Klimakrise: In braunem Wasser leiden Lebewesen unter Sauerstoffmangel

Wenn Wasser wärmer wird, ändern sich nicht nur ganze Biotope, warnt die deutsch-schwedische Erdsystem-Wissenschaftlerin Gesa Weyhenmeyer.

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Gesa Weyhenmeyer

Schwedische Wissenschaftler stellten in den letzten Jahren fest, dass die durch den Klimawandel verursachte Bräunung weitreichende Folgen auf das Ökosystem von Flüssen, Seen und Auen hat: Das Wasser wird durch die Verfärbung immer wärmer, weil es die Sonnenstrahlen absorbiert, anstatt sie zu reflektieren.

Das Phänomen der Bräunung von Gewässern ist inzwischen so weit verbreitet, dass es 2022 in den Sachstandbericht der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats aufgenommen wurde. Es kann dem Klimawandel als Ursache eindeutig zugeordnet werden. Im kurzen „Summary for Policymaker“ wird die Bräunung nicht erwähnt. Doch der Sachstandbericht widmet ihr ein eigenes Kapitel. Darin wird eine Studie von Gesa Weyhenmeyer von 2016 prominent erwähnt. Sie gehört zu ersten Forschenden, die dieses Phänomen mit den Klimaveränderungen in Verbindung gebracht hat.

Frau Weyhenmeyer, Sie zeigten für Schweden, dass im Zuge des Klimawandels Wasser in Flüssen und Seen nicht nur wärmer, sondern auch brauner wird.

Ja, das ist richtig. Die schwedische Landschaft mit Daten von vielen tausend Seen eignete sich hervorragend, die Bräunung der Oberflächengewässer näher untersuchen zu können. Die schwedische Studie war eine der ersten, die ein Modell präsentierte, womit die Entwicklungen in der Zukunft simuliert werden konnten.

Warum wird Wasser brauner, wenn Moore und Wälder degenerieren?

Weil sich dann organisches Material bildet, wenn Mikroorganismen Holz, Blätter und ähnliches zersetzen. Das ist ähnlich wie bei einem Komposthaufen. Das Material wird mit dem Regen in die Gewässer eingespült.

Die Nationalbrücke führt über den braunen Mälaren-See zum schwedischen Reichstag in Stockholm.
Die ersten Untersuchungen zur Bräunung von Flüssen und Seen wurden in den wasserreichen Ländern wie Schweden durchgeführt. Hier: Die Nationalbrücke führt über den braunen Mälaren-See zum schwedischen Reichstag in Stockholm.

Ist die Bräunung ein Anzeichen dafür, dass CO2-Senken wie Torfgebiete kleiner werden?

Das muss nicht unbedingt sein. Es ist jedoch bekannt, dass wenn das Klima wärmer wird, mehr organisches Material zersetzt wird. Es kann dann leichter in die Gewässer gelangen – vorausgesetzt es gibt keine Trockenzeit.

Im IPCC-Bericht heißt es, dass die für die Bräunung verantwortlichen organischen Teilchen photosynthetische Strahlung absorbieren, womit sich die Wasseroberfläche stärker erwärmt. Gleichzeitig kühlt sich das Tiefenwasser stärker ab. Dadurch verändert sich auch die Durchmischung der Wasserschichten. Kann das zum Aussterben lokaler Tierarten beitragen?

Ja, kann es. Das große Problem ist, dass sich die Wasserschichtung verstärkt, was wiederum zu Sauerstoffmangel in den Gewässern führen kann. Die allermeisten Lebewesen sind von Sauerstoff abhängig. Studien haben gezeigt, dass hauptsächlich die am Boden lebenden Lebewesen unter Sauerstoffmangel leiden.

Bei einem Worst-Case-Klimaszenario können Flüsse und Seen im kaltgemäßigten Klima Schwedens um den Faktor 1, 3 brauner werden, heißt es im Sachstandbericht. Was heißt das?

Das bedeutet, dass wir mit einer noch weiteren Bräunung rechnen müssen. Die Kombination von warmen Temperaturen und erhöhtem Niederschlag vor allem im Winter, wo Schnee durch Regen ersetzt wird, ist eine Situation, die zur starken Bräunung von Gewässern führt. Gebiete, in denen es wärmer, aber dabei nicht trockener wird, zählen zu den Risikogebieten. Viele Gebiete in Schweden, aber auch Gebiete in Deutschland sind davon betroffen.

Laut dem Bericht des Weltklimaberichts ist die Bräunung weltweit zu beobachten. Ist das in allen Klimazonen so?

Potenziell kann es in allen Klimazonen zu einer Bräunung der Gewässer kommen. Ob und wie stark sich ein Gewässer verfärbt, ist von der Landnutzung, Lufttemperatur und dem Niederschlag abhängig. Wenn es wärmer wird, bildet sich organisches Material generell schneller.

Der Rio Negro führt schwarzes Wasser, der Solimões braunes Wasser. Beide Flüsse vereinigen sich zum Amazonasfluss.
An diesem Zusammenfluss zum Amazonas vermischt sich das natürlich braune Wasser des Solimões mit dem natürlich schwarzen Wasser des Rio Negro.

