euro um das Vierfache überzeichnet wurde. Aber die Planungen für alle Projekte liegen nun auf Eis.

Umweltministerin ohne Klimazuständigkeit?

Der Kampf um das Aktionsprogramm ist aus einem weiteren Grund für Lemke eine Frage des Alles oder Nichts: Der Bereich des natürlichen Klimaschutzes ist das letzte Feld der Klimaschutzpolitik, das ihrem Ministerium geblieben ist, nachdem Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock zentrale Bereiche des Themas in ihre Ministerien gezogen haben. „Seitdem sitzen wir ohnehin am Katzentisch der Klimapolitik“, sagt jemand aus dem Ministerium. Fällt das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz weg oder wird es zur Unkenntlichkeit beschnitten, dürfte das deutsche Umweltministerium das erste Umweltressort in Europa sein, das mit Klimaschutz nichts am Hut hat.

Es gibt Alternativen zum Sparen: Schuldenbremse lockern, schädliche Beihilfen streichen

Für Lemke und den natürlichen Klimaschutz steht beim bevorstehenden Ringen um das Erbe aus dem Klimafonds also besonders viel auf dem Spiel. Ein Showdown um den natürlichen Klimaschutz und die unzähligen anderen Vorhaben ließe sich aber noch abwenden. Denn es gäbe andere Lösungen. Aber die bedürften eines großen Wurfes. Bei Grünen und in Teilen der SPD wird beispielsweise das Dogma der Schuldenbremse in Zeiten zentraler Weichenstellungen für die künftigen Generationen infrage gestellt. Auch Einsparungen an anderer Stelle sind denkbar. Nach einer Untersuchung des Umweltbundesamts leistet sich Deutschland in jedem Jahr natur- und umweltschädliche Subventionen in Höhe von 65 Milliarden Euro, darunter das Dienstwagenprivileg und eine Agrarpolitik, die die ökologische Krise massiv verschärft, für deren Bekämpfung hinterher viel Geld ausgegeben werden muss.

Ein Elektroauto steht vor einem Haus mit Steingarten
E-Autos gegen Moor-Renaturierung: Sehen so die Verhandlungen über das Erbe aus dem Transformationsfonds aus?
Drohnenfoto eines Moores
renaturiertes Waldmoor

Wahrscheinlicher als der große Wurf über solche grundlegende Änderungen ist aber eine Fortsetzung der bisherigen Politik. Dann könnte es im Ringen um das Geld aus dem Erbe des Transformations-Fonds schon bald heißen: Moorwiedervernässung gegen Hilfen für Elektroautos. Oder Geld für Naturschutz gegen die Finanzierung neuer Ladestation für E-Porsches oder eine Chip-Fabrik. Wer in einer solchen Konstellation wohl bessere Chancen bei Kanzler, Finanzminister und grünem Wirtschaftsminister hat? Lemke steht vor der wichtigsten Auseinandersetzung ihrer Amtszeit. Jetzt muss sie kämpfen.

Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering-Stiftung Natur und Mensch gefördert.

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