Der Wolf setzt sein Comeback in Deutschland fort, die Bestände wachsen aber immer langsamer

Seit sich die Tiere auf natürliche Weise wieder in Deutschland ausbreiten, ist die Zahl der Wolfs-Großfamilien dem Bundesamt für Naturschutz zufolge auf über 200 gestiegen. Experten sehen Platz für die dreifache Zahl.

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Ein junger Wolf steht auf einem Heuballen.

Der Wolf setzt sein erfolgreiches Comeback nach Deutschland fort. Mit 209 Großfamilien, den sogenannten Rudeln, leben derzeit nach neuen Daten des Bundesamts für Naturschutz hierzulande so viele Wölfe wie noch nie seit Beginn der natürlichen Wiederbesiedlung Deutschlands um die Jahrtausendwende.

Die Wolfspopulation wächst damit weiter, aber – wie schon in den vergangenen Jahren – deutlich langsamer als in den Anfangsjahren der Rückkehr der großen Fleischfresser. Wölfe waren in Deutschland über lange Zeit durch menschliche Verfolgung ausgerottet. Zum ersten Mal nach mehr als einem Jahrhundert siedelte sich um die Jahrtausendwende wieder eine wahrscheinlich aus Polen zugewanderte Wolfsfamilie auf einem Truppenübungsplatz in Sachsen an. Gegen die Rückkehr des Spitzenprädators in sein natürliches Verbreitungsgebiet gibt es in Teilen von Landwirtschaft, Jagd und Weidetierhaltung massiven Widerstand.

Wie das Bundesamt für Naturschutz am Montag mitteilte, gab es 2023/2024 in Deutschland 209 Wolfsrudel. Der an den Fortpflanzungsrhythmus der Tiere angepasste Monitoringabschnitt umfasst den Zeitraum vom 1. Mai eines Jahres bis zum 30. April des Folgejahres. Im vorhergehenden Monitoringjahr 2022/2023 waren noch 185 Rudel ermittelt worden. Die Zahl der Wolfsterritorien wuchs damit nur noch um etwa 3,5 Prozent.

Wachstum verlangsamt sich, aber Sättigung nicht in Sicht

Zum zweiten Mal hintereinander wurde damit ein geringerer Anstieg der besetzten Wolfsreviere ermittelt als in den Vorjahren. In den ersten Jahren nach der erfolgreichen Wiederbesiedlung war die Zahl der Rudel teilweise um mehr als 30 Prozent pro Jahr angestiegen – vor allem, weil die gute Qualität der Lebensräume in Deutschland dem Wolfsnachwuchs eine extrem hohe Überlebensrate sichert. Der nach dem ersten Boom nun verlangsamte Anstieg der Population ist nach Einschätzung von Biologen eine natürliche Entwicklung mit zunehmender Populationsgröße. Eine natürliche Sättigung oder „Obergrenze“ der Population ist aber wahrscheinlich noch längere Zeit nicht erreicht. Nach Untersuchungen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin bietet Deutschland gemessen an den Lebensraumansprüchen der Tiere ein Potenzial für insgesamt 700 bis 1400 Wolfsreviere.

Plakat mit blutrünstigem Wolf
Umstritten: Gegen die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland wird von einigen Jagdverbänden massiv mobil gemacht.

Die meisten Wölfe gibt es in Brandenburg

Das Wolfsvorkommen in Deutschland konzentriert sich wie in den Vorjahren auf das Gebiet von Sachsen und von dort in nordwestlicher Richtung über Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern nach Niedersachsen. Kleinere Vorkommen gibt es inzwischen in allen Flächen-Bundesländern.

Die meisten Wölfe leben derzeit in Brandenburg (58 Rudel), gefolgt von Niedersachsen (48) und Sachsen (37). Wolfs-Territorien können eine sehr unterschiedliche Größe haben. Ein Richtwert ist, dass sie etwa 150 bis 250 Quadratkilometer umfassen, in denen ein Elternpaar mit seinem Nachwuchs des aktuellen und des Vorjahres zusammenlebt.

Neben den 209 Wolfs-Großfamilien sind derzeit zusätzlich 46 Wolfspaare sowie 19 sesshafte Einzelwölfe bestätigt. Diese Zahlen liegen unter denen des vorangegangenen Erfassungszeitraums.

Verkehr fordert viele Opfer, bei der Wilderei ist die Lage unklar

Häufigste Todesursache von Wölfen unter den Fällen, die Behörden gemeldet wurden, blieb auch in diesem Jahr der Verkehr. 150 der 193 tot aufgefundenen Tiere wurden Opfer von Autos. 13 Wölfe wurden nachweislich illegal getötet. Weil illegal getötete Tiere von den Tätern meistens still und heimlich beseitigt werden, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass diese Tiere Eingang in die Statistik finden. Wegen dieser Dunkelziffer dürfte die Zahl der illegal getöteten Wölfe nach Expertenschätzungen deutlich höher liegen. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass bei neun überfahrenen Wölfen Schussverletzungen gefunden wurden, die sich die Tiere längere Zeit vor ihrem Tod zugezogen hatten. Fünf Wölfe wurden legal getötet, nachdem sie Weidezäune überwunden haben.

