„Ich verknüpfe das Herz mit dem Kopf“
Gleichzeitig an den Klimawandel und an einen allmächtigen Gott glauben: Die texanische Wissenschaftlerin Katharine Hayhoe lebt, was viele Amerikaner für unmöglich halten. Ein Interview
Die Evangelikalen in den USA sind eine wichtige Bastion der Klimawandel-Leugner. Es gab kaum jemanden, der oder dem diese frommen US-Bürger die Fakten von der globalen Erderhitzung glauben würden – bis sich Katharine Hayhoe genau damit einen Namen machte.
Die Diskussion über den Klimawandel in den USA ist verworren – nicht erst seit Donald Trump Präsident ist. Republikanische Politiker und konservative Geistliche behaupten, Klimaschutz lasse sich nicht mit Christentum und Patriotismus vereinen. Solche Gräben überbrücken können allerdings Fürsprecher, die das Vertrauen der streng-religiösen Gemeinden besitzen. Ein Beispiel ist Katharine Hayhoe von der University of Texas. Sie erreicht als Klimaforscherin die „religious right“ Amerikas – weil sie gleichzeitig evangelikale Christin ist und so Vertrauen in ihrem Publikum weckt.
Christopher Schrader: Sie sind Klimaforscherin, und gehören einer evangelikalen Kirche in Texas an, Ihr Mann ist dort der Pastor. Ist das kein Widerspruch?
Katharine Hayhoe: Ich habe Physik und Atmosphärenforschung studiert und untersuche zum Beispiel, wie Waldgebiete, Rinderfarmen und Seen auf den Klimawandel reagieren. Aber warum sollte es da einen Widerspruch zu meinem Glauben geben?
In den USA sind gerade die Evangelikalen davon überzeugt, dass die Erkenntnisse über den Klimawandel ein gewaltiger Schwindel sind.
Ja, das stimmt, aber ich teile diese Ansicht nicht. Wenn Wissenschaft und Glaube im Konflikt zu stehen scheinen, dann verstehen oder interpretieren wir eines der beiden falsch, manchmal sogar beide. Mit etwas Geduld und Bescheidenheit können wir das Rätsel dann vielleicht lösen.
Moment. Glauben die Evangelikalen nicht daran, dass Gott die Geschicke der Welt von Tag zu Tag lenkt?
Für uns geht es vor allem um den freien Willen. Gott hat uns Menschen die Fähigkeit gegeben, Entscheidungen zu treffen. Wir ziehen dann selbst den Nutzen daraus oder leiden unter den Konsequenzen. Das passt doch hervorragend zum Klimawandel: Wir sehen darin die Folgen schlechter Entscheidungen in der Vergangenheit.
„Ein übermäßig vereinfachtes Verständnis von Wissenschaft und Glaube“
Auf der Webseite der Kirche Ihres Mannes steht als Punkt eins des Glaubensbekenntnisses: Wir glauben, dass die Bibel das wörtlich inspirierte Wort Gottes und in seiner ursprünglichen Schriftform ohne Fehler ist. Wie geht das mit Wissenschaft zusammen?
Es kommt da sehr auf die Formulierung an. Da steht nicht „literally“, also wortwörtlich, sondern „verbally inspired“, wörtlich eingegeben. Das heißt, die theologischen Aussagen sind korrekt. Und die nehmen wir ernst. Wir sehen da keinen Konflikt mit der Wissenschaft. Aber es gibt in den USA auch die politischen Evangelikalen, die nehmen die Bibel tatsächlich in allen Fragen wortwörtlich. Viele von denen gehen aber nicht einmal in die Kirche. Sie haben oft ein übermäßig vereinfachtes Verständnis von Wissenschaft und Glaube, und sind dann anfällig für eine sehr enge Interpretation, was die Bibel eigentlich genau sagt.
Wie konnte es passieren, dass die Kirchen in den USA sich von der Politik spalten lassen?
Die Evangelikalen sind in den vergangenen Jahrzehnten mit Absicht politisiert worden. Glaubensaussagen werden zuerst von der Partei geschrieben, dann erst kommt die Bibel und wenn sich die beiden widersprechen, übertrumpft Ideologie die Theologie. Und die Klimaforschung ist genauso aufgeheizt worden. Es ist wahrscheinlich das am meisten politisierte Thema in den USA, noch vor dem Waffenrecht, der Abtreibung oder der Todesstrafe. Man muss nur einem Politiker in den USA zuhören, dann denkt man, ein Thermometer sei ein politisches Messinstrument.
Färbt das auf andere Disziplinen ab?
