Unsere Wälder in der Klimakrise: Wie können wir ihnen helfen, zu überleben?
Grün, dicht, kühl und reich an Arten: So sieht ein Wald aus, der den Folgen des Klimawandels widersteht. Wir können solche Wälder nicht nur erhalten, sondern auch neu schaffen, sagt der Biologe Stefan Kreft: Wenn wir wieder mehr auf die Kreativität der Natur vertrauen
Stefan Kreft, promovierter Biologe, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Naturwald Akademie in Lübeck. Als Experte für das Management von Waldökosystemen hat er Waldgebiete in Europa, Lateinamerika und Asien erforscht, zahlreiche staatliche Organisationen und Naturschutzverbände in Sachen naturnaher Waldbewirtschaftung beraten. Die Naturwald Akademie ist eine unabhängige Forschungseinrichtung; sie erkundet, allein oder im Verbund mit Universitäten, NGOs oder Forstlichen Versuchsanstalten, die ökologische, klimatische und gesellschaftliche Bedeutung von Wäldern in Mitteleuropa – Natur- ebenso wie Wirtschaftswäldern.
Herr Kreft, wir möchten gern ein Gedankenexperiment unternehmen: Meine Kollegin und ich besitzen 100 Hektar Wald mit Nadelholz, gelegen in einer eher trockenen Gegend. Leider sind in diesem Sommer 25 Hektar abgebrannt. Was machen wir, damit uns der Rest nicht auch noch abbrennt? Und wie gehen wir mit der abgebrannten Fläche um?
Stefan Kreft: Sie stehen in der Tat vor einer Herausforderung. Ihr Wald ist für die Zukunft denkbar schlecht aufgestellt; es wird schwer sein, ihn zu erhalten und sich entwickeln zu lassen.
Nadelbäume sind nicht nur besonders waldbrandgefährdet, sie stehen generell unter Stress. Aus verschiedenen Gründen: Die Kiefer etwa wurde vorwiegend auf sandigen, durchlässigen Böden gepflanzt, wo das Grundwasser schon unter normalen Bedingungen tief steht. Wenn es aufgrund ausbleibender Niederschläge noch weiter absackt, reichen die Pfahlwurzeln der Kiefern nicht mehr heran; sie sterben ab. Bei Fichten sieht es wegen ihrer flachen Wurzeln noch ärger aus. Sie sind durch Wärme und Trockenheit mittlerweile so geschwächt, dass der Borkenkäfer leichtes Spiel hat; viele Bestände sind bereits großräumig zusammengebrochen.
Unser fiktiver Wald steht zum Glück noch, zumindest größtenteils. Langfristig wollen wir ihn auf jeden Fall zu einem klimastabilen Mischwald umbauen. Kurzfristig aber soll er noch etwas Ertrag bringen – in Form gesunder, nicht brand- oder insektengeschädigter Stämme. Wie stehen die Chancen, dass uns das gelingt?
Stefan Kreft: Leider nicht sehr gut. Wir stehen erst am Anfang des Klimawandels und sehen schon jetzt, wie Waldbrände immer häufiger und größer werden und immer länger andauern. Das Risiko ist also groß, dass Sie Ihr Holz nicht mehr ernten können – zumindest nicht als hochwertiges Stammholz. Aber so eine Störung, sei es durch Brand oder Insekten, bietet ja auch Chancen. Wenn Sie danach stillhalten, müssen Sie nicht groß umbauen, sondern bekommen Ihren Mischwald gratis. Einen Wald, der nicht nur klimastabil ist, sondern durch Bindung von Kohlenstoff zum Klimaschutz beiträgt. Und der darüber hinaus lokale wichtige Ökosystemleistungen erfüllt: Er kühlt die umgebende Landschaft und hält sie feucht, reinigt Grundwasser und bietet den Menschen einen Erholungsraum.
Die 25 Hektar, die uns abgebrannt sind, bieten sicher die Chance auf einen Neustart Richtung Mischwald. Sie sagen, das geht am besten durch „Stillhalten“. Aber ist es nicht riskant, allein auf die Dynamik der Natur zu setzen, also letztlich auf den Zufall?
