Umweltrechtler zu Renaturierung: „Es gibt keine Ausrede, jetzt nicht loszulegen“

Der Umweltrechtler und Regierungsberater Wolfgang Köck über die nächsten Schritte zur Umsetzung des Renaturierungsgesetzes und die Frage, ob das Kernstück des „Green Deal“ schon wieder wackelt.

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Drohnenfoto des überschwemmten Stadtbruchs

Wolfgang Köck ist Professor für Umweltrecht an der Universität Leipzig und seit 2004 Leiter des Departments Umwelt- und Planungsrecht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Leipzig.

Herr Köck, Österreichs Bundeskanzler will das Renaturierungsgesetz mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof kippen, weil seine eigene Umweltministerin dem Gesetz gegen seine Weisung zu einer Mehrheit verholfen hat. Wie groß ist Ihre Sorge, dass viele Länder jetzt erst mal ein Urteil abwarten, bevor sie mit der Umsetzung des Gesetzes beginnen?

Ein Gesetz hat so lange Bestand, bis es durch ein Urteil als europarechtswidrig aufgehoben wird. Solange das nicht der Fall ist, gilt dieses Gesetz und ist umzusetzen. Wenn wir uns auf den Standpunkt stellen würden abzuwarten, nur weil jemand klagt, würden wir weder in Deutschland noch in Europa an irgendeiner Stelle weiterkommen. Irgendjemand klagt immer gegen irgendetwas. Es gibt keine Ausrede, jetzt nicht anzufangen.

Porträtfoto Köck
Wolfgang Köck ist langjähriger Leiter des Departments für Umwelt- und Planungsrecht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig/Halle und Professor für Umweltrecht an der Uni Leipzig. Er ist Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung.

Geben Sie denn der Klage selbst eine Chance?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche Klage Österreichs erfolgreich sein kann.

Warum?

Weil es riesige Konsequenzen hätte für die künftigen Entscheidungsprozesse innerhalb der EU – weit über den Umweltbereich hinaus. Der Fall ist ja auch nicht ohne Vorbild. Auch der frühere deutsche CSU-Agrarminister Christian Schmidt hat seinerzeit die Verlängerung des Glyphosat-Zulassung in der EU durch ein eigenmächtiges Abstimmungsverhalten gegen die Absprache in der Koalition durchgesetzt. Auch da wurde das Votum akzeptiert und Glyphosat blieb zugelassen. Schmidt hatte wie heute die österreichische Umweltministerin das Mandat, an der Abstimmung teilzunehmen. Er war der zuständige Minister und sein Votum galt, trotz des damaligen Protests der SPD.

Sie haben sich im Sachverständigenrat der Bundesregierung ausführlich mit dem Renaturierungsgesetz beschäftigt. Was sollte die Bundesregierung jetzt als erstes unternehmen, um das Gesetz in Deutschland umzusetzen?

Wir empfehlen ihr, zunächst ein Durchführungsgesetz zu beschließen, das gemeinsam mit den Bundesländern festlegt, wie das Ziel der Renaturierung auf der Fläche erreicht werden soll. Wie wollen wir es machen, wo wollen wir es machen und wer ist wofür verantwortlich? Solche Fragen sollten in einem föderalen Land wie unserem nicht allein vom Bund beantwortet werden. Jedes Bundesland sollte jetzt rasch einen eigenen Wiederherstellungsplan vorlegen. Diese Pläne sollten dann über ein Gesetz zu einem bundesweiten Konzept zusammengefügt werden.

Das Gesetz soll erreichen, dass bis 2030 die Natur auf einem Fünftel der Fläche Deutschlands wieder in einen besseren ökologischen Zustand gebracht wird. Die Hälfte der Wälder und noch viel mehr der für die Landwirtschaft genutzten Flächen sind aber in Privatbesitz. Gibt es überhaupt genügend Flächen, auf denen Moore wiedervernässt und Wälder alt werden dürfen?

