„Ich weiß, wo man im Mittelmeer mit Haien und Rochen tauchen kann.“
Simone Niedermüller ist Meeresexpertin und engagiert sich im internationalen Mittelmeer-Team des WWF für nachhaltige Fischerei und einen besseren Schutz bedrohter Haie
Dieser Text ist Teil unserer Recherche-Serie „Zukunft Mittelmeer – wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“.
Katja Trippel: Was war Ihr eindrucksvollstes Mittelmeer-Erlebnis?
Simone Niedermüller: „Auf meiner ersten Ausfahrt mit dem WWF-Segelschiff “Blue Panda" tauchten vor der französischen Insel Porquerolles auf einmal zwei Teufelsrochen auf. Diese Mittelmeer-Mantarochen haben unser Schiff sicher 20 Minuten begleitet. Einer sprang sogar kurz aus dem Wasser, wie man das sonst nur in Tierfilmen aus anderen Weltregionen sieht. Für mich war das eine unvergessliche Begegnung.
Was wissen Sie übers Mittelmeer, was sonst kaum jemand weiß?
Simone Niedermüller: Wo man mit Haien und Rochen tauchen kann. Östlich von Korsika etwa, im Pelagos-Schutzgebiet, oder zwischen Sizilien und Tunesien leben Sandbankhaie und Adlerrochen, vor Israel größere Populationen von Schwarzhaien. Insgesamt gibt es 80 Hai- und Rochenarten im Mittelmeer! Dazu acht Wal-Arten, Delfine und Tümmler sowie Karett- und grüne Meeresschildkröten. Ich fürchte, die wenigsten Menschen, die zum Urlaub ans Mittelmeer fahren, wissen von diesem biologischen Reichtum quasi vor der Haustür. Wenn wir diese Arten jetzt nicht wirksam schützen, geht uns etwas verloren, das uns nicht einmal bewusst war.
Teufelsrochen beispielsweise bekommen immer nur ein Junges und auch nicht jedes Jahr. Jedes einzelne Weibchen, das als Beifang in einem Netz landet und stirbt, bedeutet einen spürbaren Verlust für die Population. Daher ist es umso wichtiger, dass diese Gebiete nachhaltig entwickelt werden. Sprich: Kein Massentourismus, sondern ein nachhaltiger Tauchtourismus, der den Haien nicht schadet und den lokalen Fischern eine Einkommensalternative bietet.
Es gibt viele Krisen im Mittelmeer: von der Erwärmung bis zum Lärm. Welche Krise beschäftigt Sie persönlich?
Simone Niedermüller: Die Überfischung. Bis vor kurzem war das Mittelmeer das am stärksten überfischte Meer der Welt. Die Situation war wirklich dramatisch. Doch Fischereimanagement-Maßnahmen wie etwa Sperrzonen, Schonzeiten oder Netze mit größeren Maschen, aus denen Jungfische entkommen können, haben den Druck zuletzt etwas senken können. Auch illegaler Fischfang ist im Mittelmeer Thema – nicht nur Profi-Fischer, auch Freizeitfischer richten da große Schäden an. Als WWF haben wir die Erfahrung gemacht, dass mit partizipativem Fischereimanagement die besten Ergebnisse erzielt werden.
Was heißt das?
Simone Niedermüller: Wenn Fischereibehörden, Forschende und lokale Fischer gemeinsam entscheiden, wie sie ihre Bestände befischen. Vor allem die Kleinfischer beobachten ja genau, was im Meer passiert. Sie sagen: Das Mittelmeer verändert sich gerade rasend schnell. Es ist so warm wie nie zuvor. Und immer mehr invasive Arten dringen ein wie etwa Rotfeuerfische, die über heimische Fische herfallen. Oder blaue Schwimmkrabben, die die Netze zerstören. Das ökologische Wissen dieser Fischer ist viel wert.
Wie ist das mit dem Fisch-Essen am Mittelmeer? Ist das, was im lauschigen Restaurant in Kroatien oder Griechenland serviert wird, so lokal und nachhaltig, wie viele Wirte versprechen?
Simone Niedermüller: Ganz sicher nicht. Viele Studien konnten belegen: Ein Großteil des Fischs, der am Mittelmeer konsumiert wird, kommt nicht aus dem Mittelmeer. Der Wildfang kann den Bedarf schon lange nicht mehr decken. Doraden und Wolfsbarsch, die auf dem Teller landen, stammen fast immer aus Aquakulturen und werden mit Fischmehl aus Südamerika gemästet. Andere Fischarten werden importiert und unter irgendeinem Trivialnamen wie Red Snapper auf der Speisekarte angeboten – wer schmeckt schon den Unterschied? Lokale Garnelen wiederum werden leider noch immer mit Schleppnetzen gefangen, die am Meeresboden alles zerstören, was wächst; ihr CO₂-Fußabdruck ist genauso hoch wie bei Fleisch. Zuletzt Calamari: Die sind oft weder frisch noch lokal, sondern Tiefkühlware aus China oder Lateinamerika.
Sollte man also besser ganz aufs Fischessen verzichten?
Simone Niedermüller: Ich sage es mal so: Wenn ein kleines Lokal in einem kleinen Ort wirbt, seinen Fisch von lokalen handwerklichen Fischern zu beziehen, ist man eher auf der nachhaltigeren Seite. Erst recht, wenn man diesen Fisch dann als Delikatesse betrachtet und ansonsten vegetarische lokale Spezialitäten genießt. Grundsätzlich gilt: Raubfische wie Thunfisch oder Schwertfisch zu essen, schadet der Nahrungskette im Meer mehr als „vegetarische Fische“. Absolut die Hände lassen sollte man von Shark Burgern, die leider neuerdings in Kroatien angesagt sind. Denn große Räuber wie Schwertfisch und Hai sind meist illegal gefischt, obwohl sie im marinen Ökosystem eine Schlüsselrolle spielen.
Was gibt Ihnen Hoffnung?
Simone Niedermüller: Dass es gelang, Meeresarten, die in einem extrem schlechten Zustand waren, durch Schutz und Fischereimanagement zu retten. Der rote Thunfisch etwa, der sogenannte Blauflossenthun, hat sich im Mittelmeer inzwischen nach jahrelangem Management halbwegs erholt. Gleiches gilt für die kleine Mönchsrobbe. Als ich Studentin war, sagte mein Professor: Dass es noch eine nennenswerte Anzahl der Mittelmeer-Mönchsrobbe gibt, halte er für ein Gerücht. So klein war die Population damals. Heute zählen wir wieder mehr als 700 Tiere, hauptsächlich auf den griechischen Inseln, doch auch in Italien, Kroatien und Albanien wird sie immer wieder gesichtet. Das ist ein toller Erfolg, den wir unbedingt weiterführen müssen.
Wohin führt Sie Ihre nächste Mittelmeer-Reise?
Simone Niedermüller: Nach Tunesien. Der WWF entwickelt da im Golf von Gabes zusammen mit lokalen Fischern ein Projekt zum Schutz der Haie und Rochen.
Das Projekt „Zukunft Mittelmeer – wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“ wird gefördert von Okeanos – Stiftung für das Meer.