Wie maßgeschneidert können Pestizide sein?

Forscherïnnen arbeiten an Insektengiften, die nur noch einzelne Arten töten sollen

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Zwei bernsteinbraune Käfer mit gelb-schwarz gestreiften Flügeln. Das Männchen hängt auf dem Rücken des Weibchens.

75 Prozent weniger Insekten in nur 30 Jahren – das hat die Gruppe um Forscherïnnen des Entomologischen Vereins Krefeld bei ihrer Langzeitstudie registriert. Diese Zahl hat viele Menschen aufgerüttelt.

Im gleichen Zeitraum sprühten viele Bauern mehr und stärkere Pestizide auf ihre Äcker, um Insekten davon abzuhalten, ihre Feldfrüchte aufzufressen. „Weltweit gehen wirklich große Teile der Ernte an Insektenschädlinge verloren“, sagt Gregor Bucher von der Universität Göttingen. Sein Kollege Guy Smagghe von der Universität Gent fügt hinzu: „Das kann 20 bis 30 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion ausmachen. Manchmal sogar 100 Prozent.“

Zwar richten nur einzelne Insektenarten solche Schäden an. Das Gift aber tötet alle Kerbtiere und kann die gesamte Nahrungskette sowie die Menschen, die die Substanzen anwenden, schädigen. Naturschützerïnnen sagen: „Das ist Wahnsinn. Wir müssen raus aus dieser Sackgasse.“ Viele Agrar-Fachleute erwidern: „Essen für zehn Milliarden – das geht nicht ohne Gift. Wir brauchen bessere Gifte. Gifte, die wirklich nur die Insekten treffen, die sie treffen sollen.“ Wissenschaftlerïnnen wie Guy Smagghe und Gregor Bucher sind auf der Suche nach Insektengiften mit neuen Mechanismen. Nach maßgeschneiderten Giften.

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Ein dunkelhaariger Mann mit weißem Kittel und schwarzer Brille steht in einem Labor und schaut in die Kamera.
Professor Dr. Gregor Bucher von der Universität Göttingen hat 200 Insektengene gefunden, die für zielgerichtete Pestizide geeignet sind.
Eine junge Frau mit kinnlangen dunkelbraunen Haaren hantiert mit einer Pinzette an einem langen Tisch, auf dem mehrere Lichtlupen stehen.
Fummelarbeit: Annkatrin Müller von der Abteilung Evolutionäre Entwicklungsgenetik an der Universität Göttingen bereitet Puppen des Reismehlkäfers vor …
Die junge Frau beugt sich über einen kleinen Glasstreifen. Mit einer Pinzette legt sie winzige crèmefarbene Röllchen darauf.
… um sie mit einer Pinzette auf einem Objektträger mit doppelseitigem Klebeband zu fixieren.
Sieben winzige crèmefarbene Möhrchen kleben auf einem länglichen Glasplättchen.
Bereit zum Injuzieren: Die sieben Puppen des Reismehlkäfers kleben in Reih und Glied auf dem Glasplättchen.
Ein Mann sitzt vor einem Binokular. Er bedient eine Spritze, die von einem Stabilisator gehalten wird.
Dr. Salim Hakeemi spritzt eine Flüssigkeit mit doppelsträngiger RNA. Auf diese Weise lässt er Gene in den Reismehlkäferpuppen verstummen. Der Stabilisator verhindert, dass er die Puppen verletzt.
Auf einem Glasplättchen kleben sieben winzige Käferpuppen. Ein durchsichtiges Röhrchen mit rötlicher Flüssigkeit bewegt sich auf sie zu.
Die gläserne Nadel mit der rötlichen Flüssigkeit hat Salim Hakeemi selbst gezogen und angespitzt. Die Flüssigkeit enthält doppelsträngiger RNA, die Gene des Reismehlkäfers verstummen lassen soll.
Auf einem fensterlosen hellbeigen Gebäude steht ein Gewächshaus mit Spitzdach. Im Innern leuchtet gelbes Licht.
Am Bayer-Standort in St. Louis, Missouri, USA, – vormals Monsanto – hat man ein Gewächshaus auf das Parkhaus gesetzt.
Ein länglicher gelber Käfer mit dunkelbraunem Kopf, langen Fühlern und dunkelbraunen Längsstreifen sitzt auf einer Maisblüte.
Der Westliche Maiswurzelbohrer wird in den USA der „Eine-Milliarde-Dollar-Käfer“ genannt. Ein genmanipulierter Mais, der doppelsträngige RNA gegen das Tier produziert, ist in den USA zugelassen.
Eine Frau mit schulterlangem, leicht gewelltem braunen Haar lächelt in die Kamera.
Dr. Antje Dietz-Pfeilstetter vom Fachinstitut für die Sicherheit biotechnologischer Verfahren bei Pflanzen am JKI in Braunschweig sieht in RNAi-Pestiziden eine Möglichkeit, das Insektensterben zu verlangsamen.
Ein Mann mit kurzem graumeliertem Haar in dunklem Sacko und Hemd lächelt in die Kamera. Er lehnt an einer Säule mit Postern.
Professor Jack Heinemann von der University of Canterbury in Christchurch, Neuseeland, verweist auf Studien, die zeigen, dass RNAi weitaus weniger genau ist als viele Befürworter sagen.
Eine Frau mit kurzen grauen Haaren und brauner Brille lächelt in die Kamera.
Dr. Angelika Hilbeck von der Forschungsgruppe Umweltbiosicherheit und Agrarökoologie der ETH Zürich fordert einen Ausstieg aus der industriellen Landwirtschaft.