Es hat zumindest dazu geführt, dass es zur Frage des politischen Bekenntnisses geworden ist, ob man Wissenschaftlern vertraut. Können Sie sich das vorstellen? Trauen Sie Ihrem Arzt, trauen Sie dem Apotheker, trauen Sie dem Steuerberater – das sind doch alles keine politischen Fragen. Aber das Vertrauen in Forscher ist eines geworden. Wo ich herkomme denken sie, alle Wissenschaftler würden die Demokraten wählen.
Und: Tun Sie es? Oder haben Sie für Trump gestimmt?
Ich habe ja die kanadische Staatsangehörigkeit, darüber bin ich froh. In Kanada habe ich in meinem politischen Leben vier verschiedene Parteien von den Konservativen bis zu den Grünen gewählt. Mir ging es darum, wer die besten Vorschläge für die Probleme auf der Ebene des Nationalstaates oder der Provinz hatte. So sollte es doch sein. In den USA geht das nicht. Glaube, Politik und Wissenschaft sind derart verwoben, dass viele Leute die Unterschiede überhaupt nicht mehr erkennen.
Sie sprechen mit dem Buch, das Sie mit Ihrem Mann geschrieben haben, und Ihren Filmclips unter dem Titel „Global Weirding“ gezielt gläubige Christen auf den Klimawandel an. Warum denken Sie, dass es Ihnen gelingen kann?
Ich habe irgendwann verstanden, dass ich zu einer Gruppe gehöre, die Klimaforschung ganz überwiegend ablehnt. Mir aber vertrauen diese Menschen, ich bin ja eine von ihnen. Sie können mich fragen, was denke ich über diesen „angeblichen“ Klimawandel? Wie kann das real sein, wenn Gott doch alles kontrolliert? Ist das nicht nur eine falsche Religion von Leuten, die die Erde anbeten? Das alles fing in der Gemeinde meines Mannes an. Wir haben schnell gemerkt, dass es für diese Menschen überhaupt keine geeigneten Informationsmaterialien gibt, die sie dort abholen, wo sie stehen. Unser Buch handelt von Entscheidungen zum Klimawandel, die im Glauben verwurzelt sind.
„Wir waren sechs Monate verheiratet, als ich herausbekam, dass er den Klimawandel für Quatsch hielt.“
Warum war ein solcher Brückenschlag überhaupt nötig?
Als ich in Kanada aufwuchs, kannte ich niemanden, der den Klimawandel nicht für real hielt. Dann zog ich für mein Studium in die USA, dort traf ich meinen Mann; er saß an seiner Doktorarbeit in angewandter Linguistik. Wir waren sechs Monate verheiratet, als ich herausbekam, dass er den Klimawandel für Quatsch hielt. Es war für uns beide ein Schock: Er hatte geglaubt, nur Atheisten könnten an den Klimawandel glauben, und ich hatte angenommen, nur sehr ungebildete Menschen könnten ihn leugnen.
Sechs Monate? Wie war das möglich?
Wir haben uns kennengelernt, da saß ich an meiner Master-Arbeit. Es ging um statistische Verfahren, Methan-Emissionen zu modellieren. Viel Chemie, Advektion, Diffusion, dazwischen Probleme mit dem Computer, der abstürzte und meine halbe Abschlussarbeit mit sich riss. Im Alltag ging es um solche Details. Mein Mann wusste, dass ich über Atmosphärenchemie und Methan forschte, aber er hat das nicht mit dem Klimawandel verknüpft. Ich wiederum nahm an, jeder wüsste, dass Methan ein Treibhausgas und darum wichtig für den Klimawandel ist. Warum also darüber reden?
Wie ging es nach dem Schock weiter?
Wir haben ein ganzes Jahr gebraucht, um eine gemeinsame Basis zu finden. Noch heute, 15 Jahre später, diskutieren wir über manche Aspekte, zum Beispiel wie die Lösungen aussehen könnten oder sollten. Und jetzt stellen Sie sich mal die Situation für 25 Prozent der Amerikaner vor. Die haben niemanden, der meine Rolle einnimmt. Im Gegenteil: Menschen, denen sie vertrauen, haben ihnen gesagt, es gäbe gar keinen Klimawandel. Und dass sie nicht mehr Konservative, Christen, Amerikaner sein können, wenn sie die globale Erwärmung für eine reale Gefahr halten. Die wissenschaftlichen Ergebnisse abzulehnen, ist Teil ihrer Identität geworden. Da muss man sie irgendwie rausholen.