Ich würde eher von Chance als von Risiko reden. Wenn Sie den Umbau Ihres Waldes der Natur überlassen, setzen Sie nicht nur auf einen, sondern auf Millionen Zufälle – lauter Optionen, mit denen die Natur aufwartet. Da gibt es den Sämling, der unter Totholz heranwachsen darf, und den Sämling, der sich auf Wurzeltellern ansiedelt; der eine sprießt im Schatten, der andere sonnenexponiert, dieser an einer feuchten, jener an einer trockenen Stelle…. Das kann man gar nicht in Worte fassen, wie viele kleine Experimente das sind. Die große Chance ist es, Totholz im Wald zu belassen und darauf zu setzen, dass die Natur mit ihren unendlich vielen Experimenten am Ende richtig liegen wird.
Würde sich diese Experimentierfreude denn auch auf einer Fläche entfalten, die durch Brand oder Borkenkäfer weitgehend verwüstet ist?
Auf jeden Fall. Ich habe das vor einigen Wochen selbst erlebt – bei einer Exkursion im Nationalpark Šumava/Böhmerwald. Dort hat es in einem großen Waldgebiet nach der Jahrtausendwende zweimal kurz hintereinander heftige Störungen gegeben: zunächst durch Sturm, dann durch großflächigen Borkenkäferbefall. Im tschechischen und deutschen Teil dieses Gebiets durfte das Totholz anschließend liegen bleiben; dort stellte sich bald darauf eine viel größere Artenvielfalt ein als im österreichischen Teil, wo es geräumt wurde. Dort sind nur Fichten wieder hochgekommen, weil die toten Bäume fehlten, auf die sich Vögel hätten setzen können, um verdaute Samen anderer Baumarten zu hinterlassen.
Wenn Ihr Wald in einer Region liegt, in der es Mischwälder gibt, wird die natürliche Wiederbelebung einer Schadfläche besonders gut funktionieren: Es reichen schon einzelne Bäume, die ihre Samen weit ausstreuen, wie zum Beispiel Birken oder Pappeln. Bei anderen Arten, wie Eiche oder Buche, sorgen mobile Tiere für die Ausbreitung.
Nun gibt es Forstleute und auchBrandschutzexperten, die dazu raten, Totholz vorsorglich zu entfernen, weil es die Masse an brennbarem Material erhöht – jedenfalls dann, wenn der Wald nach längeren Dürreperioden stark ausgetrocknet ist. Dieses Risiko wollen wir natürlich gering halten, gerade in einem so brandgefährdeten Wald wie unserem. Was raten Sie uns?
Es gibt eine Alternative zur präventiven Totholzentfernung, nämlich das kontrollierte Abbrennen. In Mitteleuropa ist das noch nicht zulässig, aber anderswo wird es seit langem praktiziert – im Mittelmeerraum etwa, in Kalifornien und Australien. Dort kommen Waldbrände von Natur aus vor, die natürlichen Waldgesellschaften sind also an Feuer angepasst oder sogar darauf angewiesen. Die Frage ist, ob man das Wissen aus diesen Regionen auch hier nutzen könnte. Unsere Kiefernforsten etwa haben relativ große Ähnlichkeit mit diesen feuerangepassten Waldökosystemen. Man könnte dort zum Beispiel Bodenfeuer legen, das kontrolliert die Biomasse im Unterwuchs reduziert, die größeren Bäume aber verschont.
Welche Vorteile hätte das Abbrennen gegenüber dem direkten Entfernen von Totholz?
Wenn Menschen direkt in die Natur eingreifen, egal ob per Hand oder mit Maschinen, wird das Ergebnis immer homogen sein. Wir sind nicht darauf angelegt, bei jedem Handgriff Dinge anders zu machen, sondern wir automatisieren unvermeidlich. Ein Feuer aber, das kontrolliert durch das Unterholz eines Waldes laufen darf, wird heterogene, zufällige Strukturen schaffen, mit einer Unmenge an ökologischen Chancen – wie vorhin beschrieben.
Außerdem bleiben die Nährstoffe im Ökosystem, und es werden Bäume begünstigt, die dieses plötzliche Angebot an Nährstoffen besonders gut nutzen können. Das wären etwa Kiefern, Pappeln und Spitzahorne. Man erhält durch diese heterogene natürliche Verjüngung auf jeden Fall eine besonders vielfältige Baumgesellschaft.
