Klimaschutz homemade: Wie das ClimateFair-Konzept Kommunen wie der Stadt Walldorf hilft

Wie können Bürger und Kommunen Verantwortung für ihre Umwelt- und Klimakosten übernehmen? Das ClimateFair-Konzept bietet einen partizipativen Ansatz.

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Repair Café in Heidelberg

Der Gemeinderat der Stadt Walldorf bemüht sich darum, die Klimafolgen seines Handelns abzumildern. Seit 2017 ermittelt er die externen Umwelt- und Klimakosten im Mobilitätsbereich seiner Verwaltung und investiert diese Summe in den Walldorfer Bürgerfonds für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. Dafür erfasst die Stadt über die gesamte Fahrzeugflotte hinweg den Verbrauch an fossilen Energieträgern.

Walldorf ist eine kleine Stadt südlich von Heidelberg mit aktuell rund 15.600 Einwohnern. Bereits in den 1960er Jahren wurden Industrie und Gewerbe angesiedelt, da Walldorf in unmittelbarer Nähe der Autobahnen A5 und A6 liegt. Das bekannteste Unternehmen ist der Softwarekonzern SAP. Der zunehmende Verkehr sorgte schon früh dafür, dass sich Politik und Verwaltung mit Umweltschutzfragen befassten. 1985 legte die Stadt eine erste Umweltbilanz vor, seit 1990 entwickelte sie Förderprogramme, etwa zur Nutzung von Sonnenergie oder zur energetischen Modernisierung von Gebäuden. Seit 2006 überprüft sie wie viele andere baden-württembergische Kommunen ihre Anstrengungen mit dem Instrument des European Energy Award (eea) und entwickelt seit 2014 ihr Klimaschutzkonzept weiter.

Um die Umwelt- und Klimabelastung durch die eigene Mobilität zu reduzieren, beschloss der Gemeinderat im Dezember 2016 die Verantwortung für die externen Folgekosten nicht wie bisher nur für Flugreisen, sondern für alle Dienstreisen und -fahrten zu übernehmen. Die Umwelt- und Klimakosten sollten nicht länger „auf die Allgemeinheit abgewälzt werden“, erklärt Christian Horny, der in der Stadtverwaltung für Umwelt, Feuerwehr und Katastrophenschutz zuständig ist. Entsprechend werden nun alle Dienstreisen erfasst und deren externe Folgekosten berechnet. Dazu gehören auch die Fahrten mit Feuerwehrfahrzeugen, Baumaschinen und Lkws.

Ein Blick auf den SAP-Campus in Walldorf.
Blick auf den SAP-Campus in Walldorf.

Gleichzeitig baut die Stadt damit ein Monitoring-Instrument für die städtische Mobilität auf, da sie die Fahrleistungen der verschiedenen Verkehrsmittel vollständig erfasst. „Wenn man sich dann alle Prozesse ansieht, kann man auch entscheiden, wo eine Elektrifizierung der Fahrzeuge die größte Klimaschutzwirkung erzielen würde oder ob etwa die Feuerwehr den Pumpvorgang über das laufende Fahrzeug oder auch anders betreiben kann“, erläutert Horny.

Die Dienstreisen des Jahres 2017 sind abgerechnet: Demnach fielen bei Dienstfahrten und -reisen insgesamt 74 Tonnen CO2 an. 35 Prozent davon, also etwa 26 Tonnen, entstanden bei Fahrten mit privaten Pkw. Für 2018 wurden bereits einige Optimierungen vorgenommen. Beispielsweise werden Reisen nun schon bei der Abrechnung erfasst und nicht mehr am Jahresende. Auf den Reisekosten-Abrechnungsformularen sollen künftig neben den Fahrleistungen auch die Fahrzeugklasse und der Energieträger angegeben werden.

Das Konzept von ClimateFair basiert auf einer Erfassung der externen Mobilitätskosten und deren Überführung in einen Bürgerfonds.
Schema für die Erfassung der Umweltfolgekosten bei der Stadt Walldorf

„Raus aus der Komfortzone“

Um verpflichtende CO2-Abgaben wird schon seit Jahren gerungen. Ein Mindestpreis für CO2 im Emissionshandel, von Umweltschützern, Ökonomen und Frankreichs Präsident Macron gefordert, ist in Deutschland derzeit nicht in Sicht. Deshalb könnte die Entscheidung des Walldorfer Gemeinderats durchaus für Aufsehen sorgen, weil er sich dazu entschlossen hat, die Verantwortung für die externen Umweltfolgekosten der Reisetätigkeiten zu übernehmen, die umgerechnet 80 EUR pro Tonne CO2-Äqivalent betragen.

