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Geld, Glamour, Greeenwashing: über Superyachten und die Folgen ihres 'Milk-Run’ durchs Mittelmeer
Meine ist die Längste! Über Superyachten, Superreiche und den „Milk-Run“ im Mittelmeer
117 Superyachten tummeln sich gerade im Hafen von Monaco zur alljährlichen Yacht Show. Der französische Experte Grégory Salle über die Szene, neue Anti-Trends sowie ihre Versuche, sich als „grün“ zu präsentieren
Dieser Text ist Teil unserer Recherche-Serie „Zukunft Mittelmeer – wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“.
Katja Trippel: Gerade läuft die Monaco Yacht Show, ihre Veranstalter nennen sie „eine Welt der Pracht und Eleganz“. In welchen Worten würden Sie die Show beschreiben?
Grégory Salle: Zuallererst: Ich war nie da und fahre auch diesmal nicht hin. Bei meinen Recherchen bleibe ich bewusst ein „Outsider“. Aber ich würde die Veranstaltung so beschreiben: Sie ist sehr öffentlich – und gleichzeitig das Gegenteil davon. Bei der Yacht Show treffen sich nicht Henri Dupont oder Helga Müller. Das Zielpublikum sind potentielle Käufer, und für die wird eine sehr glamouröse Kulisse errichtet, die die Branche maximal vorteilhaft darstellen soll. Was hinter den Kulissen passiert, bleibt der Öffentlichkeit verborgen.
Wer auf der Website nach den vorhandenen Yachten sucht, kann sie filtern nach Name, Hersteller, Preis, etc.. Doch was vor allem zählt, ist die Länge.
Salle: Das fand ich anfangs auch ziemlich kurios. Vor einigen Jahren noch galt eine Yacht als Superyacht, wenn sie über 24 Meter lang war. Heute sind es 30 Meter, und weil offenbar jeder gern die längste haben will, werden die neuen Yachten immer länger. Der Anteil der über 60 Meter langen an der Gesamtflotte steigt stetig. Den Rekord hält die Azzam mit 180,65 Metern, die dem 2022 verstorbenen Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate gehörte, Khalifa bin Zayed Al Nahyan.
Das klingt nach einem sehr maskulinen Wettbewerb…
Salle: Der ganze Markt ist von Männern geprägt. Auf Verkäufer- wie auf Käuferseite. Es gibt meines Wissens kaum Frauen, die offiziell Superyachten besitzen – eine kurz währende Ausnahme war die Harry-Potter-Autorin und Multimillionärin J.K. Rowling, die 2007 Johnny Depps 47,6 Meter lange Superyacht kaufte. Sie zahlte wohl über 20 Millionen Euro und taufte sie um auf den Namen der griechischen Meeresgöttin Amphitrite. Ansonsten sieht man auch in den Werbebroschüren Frauen fast nie in Verkaufsgesprächen, sondern vor allem als Accessoire im Bikini am Pool. Die Branche orientiert sich aber derzeit um: Wie bei teuren Autos hofft sie auf eine neue wohlhabende weibliche Klientel.
Wem gehören denn die Superyachten?
Salle: Das hängt davon ab, wie man sie kategorisiert. Rein zahlenmäßig waren zumindest vor ein paar Jahren die meisten Besitzer Amerikaner: Superreiche, viele davon aus der Unterhaltungsbranche oder dem Silicon Valley wie Steven Spielberg oder Jeff Bezos. Sieht man sich die 100 größten Yachten an, stammen überdurchschnittlich viele der bekannten Eigner aus den Golfstaaten oder Russland. Letztere müssen seit dem Überfall auf die Ukraine allerdings fürchten, dass ihre Boote festgesetzt werden. Das geschah zum Beispiel der etwa 600 Millionen Euro schweren Dilbar in Hamburg, die der Oligarchenfamilie Usmanov zugeordnet wird und inzwischen in Bremen liegt. Oder der Scheherazade in der toskanischen Marina di Carrara, die mutmaßlich Vladimir Putin gehört – und trotz allem offenbar weiter renoviert wird. Beide Schiffe wurden übrigens von der deutschen Lürssen Werft aus Bremen gebaut.
