Klima-Kolumne: Alles spricht für ein Tempolimit – worauf warten wir noch?
Das Tempolimit ist eine ideale Klimaschutzmaßnahme – kostengünstig, effektiv, sofort umsetzbar. Auch die Freiheit wird nicht darunter leiden. Sie ist vielmehr durch die Folgen der voranschreitenden Klimakrise bedroht.
Meine ersten Schimpfwörter habe ich auf dem Autorücksitz des alten Fiat 500 meiner Eltern gelernt. Es gab für sie immer wieder Gründe, am Steuer herzhaft zu fluchen: Staus, Baustellen, drängelnde Autofahrer:innen und Lastwagen, die sich gegenseitig überholen. Dass Menschen beim Autofahren schnell aggressiv werden, zeigt auch eine Untersuchung der Unfallforschung der Versicherer (UDV).
Ich habe die Liebe zum Auto noch nie verstanden – nicht nur wegen meiner frühen Erfahrungen auf dem Rücksitz. Für mich bedeutet Autofahren vor allem Stress, durch Drängler:innen, Vorfahrtnehmer:innen und natürlich durch die verzweifelte Parkplatzsuche. Klar, Autofahren hat auch Vorteile. Man kann direkt einsteigen, losfahren, wann immer man will, muss weder auf den Bus warten noch zum Anschlusszug sprinten. Gerade wenn man auf dem Land wohnt und der Bus nur zweimal am Tag fährt, ist Autofahren oft keine Frage persönlicher Präferenzen, sondern schlichter Sachzwang.
Ein Tempolimit als schnell umsetzbare Klimaschutzmaßnahme
Doch was auch immer fürs Auto spricht, eine fundamentale Tatsache lässt sich nicht wegdiskutieren: dass unsere Mobilität einen erheblichen Anteil an klimaschädlichen Treibhausgasen verursacht. Ein Fünftel aller Emissionen kommen aus dem Verkehrssektor; die absolute Menge ist seit Jahren weitgehend unverändert. Wir brauchen also eine Verkehrswende, heute dringender denn je.
Dazu gehört zuallererst der Ausbau des ÖPNV, bessere Bahnverbindungen und bezahlbare Tickets, aber auch mehr und sichere Fahrradwege – und zwar nicht abseits der Straßen, womöglich gar auf Kosten des Fußverkehrs, sondern auf jenem Straßenraum, der bisher den Autos vorbehalten ist. Diese müssen emissionsfrei werden; es braucht also einen Verbrenner-Ausstieg, mehr E-Mobilität und Sharing-Angebote. Und wir brauchen, endlich, das Tempolimit.
Letzteres ist eine der wenigen Klimaschutzmaßnahmen, die nicht nur kostengünstig, sondern auch schnell umsetzbar sind. Doch Deutschland bleibt weiterhin das einzige Land der Europäischen Union, in dem es keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung gibt. Warum nur?
Es kürzlich kam die Nachricht, dass das Verkehrsministerium ein seit 20 Jahren geltendes Tempolimit auf einem brandenburgischen Abschnitt der A24 wieder aufgehoben hat, obwohl sich seit der Einführung die Unfallzahlen fast halbiert haben. SPD und CDU stimmten für die Abschaffung des Tempolimits, obwohl die Polizei vor dem Anstieg an Unfällen warnte. Klingt unlogisch? Ist es auch.
Vor allem die konservativen Parteien sprechen sich vehement gegen das Tempolimit aus. Ihr Hauptargument ist die Freiheit. „Es schadet dem wichtigen Anliegen Klimaschutz, wenn den Menschen wieder einmal im Namen des Klimas ein Stück Freiheit genommen wird“, twittert etwa Hamburgs CDU-Landeschef Christoph Ploß.
Was hat Geschwindigkeit mit Freiheit zu tun?
Aber: Was hat die Geschwindigkeit mit Freiheit zu tun? Sicherlich macht einigen Menschen das Rasen auf der Autobahn Spaß, vielleicht ist es auch das Machtgefühl, das sie verspüren, wenn sie mit voller Kraft aufs Gaspedal drücken können. Psycholog:innen sprechen auch von einem Geschwindigkeitsrausch, der ein Glücksgefühl auslösen kann. Mit Freiheit hat all das allerdings nichts zu tun. Man kann sich schlicht daran gewöhnen, weniger zu rasen – so wie man sich auch das Rauchen oder Trinken abgewöhnen kann. Wie selbstverständlich langsameres Fahren sein kann, beweisen täglich Millionen von Autofahrer:innen weltweit, die Tempolimits einhalten, ohne über Freiheitsverluste zu klagen.