Angesichts dessen, dass Deutschland seine Klimaziele für 2020 verfehlen wird, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits an, nun in allen Politikfeldern nachhaltiges Handeln einfordern zu wollen. Dabei stellte sie fest, dass „wir“ uns höhere Emissionen „nicht länger leisten können“. Für das für 2019 geplante Klimaschutzgesetz erwartet Merkel dennoch einen „harten Kampf“. Einen Vorgeschmack darauf lieferte bereits wochenlang die vertagte Einsetzung der Kohlekommission. Merkel ist daher klar, dass „wir die Komfortzone verlassen müssen“. Andererseits müssten die Menschen für eine nachhaltige Politik gewonnen werden: „Nachhaltigkeit gegen große Teile der Gesellschaft geht nicht.“

Ein neues partizipatives Kosten-Nutzen-Modell für Umwelt und Klima

Die Walldorfer bewerten ihre externen Umwelt- und Klimakosten von CO2-Äquivalenten nach dem Konzept des ClimateFair-Projekts der gemeinnützigen Heidelberger Klimaschutz+ Stiftung und des Klima-Bündnisses. Die Initiatoren wollen mit diesem freiwilligen Engagement auch der Politik vermitteln, dass die Einführung einer nationalen CO2-Abgabe von den Bürgern und Kommunen mitgetragen wird. Die Kernfrage von ClimateFair lautet: Wie können externe Kosten wie Umwelt- und Klimaschäden internalisiert werden? Konkreter lautet die Frage: Wie kann jeder Einzelne die klimaschädlichen Folgen nicht vermeidbarer Reisen verantworten? Und wie hoch ist der aus ökologischer Sicht tatsächliche Preis, der er zahlen müsste, um die Schäden vollständig abzudecken?

Statt auf Kompensationszahlungen über einen Emissionshandel setzt das Projekt ClimateFair für den Mobilitätssektor darauf, dass jeder die von ihm verursachten externen Kosten internalisiert. Dazu gehört es, dass jeder Einzelne zunächst klimaverantwortlich plant, also überlegt, ob sich der Zweck der Reise auch auf andere Weise erreichen lässt. Falls nicht, lassen sich die sozialen und ökologischen Folgekosten etwa mit einem Online-Rechner berechnen und die Verkehrsmittel mit der geringsten Belastung wählen. In einem weiteren Schritt kann jeder die Verantwortung für diese Kosten übernehmen, indem er die ermittelte Summe in einen lokalen Bürgerfonds einzahlt.

Die Gelder der Bürgerfonds werden in einem ersten Schritt lokal und regional in Anlagen zur nachhaltigen Stromerzeugung und in Energieeinsparprojekte investiert, womit ein konkreter Beitrag zum Klimaschutz geleistet wird. In einem zweiten Schritt werden die Erträge der Fonds jährlich zur Förderung lokaler Initiativen für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung ausgeschüttet, wobei alle Fondsteilhaber per Online-Abstimmung mitbestimmen können, welche Projekte gefördert werden.

Online-​Rechner Climatefair.
Die Bürger können selbst entscheiden, in welcher Höhe, also zu wieviel Prozent sie die vom Online-​Rechner ausgewiesenen Kosten übernehmen wollen und können. Außerdem können Sie den errechneten Betrag einem bestimmten Bürgerfonds zuweisen.

Die Bürger können überdies selbst entscheiden, in welcher Höhe, also zu wieviel Prozent sie die vom Online-Rechner ausgewiesenen Kosten übernehmen wollen und können. Die Stadt Walldorf hat sich übrigens entschieden, die externen Kosten zu 100 Prozent zu tragen.

