Alarmstufe RED III – Die EU stellt die Weichen für die Zukunft des Waldes
Lieferketten ohne Entwaldung und eine neue Richtlinie für die Nutzung von Holz als Brennstoff: Für die Wälder geht es um viel
Schicksalswoche für den Wald. Bis Freitag stellen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments gleich zwei Mal entscheidende Weichen für die Zukunft der Wälder in Europa und darüberhinaus. Am Dienstag stimmt das Parlament über eine Lieferketten-Verordnung ab, mit der die weltweite Waldzerstörung, die mit Rohstoffen wie Soja, Rindfleisch, Palmöl, Holz, Kaffee und Kakao und deren Produkten verbunden ist, verhindert werden soll.
Am Mittwoch geht es im Plenum dann um die Novelle der Richtlinie für Erneuerbare Energien (RED III). Wird dort die bisherige Einstufung von Holz als förderungswürdige erneuerbare Energie nicht gekippt oder wenigstens deutlich entschärft, droht sich der Raubbau an den Wäldern auch in Europa angesichts des Ukraine-Kriegs und der dadurch ausgelösten Energiekrise weiter zu verschärfen.
Grüne Lunge der Erde, Sehnsuchtsort für viele Menschen, Treibhausgasspeicher und überlebenswichtiges Refugium der Biodiversität für vier von fünf Arten: Wälder haben viele Funktionen für das Leben auf der Erde. Zugleich steht dieser Lebensraum so gewaltig unter Druck, wie wenige andere.
Gleich ob der Amazonas in Südamerika, die tropischen Regenwälder Afrikas, die Laubwälder Mitteleuropas oder die borealen Urwälder der russischen Taiga: Überall werden Wälder über das verträgliche Maß hinaus ausgebeutet. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen gingen in den vergangenen 30 Jahren durch Entwaldung rund 420 Millionen Hektar Wald verloren – eine Fläche, so groß wie alle Staaten der EU zusammen.
Waldzerstörung torpediert Klimaschutz
Das enorme Ausmaß der Waldzerstörung hat nicht nur für die biologische Vielfalt im Lebensraum Wald gravierende Auswirkungen, der immer noch knapp ein Drittel der Landfläche des Planeten bedeckt. Auch die für die Menschheit überlebenswichtige Fähigkeit der Wälder, Kohlenstoff abzubauen und zu speichern gerät dadurch in Gefahr. Einer vielbeachteten Studie zufolge können Wälder und andere natürliche Lebensräume mehr als ein Drittel der Kohlenstoff-Emissionen auffangen, die notwendig sind, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Wissenschaftler warnen aber, dass diese Kapazität durch die anhaltende Übernutzung der Lebensräume schon stark geschwächt ist. Teile des Amazons beispielsweise – einer der wichtigsten Kohlenstoffsenken der Erde – stoßen danach bereits jetzt mehr Treibhausgase aus als sie binden.
„Noch ist der Amazonas als ganzes kein Netto-Ausscheider – aber er ist auf dem Weg dahin, weil er durch Temperaturextreme, Dürre und Holzeinschlag in seiner ökologischen Fähigkeit geschwächt ist“, warnte im vergangenen Jahr auch Klimaforscher Hans-Otto Pörtner im Interview mit RiffReporter. Der Wissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven ist Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats IPCC. Zusätzliche Einsparungen in solchen Größenordnungen sieht Pörtner nur dann als realistisch an, wenn die Ökosysteme intakt sind. „Die Ökosysteme sind aber geschwächt, und sie müssen zunächst gestärkt werden um ihre Aufgabe auch im Klimaschutz erfüllen zu können“, betont der Wissenschaftler.
Europäische Nachfrage treibt Entwaldung weltweit
Europa spielt direkt und indirekt eine Hauptrolle bei der Schwächung und Zerstörung insbesondere tropischer Regenwälder. Der Konsum in der EU ist einem WWF-Report zufolge für 16 Prozent der Abholzung der Tropenwälder verantwortlich, die durch den internationalen Handel mit Produkten wie Rindfleisch, Soja, Palmöl, Holz, Kakao oder Kaffee verursacht wird. „Die EU ist damit Vizeweltmeister der Waldzerstörung weltweit“, heißt es in dem Bericht. Innerhalb der EU importierte Deutschland zwischen 2005 und 2017 mit Abstand am meisten „Entwaldung“: Durchschnittlich wurden jährlich mehr als 40.000 Hektar Wald für deutsche Importe vernichtet.