Es gibt Waldbrandexperten, die eher für direktere, langfristig kontrollierte Schutzmaßnahmen plädieren. Der Freiburger Feuerökologe Johann Goldammer etwa propagiert die Schaffung einer „hellen Taiga“ rund um brandgefährdete Wälder. Also einer Pufferzone, die über Jahrzehnte durch intensive Pflege von brennbarem Aufwuchs freigehalten wird. Ist das in Ihren Augen eine praktikable Form der Brandvorbeugung?
Eigentlich nicht. So wie ich Herrn Goldammer verstehe, handelt es sich um ein künstlich geschaffenes Ökosystem, das auf Pflanzung vor allem nicht heimischer Baumarten setzt, auch aus anderen Kontinenten, und auf eine sehr starke, kontinuierliche Durchforstung. Das ist für die Waldbesitzer kurz- wie langfristig mit hohen Kosten verbunden und reduziert auch die Fläche, die für den naturnahen Wald zur Verfügung steht.
Dieser Ingenieursansatz schließt aus meiner Sicht aus, dass ein vielfältiger Wald entsteht. Und gerade in der Feuerökologie wird doch immer wieder betont, dass es genau darauf ankommt: ein Mosaik unterschiedlicher Bedingungen zu schaffen. Das ist für die Biodiversität sowieso ideal, aber es hilft auch besonders gut, großflächige heiße Vollfeuer zu verhindern.
Es sind letztlich natürliche Prozesse, die zu Resilienz führen. Die also Ökosysteme schaffen, die durch ihre Heterogenität auch starke Umweltveränderungen überstehen. Das dauert natürlich. Aber alle Ökosysteme, deren Leistungen bis heute unser Überleben sichern, haben sich über lange Zeit entwickeln dürfen – bevor der Mensch begonnen hat, sie zu kontrollieren.
Es lässt sich aus meiner Sicht aber deutlich verringern, wenn man der Natur die nötige Zeit lässt, zu experimentieren und Heterogenität auszubilden. Man kann der Natur immerhin hier und da kleine Starthilfen geben. Im Lübecker Stadtwald hat es sich zum Beispiel bewährt, Baumsamen mitsamt der Laubstreu zu säen, die dann wichtige Mykorrhizapilze gleich mitliefert. Aber letztlich muss die Gesellschaft entscheiden, welchen Weg sie bevorzugt.
In der Diskussion um die Zukunft des Waldes liest man oft das Argument, die Natur habe gar nicht die Zeit, sich an den Klimawandel anzupassen, weil der sich so beängstigend schnell vollzieht. Schon jetzt seien nicht nur Nadelwälder, sondern auch manche Laubmischwälder stark geschädigt; deswegen müsse man den Wald in Mitteleuropa gezielter und schneller umbauen.
Die gute Nachricht lautet: „Den“ Wald an sich gibt es nicht, weshalb auch nicht die Gefahr besteht, dass er in den nächsten Jahren großflächig zusammenbrechen wird. Wir werden es vielmehr mit fleckenhaft auftretenden Problemen zu tun bekommen, die aber nie gleichzeitig auftreten werden. Die deutschen Wälder sind sehr kleinflächig ausdifferenziert, allein schon nach Höhenlage und Sonnenexposition: Ein Nordhang bietet andere Bedingungen als ein Südhang, eine Tallage andere als ein Gipfel oder ein Grat.
Auch die Böden spielen natürlich eine Rolle. Die meisten deutschen Wälder stehen auf eher tiefgründigem, feinkörnigem Substrat, wo das Grundwasser relativ hoch steht; sie sind daher gegen extreme Trockenheit und Hitze gut geschützt. Anders sieht es bei Wäldern auf durchlässigem Kalkgestein aus, noch dazu an exponierten Standorten: Die wachsen schon unter normalen Umständen nicht so dicht. Was dann nach längeren Dürreperioden passiert, kann man etwa im Nationalpark Hainich sehen…
Dort sind viele Buchen nach dem heißen Sommer 2018 abgestorben. Das hat viele Naturfreunde alarmiert: Wenn die wichtigste Laubbaumart Deutschlands selbst in der Schutzzone eines Nationalparks unter Stress gerät, wie wird sie sich dann in ungeschützten Wirtschaftswäldern behaupten?
