Fischsterben in der Oder: Nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe?

Ein Jahr ist es her, dass erste Mengen toter Fische in der Oder gefunden wurden. Die Hälfte des Fischbestands ging durch die Umweltkatastrophe im Sommer 2022 verloren – dazu ungezählte Mengen anderer Flusslebewesen. Was ist seitdem in Politik und Gesellschaft in Polen geschehen? Ein Besuch am Ufer.

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Foto von Auen am Fluss, Enten schwimmen durchs Wasser

Dieser Artikel ist Teil unserer Recherche-Serie„Countdown Earth: So lösen wir die Klima- und Artenkrise“. Here you can find anEnglish version of this articlefor Download. Polską wersję artykułumożna przeczytać na portalu Onet.pl.

Die Brühe sticht in der Nase. Synthetisch, chemisch, ein bisschen wie Benzin. Wie ein reißender Wasserfall sprudelt sie aus dem offenen Rohr direkt in die Natur hinein und vermischt sich mit ihr. Anna Meres hockt daneben und schöpft einen Becher voll aus dem dampfenden Gemisch heraus. Sie misst die elektrische Leitfähigkeit des Abwassers; damit lässt sich sein Salzgehalt ermitteln. 18250 Mikrosiemens pro Zentimeter – das ist salziger als die Ostsee. Auch die Temperatur liegt weit höher als viele Süßwasserfische es aushalten könnten: bei 30, 8 Grad. „Es hat sich nichts verändert“, sagt Anna Meres schulterzuckend. Das Abwasser, dessen Werte sie misst, stammt aus dem Steinkohlebergwerk Halemba in Schlesien. Es fließt von einem kleinen Kanal aus in die Kłodnica. Von dort hat es freie Bahn in die Oder.

Bald nachdem die ersten Tonnen toter Fische Ende Juli 2022 die Oder hinabtrieben, begannen Umweltorganisationen, regelmäßig Proben von den Abwässern der Bergwerke zu entnehmen. Anna Meres ist Koordinatorin der Klima- und Energiekampagne bei Greenpeace Polen.

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An diesem Dienstag im Juni ist sie gemeinsam mit Kollegïnnen zur Probeentnahme gekommen. Sie stellen wieder einmal fest: Die Werte der Abwässer sind seit dem Fischsterben gleich geblieben.

„Das Schlimmste ist, dass sie legal sind“, sagt Meres' Kollegin Marta Gregorczyk. „Die Regierung hat nichts getan, um die Versalzung zu reduzieren. Sie handelt immer noch im Interesse der Bergwerke.“ An vielen Stellen der Oder sind Temperatur und elektrische Leitfähigkeit weiterhin zu hoch.

Immerhin werden solche Werte inzwischen erhoben. Die polnische Regierung hat nach dem Fischsterben ein regelmäßiges Monitoring über weite Strecken der Oder eingeführt, die Ergebnisse sind auf ihrer Internetseite öffentlich einsehbar. Für die invasive, giftige Brackwasseralge Prymnesium parvum, seit dem Sommer 2022 als Goldalge bekannt, bietet ein salz- und nährstoffhaltiger Fluss optimale Bedingungen, um sich zu vermehren.

Viele tote Fische treiben im Wasser des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder im Nationalpark Unteres Odertal nördlich der Stadt Schwedt. Am selben Tag informierte sich Brandenburgs Umweltminister Vogel (Bündnis 90/Die Grünen) bei einem Vor-Ort-Besuch über die Lage am Fluss Oder. Das Fischsterben in der Oder ist nach Angaben der polnischen Umweltschutzbehörde wahrscheinlich von einer Wasserverschmutzung durch die Industrie ausgelöst worden.

Das Gift der Alge tötete im vergangenen Jahr 1000 Tonnen Fisch, dazu ungezählte Mengen an Muscheln, Schnecken und anderen Algen.

Dass es die Goldalge war, die jene Umweltkatastrophe auslöste, darüber sind sich Regierung und Umweltorganisationen einig. Die strittige Frage lautet: Wer ist verantwortlich dafür, dass sich diese Alge in einem der größten Flüsse Europas derart ausbreiten konnte?