Diese Nutzungskonflikte gibt es und deshalb plädieren wir im Sachverständigenrat für eine Lösung, die eine multifunktionale, also eine mehrfache Landnutzung zulässt. Das europäische Wiederherstellungsgesetz schreibt ja nicht vor, dass wir 20 Prozent unserer Flächen exklusiv für den Naturschutz reservieren müssen. Es geht auch darum, dass forst- oder landwirtschaftlich genutzte Flächen anders bewirtschaftet werden und zu den Zielen beitragen.

Wie müssen wir uns das vorstellen?

Wir wissen beispielsweise, dass zu viel Dünger und Pestizide problematisch für Agrarökosystemen sind. Also könnten ökologische Verbesserungen dadurch erreicht werden, dass die Menge von Dünger und Pflanzenschutzmitteln verringert wird oder dass wir mit mehr Grün- und Blühbereichen in bestehenden Feldern wieder Leben in die Fläche bringen. Die Vorgabe lautet ja nicht, ein Fünftel der Fläche komplett dem Naturschutz zuzuschlagen. Es geht darum, mit Wiederherstellungsmaßnahmen eine ökologische Revitalisierung zu betreiben. Dazu gibt es einen breiten Korridor von denkbaren Maßnahmen, die dem Ziel der Renaturierung zugutekommen. Mehr Hecken und Gehölze in der intensiv genutzten Agrarlandschaft beispielsweise führen dazu, dass das Leben zurückkehrt und die Biodiversität gesichert wird.

Zwei Weißstörche suchen in einer bunten Blumenwiese nach Nahrung.
Nicht mit Pestiziden malträtierte Äcker und blütenreiche Wiesen sind wertvolle Lebensräume für viele Pflanzen, Insekten und Vogelarten, wie hier Weißstörche.

Sie befürchten also keinen großen Streit um die Fläche für die Renaturierung?

Ich sage nicht, dass es ein einfaches Unterfangen wird. Aber vergessen Sie nicht, dass das Nature Restoration Law in seiner verabschiedeten Form schon viele Kompromisse enthält, die auch den Flächenkonflikt deutlich entschärft haben. So liegt noch bis 2030 der Schwerpunkt darauf, bestehende Schutzgebiete besser zu managen, sodass die Artenvielfalt dort hoch ist oder wieder steigt. Ich wäre schon froh, wenn das gelänge.

Keinem Ökosystem geht es so schlecht wie dem Agrarland: Äcker, Wiesen und Felder haben in den vergangenen Jahrzehnten viel mehr ihrer tierischen und pflanzlichen Bewohner verloren als beispielsweise Wälder. Wird die ökologische Krise mit ein paar Hecken hier und ein paar Blühstreifen zu stoppen sein?

Selbstverständlich nicht, deshalb müssen wir Renaturierung künftig in allen Bereichen von Anfang an berücksichtigen: In der Landwirtschaftspolitik, der Verkehrspolitik, der Energie- und Städteplanung, um nur einige zu nennen.

Eine ausgeräumte Agrarlandschaft mit endlosem Acker und Windrädern im Hintergrund.
Die europäische Agrarlandschaft gleicht häufig einer Agrarwüste – Biodiversität kann dort nicht gedeihen.

Versuche, die Landwirtschaftspolitik und das europäische Agrarfördersystem, die Gemeinsame Agrarpolitik GAP, ökologischer auszurichten, haben seit vielen Jahren wenig Erfolg. Kann eine Wende in der wenigen Zeit bis 2030 gelingen?

Wir kommen mit der Renaturierung nicht weiter, wenn wir die Agrarpolitik unangetastet lassen. Das geht einfach nicht, denn in Deutschland wird die Hälfte der gesamten Landesfläche durch Landwirtschaft genutzt. Deshalb ist es zwingend, dass wir die Agrarpolitik stärker auf das Ziel der Wiederherstellung ökologischer Funktionen ausrichten. Wir haben dazu durchaus gute Gelegenheiten und Instrumente.

