Naturschutzpolitik der Ampel: Zumutungen sofort, Verbesserungen vielleicht später
Es hätte eine richtig gute Woche für den Naturschutz werden können. Doch dann verhagelt sich die Ampel den eigenen Erfolg
Nach jahrelanger beharrlicher Vorbereitung hat Steffi Lemke es geschafft.
Mit der Verabschiedung des „Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz“ durch das Bundeskabinett hat sie ein milliardenschweres Förderprojekt auf den Weg gebracht, das den so dringend nötigen Schulterschluss zwischen Natur- und Klimaschutz nicht nur proklamiert, sondern praktisch umsetzen soll. Schon als umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion hatte sie die Idee entwickelt und seitdem beharrlich verfolgt. Sie schaffte es, die für die Maßstäbe eines Umweltministeriums beispiellose Finanzausstattung von vier Milliarden Euro in den Koalitionsverhandlungen durchzusetzen.
Dass das nicht eben einfach gewesen sein dürfte, zeigt das Scheitern eines anderen Naturschutz-Anliegens der Grünen-Politikerin in denselben Verhandlungen: Auch für das Nationale Artenhilfsprogramm, dessen Ziel es ist, die ökologischen Auswirkungen des rasanten Windenergie-Ausbaus abzufedern, wollte Lemke einen Milliardenbetrag sichern. Am Ende sitzt der von ihr benannte „Sonderbeauftragte für das Nationale Artenhilfsprogramm“ vor einem Budget von 82 Millionen Euro, mit dem er die schlimmsten Auswirkungen des „Deutschland-Tempos“ beim Windkraft-Ausbau auf die Artenvielfalt abbremsen soll.
Nun also vier Milliarden dafür, Moore wiederzuvernässen, die ökologische Umgestaltung von Wäldern voranzutreiben, Hecken in die Agrarwüsten zu pflanzen und innerstädtische Grünflächen biodiversitätsfördernd umzugestalten: Trotz einiger Schwächen im Konzept – das Programm kann als Highlight in die Bilanz Lemkes als Ministerin eingehen. Doch die Freude darüber bleibt Vielen – vermutlich auch in Lemkes eigenen Ministerium – nach den gleichzeitigen Beschlüssen des Koalitionsausschusses im Halse stecken: 144 Autobahn-Vorhaben sollen laut FDP in ein „überragendes öffentliches Interesse“ überführt und damit im Eiltempo durchgewunken werden. Gut möglich, dass künftig einige der Maßnahmen zum natürlichen Klimaschutz im Vorbeifahren aus dem Autofenster besichtigt werden können.
Umweltverträgliche Wege zu mehr Klimaschutz werden geschwächt – Eingriffe in die Natur per Turbo forciert
Das Versagen von Verkehrsminister Volker Wissing dabei, seine Klimaschutz-Vorgaben zu erfüllen, bleibt durch die von den Koalitionären beschlossene Aufweichung der Ziele für einzelne Politikfelder folgenlos. Über ein Tempolimit wurde offenbar nicht einmal gesprochen – das passt ins Bild: Während die Verpflichtungen auf umweltverträgliche Wege zum Klimaschutz geschwächt werden, zündet die Koalition bei Eingriffen in die Umwelt einen Turbo nach dem anderen im Namen der Energiewende oder im Namen ungebremster Automobilität.
Aus dem einstigen Dreiklang zum Klimaschutz aus Einsparen, Effizienz und Erneuerbare ist eine einseitige Fixierung auf Letzteren übrig geblieben. Selbst der Bedarf für groteske Energieverschwendung soll noch gedeckt werden, und zwar aus der belebten Landschaft.
Mit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses wird dieser Kurs der Deregulierung beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien mit weiteren Beschleunigungen weiter vorangetrieben: Kommunen sollen beispielsweise künftig auch dann Flächen für Windenergie ausweisen können, wenn die eigentlich verbindlichen Regionalpläne dort keine Windflächen vorgesehen haben. Osterpaket zum schnelleren Ausbau der Windenergie vor den Küsten, Sommerpaket für den Turbo an Land mit einer beispiellosen Schwächung des Artenschutzes, LNG-Terminals im Überfluss und Übernahme der EU-Notfallverordnung mit einer Aussetzung der Naturschutzprüfungen unter bestimmten Bedingungen: Der Naturschutz wird für den Ausbau der Erneuerbaren im Planungs- und Genehmigungsprozess seit Antritt der Ampel-Koalition Stück für Stück eliminiert.
