Lasst uns die Revolution pflanzen!
In ihrem neuen Buch ruft Christiane Habermalz zum gärtnerischen Aufstand gegen Ordnungswahn und Naturvergessenheit auf. Johanna Romberg findet: Höchste Zeit, ihr zu folgen
Eines vorweg: Dies hier wird keine neutrale, ausgewogene Buchbesprechung werden, denn die Autorin ist meine Kollegin; sie schreibt wie ich für die „Flugbegleiter“. Dennoch – oder gerade deshalb – sollten Sie die folgende Warnung ernst nehmen: Überlegen Sie sich zweimal, ob Sie dieses Buch lesen! Denn es wird Sie nicht nur informieren und unterhalten. Es wird Ihre kriminellen Instinkte wecken, Sie womöglich sogar zum Mörder machen.
Es könnte beispielsweise sein, dass Sie nach der Lektüre aus dem Haus treten, Ihr Blick auf die Kirschlorbeerhecke Ihres Nachbarn fällt – und Sie den spontanen Wunsch verspüren, diese durch einige diskrete, aber gezielte Schnitte mit einem scharfen Messer zum Absterben zu bringen.
Und selbst falls Sie vorm Äußersten zurückschrecken: Es ist gut möglich, dass man Sie und andere Leser der „Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam“ demnächst im Morgengrauen durch die Straßen ihres Wohnorts streifen sieht, einen verdächtig prallen Rucksack auf den Schultern. Darin Werkzeuge und Material, mit denen Sie sich an öffentlichem oder auch nicht so öffentlichem Grün zu schaffen machen: Spaten, Schaufel, abwurfbereite Saatbomben und womöglich eine Campingdusche mit Wassertank, um diese zum „Explodieren“ zu bringen.
Glauben Sie mir: Sie werden all dies mit bestem Gewissen, ja sogar aus voller Überzeugung tun. Dies versichert Ihnen eine Naturfreundin, die zugibt, Christiane Habermalz´ Anfänge als Garten-Revolutionärin mit Skepsis und sogar leisem Spott verfolgt zu haben. „Guerilla Gardening“, das heimliche Ausbringen von Wildkrautsamen und –pflanzen auf Flächen, die einem nicht gehören, ist ja kein neues Phänomen, vielmehr eine Form subtilen politischen Protests, die bereits seit Jahrzehnten vorwiegend von urbanen Öko-Idealisten praktiziert wird. Mir war jedoch nie so richtig klar, wozu es gut sein soll – abgesehen vom Nervenkitzel, den es den GärtnerInnen verschafft. Sein ökologischer Nutzen schien mir eher begrenzt.
Denn was bringen ein paar hübsch blühende Verkehrsinseln und insektenfreundlich gestaltete Stadtparkecken, wenn der Niedergang der Natur sich doch vor allem draußen auf dem Land abspielt, auf den 50 Prozent bundesdeutscher Fläche, die durch intensive Agrarwirtschaft zu weitgehend lebensfeindlichen Nutzpflanzensteppen degeneriert sind?
Es geht nicht darum, die ganze Welt zu retten. Sondern sie vor der Haustür ein bisschen besser und lebenswerter zu machen
Die Autorin benennt diese Zweifel, lässt sich aber davon nicht bremsen – aus durchaus einleuchtenden Gründen. So verweist sie darauf, dass jede positive Veränderung im Großen noch immer von Einzelnen ausgegangen ist, die sich nicht mit dem Gegebenen abfinden wollten. Sie plädiert dafür, dass jedeR im Rahmen seiner und ihrer Möglichkeiten versuchen sollte, die Welt im Kleinen ein bisschen gerechter und ökologischer zu machen. Was aber ihre Argumentation, zumindest für mich, besonders überzeugend macht: Sie handelt auch danach. Sie testet selbst aus, was man als EinzelneR vor der eigenen Haustür bewirken kann – und wo man an Grenzen stößt, ökologische und logistische ebenso wie juristische.
Natürlich muss die Guerilla-Gärtnerin auch Rückschläge hinnehmen: Keimlinge werden von achtlosen PassantInnen plattgetrampelt, frisch gesetzte Sträucher verdursten im glühenden Großstadtsommer, liebevoll angelegte Wildstaudenoasen werden von städtischen Gärtnerbrigaden umgepflügt und durch pflegeleichtes Straßenbegleitgrün ersetzt. Auch deshalb erlebt die Autorin immer wieder Momente, die vermutlich jeder Naturfreund kennt, ob guerillamäßig unterwegs oder nicht: Momente, in denen sie ihre Gießkanne am liebsten durch einen Flammenwerfer ersetzen würde, um der Natur endlich die Freiräume zu erobern, die ihr durch die Wurstigkeit und bürokratische Ordnungswut der Menschen immer wieder streitig gemacht werden.