Der Hainich ist ein Lehrbeispiel dafür, wie differenziert man hinschauen muss. Wir sind bei einer Exkursion im Juni 2019 einen Hang hinunter ins Tal gelaufen. Obwohl es auch zu dieser Zeit extrem trocken und heiß war, waren die Buchenbestände dort weiterhin geschlossen und im Innern kühl und feucht. Natürlich ist nicht garantiert, dass das in Zukunft überall so bleiben wird. Wenn immer noch weniger Regen fällt oder der Grundwasserspiegel durch hohe Verdunstung immer noch weiter sinkt, bekommt auch ein naturnaher Buchenwald Probleme. Aber wir haben viele Möglichkeiten, einen Wald resilienter zu machen.
Welche sind das, außer stillzuhalten?
Als Waldbewirtschaftende haben Sie eine Art Thermostat in der Hand, mit dem sie die Umweltbedingungen in ihrem Gebiet beeinflussen können. Natürlich macht die Natur Ihnen einige Vorgaben: Welche Baumarten etwa in Ihrem Wald am besten gedeihen, hängt zwar durchaus von „harten“ Faktoren wie Boden, Höhenlage, Grundwasserstand ab. Aber sie können durch die Art der Bewirtschaftung wichtige Feineinstellungen vornehmen: das Mikroklima kühl halten, indem Sie die Bäume möglichst dicht wachsen lassen und ihr Kronendach geschlossen halten; die Luftfeuchtigkeit erhöhen, indem Sie viel Totholz stehen lassen; die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens bewahren und langfristig sogar erhöhen, indem Sie ihn niemals mit schweren Maschinen befahren.
Nun sagen Sie aber selbst, dass die Umweltbedingungen in Zukunft womöglich noch extremer werden. Und dass bei weiterhin sinkenden Regenmengen auch naturnahe Buchenwälder Probleme bekommen könnten. Da wir in Mitteleuropa schon jetzt mindestens auf etwa 3 Grad Erwärmung zusteuern: Müssten wir Waldbesitzerinnen nicht doch schneller und radikaler reagieren – etwa durch das vorsorgliche Anpflanzen von Baumarten, die besser an Hitze und Trockenheit angepasst sind?
Ich würde die Buche nicht so schnell aufgeben. Sie ist hochgradig anpassungsfähig, und das nicht nur, weil sie auf einer Vielzahl geografisch und klimatisch unterschiedlicher Standorte gedeiht. Sie ist auch genetisch sehr vielfältig und wandlungsfähig; das gilt sogar für einzelne Bäume. Buchen, aber auch andere heimische Laubbaumarten können sich an veränderte Grundwasser-Bedingungen anpassen, indem sie ihr Wurzelwerk in die Tiefe ausdehnen, die Form ihrer Kronen verändern oder ihr Wachstum einschränken. Ein Kollege aus Rheinland-Pfalz, der Waldökologe Gebhard Schüler, hat etwa beobachtet, dass Buchen an manchen Orten nicht mehr so groß werden – und dadurch entsprechend besser mit Wasser haushalten können. Für Waldbewirtschaftende ist das eine hoffnungsvolle Nachricht.
In unserem Wald soll die Buche auf jeden Fall ihren Platz haben. Aber was spricht dagegen, ihr etwas Gesellschaft in Form von Baumarten zu verschaffen, die im Zweifel noch klimaresilienter sind? Einige Forstwissenschaftlerexperimentieren ja bereits damit.
Diese Experimente werden uns aber nur eingeschränkt sagen können, ob ein Wald als Ganzes mit von anderswoher eingebrachten Baumarten langfristig resilient und funktionstüchtig sein wird. Das ist schon deswegen so, weil solche Versuche notwendigerweise auf relativ kleiner Fläche stattfinden und auch nur sehr vorläufige Ergebnisse liefern – gemessen an den Zeiträumen, über die sich Wälder natürlicherweise entwickeln. Die umfassen nicht nur mehrere Generationen, sondern Jahrtausende.