Um diesen Missstand abzumildern, hat die EU-Kommission eine „Verordnung über entwaldungsfreie Produkte“ vorgelegt, über die die EU-Parlamentarier am Dienstag abstimmen. Die Vorlage sieht „Sorgfaltspflichten“ für Marktteilnehmer vor, die bestimmte Rohstoffe und daraus gewonnene Produkte in der EU handeln oder sie ausführen. Beispielsweise soll es künftig keine Lifestyle-Entscheidung mehr sein, Kaffee zu trinken, der nicht zur Zerstörung der Regenwälder beiträgt, sondern Standard. Produkte, die zur globalen Entwaldung und zur Entrechtung indigener Völker beitragen, sollen aus europäischen Supermarkt-Regalen verbannt werden.
Mehr als eine Million Bürger hatten sich in einer Befragung für entwaldungsfreie Lieferketten ausgesprochen. Der vorliegende Entwurf kann allerdings nach Einschätzung von Umweltverbänden das Versprechen wegen zahlreicher Schlupflöcher nicht einhalten, künftig für entwaldungsfreie Lieferketten zu sorgen. Auch der EU-Umweltausschuss hatte eine Änderungen verlangt. Insbesondere sollte das Gesetz auch für alle Holzprodukte gelten und den Finanzsektor mit in die Verantwortung nehmen, indem in der EU ansässige Finanzinstitute einer Rechenschaftspflicht unterworfen werden.
Massive Wald-Übernutzung auch in Deutschland
Trotz der alarmierenden Waldverluste und der damit verbundenen Probleme setzt sich die Kahlschlag-Politik weltweit wie regional fort. Einer gerade vorgelegten Studie des WWF und der Universität Kassel zufolge werden in jedem Jahr weiterhin bis zu fünf Milliarden Kubikmeter Holz in den Wäldern der Erde geschlagen. Um die Biodiversität des Lebensraums Waldes aber nicht weiter zu gefährden, dürften auf nachhaltige Weise der Analyse zufolge nur drei bis allerhöchstens vier Milliarden Kubikmeter Holz für die weitere Nutzung aus den Wäldern entnommen werden. Bis zu zwei Milliarden Kubikmeter – soviel wie die Hälfte aller Waldbäume in Deutschland – werden demnach den Wäldern Jahr für Jahr zu viel entnommen.
Holzhungriges Deutschland
In Deutschland ist der Holzhunger der Analyse zufolge besonders groß. Hierzulande verbraucht jeder Mensch mit rund 1, 2 Kubikmeter Holz mehr als doppelt so viel des wertvollen Rohstoffs wie im weltweiten Pro-Kopf-Durchschnitt. Und die Nachfrage steigt weiter beständig: Als Ersatz für Beton beim Gebäudebau, für Plastik in Verpackungen und für Kohle und Gas beim Heizen gilt der natürliche Rohstoff als gesunde und nachhaltige Alternative zu chemisch erzeugten Produkten.
„Besonders die energetische Nutzung von Holz, also zum Heizen und zur Energieerzeugung, frisst ein massives Loch in die Waldbestände“, sagt die Leiterin des Waldprogramms des WWF Deutschland, Susanne Winter. „Der Wald ist aber keine Holzfabrik, er ist unsere Lebensgrundlage“, betont die Wissenschaftlerin.
Als wichtigen Schritt auf dem Weg, den Verbrauch von Holz wieder auf ein natur- und klimaverträgliches Maß zu reduzieren, sieht Winter die Streichung der energetischen Holznutzung als klimaneutrale regenerative Energie sowie ein Ende der Subventionen für das Verbrennen von Holz zur Energieerzeugung.
Denn in der Förderung durch Steuergelder sehen Wissenschaftler und Umweltverbände gleichermaßen einen entscheidenden Treiber hinter dem Holzhunger. „Nur wenige Menschen wissen, dass die Energie aus der Holzverbrennung jedes Jahr im Rahmen der EU-Richtlinie über Erneuerbare Energien mit Milliardenbeträgen öffentlich gefördert wird“, sagt Klaus-Henning Groth von der Kampage Forest Defenders Alliance .
Mit satten 17 Milliarden Euro pro Jahr subventionieren EU-Bürger nach einer EU-Studie die Energie-Erzeugung aus Biomasse – darunter Holzkraftwerke. Das ist möglich, weil Holzverbrennung bislang in der Erneuerbaren-Richtlinie RED als eine erneuerbare Energie eingestuft wird. „In dieser Woche bietet sich den Abgeordneten des Europäischen Parlaments die Chance, diesen fatalen Fehler der Vergangenheit zu korrigieren“, sagt Groth mit Blick auf die Vorlage des Umweltausschusses des Parlaments für die dritte Novelle der Verordnung (RED III).
