Grünen-Politiker tritt aus Protest gegen Wind-Gesetze zurück: „Habeck lässt den Naturschutz bluten“
Der Vorsitzende im Wahlkreis des Bundeswirtschaftsministers tritt aus Protest gegen den Windkraft-Kurs zulasten des Artenschutzes zurück. Die Naturschützer in seiner Partei sieht er von Robert Habeck an die Wand gedrückt.
Aus Protest gegen die Naturschutzpolitik von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist der Grünen-Kreischef in dessen Wahlkreis zurückgetreten. Der seit zwei Jahren in Schleswig-Flensburg amtierende Biologe Rainer Borcherding begründete den Schritt mit massiven Einschnitten im Naturschutzrecht, die der Bundestag in dieser Woche auf Betreiben der Grünen zugunsten des Ausbaus der Erneuerbarer Energien beschlossen habe. „Die neuen Wind- und Naturschutzgesetze auf Bundesebene, an denen Robert Habeck als Wirtschaftsminister maßgeblich mitgewirkt hat, sind in ihrer Wirkung auf die Artenvielfalt für mich unerträglich“, schrieb Borcherding in seiner Rücktrittserklärung. Mit seinem Rücktritt will der Kommunalpolitiker einen innerparteilichen Diskurs anstoßen. Im Flugbegleiter-Interview begründet Borcherding seine Kritik und erklärt, warum er nicht auch aus der Partei austritt,
Was kritisieren Sie am Gesetzespaket zur Beschleunigung des Ausbaus insbesondere der Windenenergie?
Das Paket enthält viele Einschränkungen des Naturschutzes, die unnötig sind und die nicht durch Verbesserungen an anderer Stelle ausgeglichen werden. Nur ein Beispiel: Gefährdete und gegenüber Störungen sensible Vogelarten wie Schwarzstorch und Großtrappe werden im Gesetz bewusst ignoriert, obwohl sie europaweit gesetzlich geschützt sind.
Es gibt zahlreiche weitere Kritikpunkte, aber der dahinterliegende Kernfehler ist, dass der Naturschutz jetzt ausgerechnet vom führenden Grünen-Politiker als einziges Hemmnis für den Windkraftausbau ausgemacht und massiv attackiert wird. Es gibt aber viele andere Probleme, die den Ausbau viel stärker behindern: Behördenüberlastung, mittelalterliche Zustände bei der Ausstattung der Behörden und vieles mehr. Alles Hemmnisse, die man lösen könnte, die aber nicht angegangen werden. Stattdessen ist der Naturschutz als Hauptproblem ausgemacht worden und auf allen Ebenen benachteiligt worden.
Sie schreiben in Ihrer Rücktrittserklärung, dass sie es nicht mehr mit ihrem Gewissen als Biologe und Naturschützer verantworten können, im Wahlkreis von Robert Habeck als Kreisvorsitzender die Verantwortung für die Politik der Grünen zu tragen. Federführend für die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, das die von Ihnen kritisierten Rückschritte für den Artenschutz bringt, ist aber Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Müsste sich ihre Kritik nicht an sie richten?
Formal ja, und natürlich bin ich auch von ihr enttäuscht. Aber es ist offensichtlich, dass das Wirtschaftsministerium beim Schnüren des Pakets maßgeblich die Feder geführt hat. Der entscheidende Druck scheint von Roberts Ministerium ausgegangen zu sein – und ein Vizekanzler wie er kann da auch viel Druck entwickeln. Nur ein Beispiel: Die letzten Details der Änderungen wurden über das Pfingstwochenende auf höchster Ebene geklärt. Pfingstfreitag war der Schwarzstorch noch in der Liste windkraftsensibler und damit wenigstens etwas geschützter Arten enthalten. Montag war er nicht mehr drin. Das kommt sicher nicht von Lemke. Zudem ist absehbar, dass Habeck auch auf europäischer Ebene den Naturschutz weiter schwächen will. Einen Vorstoß seines Staatssekretärs Sven Giegold dazu hat es ja bereits gegeben.
Habeck war bei Ihnen in Schleswig-Holstein selbst Umweltminister. Hat er keinen Bezug zum Thema?
Er war Minister für Umwelt, Landwirtschaft und Energiewende. Im Bereich der Energiewende hat er vieles vorangebracht, im Bereich des Naturschutzes hat er nicht viel bewegt. Das ist einfach nicht sein Herzensthema. Das muss es auch nicht sein, aber dass er dann in unverantwortlicher Weise als einzig „Schuldigen“ für Hemmnisse der Energiewende den Naturschutz bluten lässt und neue juristische Fallstricke sogar gegen geltendes EU-Recht eingebaut hat, ist das Problem. Es kann nicht sein, dass hier einfach gesagt wird, die Europäische Vogelschutzrichtlinie interessiert uns nicht.
Sind die Grünen nicht mehr die Partei des Naturschutzes?
Ich hoffe, wir sind es noch. Aber es entwickelt sich im Moment in diese Richtung. Die Partei wächst und sie verändert sich. Wir rücken in die Mitte um den Preis, dass die Partei immer wählbarer wird und wir zum Ersatz für die SPD werden. Mit Corona haben wir die Schwurbler und Esoteriker verloren, mit dem Krieg in der Ukraine haben wir die PazifistInnen verloren, die von der Realität überholt wurden, und jetzt ist die Frage, ob mit der Energiewende auch die Natur- und Artenschützer ihre politische Heimat verlieren. Ich möchte nicht, dass der politische Arm der Naturschutzbewegung bei den Grünen verkümmert.
Will Habeck die Grünen weg vom Naturschutz führen?
Ich glaube nicht, dass das eine bewusste Strategie ist. Ich schätze ihn als hochintelligenten und sympathischen Menschen. Er hat es schon zum Vizekanzler geschafft, das ist respektabel. Aber wenn er auf dem Weg dahin den Naturschutz ein Stück weit dämonisiert und soviel Inhalte abwirft, dass die grüne Ursubstanz völlig wegbröckelt, darf das nicht unwidersprochen bleiben.
Was erhoffen Sie sich von ihrem Rücktritt?
Mir geht es überhaupt nicht darum, Robert Habeck zu demontieren, das möchte ich nicht und das vermag ich auch nicht. Ich möchte ihm und anderen nur deutlich machen, dass es unverantwortlich ist, die Naturschutzthemen beiseite zu drücken und zu sagen: Wir haben nur ein Ziel, die Energiewende und alles andere ist nicht so wichtig. Die Grünen standen immer für Naturschutz und ich möchte, dass das so bleibt – deshalb habe ich diesen symbolischen Schritt getan.
Aber Parteimitglied wollen Sie bleiben?
Ja, ich will ja konstruktiv etwas ändern. Ich hoffe, mein Schritt gibt ein Signal an die Partei nach innen. Ich rufe nicht zum Austritt aus der Partei auf, sondern sage: Bei den Grünen muss der Naturschutz ein zentrales Anliegen bleiben, so geht das nicht weiter. Wir müssen die Dinge stärker wieder zusammen denken und nicht sagen: Wenn wir die Energiewende wollen, brauchen wir keinen Rotmilan. Dieser Kampf ist noch nicht verloren, deshalb bleibe ich auch.