Für Greenpeace Polen ist die Sache klar. Die NGO veröffentlichte in diesem Jahr einen Bericht, in dem sie zwei polnische Bergbauunternehmen als Verantwortliche für die Versalzung und damit für das Fischsterben in der Oder benannte. Eine Analyse der EU-Kommission kommt zu einem ähnlichen Schluss. Demnach sei die Ausbreitung der Alge „zumindest teilweise auf Einleitungen stark salzhaltiger Industrieabwässer, z. B. aus Bergbautätigkeiten“ zurückzuführen. Als weitere Faktoren nennen die Autorïnnen Trockenheit und niedrige Wasserstände, die zu geringerer Verdünnung und geringeren Abflussmengen führten. Hohe Nährstoffkonzentrationen, insbesondere von Phosphor und Stickstoff, waren demnach zusätzlich verantwortlich für die Algenblüte.

Das polnische Umweltministerium hingegen spielt die Verantwortung der Bergbauunternehmen für das Fischsterben herunter. Auf Anfrage von RiffReporter verweist ein Sprecher schriftlich auf die kommunalen Abwässer, deren Anteil an nährstoffhaltigen Einleitungen im Odereinzugsgebiet höher sei als jener der Bergwerke.

Umweltministerin Anna Moskwa verharmloste gar die Bedeutung des Salzgehalts für das Fischsterben. In einem Radio-Interview mit „Polskie Radio 24“ sagte sie: „Es ist ein einfaches Narrativ, das der Gesellschaft vorgehalten wird – wenn die Versalzung allein für die Algenblüte verantwortlich wäre, hätten wir in jedem salzigen Meer ausschließlich die Goldalge und kein Leben würde dort funktionieren, es würde keine Fische geben.“ Was die Umweltministerin nicht sagt: Goldalgen blühen im sogenannten Brackwasser, einer Mischung aus Süß- und Salzwasser. In reinem Meerwasser überleben sie nicht. Und auch in der Oder hätten sie sich kaum so ungehemmt vermehren können, hätten ihr die Salzeinleitungen nicht ideale Lebensbedingungen verschafft.

Foto von Wasser, das Wasserfallähnlich in einen Fluss läuft.

Anna Meres und ihr Team bahnen sich den Weg durch hohes Gras, an die Stelle, an der das Abwasser aus dem Bergwerk Halemba direkt in die Kłodnica rauscht – heiß, salzig und ungefiltert.

Manchmal, erzählen die Aktivistïnnen, komme die Polizei und kontrolliere Ausweise. Diesmal weckt die Proben-Entnahme bloß die Aufmerksamkeit von Anwohnern. Einer von ihnen ist Janek, er möchte nur beim Vornamen genannt werden. Er erzählt, dass er mit seinen Hunden häufig an der Kłodnica entlanggehe und beobachtet habe, dass die Bergwerke zeitweise die Zuflüsse stoppten – seit NGOs und Wissenschaftler häufiger Proben nähmen.

Aus manchen Abwässern wird Speisesalz produziert

Das Bergbauunternehmen Polska Grupa Górnicza, zu der das Bergwerk Halemba gehört, reagiert nicht auf eine Anfrage von RiffReporter. Ein Sprecher des zweiten von Greenpeace beschuldigten Bergbauunternehmens, Jastrzębska Spółka Węglowa (JSW), betont schriftlich, dass die Wassereinleitungen aus den Bergwerken genehmigt seien. Das Abwasser von einem der Bergwerke werde an eine Entsalzungsanlage weitergeleitet, die daraus Speisesalz produziere. Die Abwässer der meisten Bergwerke von JSW würden in ein Dosiersystem eingeleitet. „Die Rückhalte- und Dosierfunktionen ermöglichen es, die maximalen Salzkonzentrationen in der Oder um 60 Prozent unter die zulässigen Werte zu senken“, heißt es weiter in dem Schreiben. Es gebe in diesem System Becken, die den Wasserabfluss zurückhalten könnten, wenn der Wasserstand der Oder sinke.

In dem Bergwerk Knurów-Szczygłowice gibt es so ein Dosiersystem noch nicht. Dort aber, schreibt der Sprecher von JSW, erwäge das Unternehmen den Bau eines Rückhaltebeckens oder einer Entsalzungsanlage. Die Frage nach den Kosten dafür beantwortet der Sprecher nicht. Er weist nur darauf hin, dass das Wasser der anderen Bergwerke auf umweltverträgliche Weise in die Nebenflüsse der Oder eingeleitet werde.

Bisher sind diese „umweltverträglichen“ Einleitungen offiziell erlaubt. Aber es ist nicht so, als wäre die polnische PiS-Regierung seit der Umweltkatastrophe völlig untätig geblieben. Immerhin versucht sie, die Symptome der Katastrophe zu bekämpfen. Etwa, indem sie chemische Präparate zur Hemmung des Goldalgenwachstums einsetzt.