Das von Industrie und Marktliberalen seit Jahren verbreitete Narrativ, der Naturschutz sei die eigentliche Bremse beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, verfängt ganz offenkundig mittlerweile auch beim grünen Koalitionspartner.
Ernüchternder noch: Es wird gerade aus dem Haus von Energiewende-Minister Robert Habeck in die Koalition und darüber hinaus getragen. Unvergessen die Attacke des grünen Habeck-Staatssekretärs Sven Giegold, der den Artenschutz in der Personifizierung des Rotmilans zum Haupthindernis für die Energiewende ausrief, um gegen die EU-Vogelschutzrichtlinie mobil zu machen – jener Teil der europäischen Naturschutzgesetzgebung, auf dessen Fundament auch das deutsche Naturschutzrecht fußt.
Diese Attacke gegen EU-Rechtsstandards wehrte Lemke zu Beginn der Wahlperiode hinter den Kulissen noch ab. Auch bei den diversen Beschleunigungspaketen mühten sich Lemke und ihr Ministerium nach Kräften, Naturschutzstandards aufrecht zu erhalten. In vielen Fällen stand das Umweltministerium dabei aber gleich drei Koalitionären gegenüber: FDP, SPD und dem stärkeren Grünen-Ressort Habecks. Der Erfolg blieb entsprechend überschaubar.
Auch der neueste Vorstoß zum europaweiten Aushebeln des Naturschutzes über die sogenannte EU-Notfallverordnung wurde vom Habeck-Ministerium angestoßen.
Der Regelung, die den Mitgliedsstaaten unter Voraussetzungen den Verzicht auf Artenschutz- und Umweltverträglichkeitsprüfung erlaubt, stimmten jetzt aber auch grüne Naturschutzpolitiker im EU-Parlament und im Bundestag zu. „Wir stehen mächtig unter Druck“, sagt einer. Die Angst auch bei den Grünen sitzt tief, ohne die Brechstange gegen den Naturschutz die Ausbauziele nicht erreichen zu können. Entsprechend vereinbarte der Koalitionsausschuss, die eigentlich zeitlich befristete Notfallregelung nun dauerhaft festschreiben zu wollen – und mit ihr das Außerkraftsetzen der wichtigsten europäischen Schutzvorgaben. Naturschützer fürchten nun die Zerstörung vieler noch unverbauter Flusslandschaften auf dem Balkan durch Wasserkraftwerke.
Vorrangfläche auch für Natur – das wäre ein Lichtblick
Wenigstens einen Lichtblick enthält das Koalitionspapier aus Sicht des Naturschutzes auch. Die seit einiger Zeit von Naturschutzverbänden und grünen Umweltpolitikern vorangetriebene Idee, analog zu Vorranggebieten für Erneuerbare Energien auch solche für Natur zu schaffen und diese gesetzlich abzusichern, soll nun vorangetrieben werden. Unter anderem soll ein länderübergreifender Biotopverbund als eine solche Vorrangfläche geschaffen werden.
„Wenn Klimaschutz und Erneuerbare Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegen, liegt auch der Schutz von überlebenswichtigen Ökosystemen wie Mooren, Auen und Feuchtgebieten im überragenden öffentlichen Interesse, weil sie unsere natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die Klimakrise sind“, hatte der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jan-Niclas Gesenhues, die Idee in einem RiffReporter-Interview erläutert. Als nächster Schritt vor einem Gesetz soll nun zunächst Umweltministerin Lemke einen Konsultationsprozess mit mit Verbänden, Praxisvertretern und Wissenschaft starten.
Ob aus der Idee noch in dieser Wahlperiode ein „Naturschutz-Turbo gegen das Artensterben“ wird, wie der grüne niedersächsische Umweltminister Christian Meyer eilig behauptete, ist völlig offen. Vorerst bleibt es beim bekannten Muster in der Naturschutzpolitik der Ampel: Verbesserungen werden für die Zukunft in Aussicht gestellt. Zumutungen beginnen sofort.