„Während für den einen beispielsweise 50 Euro kein ernstes Problem darstellen, kann das für den anderen aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation eine kaum oder schlicht nicht leistbare Mehrbelastung sein. Die Entscheidung darüber, welchen Teil der Kosten ich übernehmen kann und welchen ich aktuell gegebenenfalls weiterhin auf die Gemeinschaft abwälzen muss, geben wir in die Eigenverantwortung der Bürger und Bürgerinnen.“ Peter Kolbe, ClimateFair und Klimaschutz+ Stiftung

Die Gelder der Bürgerfonds legt die Stiftung ausschließlich im Bereich Energiewende an, wobei sie auf eine möglichst lokale Mittelverwendung achtet. Die Erträge und Abschreibungen der finanzierten Ökostromanlagen und Energieeffizienzprojekte fließen dann zu 100 Prozent mindestens 20 Jahre lang zur jährlichen Ausschüttung in die lokalen Bürgerfonds zurück. In Heidelberg förderte der Bürgerfonds beispielsweise einmalig das RepairCafe und den Leihladen, auch wurde in ein Einsparcontracting eines lokalen Biomarkts mit einem Volumen von 40.000 kWh/Jahr investiert. Peter Kolbe betont: „Es geht uns darum, bestehende Projekte zu stärken und Menschen, die sich für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung vor Ort einbringen, zu unterstützen. Unser Ziel ist es, dass überall die CO2-Abgabe im Preis enthalten ist. Dann kann die Arbeit an dieser Stelle eingestellt werden und steht für andere Projekte zur Verfügung.“

Abschied vom CO2-Ablasshandel

Mit dem Bottom-up-Konzept kann jede Kommune wie die Stadt Walldorf den Klimaschutz selbst voranbringen. Die Haushälter der Stadt waren von dem ClimateFair-Konzept angetan, weil nur maximal 10 Prozent des Beitrags, der an den Bürgerfonds überwiesen wird, für Organisations- und Verwaltungsarbeit der Stiftung verwendet werden. Außerdem können die Walldorfer Bürger, die sich am Fonds beteiligen, gemeinsam mit der Stadtverwaltung, die selbst genau eine Stimme besitzt, darüber bestimmen, welche Projekte sie fördern wollen. Die Stadt hat sich damit aus dem üblichen CO2-Kompensationsgeschäft verabschiedet, das keinen direkten Einfluss auf die geförderten Projekte ermöglicht.

Wir haben in der Vergangenheit bereits Flugreisen über CO2-Zertifikate kompensiert. Hierbei werden aber, je nach Anbieter, bis zu 30 Prozent der Kosten für die Verwaltung, das Erstellen der CO2-Zertifikate und die Kontrolle der Projekte vor Ort verwendet. Bei ClimateFair werden die eingesetzten Gelder dagegen zu mindestens 90 Prozent zur Förderung erneuerbarer Energien und für den Klimaschutz eingesetzt.“ Christian Horny, Stadt Walldorf

Die Idee zieht Kreise: Bis Ende des Jahres noch lädt das Berliner Reallabor KliB, das vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung betrieben wird, die am Reallabor teilnehmenden 100 Haushalte ein, den ClimateFair-Rechner zu nutzen und an dem neu eingerichteten Berliner Bürgerfonds teilzuhaben. Im November wird das RENN-Netzwerk der Klimaschutz+ Stiftung für ihr ClimateFair-Projekt den Preis für das „Projekt Nachhaltigkeit 2018“ verleihen, weil es einen besonders großen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung in der Region und darüber hinaus leistet. Beworben hatten sich über 450 Projekte aus dem ganzen Bundesgebiet, 40 werden ausgezeichnet.

Vorbild für die Politik

Peter Kolbe betont: „Wir geben es in die Eigenverantwortung des Bürgers zu entscheiden, was er konkret unternehmen will. Je mehr hier mitmachen, desto höher wird auch die Bereitschaft der Politik sein, eine CO2-Abgabe einzuführen.“ In Deutschland zögert die Politik jedoch noch: Im Moment liegt ein Vorschlag von acht grünen und einem parteilosen Umwelt- und Energieminister der Bundesländer vor, einen Mindestpreis für fossile Energieträger von mindestens 30 Euro je Tonne CO2 in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr einzuführen. Die Mehreinnahmen sollen zur Senkung der EEG-Umlage beitragen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier will hier nicht mitziehen, da er darin einen Wettbewerbsnachteil für energieintensive Unternehmen sieht. Für Kohle-Kraftwerke könnte er sogar das Aus bedeuten.

Deutschland wäre jedoch in guter Gesellschaft, würde es sich zu einer verbindlichen CO2-Abgabe durchringen: Der Bericht „State and Trends of Carbon Pricing 2015“ der Weltbank führt auf, welche Länder an einem Emissionshandel teilnehmen, eine Abgabe auf CO2-Emissionen eingeführt haben oder beides in nationalen Gesetzen verankert haben. So haben Finnland und Polen bereits seit 1990 eine CO2-Abgabe, ein Jahr später folgten Schweden und Norwegen. In den Folgejahren kamen Dänemark, Lettland, Slowenien und Estland dazu. In den letzten zehn Jahren folgten neben einer Anzahl außereuropäischer Staaten noch die Schweiz, Irland, Island, Frankreich und Portugal.