Neues Sondergesetz zur „Revitalisierung der Oder“

Außerdem verabschiedete das polnische Parlament Mitte Juli ein Sondergesetz zur „Revitalisierung der Oder nach der Katastrophe“. Die polnische Regierung stellt dafür umgerechnet etwa 267 Mio. Euro bereit. Das Gesetz sieht unter anderem Investitionen in Kläranlagen vor. Außerdem will die Regierung eine Wasseraufsichtsbehörde einrichten, die illegale Einleitungen von Abwässern dokumentieren und reduzieren soll. Bußgelder bis zu einer Million Zloty (ca. 250 000 Euro) sollen erhoben werden, wenn Salzeinleitungen in den Fluss nicht an Trockenheit und Dürre angepasst werden.

Diese Maßnahmen begrüßen die meisten Umweltorganisationen. Mit dem Sondergesetz insgesamt gehen sie aber hart ins Gericht. Und das nicht nur, weil die Regierung sie nicht in die Beratungen dazu einbezogen hat.

Dunkelhaarige Frau mit hellen Augen steht mit verschränkten Armen vor dem Abflussrohr eines Bergwerks in Polen.

„Das Gesetz verbessert nicht die Situation der Oder, es verschlimmert sie.“

Marta Gregorczyk, Greenpeace Polen

Das Gesetz sei „größtenteils für die Mülltonne“, schrieb die polnische Umweltstiftung Greenmind in einem Statement. „Es verbessert nicht die Situation der Oder, es verschlimmert sie“, pflichtet Marta Gregorczyk von Greenpeace bei. Hauptkritikpunkt der NGOs: An der Oder und im Einzugsgebiet plant die polnische Regierung weiterhin Eingriffe, die eine Wiederholung der Katastrophe begünstigen. Der sowieso schon umstrittene Ausbau der Oder wird sogar beschleunigt. Geplant ist unter anderem der Bau mehrerer Staustufen, die das Fließgewässer Oder in eine Seenkette verwandeln würden. Dadurch trocknet der Fluss schneller aus, die biologische Vielfalt geht zurück. Im Fall der Oder sollen die Staustufen ein weiteres Hilfsmittel für die Binnenschifffahrt werden – verkauft unter dem Deckmantel der Revitalisierung.

Der Ausbau der Oder hört nicht auf – aller Kritik zum Trotz

Schon seit vielen Jahren versucht Polens Regierung, aus der Oder eine effiziente Wasserstraße für die Industrie zu machen; trotz Warnungen von Umweltverbänden, Wissenschaftlerïnnen und EU-Kommission. Sie will den Fluss unter anderem vertiefen und für Frachter schiffbar machen. Sowohl Umweltverbände als auch Brandenburgs Umweltminister klagten bereits dagegen. „Der Oder-Ausbau wird den Fluss weiter homogenisieren und ihn weniger widerstandsfähig machen. Je mehr Seitenarme ein Fluss hat, desto größer die Vielfalt an Lebensräumen – auch solchen, in die die Lebewesen bei einer Giftwelle ausweichen können“, erklärt der Gewässerexperte Sascha Maier vom BUND. Er verfolgt die Entwicklung der Oder seit Jahrzehnten; auch an der Klage gegen ihren Ausbau hat er mitgewirkt. Um eine erneute Katastrophe zu verhindern, sagt Maier, brauche es nicht nur einen Ausbau-Stopp, sondern die gezielte Renaturierung des Flusses. Die scheint jedoch in weiter Ferne zu liegen: Zwar entschied das Oberste Verwaltungsgericht in Warschau im März, dass der Oder-Ausbau gestoppt werden müsse. Doch bis heute werden die Arbeiten fortgesetzt.

Seit der Katastrophe gibt es ein stärkeres Bewusstsein für die Oder und die Umwelt insgesamt.

Robert Suligowski, Grünen-Politiker und Ökologe aus Breslau

Für Robert Suligowski ist all das nicht weniger als das Symptom einer Staatskrise. Die Katastrophe habe gezeigt, wie handlungsunfähig der polnische Staat im Umgang mit einem Umweltereignis dieses Ausmaßes sei. Robert Suligowski ist Ökologe und Grünen-Politiker in Breslau, wo die Oder mitten durch die Stadt fließt. Auch dort, sagt er, seien die Anwohnerïnnen lange im Unwissen darüber geblieben, was sich vor ihren Augen im Fluss abspielte. Immerhin: „Seit der Katastrophe gibt es ein stärkeres Bewusstsein für die Oder und die Umwelt insgesamt.“ Wenn das Fischsterben irgendwas Positives bewirkt habe, dann das.