Die Stadt, in der die Guerilla-Gärtnerin agiert, wird zwar immer wieder als Eldorado der Artenvielfalt gepriesen. Doch diesen Ruf verdankt Berlin weniger einer naturfreundlichen Bau- und Grünflächenplanung als der Tatsache, dass die dafür zuständigen Behörden chronisch unterfinanziert sind. Dort, wo sie Hand anlegen, mähen, spritzen und pflastern sie genauso gnadenlos, wie es die Regeln der deutschen Gartenkultur verlangen – die offiziellen wie die ungeschriebenen. In den privaten Berliner Gärten scheint es, nach Habermalz’ Beschreibung, nicht besser auszusehen.
Nieder mit der „gelben Osterpest“ – her mit den Kornelkirschen!
Dort dominiert blütenfreier Kurzrasen, gesäumt von Gewächsen, die ökologisch weitgehend nutzlos sind: finsteren Thuja-Zäunen, sterilen Zuchtrosen, nektarlosen Forsythien (zu Recht auch „gelbe Osterpest“ genannt) und dem ebenso hochgiftigen wie ausbreitungsfreudigen kleinasiatischen Kirschlorbeer. „Wer den pflanzt, kann gleich eine Betonmauer in seinen Garten setzen. Die ist sogar noch ökologischer, weil wenigstens Flechten und Moose an ihr wachsen.“ So zitiert Christiane Habermalz einen Pflanzenkenner des Bremer NABU.
Er ist nicht der einzige Naturschutz-Experte, den sie zu Wort kommen lässt. Das vor allem unterscheidet sie von einer rein Idealismus-getriebenen Ökoaktivistin: Dass sie ihre Revolte gegen die deutsche Garten(un)kultur mit dem Anspruch einer Wissenschaftsjournalistin angeht. Also mit Wissbegier, Experimentierfreude, aber auch Verantwortungsgefühl. Sie sät und pflanzt nicht aufs Geratewohl, sondern befragt immer wieder Fachleute, um mehr darüber zu erfahren, welchen ökologischen Nutzen ihre Aktionen bringen – und welche sie lieber bleiben lässt, weil sie womöglich sogar Schaden anrichten. Wie etwa das Aussäen exotischer, potenziell invasiver Zierpflanzen, enthalten leider auch in Samenmischungen, die als „Insektenweide“ etikettiert sind.
Glühwürmchenlarven fressen Schnecken. Gäbe es doch mehr davon!
Und weil die Kollegin gründlich recherchiert, hat sie bei mir nicht nur die Lust am selektiven Pflanzenmorden geweckt, sondern mich auch klüger gemacht. Ich weiß jetzt etwa, dass Wildbienen auf Kreuzblütler fliegen, dass Weißdorn und Schlehen indirekt gegen Schnecken wirken, weil sie deren Fressfeinde, die Larven der Glühwürmchen, ernähren. Und ich werde meinen eigenen Garten um ein paar Gewächse bereichern, die bei Falter und Bienen besonders beliebt sind – darunter Hornklee, Steppensalbei, Witwenblume und Aufrechte Waldrebe.
Es gibt ein paar Experimente in diesem Buch, die ich definitiv nicht nachmachen werde, so amüsant ich ihre Beschreibung fand. Ich werde keine 50er-Packungen Grillen aus dem Zoohandel in meinem Garten aussetzen, auch keine Florfliegen im Versandhandel bestellen – lieber fördere ich die Insektenvielfalt mit geeigneten Futterpflanzen. Und die Lilienhähnchen können noch so verführerisch zirpen – ich werde nach wie vor jedes Exemplar dieses Käfers, das ich entdecke, eigenhändig liquidieren; wer je eine bis auf die Stängel skelettierte Türkenbund- oder Königslilie gesehen hat, wird mich verstehen.
Es lebe die Volksfront zur Befreiung deutscher Vorgärten von Kirschlorbeer, Koniferen und anderen nutzlosen Gewächsen!
Unentschieden bin ich nach wie vor bei der Frage, ob ich selber unter die GuerillagärtnerInnen gehen soll. Den nötigen revolutionären Furor würde ich wohl mitbringen, zweifle allerdings an meiner Ausdauer und Frusttoleranz. Beides würde ich brauchen, um etwa mit anzusehen, wie die frisch gesäten Wildkräuter an den Wegrainen meiner Heimatgemeinde Jahr für Jahr durch die ebenso ordnungsliebenden wie gründlichen Arbeitskolonnen des Realverbands geschreddert würden.
Sollte es jedoch, angeregt durch das Buch, zur Gründung einer Volksfront zur Befreiung deutscher Vorgärten von der Kirschlorbeer-, Thuja- und Forsythienplage kommen – ich wäre sofort dabei.