Gilt eine Superyacht in bestimmten Kreisen als unabdingbares Acessoire, um dazu zu gehören – wie unter Teenagern die Markenturnschuhe?
Salle: Sagen wir, sie ist ein unwiderlegbarer Beweis für immensen Reichtum, ein unvergleichliches Mittel zur Bestätigung des eigenen sozialen Status. Ähnlich wie ein Privatjet. Die fliegen allerdings halbwegs diskret um die Welt, außer ein paar Skytrackern bekommt das niemand mit. Mit Yachten hingegen kann man von Meer zu Meer ziehen und der ganzen Welt zeigen, wie erfolgreich man ist – egal ob man sie besitzt oder für Hunderttausende Euro pro Woche mietet. Eine Yacht eignet sich für so eine Selbstdarstellung viel besser als ein unbewegliches Besitzgut wie eine Villa oder eine Kunstsammlung.
Sie nennen Superyachten „Orte demonstrativer Abgeschiedenheit“. Was meinen Sie damit?
Salle: Sie sollen Eindruck schinden und sich gleichzeitig den Blicken verbergen. Sie sind unübersehbar, aber was auf ihnen vorgeht, wer mit wem da ist, das kriegt niemand mit. Nur wer an Bord ist, entscheidet, ob Insider-Informationen geteilt werden, über soziale Netzwerke oder andere Medien. Der Rückzug wird also auf sehr paradoxe Weise inszeniert.
Welche Rolle spielen Superyachten im Mittelmeer?
Salle: Das Mittelmeer ist so etwas wie ihr Sommer-Spielplatz. Man spricht auch vom „Milk Run“ der Superyachten, weil sie jedes Jahr zu Hunderten einfallen und in immer denselben auserwählten Küstenorten anlegen.
Was haben Superyachten mit Milch zu tun? Weil viele weiß designt sind?
Salle: Nein, der Begriff „Milk Run“ stammt aus Zeiten, als der Milchmann noch regelmäßig vorbeikam, heute beschreibt er gut eingespielte Lieferketten. Der Milk-Run der Superyachten funktioniert ähnlich: Er beginnt meist beim Filmfestival in Cannes oder im schicken Nachbarhafen von Antibes. Dann zieht man den Sommer an der Côte d’Azur entlang, macht einen Abstecher nach St. Tropez oder Portofino an der italienischen Riviera, feiert in Porto Cerro auf Sardinien oder auf griechischen Inseln – und trifft sich zum Saisonende in Monaco auf der Yacht Show. Seit kurzem sind zunehmend auch kroatische Buchten und Häfen angesagt, weil dort die Anlegegebühren noch nicht so horrend sind wie in Frankreich und Italien. In Montenegro wiederum fühlen sich russische Boote derzeit sicher vor einer Festsetzung. Ab Spätherbst verlagert sich die Flotte dann meist Richtung Karibik.
Was bekommt die Küstenbevölkerung von dem Zirkus mit?
Salle: Überall am Mittelmeer gilt: Wo Superyachten Stammgäste sind, verändern sie die lokale Wirtschaft durch die enorme Kaufkraft der Leute an Bord. Man kann genau beobachten, dass mediterrane „Basis-Lebensmittel“ wie Wein oder Olivenöl teurer werden. Gute Restaurants verlangen einen zum Teil aberwitzigen Mindestumsatz. Luxusgeschäfte und Yacht-Ausstatter siedeln sich an, genau wie Dienstleister, die darauf spezialisiert sind, Sonderwünsche von Superreichen zu erfüllen – etwa frischen Hummer aus Kanada zum Mittagessen einzufliegen. In der Folge steigen die Geschäftsmieten, das macht dem lokalen Handel zu schaffen. Statt Supermärkten gibt es dann beispielsweise exklusive Schmuckgeschäfte oder Designermode. Kurz: Superyachten praktizieren einen sozialen wie räumlichen Separatismus, aber prägen ihre Umgebung trotzdem stark.
