UN-Experte zur Versorgung aller Menschen mit Wasser: „Wir hinken unseren Zielen weit hinterher“
Der UNESCO-Wasserexperte Richard Connor äußert sich zum Weltwassertag im Interview über die Ursachen für den globalen Mangel an Trinkwasser und Wege aus der Wasserkrise
Richard Connor leitet das Wasserprogramm der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Er ist Hauptautor des Berichts zum Zustand der globalen Wasserressourcen und der Versorgung der Menschheit mit Trinkwasser, den die Vereinten Nationen jährlich zum Weltwassertag am 22. März herausgeben.
Die Vereinten Nationen haben in ihrer Agenda für nachhaltige Entwicklung das Ziel ausgegeben, allen Menschen bis 2030 Zugang zu ausreichend und sauberem Trinkwasser zu garantieren. Wo stehen wir am Weltwassertag sechs Jahre vor Ablauf dieser Frist?
Leider hinken wir unseren Zielen sehr weit hinterher. Jeder vierte Mensch auf der Erde lebt derzeit ohne gesicherten Zugang zu Trinkwasser. Sogar fast die Hälfte der Menschheit hat keine regelmäßige und ausreichende Sanitärversorgung. Sechs Jahre vor dem Stichtag müssen wir feststellen, dass wir die Ziele für nachhaltige Entwicklung im Bereich Wasser nicht erreichen werden, wenn wir im gleichen Tempo weitermachen wie bisher. In einigen Bereichen machen wir sogar Rückschritte.
Damit verletzt die Staatengemeinschaft fortdauernd auch die Menschenrechte. Denn seit 2010 ist der universelle Zugang zu Trinkwasser auch ein Menschenrecht. Was ist das Hauptproblem?
Der Ausbau von Wasser- und Sanitärinfrastruktur kann mit dem rasanten Wachstum urbaner Zentren in den Entwicklungsländern und den aufstrebenden Schwellenländern einfach nicht mithalten. Die Folge ist, dass weltweit 80 Prozent des Abwassers ohne jegliche Behandlung in die Umwelt gelangt, in vielen Entwicklungsländern sind es sogar fast 100 Prozent. Unbehandeltes Abwasser ist heute bei weitem die größte Verschmutzungsquelle – mit unmittelbaren Gesundheitsfolgen für sehr viele Menschen durch Ausbrüche von Cholera oder immer mehr Durchfall- und anderen Erkrankungen, die wegen ihres massenhaften Auftretens wiederum die soziale Entwicklung in den betroffenen Ländern lähmen.
Wird das Problem politisch nicht ausreichend ernst genommen?
Es gibt einen Mangel an politischem Willen, die Wasserkrise zu lösen. Das liegt auch daran, dass die Menschen, die besonders darunter leiden, keine Lobby haben. Es sind meist gesellschaftliche Gruppen ohne Einfluss, arme Menschen oder Flüchtlinge. Entsprechend gering ist der Druck auf lokaler Ebene, hohe Investitionen zugunsten dieser Gruppen auf den Weg zu bringen, um beispielsweise eine Kanalisation zu bauen. Die Wasserkrise spielt sich meist auf lokaler Ebene ab, in Städten und Gemeinden. Wenn wir das Problem wirklich lösen wollen, müssen wir weiter oben in der Hierarchie ansetzen: Bei den Regierungen. Und auch diese brauchen Unterstützung von der Staatengemeinschaft oder internationalen Organisationen und Investoren, die beim Aufbau einer Wasserversorgung helfen.
Die Vereinten Nationen warnen vor immer mehr Kriegen und bewaffneten Konflikten, wenn die Wasserkrise sich weiter verschärft. Können Sie schon eine Zunahme gewaltsamer Kämpfe um die knappe Ressource feststellen?
Erstaunlicherweise ist das bislang nicht der Fall. Die Prognose aus den 1990er Jahren, wonach die Kriege der Zukunft nicht um Öl, sondern um Wasser geführt werden, haben sich bislang glücklicherweise nicht bewahrheitet. Es gibt natürlich zahlreiche Konflikte um knappe Wasservorräte auf lokaler Ebene in fast allen Teilen der Erde – oft sind das Konflikte zwischen wachsenden Städten und der Landbevölkerung. Auf zwischenstaatlicher Ebene schaffen es Länder und ihre Regierungen aber bisher erstaunlich gut, über diplomatische Kanäle Wasser-Kriege zu vermeiden.
Aber in einigen Regionen Afrikas heizt sich die Stimmung auch zwischen Staaten wegen der Wasserfrage deutlich auf …
Das ist so, die Konflikte nehmen zu. Wo es aber zu Gewalt zwischen Staaten kommt, spielen oft andere lange schwelende Konflikte im Hintergrund eine wichtigere Rolle. Im Gegenteil kann Wasser in Konfliktregionen sogar eine friedensstiftende Wirkung haben. Denn Verhandlungen über gemeinsames Wassermanagement erweisen sich häufig als Quelle für Kooperationen auch in anderen Bereichen und damit als Instrumente der Entspannung. Man kann die Lage insgesamt vielleicht so ganz gut zusammenfassen: Nicht der Weltfrieden hängt vom Wasser ab, aber der Frieden an vielen Orten der Welt.