Kommt dann noch mehr Niederschlag hinzu, führt das zu einer verstärkten Bräunung, weil dann all das neugebildete organische Material in die Oberflächengewässer eingespült wird. Da allerdings die Niederschlagsmengen räumlich und zeitlich sehr unterschiedlich sind, ist das Vorhersagen des exakten Bräunungsgrads eines Gewässers nicht ganz einfach.

Wie gut kann man die Gründe unterscheiden, warum Wasser braun wird?

Die Frage ist sehr berechtigt, da die Bräunung eines Gewässers eben nicht nur von einem Faktor abhängig ist. Es gibt inzwischen aber recht gute Modelle, die für ein spezifisches Gewässer, wo viele Daten zur Verfügung stehen, die Bräunung recht gut vorhersagen können. In USA und in Schweden hat man zum Beispiel Modelle entwickelt, die die Bräunung großer Trinkwasserreservoirs für Städte wie New York und Stockholm vorhersagen können.

Neben dem Klimawandel als Ursache wurde auch festgestellt, dass der Rückgang der Schwefelablagerung in der Atmosphäre die Bräunung befördert. Auch spielt es eine Rolle, wenn Wald und Land intensiver bewirtschaftet werden. Regen kann stärkere Sedimentabtragungen verursachen. Wurden diese Faktoren bereits beziffert?

Ja, sie wurden beziffert. Wenn man alle Faktoren zusammenzählt, dann erklärt die Landnutzung am besten, warum einige Gewässer sehr braun und andere Gewässer gar nicht braun sind. Es ist nun aber nicht so, dass ein sehr braunes Gewässer immer exakt die gleiche Menge an organischem Material enthält, selbst wenn die Landnutzung die gleiche bleiben sollte.

Die Farbe des Gewässers kann sich aufgrund von chemischen Einflüssen wie etwa der Versauerung und physikalischen Faktoren wie etwa der Temperatur und dem Niederschlag kurzfristig und langfristig ändern. Zurzeit stehen die Klimafaktoren im Vordergrund, die die zeitlichen Veränderungen in der Bräunung der Gewässer bestimmen. Das liegt daran, dass sich die meisten Gebiete von einer starken Versauerung nun bereits erholt haben.

Wenn die Landnutzung eine so große Rolle spielt, heißt das auch, dass die Bräunung durch entsprechende Schutzmaßnahmen wieder rückgängig gemacht werden kann?

Potentiell könnten wir Menschen es durch chemische und physikalische Eingriffe hinbekommen, klare Seen und Flüsse zu schaffen. Man hat zum Beispiel spezielle Schutzzonen um Gewässer eingerichtet, die als Art Filter funktionieren, sodass viel weniger organisches Material in einen See oder Fluss einspült. Bei allen Maßnahmen entsteht aber immer die große Frage, was wir Menschen als natürlich ansehen.

Nehmen wir zum Beispiel die Versauerung: Durch Kalken von Gewässern ist es gelungen, den pH-Wert in Gewässern stark zu erhöhen. Es hat sich aber gezeigt, dass tausende Seen, die eigentlich natürlich sauer sind, einen zu hohen pH-Wert bekommen haben. Bevor also Maßnahmen eingeführt werden, muss immer erst geklärt werden, welche natürlichen Voraussetzungen gegeben sind. Es wäre wenig sinnvoll, einen natürlichen Nadelwald, der viel organisches Material produziert durch Beton zu ersetzen, nur um die Bräunung eines Sees zu verhindern.

Wie stark sinkt mit der Bräunung die Wasserqualität?

Braunes Wasser ist in erster Linie ein ästhetisches Problem, wenn es als Trinkwasser aufbereitet wird. Geschmack und Geruch sind aber nicht das, was wirklich gefährlich ist bei der Trinkwasserversorgung. Wie bereits vorher erwähnt, ist dient das organische Material Mikroorganismen als Nahrung. Bei der Trinkwasseraufbereitung werden die gefährlichsten Mikroorganismen durch chemische Prozesse getötet. Gibt es zu viele davon, muss mehr Chemie zugesetzt werden. Je mehr aber Chemie dazugegeben wird, desto höher ist die Gefahr das krebserzeugende Stoffe entstehen.

Stellt sich die Wasserwirtschaft bereits darauf ein?

Ja, die Trinkwasserversorger sind sich des Problems der Wasserbräunung sehr bewusst. Es ist ein Abwägen, ab welchen Konzentrationen man eine teure extra Behandlung macht. Wenn das Wasser als Trinkwasser benutzt wird, wird der Reinigungsprozess sehr viel teuer und umständlicher. Auch müssen Substanzen wie Chloride zugesetzt werden, die krebserregender sind als die Substanzen, die zur Aufbereitung von nicht-braunem Wasser verwendet werden.

Ist diese Entwicklung auch in Deutschland zu beobachten?

Ja, aber nicht überall. Am meisten betroffen sind Gewässer, die ihr Wasser aus Gebieten beziehen, die durch Wälder fließen, vor allem Nadelwälder. Aus England weiß man auch, dass Landwirtschaft viel organisches Material erzeugt, das in die Gewässer eingespült werden kann. Auch Kläranlagen tragen zu organischem Materialeinfluss in unsere Oberflächengewässer bei.

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