Das ClimateFair-Projekt setzt übrigens einen CO2-Preis von 80 Euro pro Tonne CO2 an.* Bei der Berechnung wird die Menge an Emissionen von CO2-Äquivalenten berücksichtigt, wobei dem Betrag von 80 Euro die Empfehlungen des Umweltbundesamtes zu Grunde liegen. Diese Summe müsste im Übrigen noch um das bis zu 5-Fache erhöht werden, wollte man die gesamten sozioökologischen Umweltkosten einbeziehen.

CO2-Abgaben mit Anreizsystem verbinden

Die Schweiz hat bereits einen Weg gefunden, das Instrument mit einem Förder-Anreizsystem zu verbinden. Sie koppelt die Abgabe, die sie über das CO2-Gesetz auf einen maximalen Satz von 120 Franken pro Tonne CO2 festgelegt hat, über ihre Klimastiftung mit einem Anreiz-Instrument: Dort können kleine und mittlere Unternehmen Unterstützung beantragen. Sie erhalten Geld für jede Tonne CO2 und jede Kilowattstunde Strom, die sie mit größeren Energiesparmaßnahmen einsparen können. Auch Unternehmen, die Klimaschutz-Produkte entwickeln und vermarkten, werden unterstützt.

Insgesamt stehen der Stiftung in diesem Jahr rund zwei Millionen Franken zur Verfügung. Finanziert wird die Klimastiftung Schweiz von 27 Partnerfirmen wie Banken, Versicherungen und anderen Dienstleistern aus der Schweiz und Liechtenstein. Diese erhalten mit der Rückvergütung der CO2-Abgabe zum Teil mehr Geld zurück, als sie bezahlt haben. Den Überschuss spenden sie der gemeinsamen Stiftung, damit diese KMU stärken und das Klima schützen kann. Nach Willen des Schweizer Bundesrats soll bald mehr in die Kasse der Klimastiftung fließen: Er will den Satz auf 210 Franken pro Tonne CO2 anheben.

Das Schweizer Modell setzt wie ClimateFair darauf, die CO2-Abgabe wieder direkt in Umwelt- und Klimaprojekte vor Ort zu investieren. Die Unternehmen und Verwaltungen haben damit einen Anreiz, sich zu verändern. Globale Kompensationsgeschäfte, wie sie weite Teile der deutschen Politik befürworten, tragen jedoch nichts dazu bei, dass umwelt- und klimaschädliche Prozesse vor Ort gestoppt werden. Zwar könnte man anderenorts mit der selben Menge Geld möglicherweise höhere CO2-Einsparungen erreichen, doch wesentlich am ClimateFair-Projekt ist, dass die Menschen eine Verbindung zum eigenen Lebensumfeld finden.

Ob die geförderten Projekte in Afrika oder Südostasien tatsächlich nachhaltig arbeiten, kann kein Bürger selbst überprüfen – und Zertifizierungen sind zwar etabliert, aber teuer. Ob jedoch eine Behörde oder ein Unternehmen vor Ort ein Solardach hat oder ob ein Feuerwehrfahrzeug die Pumpe nicht über den Dieselmotor antreibt, davon kann man sich mit eigenen Augen überzeugen. Besser noch: Über diese Veränderungen kann jeder bei ClimateFair selbst mitbestimmen.

* Update 10.4.2019:

Das ClimateFair-Projekt setzt seit November 2018 einen CO2-Preis von 180 Euro pro Tonne CO2 an, nachdem das Bundesumweltamt in seiner „Methodenkonvention 3.0“ den Preis auf 180 Euro korrigiert hatte. Es sind inzwischen 61 Bürgerfonds dabei.

Lesetipps

Interview mit Otto Scharmer: Wie in der Klimakrise jeder zum Gestalter der nötigen Transformation werden kann. Experimente am MIT für eine gesellschaftliche Transformation, KlimaSocial, 18.12.2018

Portrait der Klimaschutz+ Stiftung, deren Konzept von Otto Scharmers U-Theorie inspiriert wurde, KlimaSocial, 23.10.2018

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