Welche Rolle spielt der Klimawandel bei der weltweiten Wasserknappheit?
Er verschärft das Problem natürlich weiter. In den letzten beiden Jahrzehnten waren schon mehr als 1, 4 Milliarden Menschen von Dürren betroffen. Im letzten Jahr hat sogar schon rund die Hälfte der Weltbevölkerung zumindest während eines Teils des Jahres unter schwerer Wasserknappheit gelitten. Jeder vierte Mensch war sogar mit extremem Wasserstress konfrontiert, das bedeutet, dass diese Menschen ihre Trinkwasservorräte so gut wie vollständig aufgebraucht haben und keine Reserven mehr hatten. Und wir allen kennen die Prognosen des Weltklimarates, nach denen die Häufigkeit und die Schwere solcher Phänomene zunehmen werden.
Was müsste geschehen, um die Versorgung der Menschheit mit ausreichendem und sauberem Trinkwasser deutlich zu verbessern?
Es gibt nicht die eine universelle Lösung für das Problem. Aber es gibt wichtige Stellschrauben, um Fortschritte zu erreichen. Eine davon ist der bessere Schutz unserer Wasserreserven vor Verschmutzung. Konkret heißt das, Feuchtgebiete und andere Ökosysteme zu erhalten, in denen die Natur dafür sorgt, dass Wasser gespeichert und gereinigt wird. Die Qualität des Wassers und damit sein Wert für uns hängt direkt von der ökologischen Qualität von Quellen, Bächen und Feuchtgebieten ab – von einer funktionierenden Biodiversität. Die Realität sieht aber oft anders aus. Feuchtgebiete werden weltweit viel zu wenig geschützt. Seit 1970 sind mehr als ein Drittel von ihnen zerstört worden oder ausgetrocknet.
Müssen nicht auch wir Menschen unseren Umgang mit Wasser überdenken?
Wir müssen alles daransetzen, unseren Wasserverbrauch zu verringern. Ein ganz wichtiger Weg dazu sind technische Lösungen, die die Effizienz des Wassergebrauchs verbessern. Die Landwirtschaft zum Beispiel ist der mit Abstand größte Verbraucher von Wasser weltweit. Kleine Verbesserungen etwa bei Bewässerungstechnik haben enorme Einsparungen beim Wasserverbrauch zur Folge und machen Wasser für andere Zwecke frei.
Die Landwirtschaft verbraucht 70 Prozent der weltweiten Wasserreserven. Muss sich auch etwas an den Ernährungsgewohnheiten in den reichen Ländern ändern, um die Wasserkrise zu lösen?
Die Produktion von Fleisch, besonders von Rindfleisch, verbraucht sehr viel Wasser. Hier liegt sicher eine wichtige Stellschraube. Eine stärkere Orientierung auf Nahrungsmittel, deren Produktion nicht so viel Wasser verbraucht, würde einen sehr wichtigen Beitrag leisten. Das sollten wir aber sehr differenziert sehen, auch Reis beispielsweise ist sehr wasserintensiv. Zudem spielen bei der Lebensmittelproduktion auch kulturelle Aspekte eine Rolle, die wir berücksichtigen müssen.
Was schlagen Sie in ihrem Weltwasserreport noch vor, um das Ziel von sauberem Wasser für alle Menschen wenigstens in Reichweite zu halten?
Zu wenig beachtet wird die Energieerzeugung. Wir müssen unsere Abhängigkeit von wasserintensiver Produktion von Strom verringern. Mehr als jeder zehnte Liter Wasser wird für die Energieerzeugung genutzt. Fossile Energien wie Kohle und Gas, aber auch Atomkraftwerke verbrauchen sehr viel Wasser – von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Kühlung der Kraftwerke. Strom aus Sonne oder Wind brauchen fast kein Wasser. Weltweit machen die erneuerbaren Energien bisher aber nur gut zehn Prozent an der Stromproduktion aus. Wenn wir es schaffen würden, unsere Ernährungsgewohnheiten und die Art unserer Energieerzeugung umzustellen, würden wir einen riesigen Schritt nach vorne machen und Wasser für andere Zwecke freimachen.
Was ist ihre Botschaft an die Regierungen der europäischen Länder am Weltwassertag 2023?
Europa und Nordamerika sind zentral, um die Krise in den Griff zu kriegen. Als Geldgeber im globalen Maßstab, aber auch wegen ihrer Rolle im weltweiten Handel. Beide sollten sich aber auch viel stärker die Sicherung der Wasserqualität in ihren Ländern selbst konzentrieren. Sie müssen sicherstellen, dass das Wasser sauber bleibt und dort, wo es das nicht ist, sauberer wird. Gesetze für die Industrie müssen scharf sein und Strafen hoch. Aber auch in Europa ist die Landwirtschaft zentral. Dünger und Pestizide sind die größten Wasserverschmutzer. Hier müssen Verbesserungen erreicht werden. Das Problem darf aber nicht allein auf die Landwirte abgewälzt werden, denn sie produzieren das Essen, das wir nachfragen. Mit der Umstellung auf stärker ökologisch orientierte Beihilfen würde Europa einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Recherche zu diesem Beitrag wurde durch die Andrea von Braun Stiftung gefördert.