Ein Teil der lokalen Wirtschaft profitiert doch sicher vom Yacht-Business.
Salle: Absolut, nicht nur im Tourismus, auch viele Werften liegen an der Mittelmeerküste, vor allem in Italien. Doch welche Werft was für ein Boot für wen für wieviel Geld baut, und wie viele Menschen im gesamten Produktionsprozess beschäftigt sind, das sind streng gehütete Industriegeheimnisse. Ich habe nicht viel über sie herausgefunden, außer dass die Branche weder an der globalen Wirtschaftskrise 2008 noch an der Corona-Pandemie gelitten hat. Im Gegenteil: Ende 2021 verkündete sie, dass über 1000 Aufträge für Superyachten unterzeichnet wurden, obwohl im selben Jahr bereits 900 verkauft wurden. Sprich: Die Auftragsbücher sind knallvoll.
Die Arbeitsbedingungen in den Werften und beim Service-Personal an Bord gelten hingegen nicht ansatzweise so golden wie die Yachten selbst. Doch auch darüber wird meist geschwiegen, die Arbeitsverträge beinhalten strenge Vertraulichkeitsklauseln.
Sorgt der Milk Run am Mittelmeer auch für Konflikte?
Salle: Zunehmend, ja. Neapel hat beispielsweise diesen Sommer zum ersten Mal Yachten über 75 Länge den Zugang zum Hafen verboten, offiziell aus Sicherheitsgründen. So musste etwa der französische Unternehmer Bernard Arnault mit seiner 101 Meter langen „Symphony“ draußen bleiben. Prompt gab es entrüsteten Protest von diesen Milliardären. Dass sämtliche europäische Häfen zerbrechliche „Flüchtlingsboote“ quasi systematisch zurückweisen zeigt die so obszöne wie brutale soziale Ungleichheit im Mittelmeerraum.
Im französischen Sète wiederum versuchte ausgerechnet der Präsident des Handelshafens, ein ehemaliger kommunistischer Abgeordneter, den alten Fischereihafen zu einer Marina für Superyachten auszubauen. Er hofft auf neue Arbeitsplätze und mehr Wohlstand. Doch viele Sètois sind dagegen. Sie fürchten steigende Preise und haben kein Interesse, ein neuer bling-bling-Treffpunkt für Superreiche zu werden.
Ist das ein neuer Anti-Trend?
Salle: Ich glaube ja. Früher wurden die Yachten und ihre Besitzer oder Gäste bewundert oder stießen auf Gleichgültigkeit. Doch seit der Corona-Pandemie, als sich viele Superreiche auf ihre schwimmenden Paläste mit Hubschrauberlandeplatz, Pools und vergoldeten Wasserhähnen zurückzogen, während der Großteil der Bevölkerung in engen Wohnungen im Lockdown gefangen war, stößt so ein exzessiver Lifestyle zunehmend auf Ablehnung. Er erscheint als pathologischer Konsumismus.
Von was für einer Dimension Kosten reden wir denn bei Superyachten?
Salle: Allein der Unterhalt einer Superyacht beträgt pro Jahr etwa zehn Prozent des Kaufpreises, also mehrere Millionen Euro. Dazu kommen Kosten für den Liegeplatz, für Versicherung, für Personal, Ausstattung. Weniger bezifferbar, aber ebenso gigantisch sind die Umweltkosten, sobald das Schiff in See sticht.
Sie meinen den Treibstoffverbrauch?