Hatten Sie Angst, als Sie sich in ihren christlichen Kreisen als Klimawissenschaftlerin bekannten?
Es fühlte sich an, als würde ich mich outen. Nachteile fürchtete ich aber vor allem in der Gemeinde der Wissenschaftler. Die Opposition gegen den Klimawandel kommt ja von den politischen Evangelikalen.
Und in den Augen Ihrer Kollegen konnte es so wirken, als würden Sie sich auf deren Seite stellen?
Ja, ich hatte das Gefühl, ich würde damit meine wissenschaftliche Karriere im Klo runterspülen, und die ist mir sehr wichtig. Für einen Wissenschaftler ist der Ruf das wichtigste Gut: die Veröffentlichungen, die Gutachten und Rezensionen, die man schreiben soll. Das habe ich riskiert, als ich mich als Christin zu erkennen gab. Aber ich musste das Risiko eingehen, weil nur ein Mitglied ihrer eigenen Gruppe die Evangelikalen erreichen kann.
Und, kam es wie befürchtet?
Kaum. Einige Kollegen zeigen mir seither die kalte Schulter, aber sehr wenige. Manchmal bekomme ich böse E-Mails, in denen Leute sagen: Du kannst keine richtige Wissenschaftlerin sein, weil Du an Märchen glaubst.
„Ich würde mit einem Bibelvers antworten und ergänzen: Wissenschaft ist der Beweis für Dinge, die wir sehen“
Man kann sich schon fragen, wie die christliche Überlieferung mit ihren Wundergeschichten zu einem wissenschaftlichen Verstand passt.
Ich habe selbst schon Dinge erlebt, für die es keine wissenschaftliche Erklärung gibt. Mir gefällt eine Aussage des christlichen Philosophen William Lane Craig. Er sagt, Wunder seien kein Verstoß gegen Naturgesetze, sondern natürlich unmögliche Ereignisse. Die Naturgesetze gelten ja nur unter der Annahme, dass es keine übernatürlichen Faktoren gibt. Gott verletzt sie also nicht, wenn er ein Wunder bewirkt.
Das kann man aber nur so sehen, wenn man schon an Gott glaubt.
Ich würde mit einem Bibelvers antworten, Hebräer 11,1: Glauben ist der Beweis für Dinge, die wir nicht sehen. Und ihn ergänzen: Wissenschaft ist der Beweis für Dinge, die wir sehen. Da gibt es keinen Widerspruch. *
Kann der christliche Glaube helfen, die USA zu einer angemessenen Reaktion auf den Klimawandel zu bewegen?
Der Glaube liefert einen neuen Ansatzpunkt, über den Klimawandel zu sprechen, das interessiert die Menschen. Außerdem können wir dann an ihren Werten anknüpfen; nur so können wir sie langfristig überzeugen. Und für viele ist ihr Glaube einer der wichtigsten Werte. Sie erkennen dann, sie müssen kein Umweltaktivist werden, der Bäume umarmt oder sich an Zäune kettet, um den Klimawandel ernst zu nehmen. Sie können die Person bleiben, die die Bibel liest, und finden dort den Antrieb zur Veränderung.
Wo steht das in der Bibel?
An vielen Stellen, ich halte Predigten darüber. Es fängt schon in der Schöpfungsgeschichte an, die uns Menschen die Verantwortung für die Erde gibt. Selbst wenn da steht: Macht sie euch untertan, heißt das doch nicht, dass wir sie ruinieren dürfen. In der ganzen Bibel geht es zudem um Liebe, vor allem für andere, denen es nicht so gut geht wie uns. Und der Klimawandel trifft die Armen und die Schwachen überproportional.
Was bewirken solche Predigten bei Ihren Zuhörern?
Ich verknüpfe die Herzen der Menschen mit ihren Köpfen. Bei allen Veranstaltungen nehme ich mir die Zeit, zu erspüren, welche Werte eine Gruppe verbinden. Das kann die Sorge um die nationale Sicherheit sein, um Wirtschaft und Arbeitsplätze, oder die Liebe zur Jagd und zum Fischen. Oder Wasser, das ist in Texas ein wichtiges Thema. Meist haben wir zu wenig und dann haben wir plötzlich zu viel, wir haben Fluten und Dürre, das sehen alle als großes Problem. Dann sage ich: Für die Zukunft mache ich mir noch mehr Sorgen, weil es wärmer wird und wir noch weniger Wasser haben. Und so können wir anfangen, über Lösungen zu sprechen.
Lassen Sie das Wort Klimawandel manchmal bewusst weg?