Dass sich dieses Bewusstsein auch in konkretem Tun niederschlägt, zeigt sich im Międzyodrze, direkt an der deutschen Grenze und knapp 600 Flusskilometer oderabwärts vom schlesischen Bergwerk Halemba.

Foto von Auen am Fluss, Enten schwimmen durchs Wasser
Schneckenhäuser

Die Oder kann hier naturbelassen zwischen Schilf und Wiesen mäandern.

Überbleibsel der Katastrophe: Am Ufer im Unteren Odertal auf polnischer Seite liegen Schalen von Wasserschnecken.

Im Zwischenoderland, wie der Ort auf deutsch heißt, sind die Spuren der Katastrophe noch deutlich sichtbar. Scharen von leeren Wasserschneckenhäusern und Muschelschalen hat die Oder an ihre Ufer geschwemmt. Die Muscheln sind ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems im Fluss: Sie sind Nahrung und Putzkolonne zugleich. Zum einen ernähren die Muscheln zahlreiche Fische und andere Lebewesen, zum anderen filtern sie Plankton und kleine organische Partikel aus dem Wasser. Mehr als 80 Prozent der Muschel- und Schneckenbestände in der Oder sind Schätzungen zufolge durch die Oder-Katastrophe verloren gegangen.

Foto an der Oder, Dominik Marchowski zeigt auf den Boden, wo Muschelschalen zu sehen sind.
Dominik Marchowski lebt schon seit vielen Jahren an der Oder. Am Ufer zeigt er die Spuren der Umweltkatastrophe: Unzählige Muschel- und Wasserschneckenschalen.

Im Zwischenoderland kämpft Dominik Marchowski dafür, dass der deutsch-polnische Fluss sich wieder erholt. Er ist Biologe, Spezialgebiet Ornithologie. Mit einem Team aus Fachleuten, Gemeindemitarbeitern, Künstlerïnnen, Anwohnerïnnen und Medienschaffenden setzt er sich für einen großen Plan ein: Im Unteren Odertal auf polnischer Seite einen Nationalpark einzurichten. Einen Nationalpark Unteres Odertal gibt es auf deutscher Seite schon – auf polnischer Seite ist es bisher bei einem Landschaftspark geblieben. Marchowski nennt das „Naturschutz light.“

Die Idee eines Nationalparks, der das gesamte Untere Odertal einschließt, existiert schon seit mehr als 30 Jahren. Doch seit der Oder-Katastrophe ist die Forderung nach einem Nationalpark auch auf polnischer Seite wieder lauter geworden. Eine Petition dazu wurde von Greenpeace und der regierungskritischen Zeitung Gazeta Wyborcza kurz nach Beginn der Krise initiiert.

„Ich habe das Gefühl, dass durch das Fischsterben eine kritische gesellschaftliche Masse entstanden ist, die etwas bewegen will“, sagt Marchowski, während er mit seinem Fernglas von einer stillgelegten Schleuse aus versucht, einen Eisvogel zu erhaschen – das Symboltier des Landschaftsparks. Ein Reiher schreitet durchs Flusswasser, ein pelziger Kopf pflügt mit einem Ast im Maul durchs Wasser. Ein Biber? Wahrscheinlich eher eine Bisamratte. Noch wirkt die Natur im Zwischenoderland unberührt.

Foto von einem Eisvogel der auf einem Ast sitzt.
Der Eisvogel ist das Symboltier des Landschaftsparks Unteres Odertal in Polen.

Braucht es denn wirklich einen Nationalpark, wo der Landschaftspark schon so reich an Natur ist? „Ja, unbedingt“, sagt Marchowski. Denn mit dem Park würde auch eine Parkdirektion geschaffen, eine Institution also, die sich darum kümmern würde, den natürlichen Zustand des Flusses wiederherzustellen. Zurzeit ist der Schutz begrenzt. Mögliche Investitionen Bauprojekte wären hier kaum zu verhindern, selbst die Jagd auf Zugvögel ist nach wie vor erlaubt. In einem Nationalpark wäre beides strikt verboten. Angeln könnte weiter im Nationalpark stattfinden, aber mit Einschränkungen – und Fischer könnten im Naturschutz eingebunden werden. Das täte dem Fischbestand in der Oder gut, denn das Zwischenoderland ist mit seinen vielen Ritzen und flachen Kanälen ein wichtiges Laichgebiet.

Foto vom Landschaftspark Unteres Odertal auf polnischer Seite.

Im Landschaftspark Unteres Odertal kann sich der Fluss weit ins Land ausbreiten – in Altarmen, die sich zwischen Wiesen schlängeln.