Salle: Unter anderem. Eine Superyacht verbraucht im Schnitt 300 bis 400 Liter Treibstoff pro Betriebsstunde. Das sind im Jahr Tausende Tonnen CO₂-Emissionen. Um das Pariser Klimaabkommen von 2016 einzuhalten, darf jeder Mensch theoretisch nicht mehr als zwei Tonnen pro Jahr ausstoßen. Der Humanökologe Andreas Malm griff daher unlängst wieder die schon 30 Jahre alte Unterscheidung von Subsistenzemissionen und Luxusemissionen auf. Letztere kritisiert er „ein als ideales Leben angepriesenes Verbrechen“. Er meint damit einen Konsum, der um demonstrativ sein zu können, zugleich zerstörerisch ist. Nicht nur für die Atmosphäre, auch für das Meer an sich und den Meeresboden.
Inwiefern?
Salle: Die Ausstattung von Superyachten verbraucht unfassbare Ressourcen. Fahrend machen sie Lärm, wie jedes motorbetriebene Schiff und stören das marine Ökosystem durch ihre starken Scheinwerfer, Stichwort: marine Lichtverschmutzung. Sie verwenden schmutzabweisende Farben mit schädliche Substanzen, manche entsorgen ihr Abwasser ins Wasser. Und die Skipper werfen leider immer wieder ihre Anker in ökologisch sensiblen Zonen aus – mit verheerenden Folgen.
Sie spielen auf die Superyacht an, die 2020 dabei erwischt wurde, wie sie vor Belize ein Unesco-Weltnaturerbe-Korallenriff verwüstete…
Salle: Genau, die „Samadhi“. Sie gehörte einem Hedgefonds-Manager, ihr Name ist ausgerechnet ein buddhistisches Wort für spirituelle Erhebung. Doch für den Skipper zählte der Wunsch des Chefs nach einem Schnorchel-Stopp am Riff offenbar mehr als Meeresschutzgesetze.
Ein ähnliches Thema haben wir im Mittelmeer mit Posidonia. Viele Yachten ankern noch immer gern in Buchten mit Seegraswiesen, obwohl sie stark bedroht und daher geschützte Habitate sind; sie gelten als die Kinderstuben unzähliger Fische und Meerestiere, als Sauerstoffproduzent, CO₂-Speicher undsoweiter. Rasselt so eine Ankerkette über Posidonia, ist der Effekt verheerend. Diese Unterwasserwiesen verschwinden in dem Maße, in dem die Yachten herbeiströmen.
Die gute Nachricht: Von der französische Meerespolizei weiß ich, dass sie inzwischen härter durchgreift und empfindliche Strafen verhängt, wenn sie einen Skipper in Schutzzonen beim Ankern erwischt. Früher ließen sie Luxusschiffe in Ruhe, zu viel Ärger. Offenbar hat auch da der Wind gedreht.
Bei der Monaco Yacht Show steht das Buzzword „Nachhaltigkeit“ dieses Jahr ganz vorn. Sie feiert das „grüne Bekenntnis“ der Branche mit einem Film, es gibt einen „Nachhaltigkeits-Hub“, auf dem Start-Ups „ökologische Alternativen“ vorstellen. Was halten Sie davon?
Salle: Nun, auch Monaco spielt die grüne Karte aus, und wie jeder weiß, bedeutet spielen zu täuschen und zu bluffen. Superyachten sind per se das Gegenteil von ökologisch und nachhaltig, auch wenn ihre Besitzer solarbetriebene Kaffeemaschinen anschaffen, mit hybriden Antriebssystemen experimentieren, hin und wieder aus philantrophischen Anwandlungen ein Team von Meeresforscher:innen an Bord aufnehmen oder die Schiffe „Nature“ taufen. Dies ist alles übelstes Greenwashing einer Branche, die wie kaum eine andere den fossilen Kapitalismus repräsentiert.
Das Projekt „Zukunft Mittelmeer – wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“ wird gefördert von Okeanos – Stiftung für das Meer.