Darin ist eine weitgehende – aber nicht vollständige – Streichung der sogenannten primären Biomasse aus der Privilegierung durch die Richtlinie vorgesehen. Im Klartext: Bäume sollen künftig nicht mehr nur deshalb gefällt werden, um dann für die Energieerzeugung verbrannt zu werden.
Das in der EU zur Energiegewinnung verbrannte Holz besteht bislang etwa zur Hälfte aus dieser sogenannten „primären holzartigen Biomasse“. Die andere Hälfte macht die „sekundäre holzartiger Biomasse“ aus, beispielsweise Sägespäne und andere Reststoffe aus holzverarbeitenden Industrien und Holzabfälle nach dem Verbrauch. Die Energiegewinnung aus diesen Stoffen soll auch nach dem Willen des Umweltausschusses weiter subventioniert möglich sein.
Mehr Klimaschutz mit Klimakiller?
Erklärtes Ziel der Novelle der RED-Richtlinie – die in jedem EU-Mitgliedstaat in nationales Recht umgesetzt werden muss – ist es, die Vorgaben für den Anteil von erneuerbaren Energien bei der Strom- und Wärmeproduktion bis 2030 von derzeit 32 auf 45 Prozent anzuheben.
Neben Wind, Solar und Wasserkraft spielt in der Richtlinie auch Holz eine große Rolle. Kritiker sehen darin einen eklatanten Widerspruch. In einem Brandbrief haben sich deshalb auch mehr als 500 Forscherinnen und Forscher unter anderem an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen gewandt und gefordert, dass die EU die Verbrennung von Holz nicht länger als klimaneutral und nachhaltig anerkennt.
Die Verbrennung von Holz sei aus Sicht des Klimaschutzes vollkommen ineffizient, denn bei der Verbrennung von Holz zur Energiegewinnung entstehe mehr Kohlenstoff als bei der Verwendung fossiler Brennstoffe, argumentieren die Unterzeichner. „Insgesamt wird bei der Verwendung von Holz für jede erzeugte Kilowattstunde Wärme oder Strom wahrscheinlich zwei- bis dreimal so viel Kohlenstoff in die Luft abgegeben wie bei der Verwendung fossiler Brennstoffe“, heißt es in dem Brief, der unter anderem vom ehemaligen Vize-Vorsitzenden des Weltklimarates IPCC, Pascal van Ypersele, unterzeichnet wurde.
Wohl kein großer Durchbruch
Wie die Entscheidung im EU-Parlament ausgeht, ist noch offen.
In den Kernpunkten unterstützen die Grünen und die Linke die Position des Umweltausschusses, Frischholz die Privilegierung und damit die Subventionsfähigkeit zu entziehen. Nach Angaben aus Verhandlungskreisen hat der zuständige liberale Berichterstatter Nils Torvalds mit den großen Fraktionen der Sozialdemokraten und Konservativen einen Kompromissantrag ausgehandelt, der eine Obergrenze für die Menge an Primärholz vorsieht, die auf das Ziel für erneuerbare Energien angerechnet werden kann.
Maßstab solle die durchschnittliche Menge verfeuerter Bäume in den letzten fünf Jahren sein. Kommt es zu dieser Lösung, wird dadurch zwar das derzeitige hohe Niveau der Nutzung von Wäldern für die Energieproduktion beibehalten. Einige Umweltverbände sehen darin intern jedoch auch etwas Positives: So würde nämlich zumindest die angesichts des Ukraine-Krieges und der enormen Energiepreise zu befürchtende weitere starke Ausweitung der Menge an Waldabholzungen verhindert, um Nachschub für den boomenden Holzpellet-Markt zu bekommen.
Denn, darin, dass der russische Angriffskrieg und die damit verbundenen enormen Energiepreise den Druck auf die Wälder weiter enorm verschärft, sind sich Expertinnen und Experten einig. „Wer jetzt unseren Wald für Putins Krieg opfern will, ist gewaltig auf dem Holzweg“, warnt Forest-Defender Groth. „Die nötige Transformation der Energiegewinnung kann nicht aus dem Wald kommen“, betont auch WWF-Expertin Winter. „Das würde den Wald vollends kaputtmachen.“