Zudem zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahrhunderte, wie problematisch das Einbringen gebietsfremder Baumarten sein kann – die Fichte ist ein Beispiel dafür. Sie wächst von Natur aus bei uns gewöhnlich in Höhenlagen ab 900 Meter und ausnahmsweise in kühl-feuchten Tallagen, aber vielerorts eben nicht da, wo sie von Menschen in Forsten gepflanzt wurde.
Im Prinzip ist das ein großes Experiment gewesen, das schon nach wenigen Baumgenerationen gescheitert ist. Natürlich, die drei bis fünf Generationen, die wir ernten konnten, haben uns und unseren Vorfahren einiges gebracht. Aber zusammengebrochene oder abgebrannte Fichtenforste bieten keine der vielen anderen Ökosystemleistungen mehr, auf die wir dringend angewiesen sind. Vielmehr bilden die kahlen Flächen Hitzepole, die auch benachbarte Wäldflächen aufheizen.
Es gibt aber gebietsfremde Baumarten, die sich schon jetzt von allein in unseren Wäldern ansiedeln. Robinie und Götterbaum etwa wachsen auch in Dürrezeiten prächtig. Ist das ein Problem, oder sollte man ihre Ausbreitung womöglich noch fördern?
Ich würde eher zur Vorsicht raten. Die Robinie ist schwer wieder einzufangen. Sie ist auf nährstoffarmen Böden sehr konkurrenzstark, weil sie Wurzelknöllchen mit stickstoffbindenden Bakterien besitzt. Dadurch verändert sie das Ökosystem zu ihren Gunsten und kann sich leicht ausbreiten. Das bereitet anderen, an die mageren Böden angepassten Arten wiederum Probleme.
Aber zumindest würden beide Baumarten die Artenvielfalt im Wald erhöhen.
Eher nicht. Die reine Artenzählerei ist höchst problematisch. Viel wichtiger ist, dass die einzelnen Arten etwas miteinander anfangen können. Die Resilienz eines Waldes, das erkennen wir immer genauer, hängt vor allem davon ab, wie intensiv seine einzelnen Mitglieder interagieren. In Buchenwäldern ist das besonders gut zu beobachten; darin gibt es zwar nicht viele Baumarten, aber diese sind in ein dichtes Netzwerk unzähliger Insekten- und Pilzarten eingebunden, die sich von ihrem Laub und ihrem Holz nähren.
Die Robinie, eine nordamerikanische Baumart, hat ein solches Netzwerk hier nicht. Manche Förster finden das vorteilhaft, weil es dadurch weniger Probleme etwa mit Schadinsekten gibt. Kurzfristig kann man dadurch, wie im Fall der Fichten, mehr Holz erzeugen. Aber man schwächt das Ökosystem – und verpasst die Chance einen Wald zu entwickeln, der langfristig Bestand hat.
Einerseits wissen wir alle: Die Wälder müssen klimaresilienter werden und sind als CO2-Speicher ganz wichtig. Andererseits wollen wir ökologischer bauen und fossile Brennstoffe ersetzen. Für beides brauchen wir mehrHolzals bisher. Was ist der Ausweg aus diesem Dilemma?
Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Dilemma ist. Natürlich ist Holz ein sehr gutes, vielfältiges einsetzbares Material. Aber wie viel wir davon ernten können, gibt letztlich der Wald vor. Und der ist nun mal kein beliebig zu optimierender Holzlieferant. Er braucht, um als Ökosystem zu funktionieren, ein ausreichendes Volumen an Laub, Totholz und organischer Biomasse im Boden.
Wenn wir wollen, dass unsere Wälder resilient bleiben und weiterhin die Ökosystemleistungen liefern, auf die wir gerade in der Klimakrise dringender denn je angewiesen sind – dann müssen wir unseren Holzverbrauch darauf einstellen. Und gegebenfalls reduzieren.
Weniger Holzeinschlag, erhöhte Brandgefahr, ein Waldumbau, der sich über Jahrzehnte hinziehen kann, bei ungewissem Erfolg: Für uns Waldbesitzerinnen sind das düstere Zukunftsaussichten. Was rettet uns vor dem finanziellen Ruin?
