„Beim Lärmschutz sind wir im Mittelmeer sehr weit gekommen. Das gibt mir Hoffnung.“
Thomas Folégot ist Ingenieur und Gründer des Beratungsunternehmens Quiet Oceans im bretonischen Brest. Mit seinem Team erstellt der Franzose Studien, Prognosen und Risikobewertungen über Unterwasserlärm und dessen Auswirkungen auf die marine Biodiversität
Dieser Text ist Teil unserer Recherche-Serie „Zukunft Mittelmeer – wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“.
Katja Trippel: Monsieur Folégot, was war Ihr eindrucksvollstes Mittelmeer-Erlebnis?
Thomas Folégot: Meine erste Begegnung mit einem Wal. Das war vor fünf Jahren, als wir im Pelagos-Schutzgebiet im Auftrag des WWF zu erforschen begannen, wie sich Kollisionen von Finn- und Pottwalen mit Schiffen vermeiden lassen. Dafür wollten wir einigen Tieren Sender auf den Rücken setzen, um ihre Reiseroute zu verfolgen. Wir saßen in einem kleinen Schlauchboot und plötzlich tauchte dieser riesige Rücken neben uns aus dem Wasser: ein Finnwal. Ich war völlig fasziniert, wie majestätisch und elegant sich dieses hunderte Tonnen schwere Tier im Wasser bewegt. Ich war ihm so nah, dass ich die Parasiten auf seinem Rücken sehen konnte. Und ganz überrascht, wie stark er nach Fisch stank!
Unser Problem damals, bei aller Begeisterung: Finnwale tauchen nach wenigen Sekunden wieder ab und erst vier, fünf Minuten später wieder auf, Pottwale erst nach einer Dreiviertelstunde! Nur wo? Um sie zu finden und dann bestenfalls einen Sender sicher auf dem Tier anzubringen, muss man ziemlich herumkurven, das ist eine richtig sportliche Angelegenheit! Aber jede Wal-Begegnung ist bis heute so eindrucksvoll, dass ich jedes Jahr wieder mitfahre.
Was wissen Sie übers Mittelmeer, was kaum jemand weiß?
Thomas Folégot: Dass die IMO, die Schifffahrts-Organisation der Vereinten Nationen, Anfang Juli eine sehr wichtige Entscheidung zum Schutz von Walen und anderen stark bedrohten Meeressäugern gefällt hat: Sie hat nach vielen Jahren Kampf von Meeresschützern anerkannt, dass das nordwestliche Mittelmeer zwischen Spanien, Frankreich und Italien „von besonderer ökologischer Bedeutung“ ist und es zu einer besonders sensiblen Zone erklärt, einer PSSA (Particularly Sensitive Sea Area").
Damit existiert endlich der gesetzliche Rahmen, um Schutzmaßnahmen beschließen zu können. Etwa bestimmte Gebiete für den Schiffsverkehr je nach Saison zu verbieten oder die Geschwindigkeit von Schiffen zu beschränken, um Kollisionen zu vermeiden. Die Medien haben diese gute Nachricht bislang völlig ignoriert. Dabei ist die Entscheidung ein Meilenstein im Kampf um ein walfreundlicheres Mittelmeer und kann viel Gutes bewirken.
Wir schreiben darüber, warten Sie noch zwei Wochen ab! Ich hatte eher erwartet, Sie verraten, wo das Mittelmeer am stillsten ist…
Folégot: Der Stille Ozean ist eine große Mär! Selbst wenn der Mensch keinen Lärm machen würde, wäre das Meer nirgendwo ruhig. Dafür gibt es viel zu viele natürliche Lärmquellen: Der Wind sorgt für Wellen, die schlagen gegen den Boden oder die Küste. Regen ploppt aufs Wasser. Sehr laut sind Unterwasservulkane, jedes noch so kleine Unterseebeben verursacht einen Höllenlärm. Und auch Tiere sind nicht leise: Finnwale singen, Pottwale klicken, Robben brüllen, Fische kommunizieren, um sich zu verteidigen, ihr Revier zu markieren oder ein neues Gebiet zu sondieren.
Welche Tiere sind denn am lautesten – für unsere Ohren zumindest?
Folégot: Kleine Krebse! Das lernte ich vor vielen Jahren auf der Jungfernfahrt mit meinem ersten eigenen Segelboot. Mitten in der Nacht wachten meine Frau und ich auf, weil es überall um uns herum knackte. Wir hatten wirklich Panik, das Boot bricht auseinander! Doch alles war okay, wir hatten nur über einer Horde lärmender Krebse geankert, die angefangen hatten, mit ihren Scheren zu knacken.
Es gibt viele Krisen im Mittelmeer – vom Lärm über die Erwärmung bis zum Plastik. Welche Krise erleben Sie am unmittelbarsten?
Folégot: Die blutigen Kollisionen zwischen Walen und Schiffen. Wir haben berechnet, dass allein im Pelagos-Schutzgebiet 3500 Wale pro Jahr angefahren werden. Nicht alle dieser Zusammenstöße sind tödlich, das ist wie bei Autounfällen. Doch viele Wale, die wir sehen, haben schwere Wunden, Narben oder es fehlt ihnen ein Stück Rückenflosse. Mindestens 30 Finnwale sterben pro Jahr an ihren Verletzungen. Angesichts der geringen Populationszahlen und ihrer langsamen Reproduktionszeit ist das eine furchtbar hohe Zahl.
Was gibt Ihnen Hoffnung?
Folégot: Ich beschäftige mich seit über 15 Jahren mit dem Meereslärm durch Schiffe oder Bohrinseln oder den Bau von Offshore-Windparks und wie man ihn reduzieren könnte. Anfangs kümmerte das Thema überhaupt niemanden. Heute ist das total anders. Gerade im Vergleich zu anderen Problemen wie etwa Plastik- oder chemische Verschmutzung hat sich das Bewusstsein über den Unterwasserlärm in sehr kurzer Zeit sehr verbessert: Die meisten Länder reglementieren Meereslärm etwa bei Bauarbeiten, so darf beispielsweise keine Windturbine mehr errichtet werden ohne vorherige Lärmstudien. Als nächstes werden die motorbetriebenen Schiffe und ihr Lärm reglementiert werden. Dass da so viel möglich ist, gibt mir Hoffnung für die Zukunft, auch für die anderen Probleme der Meere.
Letzte Frage: Wohin führt Sie Ihre nächste Mittelmeer-Reise?
Folégot: Diesen Sommer gehen wir mit Freunden vor Sizilien auf einem Katamaran segeln – und machen dabei so wenig Lärm wie möglich.
Das Projekt „Zukunft Mittelmeer – wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“ wird gefördert von Okeanos – Stiftung für das Meer.