Ein weiteres Argument für den Nationalpark: Wissenschaftlerïnnen würden das Zwischenoderland eingehender beobachten und daraus Strategien zum besseren Schutz des gesamten Flusssystems entwickeln. Als Beispiel nennt Marchowski die schonende Bewirtschaftung von Wiesen am Ufer, die Wat- und Wiesenvögeln alte Lebensräume wiedereröffnen würden. Extensive Landnutzung also – die wird im Nationalpark Unteres Odertal auf deutscher Seite bereits betrieben.

Erste Erfolge können Marchwoski und sein Team bereits verbuchen. Zwei von vier angrenzenden Gemeinden unterstützen das Vorhaben. Zudem hat die Regierung gerade ein neues Naturschutz-Reservat südlich des Zwischenoderlands ausgewiesen. Dieses ist viel kleiner als der erhoffte Nationalpark; Marchowski betrachtet den Schritt aber als bedeutsames Zugeständnis einer Regierung, die sich im Allgemeinen nicht sonderlich für Naturschutz interessiere.

Ein neuer Nationalpark? Bisher nur ein Versprechen

Bis zu den Parlamentswahlen in diesem Herbst werden Marchowski und seine Gruppe ihr Nationalpark-Vorhaben wohl nicht durchbringen. Zwar versprach Premier Morawiecki, in der aktuellen Legislaturperiode neue Nationalparks zu errichten. Bisher ist jedoch nicht einer entstanden. Und auch das polnische Umweltministerium erklärt auf Anfrage, dass es derzeit nicht daran arbeite, einen Nationalpark im polnischen Unteren Odertal zu errichten. Die Umweltschützer:innen halten dennoch weiter an ihren Plänen fest – und werden das auch tun, wenn PiS nach den Wahlen im Herbst weiter regieren sollte, versichert Marchowski.

So wünschenswert ein Nationalpark im Zwischenoderland wäre: Er würde nicht ausreichen, um die gesamte Oder vor einer Katastrophe zu bewahren, sagt BUND-Gewässerexperte Sascha Maier. Denn auch im Nationalpark auf deutscher Seite hätten sich Gewässerabschnitte ökologisch verschlechtert, sei die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie zu Gunsten der Schifffahrt abgeschwächt worden. Um so dringlicher sei jetzt eine schnelle Lösung für die Salzeinleitungen.

Dafür setzt sich auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ein. Zuletzt appellierte sie Anfang Juni an die polnische Regierung, mehr gegen die Salzeinleitungen zu tun. Schon mehrfach sprach sie sich für den Stopp des Oder-Ausbaus aus, den Deutschland lange Zeit unterstützt hat.

Naturnaher Tourismus soll der Oder zu helfen

Die Oder endlich konsequent zu schützen, erfordert große wirtschaftliche Anstrengungen. Das sieht auch der polnische Grünen-Politiker Robert Suligowski so. „Es geht um dutzende Industrieanlagen und verschiedene Arten von Abwässern und Verunreinigungen. Die Entsalzungsanlagen sind nicht gerade billig, viele der Minen sind in finanzieller Not.“ Aber es gebe andere Wirtschaftszweige, die von einer Wiederbelebung der Oder profitieren könnten: zum Beispiel den naturnahen Tourismus, der gleichzeitig mehr Bewusstsein für die Natur schaffen könnte. Außerdem brauche es eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Ländern, durch die der Fluss läuft. Neben Deutschland und Polen ist das auch Tschechien.

Lauter gute Ideen, lauter hoffnungsvolle Projekte, aber noch keine wirksamen Taten. Deshalb deutet im Moment alles darauf hin, dass sich die Katastrophe wiederholen wird. Bereits im Juni wurden im Gleiwitzer Kanal in Schlesien wieder 450 Kilogramm toter Fisch gefunden: Die Goldalge hat sich inzwischen über den ganzen Flusslauf verbreitet, auch wenn sie nach Messungen des polnischen Umweltministeriums aktuell zurückgeht. Umweltschützerïnnen kämpfen indes weiter. Anfang Juli reichte Greenpeace bei der polnischen Wasserbehörde Wody Polskie einen Antrag ein, die Abwasser-Genehmigungen für Bergwerke einzuschränken. Vor wenigen Tagen protestierten Aktivistïnnen gegen das neue Oder-Gesetz: Sie schütteten als sichtbares Zeichen dagegen große Mengen Salz vor dem Sitz der Wasserbehörde in Breslau auf – geformt zu den Buchstaben „ODRA“.

Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering-Stiftung Natur und Mensch gefördert.

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