Bereits ein Limit von 120 km/h auf Autobahnen hätte zahlreiche Vorteile, wie eine aktualisierte Studie des Umweltbundesamts (UBA) zeigt. Es könnten pro Jahr bis zu 6, 7 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden, mit einem zusätzlichen Tempolimit von 80 km/h auf Landstraßen sogar 8 Millionen Tonnen CO2. Und die vermiedenen Treibhausgase sind nur ein Effekt: Ein Tempolimit lässt den Verkehr besser fließen, senkt die Zahl tödlicher Unfälle und, nebenbei, auch das Stresslevel vieler Verkehrsteilnehmer:innen.
Einsparungen von bis zu 6, 7 Millionen Tonnen CO2
Kein Wunder, dass diese Argumente auch die Mehrheit der Deutschen überzeugen, in verschiedenen Umfragen der vergangenen Jahre sprechen sich bis zu 59 Prozent für ein Tempolimit aus.
Die Debatte darum zeigt erneut: Wir brauchen dringend einen Perspektivwechsel, wenn es um die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen geht. Warum sprechen wir von Verboten, von Einschränkungen der Freiheit? Das Gegenteil ist doch richtig: Mit einem Tempolimit gewinnen wir an Lebensqualität, ein Stück Freiheit – weniger Lärm, weniger Unfälle, weniger Feinstaubbelastung, weniger Stress und damit auch weniger Aggression und Schimpferei.
Außerdem: All die Klimaschutzmaßnahmen, wie auch das Tempolimit, sind nicht dazu da, uns einzuschränken, sondern unsere Freiheit weiterhin zu sichern. Sie tragen dazu bei, dass wir die Klimaschutzziele erreichen, unsere Lebensgrundlagen erhalten können, den zukünftigen Generationen eine lebenswerte Zukunft ermöglichen. Selbst das Bundesverfassungsgericht urteilte 2021: Wenn in der Gegenwart zu wenige CO2-Emissionen eingespart werden, führt das zu „schwerwiegenden Freiheitseinbüßen“ der künftigen Generationen. Und das widerspricht dem Grundgesetz. Die Freiheit stirbt nicht durch ein paar weniger Stundenkilometer. Ihre größte Bedrohung ist die Klimakrise.
Kritik an FDP-Gutachten
Doch die Einführung des Tempolimits wird weiterhin verzögert. So wehrt sich unter anderem der Verband der Automobilindustrie gegen den Vorschlag. Das Hauptargument: Ein Tempolimit schade der Wirtschaft. Was dabei nicht bedacht wird: Ein „Weiter so“ wird noch viel schlimmere Konsequenzen für die Wirtschaft haben. Durch die Klimakrise könnten auf Deutschland bis 2050 nach einer aktuellen Studie Kosten von bis zu 900 Milliarden Euro zukommen.
Erst im Februar dieses Jahres veröffentlichte die FDP ein 35-seitiges Gegengutachten zur UBA-Studie. Demnach sei lediglich eine CO2-Einsparung von „maximal 1, 1 Millionen Tonnen zu erwarten“. Das sind 5, 6 Millionen Tonnen weniger, als das UBA berechnet hat. Die Deutsche Umwelthilfe bezeichnete die von der FDP in Auftrag gegebene Studie wiederum als „unseriöse Auftragsarbeit im Sinne der Autokonzerne“ und weist auf klare Fakten und Fehler hin. Außerdem sollen die beiden Autoren in der Vergangenheit durch klimaskeptische Aussagen aufgefallen sein, worauf unter anderem der Verkehrsclub Deutschland hinweist.
Auch wenn die CO2-Einsparung geringer sein sollte, als es die UBA-Studie aufzeigt: Bereits um die 2, 5 Millionen Tonnen weniger CO2-Äquivalente entsprechen derzeit den Emissionen, die durch den deutschen Flugverkehr jährlich freigesetzt werden. Ein Tempolimit lohnt sich. Also: Worauf warten wir?