Da habe ich was für Sie: Ein Anreizsystem, das die Entwicklung klimaresilienter und artenreicher Wälder fördern soll. Es zielt darauf, jene Ökosystemleistungen zu honorieren, die naturnahe, an Totholz reiche Wälder bislang gratis liefern – neben Erhalt der natürlichen Vielfalt auch Wasserrückhaltung und natürlich die Speicherung von CO2.
Klingt gut. Wer hat sich das ausgedacht, und wie konkret ist es schon?
Der Entwurf eines Anreizsystems wurde von einem Team von Wissenschaftlerinnen entwickelt, zu dem auch wir von der Naturwald Akademie zählen. Näheres dazu kann man in einer Publikation des Umweltbundesamtes nachlesen. Soeben hat die Bundesregierung ein entsprechendes Programm verabschiedet. Waldbesitzerinnen, die durch klimaangepasste Bewirtschaftung die Existenz ihrer Wälder sichern und damit zugleich deren Biodiversität erhalten, werden ab sofort eine Förderung beantragen können.
Können auch wir mit unserem prekären Nadelholzforst an diesem Programm teilnehmen?
Ja, es können praktisch alle privaten und kommunalen Waldbesitzer daran teilnehmen. Es gibt keine Qualitätsvoraussetzung; auch Besitzerinnen von Kiefernforsten können die Förderung beantragen. Gezahlt werden zwischen 55 und 100 Euro pro Hektar und Jahr, je nachdem, wie viele Kriterien die Waldbesitzer einhalten und wie viel Fläche sie bewirtschaften. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat bis zum Jahresende 200 Millionen Euro bereitgestellt; in den folgenden vier Jahren wird es weitere 700 Millionen geben.
Sie sprechen von einem Entwurf, das heißt, beschlossen ist noch nichts?
Zurzeit wird der Entwurf noch im Bundestag diskutiert, aber er wird mit großer Wahrscheinlichkeit in der einen oder anderen Form kommen. Dass die freiwillige Ökologisierung der Waldwirtschaft in Gang kommt, ist auch deshalb so wichtig, weil die Novellierung des Bundeswaldgesetzes auf lange Sicht verschoben worden ist.
Wir beide verfolgen die Diskussion um Lage und Zukunft des Waldes ja schon länger. Und haben den Eindruck, dass der Mainstream der Forstwirtschaft und auch -wissenschaft nach wie vor der Idee einer von Menschen optimierten Natur anhängt, während Vertreter einer naturnäheren Waldbewirtschaftung eher in der Außenseiterposition sind. Stimmt dieser Eindruck noch, oder setzt auch unter konventionellen Forstleuten allmählich ein Umdenken ein?
Es gibt immer noch viele, die wenig Vertrauen in natürliche Prozesse haben, sondern lieber auf intensive Eingriffe setzen. Zwar herrscht mittlerweile breite Einigkeit darüber, dass die Herausforderung durch den Klimawandel enorm ist. Und das ist erfreulich. Zugleich aber führt die Dringlichkeit der Lage auch zu einer gewissen Verhärtung der Fronten. Je heftiger Diskussionen geführt werden, desto größer ist das Risiko, dass Positionen sich verfestigen.
Wo ich aber zunehmend Bewegung registriere, ist der Umgang mit Totholz. Zwar vertreten manche immer noch die Position, das muss raus. Aber ich erlebe viele Kolleginnen und Kollegen aus Forstwissenschaften und -wirtschaft, die sagen: Nein, wir haben verstanden. Wir wissen jetzt, wie wichtig Totholz ist, nicht nur für die biologische Vielfalt, sondern auch für die Abpufferung des Waldinnenklimas, und wie sehr von beidem das Funktionieren des Waldes abhängt. Dass diese Erkenntnis inzwischen von den meisten geteilt wird, ist schon ein Riesenfortschritt. Weshalb ich glaube, dass es für eine Waldwirtschaft, die mehr auf die Natur vertraut, eine größere Akzeptanz gibt als früher.
(Update 17.11.: Stefan Kreft weist im hinteren Teil des Interviews auf ein angekündigtes Anreizprogramm der Bundesregierung zu klimaangepasstem Waldmanagement hin. Dieses ist mittlerweile verabschiedet worden. Näheres dazu hier und hier. Wir haben die entsprechende Passage in Absprache mit Herrn Kreft geändert.)