Viele Gruppen sind neugierig und wollen genau das von mir hören. Aber sonst hängt oft ein großer Ballast dran. Ich versuche dann mindestens drei Wörter zwischen Klima und Wandel einzufügen. Oder ich benutze sie überhaupt nicht.
„Die Nachbarn fragten: Man kann das Auto mit Strom aufladen, und das funktioniert?“
Müssen Sie sich da nicht verstellen?
Ich möchte doch mein Publikum ein wenig bewegen, und dazu ist das Wort Klimawandel nicht immer nötig. Oft gibt es bessere Methoden. Soll ich Ihnen mal von meinem neuen Auto erzählen?
Gern.
In unserer Straße fahren alle Nachbarn diese großen SUVs und Pickups, wie das halt so ist in Texas. Ich aber habe seit kurzem einen Plugin-Hybrid, ein deutsches Fabrikat übrigens. Das Auto stand vor unserer Garage mit dem Kabel zum Aufladen der Batterie. Und alle Nachbarn, die sonst nur winken, wenn sie vorbei fahren, haben angehalten und sind ausgestiegen. Sie wollten alles wissen, so etwas hatten sie noch nie gesehen. Sie fragten: Man kann das Auto mit Strom aufladen, und das funktioniert? Was passiert, wenn die Batterie alle ist? Ich habe geantwortet, dass ich darum ja den Hybridantrieb habe und so 70 Meilen mit einer Gallone Benzin schaffe (ca 3,4 Liter/100 km). Was, sagten sie dann, bei mir sind es nur 15 Meilen (15,7 Liter/100 km). Mein Mann hat ihnen dann auch noch von der tollen Beschleunigung erzählt. Und so haben wir vielleicht die Chance gesteigert, dass sich einer unserer Nachbarn ein umweltfreundliches Auto kauft, ohne je über den Klimawandel zu sprechen.
Welche Rolle spielen die kleinen und vielleicht größeren Umstellungen im persönlichen Leben, um den Klimawandel zu bewältigen?
Unsere Furcht ist doch, dass wir ins Mittelalter zurück müssen, wenn wir versuchen, den Klimawandel zu begrenzen. Kein Strom, keine fließendes Wasser, keine Autos, kein Fleisch. Und dann sagen sich die Leute, das ist zu extrem, das kann ich nicht, also kann ich gar nichts machen. Aber tatsächlich können wir schon mit kleinen Dingen etwas bewegen, wenn wir sie alle zusammen tun. Wir rechnen das in unserem Buch vor. Wenn zum Beispiel in jedem Haus in Amerika eine Glühbirne gegen eine Sparlampe ausgetauscht wird, dann ist das so, also würden wir 800 000 Autos von der Straße holen. Wenn jeder nachts seinen Computer ausschaltete, würden wir vier Milliarden Dollar an Stromkosten sparen.
Manche ihrer Kollegen warnen, dass die Menschen meinen, mit dem Austauschen der Glühbirnen hätten sie genug getan.
Sie haben in dem Moment den Klimawandel ernst genommen, das prägt sie in weiteren Entscheidungen. Aber ich stimme in einem zu: Der wichtigste Beitrag, den jeder leisten kann, ist über den Klimawandel zu sprechen. Miteinander, im Betrieb, der Schule, der Kirche und vor allem mit unseren gewählten Vertretern, in der Stadt, dem Bundesstaat, auf der nationalen Ebene.
Auch in Europa steht der Kampf gegen den Klimawandel auf der Prioritätenliste der meisten Menschen sehr weit unten, selbst wenn sie ihn als ernstes Problem anerkennen.
Genau, darum halte ich es für einen gefährlichen Mythos und den zentralen Fehler in der Debatte, dass wir den Klimawandel überhaupt als eigenständiges Problem unter vielen anderen betrachten. Wenn man Leute fragt, was ihnen wichtig ist, dann sagen die meisten vielleicht: Familie, Gesundheit, meine Arbeit. Der Klimawandel schafft es nicht in die Top Five. Aber er betrifft fast jeden Punkt auf der Liste, weil er die Bedingungen für unser Leben überall grundlegend ändert. Der Klimawandel ist kein Problem der Umwelt, sondern eines der Menschen. Und wir sind doch alle Menschen. ◀
* Anmerkung: Hayhoe bezieht sich auf die gängige englische Übersetzung, die King-James-Bibel. Dort steht: „Now faith is the substance of things hoped for, the evidence of things not seen.“ In deutschen Übersetzungen steht statt „evidence“ Überzeugung oder Nichtzweifeln. In der Lutherbibel 2017 zum Beispiel lautet der Vers: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“