Grafik mit Wolfsvorkommen
Die aktuelle Verbreitung von Wölfen in Deutschland im Monitoringjahr 2023/24

Wölfe töten 50.000 Schafe in der EU – geschlachtet werden 57 Millionen

Um das Recht des Wolfes auf Rückkehr in seinen einstigen Lebensraum wird heftig gestritten. Die EU-Kommission und einige Mitgliedstaaten wollen schon in wenigen Tagen die Weichen dafür stellen, dass die Fleischfresser wieder leichter legal bejagt werden dürfen. Zur Begründung führen sie die Probleme an, die Wölfe für Weidetierhalter bedeuten.

In der EU töten Wölfe jährlich nach Angaben der EU-Kommission knapp 50.000 Schafe. Demgegenüber werden 57 Millionen Schafe geschlachtet. In Deutschland wurden laut Bundesamt für Naturschutz 2023 knapp 6000 getötete Nutztiere als Wolfsopfer gemeldet. Die Zahl berücksichtigt aber nicht, ob die Tiere durch Elektrozäune geschützt waren. Zum Vergleich: Pro Jahr werden hierzulande rund zwei Millionen Schafe geschlachtet.

Experten kritisieren bevorstehende Absenkung des Wolfsschutzes

Internationale Experten für das Mensch-Wildtier-Konfliktmanagement haben sich einhellig gegen die geplante europaweite Abschwächung des Schutzes für Wölfe ausgesprochen. Das von der EU-Kommission beantragte und unter anderem auch von Deutschland unterstützte Vorhaben, den Wolf bereits im Dezember von einem streng geschützten Art in eine niedrigere Schutzkategorie herabzustufen, sei voreilig und wissenschaftlich nicht ausreichend fundiert, kritisierte die Large Carnivore Initiative for Europe (LCIE) in einer Stellungnahme.

Ein junger Wolf steht im Schnee vor einem Heuballen.
Trotz steigender Zahlen: Wölfe sind immer noch ein seltener Anblick in Deutschland.

Das Expertengremium wirft der Politik Einknicken vor populistischer Stimmungsmache vor und plädiert für ein Wolfsmanagement auf wissenschaftlicher Basis. Die gegenwärtige Entwicklung der Wolfspopulationen rechtfertige keine Herabstufung des Schutzes, argumentieren sie. Denn nach wie vor sei das Überleben der Art nicht in allen Regionen gesichert, in denen sich Wölfe nach ihrer Ausrottung wieder etabliert hätten. Auch, wenn die Zahl der Wölfe in den meisten europäischen Staaten in den vergangenen Jahren teils deutlich zugenommen habe, sei der Erholungsprozess nach ihrer Rückkehr nicht abgeschlossen, argumentieren die Wissenschaftler.

Entscheidung über Lockerung des Wolfsschutzes im Dezember

Die EU-Staaten hatten im September auf Drängen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen harten Anti-Wolfskurs eingeleitet. Auch Deutschland stimmte nach einem Kurswechsel von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zu und verschaffte dem entsprechenden Antrag zugunsten einer Abschwächung des Wolfsschutzes damit die nötige Mehrheit. Naturschutzverbände sprachen von einem schwarzen Tag für den Artenschutz.

Bisher ist der Abschuss von Wölfen laut Berner Konvention von 1979 nur in Ausnahmefällen möglich – vor allem dann, wenn es zu einer Häufung von Angriffen auf Nutztiere in bestimmten Gebieten kommt. Insgesamt leben in Europa nach Zahlen der EU-Kommission derzeit etwa 20.000 Wölfe. Aktuellen Zahlen der in der LCIE zusammengeschlossenen Experten sind es rund 23.000.

Kurswechsel contra strengen Wolfsschutz von Umweltministerin Lemke

Bundesumweltministerin Steffi Lemke hatte sich der Abschwächung des Wolfsschutzes zunächst widersetzt, später aber zugestimmt. Die Wolfszahlen hätten sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass die Lockerung des Schutzes aus Sicht des Naturschutzes verantwortlich und aus Sicht der Weidetierhalter notwendig sei, erklärte sie.

Die Grünen-Politikerin hält ihr Abrücken vom strikten Wolfsschutz auch deshalb für verantwortbar, weil sie den Erhaltungszustand der Art in Deutschland inzwischen als gesichert ansieht. Auch Probleme in einigen Regionen beim Schutz von Weidetieren und die immer schärfer werdende gesellschaftspolitische Polarisierung haben sie dazu bewogen, ihren Kurs zu ändern. Das Thema Wolf wird nach ihrer Analyse zunehmend von extremistischen Gruppierungen instrumentalisiert. In Zeiten, in denen die Demokratie in weiten Teilen des Landes unter Druck steht, sieht Lemke angesichts von aus ihrer Sicht gesicherten Wolfsbeständen keinen ausreichenden Grund, weiter für einen strikten Schutz der Tiere zu kämpfen.

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