Welche?

Der nächste nationale Strategieplan für den Agrarbereich beispielsweise muss ab 2027 geschrieben werden. Die Renaturierung muss darin fest verankert werden.

Angesichts der zurückliegenden Bauernproteste gegen jeden noch so kleinen Beitrag zur Ökologisierung der Landwirtschaft fällt es schwer, an große Fortschritte zu glauben …

Wenn die Transformation für Klimaschutz und mehr Natur gelingen soll, brauchen wir auch Offenheit in der Landwirtschaft. Wenn sich die Landwirtschaft abkapselt, wenn Sie weiterhin mit ihren Treckern die Ministerien blockiert und das ganze Land lahmlegt und wenn die Politik dann einknickt, wird es schwierig. Die Landwirtschaft darf sich nicht dem Anliegen der Biodiversitätssicherung verschließen. Und sie muss den natürlichen Klimaschutz leisten – also die ökologische Aufwertung solcher Lebensräume, die wichtig für die Artenvielfalt sind und zugleich Kohlenstoff speichern. Das ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit.

Ein unverzichtbarer Teil der Renaturierung ist die Wiedervernässung trockengelegter Moore. Das bedeutet große Veränderungen für die Landwirtschaft in diesen Gebieten. Konflikte sind vorprogrammiert. Wie können sie gelöst werden?

Wir müssen nicht um den heißen Brei herumreden. Wenn es darum geht, landwirtschaftliche Flächen wieder zu vernässen und sie als Paludikultur – also als Nass-Landwirtschaft – zu nutzen, ist das ein gravierender Eingriff in das bestehende Landwirtschaftssystem. Paludikultur mit Schilfwirtschaft ist etwas grundlegend anderes als der Ackerbau, den viele Landwirte heute betreiben. Wenn wir den Umbau wollen, brauchen wir vor allem viel Geld. Es ist glasklar, dass der Umbau nicht zum Nulltarif zu haben ist.

Ein Entwässerungsgraben in einem trockengelegten Moor
Entwässerungsgräben sorgen dafür, dass sich das Moor nicht erholen kann.
Wollgras blüht reinweiß zwischen einigen Birken
Intakte Moore sind nicht nur nützliche Kohlenstoffsenken und Wasserspeicher: Sie verzaubern auch mit ihrer Artenvielfalt.

Naturschutzverbände gehen von einem Bedarf zwischen 20 und 30 Milliarden Euro pro Jahr aus. Das ist viel Geld, nimmt sich im Vergleich zu den fast 390 Milliarden Euro, die in der aktuellen Förderperiode über sieben Jahre an Agrarsubventionen fließen, aber eher bescheiden aus. Wie schwierig wird die Finanzierung?

In Deutschland haben wir in eine gute Ausgangslage. Wir haben mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz des Bundsumweltministeriums jetzt erstmal dreieinhalb Milliarden Euro für Renaturierung, mit denen wir loslegen können. Perspektivisch können wir die Renaturierung mit der europäischen Agrarförderung verknüpfen.

Wie?

Beispielsweise, indem wir die Direktzahlungen an Landwirte von schonender Wirtschaftsweise abhängig machen. Eine wichtige Einnahmequelle, könnte auch die Finanzierung aus den Einnahmen des Emissionshandels sein, der schon heute den klimagerechten Umbau der Wirtschaft mitfinanziert. Wenn es uns dann noch gelingt, ähnlich der Industrie auch noch den Landnutzungssektor in den Emissionshandel einzubeziehen, ist das noch viel besser. Die Wiederherstellung von Mooren oder Wäldern ist eine Schlüsselkomponente des natürlichen Klimaschutzes und sollte aus dem Topf für die Transformation bezahlt werden. Ich bin eigentlich optimistisch, dass uns brauchbare Finanzierungsinstrumente einfallen werden.

Auch mit viel Geld wird es wahrscheinlich viele Landbesitzer geben, die sich gegen weitreichende Renaturierungen wie die Wiedvernässung von Mooren wehren. Reicht es aus, auf Freiwilligkeit zu setzen?

Ohne gesellschaftliche Akzeptanz werden wir nicht erfolgreich sein. Deshalb sind Anreizprogramme mit einer guten Finanzierung das Mittel der Wahl. Aber in Ausnahmefällen muss auch die Enteignung möglich sein. Wenn wir zum Beispiel bei der Moor-Wiedervernässung alles davon abhängig machen, dass jeder zustimmt, dann kann ein einzelnes Sperrgrundstück eine ganze Wiedervernässung zunichtemachen, weil das Wasser nicht an Grundstücksgrenzen Halt macht. Wir dürfen nicht in eine Situation kommen, die letztlich einem Einzelnen eine Sperrminorität gibt. Vielmehr müssen wir uns seriös um Lösungen kümmern.

Wie kann das aussehen?

Es gibt zahlreiche Wege über Zahlungen im Vertragsnaturschutz, Flächentausch über Flurbereinigungsverfahren oder eben über den Erwerb von Grundstücken. Die Enteignung ist eine ultima ratio und wir werden darauf auch nur in Ausnahmefällen zurückgreifen müssen. Die Möglichkeit dazu besteht übrigens bereits heute über das Wasserrecht. Denn bei der Wiedervernässung geht es ja um die Wiederherstellung eines Gewässers. Rechtlich ist das ein Planfeststellungsverfahren, das eine enteignungsrechtliche Wirkung hat, wenn es um das Wohl der Allgemeinheit geht. Dann geht es eigentlich nur noch um die Höhe der Entschädigung.

Das Bundesverfassungsgricht hat 2021 geurteilt, dass Klimaschutz nicht auf Kosten der kommenden Generationen herausgeschoben werden darf. Auf Klage von Klimaaktivisten hat es damals die Bundesregierung zur Verschärfung ihres Klimagesetzes gezwungen. Kann sich auch die Renaturierung auf dieses Urteil stützen?

Das vom Verfassungsgericht in diesem Verfahren geschaffene Recht auf die Sicherung von Freiheitsrechten über Generationen hinweg gilt durchaus auch für die Sicherung der Biodiversität. Renaturierung ist eine Aufgabe der ökologischen Existenzsicherung. Schon heute sind 80 Prozent unserer Ökosysteme in einem schlechten Zustand. Wenn wir weitermachen wie bisher, werden die Ökosystemleistungen dieser Flächen weiter gemindert. Und das führt dazu, dass die Freiheitschancen der jüngeren Menschen kleiner sind als die Freiheitschancen, die wir heute noch haben. Das darf nicht sein. Das vom höchsten Gericht geschaffene Recht auf die sogenannte intertemporale Freiheitssicherung verlangt vom Staat eine Gesetzgebung, die sicherstellt, dass wir nicht auf Kosten der künftigen Generationen leben, sondern dass wir unsere Hausaufgaben machen.

Welche Freiheitsrechte künftiger Generationen können denn durch eine Übernutzung der Natur betroffen sein?

Nehmen wir die Ökosystemleistung der Böden. Wenn sie über Jahrzehnte mit starkem Pestizid- und Düngemitteleinsatz eine hohe Produktivität des Bodens erzwingen, wird er irgendwann ausgelaugt sein, weil die Bodenorganismen fehlen. Und dann wären für künftige Generationen kaum noch Ökosystemleistungen aus dem Boden zu erwarten – mit großen Folgen für die Ernährungssicherheit. Deswegen glaube ich schon, dass wir mit guten Gründen sagen können, dass ohne Renaturierung die Rechte künftiger Generationen berührt sind.

Die Recherchen zu diesem Artikel wurden von der Andrea von Braun Stiftung gefördert.

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